linksunten-Verbot

Weinseliger Strafbefehl?

Das Amtsgericht Tiergarten (Gebäude Wilsnacker Str.) in Berlin

 

Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten stellte mir vor einigen Tagen einen Strafbefehl zu. Ich soll 900 Euro zahlen, weil ich am 1. Februar 2020 unter der Adresse linksunten.tachan­ka.org ein Archiv von linksunten.indymedia veröffentlicht haben soll. Damit sollen ich eine Straftat nach § 20 Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. Nr. 1 Vereinsgesetz (https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__20.html) begangen haben.

 

Es folgt die Zusammenfassung von Abschnitt I. meines Einspruchs gegen den Strafbefehl.

 

30 frequently und nicht ganz so frequently gestellte Fragen zu den Fällen „linksunten.indymedia“ und „Radio Dreyeckland“

 

 

„Gruselgeschichten aus dem Deutschen Rechtsstaat“ / FAQ zu den Fällen „linksunten.indymedia“ und Radio Dreyeckland erscheinen in der Freitag Community.

 

 

 

Eine Warnung vor voreiliger Entwarnung und eine (weitere) erfreuliche Neuigkeit

 

Wie hier und anderer Stelle bereits mehrfach berichtet, ermittelte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen zwei Journalisten des freien Freiburger Senders Radio Dreyeckland wegen angeblicher Unterstützung einer verbotenen Vereinigung (§ 85 Absatz 2 Strafgesetzbuch) (siehe z.B. express 3-4/2023 und contraste Mai 2023) und erhob schließlich Anklage gegen einen von beiden (EmRaWi vom 16.05.2023): Fabian Kienert – wegen Veröffentlichung dieses Artikels: https://rdl.de/beitrag/ermittlungsverfahren-nach-indymedia-linksunten-verbot-wegen-bildung-krimineller.

 

Dazu ist gestern eine Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe ergangen und heute bekannt worden:

 

Aber zunächst einmal dazu,

Presseschau zur Anklage gegen einen Journalisten des Freiburger Radios Dreyeckland (RDL)

Bebilderung eines von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe kriminalisierten Artikels des Freiburger Senders Radio Dreyeckland. In der dortigen Beschriftung des Bildes wurde darauf hingewiesen, daß die im Bild zu sehende Parole bei einer Podiumsdiskussion zum Thema strittig blieb – eine Behauptung deren Wahrheit zu bezweifeln, ich keinen Anlaß habe.

 

Das nebenstehende Foto bebilderte auch bereits einen Artikel auf der Webseite von Radio Dreyeckland vom 30. Juli 2022.

 

  • Da die Staatsanwaltschaft der Auffassung ist, der Artikel-Autor habe sich die in dem Bild zu sehende Parole „zu eigen“ gemacht,

    und

  • da in dem Artikel der wahre Satz, Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite, steht,

 

hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe jetzt Anklage gegen den Artikel-Autor erhoben. Er soll sich mit dem Artikel gemäß § 85 Absatz 2 Strafgesetzbuch wegen Unterstützung eines verbotenen Vereins (Vereinigung) strafbar gemacht haben. Bei dem unterstützten verbote­nen Verein soll es sich um die „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ handeln.

 

 

Erster Haken an der Anklage – das Bild war folgendermaßen beschriftet: „‚Wir sind alle linksunten‘ – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.“ (Hv. hinzugefügt) – Worin soll also die Identifikation des Arti­kel-Autors mit der (das Zueigenmachen der) in dem Bild zu sehenden Parole liegen? Der Satz unter dem Bild ist rein deskriptiv; es wird sogar berichtet, daß die Parole bei der Podi­umsdiskussion umstritten war – und auch das Foto selbst ist rein deskriptiv und vermutlich sogar wahr – ich vermute: Die Parole war tatsächlich mal an der Wand – und ist es viel­leicht immer noch. [1] Das Foto dürfte also zur Stilrichtung „Realismus“ gehören. (Daß der Artikel-Autor auch die Parole an die Wand gesprüht habe, behauptet auch die Staatsan­waltschaft nicht.)

Von der Kritik zur Selbstkritik?

