Eine Perspektive zum Protest gegen den Wiener Akademikerball
Mit hoher Anspannung beobachten wir das Geschehen um uns herum. Eine Anspannung die uns seit 6 Uhr begleitet, als wir in Erfurt losfuhren. Eine Anspannung die uns den ganzen Tag antreibt. Wir stehen mitten auf einer riesigen Kreuzung in Wien. Mein Kollege trägt eine Kamera und läuft unruhig von links nach rechts und vor und zurück. Hier treffen zwei große dreispurige Hauptstraßen aufeinander, aber eine Seite ist mit hochgerüsteten Polizist*innen und Absperrgittern verschlossen. Mehrere Straßenlaternen erhellen den Platz. Hunderte Protestierende stehen angespannt herum oder laufen kreuz und quer. Manche tragen rosa Kostüme und trommeln kreisrund aufgestellt leicht tanzbare Takte. Die meisten Rhythmen sind geeignet um Demosprüche zu skandieren. Viele andere Demonstrant*innen tragen dicke dunkle Kleidung, weil die Temperaturen sind, wie sie Ende Januar in Wien eben sind: eisig. Einige machen ihren Unmut über den nahen Akademikerball hinter der Absperrung Luft und rufen „Staat, Nation, Kapital – Scheiße!“.
Streit ums TaxiWenig später und woanders versammeln sich einige Demonstrierende. Es wird immer voller, immer lauter und ich verliere den Überblick. Die Situation ist angespannt. Wie einige andere stellen wir uns auf Erhöhungen und beobachten ein blockiertes Taxi. Darin sitzen zwei Ballgäste. Alle rufen Parolen, heben Plakate in die Luft, immer mehr kommen zusammen. Das Taxi bewegt sich nicht mehr und Journalist*innen nutzen die Gelegenheit um die Gäste zu befragen. Einige Demonstrierende rufen ins Taxi. Es wird immer lebendiger und alles scheint sich an diesen einen Punkt zu versammeln. Wir warten was passieren wird. Doch nichts bewegt sich mehr. Das Taxi bleibt in den Händen der Demonstrant*innen.
Kurze Zeit später kommen Polizist*innen und plötzlich geht alles ganz schnell. Wir beobachten die Situation aus mehreren Blickrichtungen und verlieren uns kurz. Es kommen immer mehr Einsatzkräfte. Die Demonstrierenden werden lauter und verteidigen ihr Recht zu blockieren. Die Polizei wird an einigen Stellen handgreiflich. Sie geht nicht zimperlich vor. Einige werden weggerissen, andere grob weggeschoben. Die Stimmung kocht. Demonstrierende antworten mit Böllern und es fliegen Gegenstände. Mein Kollege hält die Kamera drauf. In mir steigert sich die Anspannung. Ich will unbedingt wissen was weiter passiert. Irgendwann stehen sich die Positionen nur noch gegenüber. Nach einiger Zeit löst es sich auf. Die Bilder sind im Kasten.
Tote Hose an der HofburgKaum sind wir am Ort des Geschehens, merke ich wie sehr die Polizist*innen das Bild der Demonstration prägen. Eine dunkelblaue Masse. Sie wirkt auf den ersten Blick nicht besonders bedrohlich, aber sehr dominant. Überall sind Absperrungen. Viele Polizist*innen treten auf der Stelle rum und beobachten ihre Umgebung. Ihre Macht wird spätestens klar, wenn Demonstrierende durch die künstlichen Grenzen wollen, sich auflehnen, lauter werden, demonstrieren. Dann steigt die Anspannung und plötzlich wird die bewegungslose Masse aktiv. Faustschläge, Schlagstock, Pfefferspray – alle Mittel sind recht, um eine künstliche Grenze zu schützen. Das Gesetz, wie sie es nennen, das hier nur die Rechtsradikalen schützt. Menschen mit ausgrenzender Gesinnung, die hunderte Meter weit hinter dieser künstlichen Grenze tanzen.
Dort ist es wie ausgestorben. Zumindest vor dem Eingang zur Wiener Hofburg. Der eiskalte Wind pfeift über den Platz und macht das Warten umso länger. Das alte Gebäude, mit Traditionen aufgeladen, verläuft in einem Halbkreis um einen runden Platz, der in den Heldenplatz übergeht. Die Hofburg mit ihren orange-gelben Strahlern beleuchtet, erhellt auch den Platz. Hinter der Absperrung spielt eine Band und tausende Menschen feiern mit. Das Rufen der protestierenden und tanzenden Menschen ist gut zu hören, aber vor allem bunt und motivierend.
Wir warten gespannt auf die Anreisenden, aber es kommt kaum jemand. Die wenigen, die kommen und befragt werden können, sind schnell verschwunden; vor allem wenn kritische Fragen gestellt werden. Auch der restliche Sperrbezirk rund um die Hofburg ist wie ausgestorben. Polizeitransporter fahren mal schnell, mal langsam, mal mit Blaulicht und mal ohne. Hin und wieder kommt mal ein Taxi.
Egal wo wir hingehen, fast immer werden wir zusätzlich von der Polizei kontrolliert, müssen unsere Ausweise vorzeigen, manchmal diskutieren. Obwohl die Straßen kaum belebt sind, herrscht verbissene Kontrolle. Warum wir den Akkreditierungsschein eigentlich beantragt haben, wissen wir nicht. Es ist nur ein Stück Papier in einer Schutzfolie, auf die unsere Namen samt Medium per Hand geschrieben wurden. Wofür gibt es Presseausweise, dass alle Journalist*innen sich nochmal anmelden müssen? Insbesondere weil der Name nur auf die Folie geschrieben wurde. Tatsächlich gab es bei der Akkreditierung selbst Probleme. Von den Filmpirat*innen konnte kein einziger und keine einzige den Ausweis sofort bekommen, denn weder unsere Namen waren aufgelistet noch unsere Ausweise da. Wir müssen lange warten. Wir warten noch, als die Demo schon beginnt.
Was hat uns der Tag gezeigt? Wir sind viele und wir wollen alle das gleiche: Der von der FPÖ gegründete Akademikerball gehört nicht nach Wien, nirgendwo hin und dafür werden wir laut! Dafür zeigen wir mit der Kamera das Problem. #SeiunsereHeldin ist deshalb in Wien. Ziemlich kaputt fand unsere Filmpirat*innen-Arbeit für diesen Tag ihr Ende. Ich freu mich über ein letztes Bier und merke, wie die ganze Anspannung sich von mir löst.
Katja und Martin für die Filmpirat*innen