Warum wir während einer Pandemie demonstrieren

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Während einer Pandemie zu demonstrieren wirft Fragen und Kritik auf. Warum wir uns trotz des Corona-Virus entschlossen haben, auf die Straße zu gehen, erklären wir hier.
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Wir befinden uns momentan in einer Situation, wie sie die BRD noch nie gesehen hat. Das Corona-Virus bedroht die Gesundheit aller und der Staat reagiert mit einem restriktiven Maßnahmenpaket, das unsere Grundrecht auf beispiellose Art und Weise einschränkt. Der Clou an dieser Sache: Eine breite Mehrheit der Bevölkerung begrüßt die Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die der Verbreitung von COVID-19 Einhalt gebieten sollen.

 

Auch wir wollen selbstverständlich nicht, dass sich die Pandemie ausbreitet, auch wir machen uns Sorgen um die Gesundheit und das Leben unserer Familien, Freund*innen und Genoss*innen. Trotzdem wollen wir uns das Recht auf Demonstrationen, auf politische Betätigung und auf freie Meinungsäußerung nicht nehmen lassen. Ein Widerspruch, den wir nicht ganz auflösen können, aber dennoch hier erklären wollen.

 

 

Einschränkung der Grundrechte

 

Polizei an jeder Ecke, die Auflösung von Gruppen über zwei Personen, Strafgelder fürs Lesen auf einer Parkbank, Verbote von Demonstrationen, kurz die massivsten Eingriffe ins öffentliche Leben in der gesamten Geschichte der BRD, sollen die Verbreitung von Corona einschränken. Es werden Ideen diskutiert, die von wenigen Monaten noch für viele unvorstellbar waren. Apps sollen unsere Bewegungen speichern um infizierte Menschen zu separieren, Nachbar*innen denunzieren sich und die Bundeswehr soll Abhilfe schaffen.

 

Wir können nachvollziehen, dass viele Menschen nach jedem Strohhalm greifen, der sich in dieser bedrohlichen Situation bietet. Aber wir sind sehr misstrauisch, wohin das alles führen kann. Während wir es auch sinnvoll finden, Abstand zu waren wo es möglich ist und Hygienevorgaben einzuhalten, fürchten wir uns vor dem Danach. Werden all die neuen Rechte der Polizei wieder eingeschränkt? Haben wir uns an den Anblick von Uniformen an jeder Ecke so sehr gewöhnt, dass es niemandem auffällt, wenn sie bleiben? Wird das inzwischen angepasste und verschärfte Seuchenschutzgesetz in Zukunft bei jeder missliebigen Demonstration hervorgekramt um sie zu verbieten? Wir wissen es nicht, wir wollen keine Panik und erst recht keine Verschwörungstheorien verbreiten. Aber wir werden aufmerksam bleiben und dem Treiben des immer autoritärer agierenden Staates nicht einfach zusehen. Auch DNA-Analysen sollten ursprünglich nur bei „Kapitalverbrechen“ eingesetzt werden und werden nun schon bei Einbrüchen genutzt. Werkzeuge die den Repressionsapparaten einmal überlassen wurde, geben diese nur sehr ungern wieder her.

 

Unabhängig von der weiteren Entwicklung darf kein Staat unkritisiert bleiben. Gerade in der jetzigen Situation ist es unabdingbar, eine kritische Öffentlichkeit zu schaffen und auch jenseits des digitalen Raums Kritik am den Verhältnissen zu formulieren.

 

 

Heuchlerische Prioritäten des Staats

 

Während das politische Leben außerhalb der Parlamente (und teilweise auch darin) und das öffentliche Leben von Privatpersonen massiv eingeschränkt wird, ist weiterhin erlaubt, was den Motor des Kapitalismus am Laufen erhält. Klar, Betriebe sind angehalten, Homeoffice zu ermöglichen. Aber wo das nicht funktioniert, sind Großraumbüros und der Weg zur Arbeit im wie üblich schlecht ausgebauten ÖPNV erlaubt. Dass diese Orte ein geringeres Infektionsrisiko darstellen, als Demonstrationen unter offenem Himmel, kann niemand glauben. Wer kein Glück hat und weder im Homeoffice noch im Betrieb arbeiten kann, von Kurzarbeit Betroffene, Student*innen, prekär Beschäftigte sind angeschmiert, wenn sie nicht unter den Corona-Schutzschirm passen, Großfirmen bekommen aber Milliardenhilfen, sogar wenn sie nachweislich Steuern hinterziehen.1 Aber das nur nebenbei.

 

Richtig mies, noch mieser als sonst, läuft es momentan aber für prekär Angestellte, für Erntehelfer*innen, und Arbeiter*innen in den Warenlagern der durch die Krise boomenden Versandhäuser. Nicht nur, dass bei ihnen wie üblich nichts vom dicken Mehrgewinn ankommt, sie sind auch besonders von Ansteckung bedroht. In den Baracken der deutschen Spargelindustrie zum Beispiel hat sich das Corona-Virus ausgebreitet und es gab schon Todesfälle.2 In den Lagerhäusern von TNT in Italien macht sich Protest bemerkbar, denn auch dort verbreitet sich das Virus massiv.3 Das soll erlaubt sein, aber Demonstrationen nicht? Ein schlechter Witz auf Kosten der arbeitenden Klasse.