 

 

Teil II. eines Gesprächs aus Anlass der Entscheidung

 

des Bundesverfassungsgerichts in Sachen „linksunten.indymedia“

 

 

 

Wir hatten das Gespräch in Teil I. – abgesehen von einzelnen Einwürfen und Vorhalten von Seiten Achims – sehr stark in Frage (Achim)- und Antwort (dg)-Form gehalten. Teil II. hat sich nun eher – insbesondere am Anfang – zu einer Diskussion entwickelt, weshalb wir nun jeweils die Namen nennen. Achims Beiträge sind nun deutlich mehr als Fragen oder Einwürfe. Außerdem hat sich in diesem Teil auch Peter Nowak an dem Gespräch beteiligt. Wir alle drei hatten 2017 zusammen eine Protesterklärung gegen das ‚linksunten-Verbot‘ veröffentlicht, um deren juristischen Folgen und deren politische Folgelosigkeit es gleich am Anfang dieses Teils geht.

 

 

Acht Thesen zu einer selbstverschuldeten Niederlage

 

Teil I.3. eines Gesprächs von Achim Schill mit Detlef Georgia Schulze

 

aus Anlass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

 

in Sachen „linksunten.indymedia“

 

 

 

Gegen Ende des zweiten Teils unseres Gesprächs hatten wir angekündigt, diesmal über folgende Frage zu sprechen: „Haben […] nicht auch LeserInnen und AutorInnen von linksunten durch das Verbot des HerausgeberInnenkreises einen Schaden?“

 

Da die ersten beiden Teile mit zusammen fast 40 Seiten recht lang geworden sind, haben wir uns überlegt, zunächst einmal eine möglichst knappe Zusammenfassung einzuschieben.

 

 

Detlef Georgia fasst seine/ihre Kritik in äußerster Komprimierung in folgenden acht Thesen zusammen:

 

 

„Rechtsform und politischer Kampf“ – Strategische Dilemmas der „Linken“

 

 

Teil I.2. eines Gesprächs von Achim Schill mit Detlef Georgia Schulze

aus Anlass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

in Sachen „linksunten.indymedia“

 

Am Anfang des 19. Jahrhunderts schrieb der konstitutionell-monarchische Liberale Carl Welcker im Staatslexikon zum Thema „Associationsfreiheit“ (das war die damalige zusammenfassende Bezeichnung für Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit):

 

Auf sich allein und sein vereinzeltes Streben und Wirken beschränkt und ohne freies Associationsrechte, versinkt der Mensch allermeist in Selbstsucht und Kleinlichkeit, in Muthlosigkeit, Unthätigkeit und Armuth.“

 

Auch uns scheint, dass der radikalere Teil der deutschen Linken, nachdem es dem Staat 2017 gelungen war, die – wie auch immer zu definierende und zu bezeichnende – „Assoziation“ (Verbindung) der Mitglieder des BetreiberInnenkreises von linksunten.indymedia zu verbieten und aufzulösen, in eine Phase der verstärkten Mutlosigkeit und Untätigkeit verfallen ist. Darum drehte sich bereits das Ende des ersten Teils unseres Gesprächs, das wir Samstag, den 18. März, veröffentlichten, und darum soll es jetzt auch – insbesondere am Anfang – des zweiten Teils, den wir hier nun veröffentlichen, gehen.

 

Wir teilten das Interview am Samstag mitten in der Antwort von dg auf die Frage von Achim: „Welche Schlussfolgerungen lassen sich denn generell aus den Erfahrungen vor BVerwG und BVerfG zu linksunten – über das RDL-Verfahren hinaus – ziehen?“ (RDL-Verfahren = Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Unterstützung des angeblichen Vereins „linksunten.indymedia“ durch einen Artikel, der auf der Webseite des Freiburger Senders Radio Dreyeckland veröffentlicht worden war.)

