[HH] Was wir sehen, Teil 2: Der Anschlag in Henstedt-Ulzburg

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"Es gab keine Möglichkeit großartig zu reagieren. Der Versuch sich auf die Grünfläche zu begeben misslang, da der Wagen erstens zu schnell ankam und der Fahrer auf den Grünstreifen lenkte und gezielt auf die beiden draufgehalten hat. Nachdem die beiden angefahren wurden, fuhr er weiter und erfasste nach ca. 30 Metern die junge Frau. Ihre Begleitung konnte sich noch zwischen die Autos retten."
Zitat aus einem Interview mit einer Betroffenen des Angriffs vom 17.10. in Henstedt-Ulzburg (1).

Am 17.10.2020 fand in Henstedt-Ulzburg (Schleswig-Holstein) eine Parteiveranstaltung der AfD mit Jörg Meuthen, einem ihrer Bundesvorsitzenden, statt. Einiege hundert Personen sammelten sich, um den Faschist*innen zu zeigen, dass sie nicht willkommen sind. So weit, so normal in der BRD 2020.
Nach einiger Zeit fielen 4 Personen auf, die offenbar als Unterstützer der AfD vor Ort waren. Sie fingen an, in der Gegenkundgebung rumzunerven, daraufhin wurden sie weggeschickt. Auch das passiert nicht selten an einem Wochenende irgendwo in Deutschland. Mit dem Platzverweis konnten die Nazis aber nicht umgehen: zwei von ihnen kletterten in ihr Auto und fuhren unvermittelt auf Kundgebungsteilnehmer*innen zu. Drei Menschen wurden getroffen und verletzt, eine Person konnte sich durch einen Sprung retten. Die Verletzten mussten im Anschluss teilweise im Krankenhaus behandelt werden. Der Wagen kam dann zum Stehen, eine Gruppe von Menschen bewegte sich auf ihn zu, die Bullen hatten offenbar Angst um ihre Nazifreunde, einer von ihnen ballerte kopflos mit seiner Dienstwaffe in die Luft. Soviel zur Tat selbst, wir sind immer noch wütend über diesen gezielten Anschlag auf das Leben unserer Freund*innen und Genoss*innen und wünschen ihnen weiterhin alles Gute!

Dieser Anschlag steht aber nicht einfach für sich, sondern passierte in einem politischen Klima, auf das wir bereits in unserem ersten Text von gestern hingewiesen haben (2). Zwei Themen sollen hier noch einmal genauer beleuchtet werden: die enge Zusammenarbeit von Nazis auf der Straße mit ihren Kamerad*innen im Parlament und Autos als Waffe rechter Angriffe.

Was wir in Henstedt-Ulzburg, aber auch in Dulsberg und eigentlich auch bei den meisten größeren rechten Veranstaltungen in letzter Zeit beobachten, ist das Zusammenspiel von gewaltorientierten Rechten mit Parteipolitiker*innen der AfD. Das ist natürlich nichts neues, unzählige Recherchen und Artikel der letzten Jahre haben das mehr als deutlich belegt. Allerdings wollen wir auf die strategische Bedeutung dieser Allianz innerhalb rechter Bewegungen eingehen: Parlament und Straße beeinflussen und bestärken sich gegenseitig, je erfolgreicher die eine Fraktion ist, desto mehr fühlt sich die andere bestätigt, auf ihrem Gebiet zu handeln. Zwei Beispiele: Donald Trump weigert sich, sich klar von der Neonazi-Gruppe "Proud Boys" zu distanzieren und sagt, sie sollten sich lediglich etwas zurück-, aber auch bereithalten - eine Aussage zur Primetime, in der Debatte vor der Präsidentschaftswahl. Einige Wochen später tauchen Proud-Boys Anhänger mit T-Shirts auf einer Pro-Trump-Kundgebung auf, auf deren genau sein Satz steht:"Stand back - stand by" (3). Das andere Beispiel stammt aus Deutschland: Der bekannte Neonazi Michi Brück aus Dortmund redet in der Pro7-Dokumentation "Rechts.Deutsch.Radikal" offen darüber, dass er die AfD als parlamentarischen Arm einer faschistischen Bewegung sieht. In diesem Licht betrachtet ist das Auftauchen von Neonazis mit Tötungsabsicht bei AfD-Veranstaltungen kein Wunder. Für uns gibt es zwischen beiden Gruppen nur einen Unterschied in ihrer Strategie, nicht aber in ihrer politischen Einordnung. Ein Fascho bleibt ein Fascho.

