„Rechtsform und politischer Kampf“ – Strategische Dilemmas der „Linken“

Regionen: 

 

 

Teil I.2. eines Gesprächs von Achim Schill mit Detlef Georgia Schulze

aus Anlass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

in Sachen „linksunten.indymedia“

 

Am Anfang des 19. Jahrhunderts schrieb der konstitutionell-monarchische Liberale Carl Welcker im Staatslexikon zum Thema „Associationsfreiheit“ (das war die damalige zusammenfassende Bezeichnung für Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit):

 

Auf sich allein und sein vereinzeltes Streben und Wirken beschränkt und ohne freies Associationsrechte, versinkt der Mensch allermeist in Selbstsucht und Kleinlichkeit, in Muthlosigkeit, Unthätigkeit und Armuth.“

 

Auch uns scheint, dass der radikalere Teil der deutschen Linken, nachdem es dem Staat 2017 gelungen war, die – wie auch immer zu definierende und zu bezeichnende – „Assoziation“ (Verbindung) der Mitglieder des BetreiberInnenkreises von linksunten.indymedia zu verbieten und aufzulösen, in eine Phase der verstärkten Mutlosigkeit und Untätigkeit verfallen ist. Darum drehte sich bereits das Ende des ersten Teils unseres Gesprächs, das wir Samstag, den 18. März, veröffentlichten, und darum soll es jetzt auch – insbesondere am Anfang – des zweiten Teils, den wir hier nun veröffentlichen, gehen.

 

Wir teilten das Interview am Samstag mitten in der Antwort von dg auf die Frage von Achim: „Welche Schlussfolgerungen lassen sich denn generell aus den Erfahrungen vor BVerwG und BVerfG zu linksunten – über das RDL-Verfahren hinaus – ziehen?“ (RDL-Verfahren = Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Unterstützung des angeblichen Vereins „linksunten.indymedia“ durch einen Artikel, der auf der Webseite des Freiburger Senders Radio Dreyeckland veröffentlicht worden war.)

Bis zur Unterbrechung hatte dg in Antwort auf die gestellte Frage folgende zwei Thesen entwickelt:

 

These 1:

 

Es gebe „nicht nur in der (reformistischen) Gewerkschaftsbewegung, sondern – mit anderen politischen Vorzeichen – auch in der linksradikalen oder sich als linksradikal verstehenden Szene“ ein „pragmatisches (um nicht mit Mao zu sagen: praktizistisches) und unreflektiertes Verhältnis zum Recht und einen […] (sowohl juristisch als auch politisch) opportunistischen Umgang mit dem Recht“. Zur Sicherung der eigenen Interessen werde Bezug genommen auf alle Rechtsnormen, unabhängig davon, ob diese Rechtsnormen politisch bekämpft oder erkämpft wurden. Es werde nach jedem Strohhalm gegriffen.

 

These 2:

 

Dies habe sich auch bei dem Umgang mit dem ‚linksunten-Verbot‘ gezeigt: Es wurden juristisch unvereinbare Positionen vertreten (und dadurch die eigenen Argumente geschwächt), weil beide unvereinbaren Positionen politisch in den Kram zu passen schienen:

 

  • Einerseits zu bestreiten oder zumindest nicht zu bestätigen, mit linksunten etwas zu tun gehabt zu haben;

  • aber andererseits – als (angeblich) Nicht-Betroffene (Nicht-Beteiligte) – zu versuchen, das Verbot wegzuklagen.

 

 

In Wirklichkeit – jedenfalls in der Wirklichkeit der mit Staatsgewalt durchgesezten Rechtsordnung der BRD – passte beides aber nicht zusammen, weil sich KlägerInnen eines Verwaltungsgerichtsverfahren und Beschuldigte/Angeklagte eines Strafverfahrens in gegensätzlichen Sprechpositionen befinden:

 

  • Beschuldigte/Angeklagte in einem Strafverfahren nützt es, wenn keine Verbindung zwischen ihnen und der Tat, die ihnen vorgeworfen, nachgewiesen werden kann.

  • KlägerInnen vor einem Verwaltungsgericht sind dagegen darauf angewiesen, dass das Gericht davon überzeugt ist, dass sie mit der Angelegenheit, in der sie Klage erheben, zu tun haben – anderenfalls fehlt ihnen das sog. „Rechtsschutzinteresse“ (siehe noch einmal FN 34 im ersten Teil).

 

Kommen wir nun - im .pdf-attachment – zu der Fortsetzung der Antwort von dg.

 


 

I. Der .pdf-Anhang zum Artikel

 

Der .pdf-Anhang enthält beide Teil des Gesprächs – ohne Unterbrechung/Überleitung –; im ersten Teil sind – gegenüber Samstag – noch ein paar Tippfehler verbessert, aber inhaltlich hat sich dort nichts mehr geändert.

Auf S. 18 unten beginnt im Anhang die Fortsetzung.