Bis zur Unterbrechung hatte dg in Antwort auf die gestellte Frage folgende zwei Thesen entwickelt:

Ein Gespräch aus Anlaß der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen linksunten.indymedia

 

Kürzlich brachten Durchsuchungen bei dem freien Sender Radio Dreyeckland (RDL) und zwei seiner Redakteure1 das – 2017 vom Bundesinnenministerium verfügte – Verbot des angeblichen „Verein[s] ‚linksunten.indymedia‘“ in Erinne­rung. Gemeint war damals die Webseite (open posting-Plattform) linksunten.indy­media.org.2

Wegen des Verbotes kam es bereits 2020 zu einer Entscheidung des Bundes­verwaltungsgerichts in Leipzig. Gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wandten sich die Klä­gerInnen anschließend mit Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungs­gericht (BVerfG) in Karlsruhe. Über diese Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG am 1. Februar 2023 entschieden, wie jetzt erst aufgrund eines Berichtes der Legal Tribune Online bekannt wurde.

Aus diesem Anlass sprach ich (Achim Schill) mit Detlef Georgia Schulze (wir kennen uns auch persönlich). Detlef Georgia hat schon eine ganze Reihe von Artikeln zu der juristischen Auseinandersetzung über die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums und damit im Zusammen­hang stehende Probleme und Verfahren geschrieben und beschäftigt sich schon seit Jahren mit Antirep-Arbeit (s. dazu die Literaturliste am Ende). Wir beide waren – zusammen mit Peter Nowak – wegen einer Protesterklärung gegen das ‚linksunten-Verbot‘ vor dem Landgericht Berlin angeklagt.

 

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1 Siehe dazu meinen Artikel Wo haben die „Sturmgeschütze der Demokratie“ ihre Schmerzgrenze?, der wahr­scheinlich in der kommenden Woche in der neuen Ausgabe von „express. Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit“ erscheinen wird: http://express-afp.info/.

 

2 „Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat heute die linksextremistische Internetplattform ‚linksun­ten.indymedia‘ auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst.“ (https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html)

KEINE Vereinigungsunterstützung OHNE existierende Vereinigung

Im Morgenradio des Freiburger Senders Radio Dreyeckland (rdl) lief heute ein Interview zum Thema „Nach Hausdurchsuchungen: Staatsanwaltschaft versucht sich unglaubwürdig rauszureden“.

Inzwischen stehen

auch online zur Verfügung.

Im Einleitungstext zu dem Interview heißt es auf der Webseite von rdl: „Nach den Hausdurchsuchungen gegen Radio Dreyeckland machten viele empörte Stimmen klar: Es ist für viele auf den ersten Blick klar, dass das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden illegitim war. Aber auch bei genauerer rechtlicher Betrachtung zeigen sich viele Widersprüche. Die hat insbesondere Detlef Georgia Schulze zutage gefördert: Detlef Georgia hat gezielt bei der zuständigen Karlsruher Staatsanwaltschaft und beim Bundesinnenministerium nachgefragt und die Rechtsprechung in anderen Fällen angeblicher Unterstützung von verbotenen Organisationen analysiert.“

 

Zu den Reaktionen auf die Haussuchungen siehe:

zum Verbot von linksunten.indymedia im Jahre 2017, das der letztliche Anlaß der Durchsuchungen war, siehe beispielsweise:

 

Quelle zum Bild:

https://www.mao-projekt.de/BRD/REP/RT/Russell-Tribunal_004.shtml / https://mao-archiv.de/Scans/BRD/REP/Russell-Tribunal/004/Hamburg_Vorbereitungsgruppe_Russell_Tribunal_Zensur_1978_11.jpg;

der damalige § 88a StGB: https://lexetius.de/StGB/88a,2.

Das Wunder von Karlsruhe: linksunten.indymedia – Keine Vereinigung (mehr), aber trotzdem Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung der Vereinigung

 

Bei den taz-Blogs erschien am Samstag ein Artikel, der berichtet, dass dem Bundesinnenministerium nach eigenen Angaben „keine Erkenntnisse über eine Fortführung oder über eine Ersatzorganisation der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ vor[liegen]“. Dennoch ermittelt bekanntlich die Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen zwei Redakteure des Freiburger Senders Radio Dreyeckland wegen angeblicher Unterstützung der Vereinigung.

 

In dem Artikel wird dargelegt, wieso die Staatsanwaltschaft Karlsruhe der Ansicht ist, dass es für ihr Ermittlungsverfahren auf Existenz oder Nicht-Existenz der Vereinigung nicht ankomme. Diese Auffassung wird unter Hinweise auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshof kritisiert.

 

 

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