Das andere Thema, dass uns leider durch die beiden Angriffe diesen Herbst wieder in Erinnerung gerufen wurde, sind Angriffe von Faschist*innen, die mit Autos durchgeführt werden. Um es kurz zu machen: diese Angriffe haben eine längere Tradition, als viele Leute denken, und werden in der Zukunft möglicherweise zunehmen. Das Magazin "der rechte rand" hat einen sehr guten Artikel dazu veröffentlicht (4). Was hier auffällt: die Repressionsbehörden können einen Angriff mit einem Auto offenbar nur als Verkehrsdelikt oder als "fahrlässig" begreifen, nicht aber als gezielten Angriff - das zieht sich durch fast alle im Artikel beschriebenen Fälle und passiert auch jetzt wieder in Henstedt-Ulzburg und Dulsberg.

Das bringt uns zum letzten Punkt: dem Umgang der Bullen mit solchen Angriffen. Man muss sich das mal reinziehen: ein Mensch fährt gezielt auf Demonstrant*innen zu, trifft mehrere, kommt zum Stehen. Was machen die Bullen: schützen den Täter unter Schusswaffeneinsatz und lassen den Beifahrer im Nachgang völlig unbehelligt (5). In Dulsberg letztlich das gleiche Muster: dem Auto wird sogar noch der Weg mit Pfeffer und Knüppeln freigemacht, dann den Betroffenen die Schuld an ihren eigenen Verletzungen in die Schuhe geschoben (6).
Hier könnte jetzt ein Satz zum Vergleich mit dem Vorgehen gegen linke Demonstrationen oder Hausprojekte stehen, aber wir können es selbst schon nicht mehr hören.
Nochmal: wer nach all den Skandalen der letzten Monate und den ganz, ganz offenen Sympathien und Überschneidungen zwischen Bullen und Nazis immer noch auch nur den Hauch Vertrauen in diese Bande setzt, der glaubt eben auch, dass der Regen nach oben fließt...
Übrigens: der Täter von Henstedt-Ulzburg kam noch am Abend auf freien Fuß (7).

Ein abschließender Satz zur Arbeit der (Lokal-)Presse: Journalismus ist mehr, als Bullenmeldungen kopieren. Wollt ihr wirklich damit weitermachen, Angriffe von Nazis als "der Täter wollte die Opfer nur erschrecken"(8) oder "Rangeleien" (9) zu verharmlosen? Wir haben noch keinen Menschen gesehen, der mit einem Auto gerangelt hätte oder mit einem Krankenhausaufenthalt erschreckt wurde. Hört auf, euch von Behörden mit vorne und hinten verlogenen Meldungen abspeisen zu lassen und recherchiert kritisch. Die letzten Monate haben doch gezeigt, warum gerade die Bullen keine verlässliche Quelle bei Naziangriffen sein können.

Das soll an dieser Stelle erstmal reichen, auch wenn es noch viel zu sagen gäbe. Wir melden uns morgen mit dem letzten Artikel dieser kurzen Reihe, in dem wir das Ganze noch einmal politisch einordnen, auch für uns als antifaschistische Bewegung. Solidarität an dieser Stelle an die Genoss*innen der Antifa Pinneberg, die seit Jahren vor Ort sehr gute Arbeit machen und ohne die die Debatte um den Angriff vom 17.10. wahrscheinlich gar nicht aufgekommen wäre!

Getroffen hat es einige, gemeint sind wir alle - Antifaschistischen Selbstschutz aufbauen!

Antifa 22309, 17.11.2020

1 https://perspektive-online.net/2020/10/auto-angriff-auf-antifas-in-henstedt-ulzburg-die-menschen-haetten-tot-sein-koennen/

2 https://twitter.com/antifa309/status/1328445800557502465

3 https://eu.usatoday.com/story/opinion/2020/11/16/biden-lead-fight-against-white-supremacist-terror-threat-column/6263293002/

4 https://www.der-rechte-rand.de/archive/2521/autos_waffen/

5 https://antifapinneberg.noblogs.org/post/2020/10/18/1219/

6 https://twitter.com/antifa309/status/1328445800557502465

7 https://lowerclassmag.com/2020/10/20/german-autounfall/

8 https://www.abendblatt.de/region/norderstedt/article230735886/fahrer-wollte-demonstranten-offenbar-nur-erschrecken.html

9 https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/rangeleien-am-rande-des-afd-parteitags-in-hamburg,afd2668.html

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Ergänzungen

Warum haben alle Fußnoten-Links eine Facebookweiterleitung? Ist das so gewollt? Scheint nicht sehr klug zu sein

Mich hält das davon ab, den Fußnoten nachzugehen. Andererseits - der Artikel hat genügend Aussagekraft.