 

Wer sich ansteckt und im Krankenhaus landet, hat dann das zweifelhafte Vergnügen, Bekanntschaft mit einem teilprivatisierten Gesundheitssystem zu machen. Jetzt sehen wir, wo der Weg hinführt, wenn das Gesundheitssystem Profit abwerfen soll. Die Ärtzt*innen und Pflegekräfte werden als Held*innen beklatscht. Schön, sie sind Held*innen und verdienen Anerkennung. Aber zum Applaus aufzurufen, während tausende Stellen im Gesundheitssektor wegrationalisiert werden, und die restlichen überarbeiteten Kräfte zu beschissenen Löhnen knechten, ist zynisch. Wo bleibt das harte Durchgreifen des Staates hier? Warum können hier keine Gesetze gemacht werden? Warum werden Krankenhäuser nicht vergesellschaftet? Wäre das nicht wichtiger? Nein, wo Kapitalinteressen angegriffen werden müssten, ist von den Gesetzgeber*innen nichts zu hören, wie üblich. Es zeigt sich einmal mehr, dass der Staat nicht ohne die Profitmaschinen kann und alles tut, sie zu schützen. Auch auf unsere Kosten.

 

Wir sind dazu bereit, unsere politische Arbeit zurückzuschrauben und der Situation anzupassen, um die Pandemie zu bekämpfen und haben das auch schon getan. Aber unter den genannten Umständen ist es absolut unverhältnismäßig, die außerparlamentarische Opposition einzustellen. Der Preis dafür ist zu hoch, der Gewinn nicht vorhanden, wenn die Freiheit für die Gesundheit geopfert werden soll, die Gesundheit dann aber dem Kapital zum Fraß vorgeworfen wird.

 

 

 

Den Nazis keine Chance geben

 

In Harburg haben wir an diesem 1. Mai zu allem Überfluss wieder einmal das Problem, dass Nazis versuchen den Kampftag der Arbeiter*innenbewegung für sich zu vereinnahmen. Dass das aus historischer Sicht Quatsch ist und dass die „Lösungsansätze“ der Faschist*innen menschenfeindlich sind und noch nie Besserungen für Lohnabhängige mit sich gebracht haben dürfte allen klar sein und soll deshalb hier nicht weiter diskutiert werden.

 

Es könnte sich das Argument aufdrängen, dass es das Beste wäre, die Nazis zu ignorieren und zu hoffen, dass diese sich mit einer Demonstration trotz Corona ein propagandistisches Eigentor schießen. Aus unserer Sicht wäre das fatal. Die Faschist*innen von NPD und Die Rechte versuchen mit dieser Demonstration, so wie mit allen ähnlichen Aktionen, Fuß zu fassen. Dieses Mal eben in Harburg. Auch die Nazis wissen, dass sie mit Gegenwind rechnen müssen. Wenn dieser ausbliebe, Corona-Krise oder nicht, würde das zwangsläufig als Erfolg für die Faschist*innen verbucht. Von den Nazis selbst und auch von der Öffentlichkeit. Unabhängig davon, darf es niemals unwidersprochen bleiben, wenn die Menschenfeinde marschieren. Gerade in Zeiten des Rechtsrucks müssen wir zeigen, dass die antifaschistische Bewegung handlungsfähig ist. Denn wenn die Faschist*innen Morgenluft wittern, kommen sie wieder und machen sich breit. Das bedeutet für alle, die nicht in ihr Weltbild passen unmittelbare Gefahr für das Leben und die Gesundheit. Spätestens diese Einsicht rechtfertigt Aktionen in der Öffentlichkeit, auch wenn ein gefährliches Virus im Umkreis ist. Denn COVID-19 wird die Medizin hoffentlich bald in den Griff bekommen. Für die Nazis sind wir zuständig. Denn der Staat, der nur diejenige Öffentlichkeit einschränkt, die ihm nicht gefällt, wird gegen die Faschist*innen nichts unternehmen.

 

 

Ob wir die Kundgebung verhindern können oder nicht, ob sie verboten wird oder nicht: Die Nazis dürfen keinen Fuß auf die Straße bekommen. Ob in Harburg oder anderswo. Ob am 1. Mai oder an jedem anderen Tag. Lasst uns unsere Politik nach außen tragen und jeden Tag für eine bessere Welt kämpfen.

 

Kommt am 1. Mai nach Harburg, zeigt Flagge für eine bessere Welt und vermiest den Nazis den Tag.

 

 

 

Solidarität statt Repression – Gemeinsam gegen Corona, den Polizeistaat und den Rechtsruck

 

 

 

Das Bündnis Schwarz-Roter 1. Mai HH

 

FAU Hamburg

 

Das Plenum der SKF Harburg

 

 

 

1: Vgl. z.B.: https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/corona-steuer-oasen-101.html

 

2: https://twitter.com/arbeitsunrecht/status/1253293053726658560

 

3: https://twitter.com/labournettv/status/1253233485847965697

 

 

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twitter.com/anarchyinhh
Schwarz-Roter 1. Mai HH
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