 


 

 

II. Einige herausgegriffene Zitate

 

Seite 19:

dg: Mag auch der gewerkschaftliche Umgang mit dem Recht weitgehend von Legalismus und der von Linksradikalen dagegen weitgehend von Rechtsnihilismus geprägt sein, so sind sich doch beide Seiten in einem Rechtsvoluntarismus einig: […]. Und in diesem Rechtsvoluntarismus gab es im Falle von linksunten sogar einen versteckten Legalismus von Linksradikalen: Statt einfach weiter zu machen (wie es bezüglich der Zeitschrift radikal – trotz aller Repression – lange Zeit immer wieder gemacht wurde), wurde der Betrieb von linksunten eingestellt – und Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht erhoben.

 

Seite 27:

Achim: Wir haben ja jetzt ziemlich viele Streitpunkte besprochen:

  • Was ist ein Verein?

  • Dürfen auch Nicht-Mitglieder gegen ein Vereinsverbot klagen?

  • Dürfen zumindest die Mitglieder des verbotenen Vereins klagen?

  • Oder darf nur der verbotene Verein klagen?

Könntest Du bitte abschließend noch mal versuchen ganz deutlich machen: Sind diese vier Streitpunkt letztlich nur ein einziger Streitpunkt, oder wodurch unterscheiden sie sich?

 

dg: Nein, es sind unterschiedliche Streitpunkte, die auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind – und es ist auch wichtig, diese Ebenen zu unterscheiden, um die verschiedenen juristischen Argumentationslinien und die damit verbundenen politischen Probleme und Widersprüche zu verstehen: [… wird weiter ausgeführt]

 

Seite 40:

dg: Die Schlussfolgerung aus Nr. 1. (‚Die Klage ist zulässig‘) und Nr. 2 (‚Eine Klage von Einzelpersonen ist nur zulässig, wenn sie geltend machen durch das Verbot an ihrer bisherigen – wenn auch nicht vereinsförmigen – Zusammenarbeit gehindert zu werden.‘) ist: Das BVerwG unterstellte die Zugehörigkeit [der KlägerInnen gegen das ‚linksunten-Verbot‘] zum Kreis der Personen, die zusammenarbeiteten, um linksunten zu betreiben – also genau das, was die KlägerInnen nicht aussprechen / bestätigen mochten oder sogar bestritten. (Das ganze Rumzieren hat sich also nicht so richtig gelohnt. Ohne Klageerhebung hätte sich diese Unterstellung des BVerwG vermeiden lassen; denn dann hätte es keine Entscheidung zu treffen gehabt. – So konterkarierten die KlägerInnen mit ihrer Klage ihr eigenes Anliegen der Minimierung des strafrechtlichen Risikos. Ungeschickter geht es kaum...)

 


 

 

III. Gliederung beider Teile (gegenüber dem Entwurf von Samstag ist ein Abschnitt hinzugekommen – nämlich der Abschnitt „Glück in der Ungeschicklichkeit, oder: Wie Hegel aus der Gruft mit der ‚List der Geschichte‘ vorbeikam“)

 

Erster Teil:

Die BVerfG-Entscheidung vom 1. Februar 2023 – ein schlechtes Omen für Radio Dreyckland?

Das ‚linksunten-Verbot‘ – Missbrauch oder Gebrauch des Vereinsrechts?

Zum Unterschied zwischen Mediums-Inhalt und Mediums-HerausgeberInnen

Bisherige Organisationsverbote im Medienbereich

Welche Kritik an dem ‚linksunten-Verbot‘?

Das Dilemma, vor dem die AdressatInnen der Verbotsverfügung standen

Digesten: „beati sunt possidentes“ (Glücklich sind die, die etwas zu verteidigen haben) / Carl von Clausewitz: „Verteidigung [ist] bei vorausgesetzten gleichen Mitteln leichter […] als der Angriff“

Welche Schlussfolgerungen können wir aus den Erfahrungen vor BVerwG und BVerfG ziehen?

Wenn Rechtsopportunismus und Rechtsnihilismus in Legalismus konvergieren

 

Zweiter Teil:

Was ist erforderlich, um befugt zu sein, gegen ein Vereinsverbot zu klagen?

Die Weite des vereinsgesetzlichen Vereins-Begriffs

Das Bundesverwaltungsgericht liest schlecht

Das Bundesverfassungsgericht hat dagegen Artikel 9 Grundgesetz gelesen und wohl auch verstanden

Auswege aus einer Zwickmühle

Kritisierst Du um der Kritik willen?

Viele Streitpunkte – wie ist da möglich, den Überblick zu behalten (oder überhaupt erst zu bekommen)

Glück in der Ungeschicklichkeit, oder: Wie Hegel aus der Gruft mit der „List der Geschichte“ vorbeikam

Zum Weiterlesen

Anhang: Zur bundesverwaltungsgerichtlichen Unterstellung der Mitgliedschaft der KlägerInnen im BetreiberInnenkreis von linksunten

Bilder: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen