Politiker diskutierten in Kassel über die Folgen des NSU-Prozesses
Am 6. April jährt sich der Todestag des von Rechtsterroristen des NSU ermordeten Halit Yozgat zum 13. Mal. Bis heute sind viele Fragen zum NSU-Komplex offen.
Weder der Mord an Halit Yozgat und die Verstrickungen des ehemaligen Verfassungsschützers Andreas Temme wurden hinreichend aufgeklärt, noch ist es der Mord an Enver Simsek, der im hessischen Schlüchtern lebte und 2000 in Nürnberg dem NSU zum Opfer fiel.
Das Kasseler Bündnis „Initiative Nachgefragt“ hatte deshalb am Donnerstagabend zu einer Podiumsdiskussion ins Philipp-Scheidemann-Haus eingeladen. Zu Gast waren die Bundestagsabgeordneten Dr. Irene Mihalic (Grüne) und Dr. Johannes Fechner (SPD) sowie der Landtagsabgeordnete Hermann Schaus (Linke) und die NSU-Opferanwältin Seda Basay-Yildiz.
Der schlimmste Augenblick während der insgesamt 438 Prozesstage gegen Beate Zschäpe und vier weitere Personen in München vernahm Seda Basay-Yildiz am Tag der Urteilsverkündung. Die Rechtsanwältin vertritt die Angehörigen von Enver Simsek. „Bekannte Anhänger der rechtsextremen Szene haben plötzlich lautstark applaudiert, weil ein Haftbefehl gegen einen der Angeklagten aufgehoben worden war“, berichtete die Frankfurter Anwältin, die regelmäßig Drohbriefe mit dem Absender „NSU 2.0.“ erhält.
Sie berichtete auch, wie massiv die Aufklärung vonseiten des Verfassungsschutzes behindert wurde. „Es kann nicht sein, dass in einem Rechtsstaat Akten zurückgehalten oder geschwärzt werden“, so die Anwältin.
Hermann Schaus, Linken-Abgeordneter im Hessischen Landtag und Ombudsmann im NSU-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags, erinnerte daran, wie schwierig es in Hessen war, überhaupt einen Untersuchungsausschuss einzurichten. „Ein Drittel der Akten war geheim oder geschwärzt. Nicht einmal meine Mitarbeiter durften geschwärzte Schriftstücke einsehen“, so Schaus. Vor allem den Grünen macht er dafür schwere Vorwürfe.
Doch geschwärzte Akten kennen auch Grünen-Bundestagsabgeordnete. „Davon können wir leider ein Lied singen“, so Dr. Irene Mihalic, die Ombudsfrau der Grünen im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages war. „Leider gab es kein ernsthaftes Interesse an einer tiefergreifenden Aufklärung“, sagte Mihalic und nannte als Beispiel das Festhalten an der These, dass der NSU quasi als Trio agierte. „Diese These ist nicht haltbar. Das haben Befragung von V-Leuten eindeutig bewiesen“, so Mihalic.
„Die Verbindungen des NSU, die durch die Untersuchungsausschüsse ans Licht gekommen sind, machen sprachlos“, sagte Dr. Johannes Fechner, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg. „Entscheidend sind die Konsequenzen, die wir daraus ziehen. Da hat sich durch gesetzliche Änderungen im Bereich des Verfassungsschutzes schon viel getan“, so Fechner weiter.
Ginge es nach Anwältin Basay-Yildiz, müsste die Konsequenz sein, den Verfassungsschutz abzuschaffen. „Der Verfassungsschutz ist ein rechtsfreier Raum, der nicht zu kontrollieren ist.“ Auch stellte sie die Frage, wie es sein kann, dass Volker Bouffier heute Ministerpräsident sein kann, während er damals als Innenminister die Aufklärung in Hessen massiv behindert habe.
Zuspruch bekam sie von Irene Mihalic, die darauf hinwies, dass sogar im Abschlussbericht des zweiten NSU-Ausschusses vermerkt ist, wie schwierig die Zusammenarbeit mit den hessischen Behörden wegen der vielen geschwärzten Akten war. Unhaltbar sei, dass der Verfassungsschutz die Akte Yozgat für die nächsten 120 Jahre gesperrt habe. Einig war sich die Runde darüber, dass der NSU-Prozess keinesfalls dazu beigetragen hat, die rechte Szene zu schwächen. „Das ist auch nicht verwunderlich, wenn vor Gericht Neonazis lügen und nicht einmal Beugehaft angedroht bekommen“, machte Basay-Yildiz deutlich. (Hessische/Niedersächsische Allgemeine, 31.03.19)