Kritik der Kritik an der Letzten Generation
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Der bisherigen Debatte um die Aktionen der „Letzten Generation“ fehlt ein Blick aus der Erfahrung bisheriger Protestkultur in Umwelt- und sozialen Bewegungen. Stattdessen dominieren abgehobene Einordnungen aus Sicht von Expert*innen und die politischen Statements aus dem Parteienspektrum. DerAutor des Buches „Provoziert! Provokante Aktionen und ihre Bedeutung für den politischen Protest“ ordnet die Aktionen und die Reaktionen historisch und politisch ein.
Der bisherigen Debatte um die Aktionen der „Letzten Generation“ fehlt ein Blick aus der Erfahrung bisheriger Protestkultur in Umwelt- und sozialen Bewegungen. Stattdessen dominieren abgehobene Einordnungen aus Sicht von Expert*innen und die politischen Statements aus dem Parteienspektrum.
- Die Analysen von Bewegungsforscher*innen oder Rechtskundigen irritieren überwiegend wegen ihrer hohen Distanz zum Objekt der Betrachtung. Immer wieder kommt es zu groben Fehlern bei den Fakten (z.B. hinsichtlich des Verlaufs bisheriger Strafverfahren oder der Einschätzung, welche Altersgruppen bei „Letzte Generation“ aktiv ist). Zudem werden Motive und Absichten der Handelnden falsch oder gar nicht eingeordnet.
- Aus dem parteipolitischen Spektrum dominieren ablehnende Stellungnahmen. Diese fallen durchweg recht pauschal aus. Typische Vorwürfe lauten gefährlich, undemokratisch oder nervig, ohne das näher auszuführen oder Belege anzuführen. Dabei sind solche Parolen gegen die Aktionen der Letzten Generation eher noch zurückhaltend. Übertroffen werden sie durch absurde Vergleiche mit SS-Methoden oder dem Abstempeln als Terrorismus. Neben strafrechtlichen Drohungen fordern viele Politiker*innen und feurige Kommentator*innen etlicher Medien, zu zurückhaltenderen Aktionsformen zurückzukehren.
Ist das gerechtfertigt? Oder zeigt die Aufregung eher, dass solche provokanten Aktionen gerade das Salz in der Suppe politischer Proteste sind? Der Buchautor Jörg Bergstedt widerspricht der Kritik aus einem analytischen, aber aus der Binnensicht entstandenen Blickwinkel. Er ist seit fast 45 Jahren politisch aktiv, vor allem in der Organisierung und Durchführung von spektakulären Aktionen. So beteiligte er sich an Feldbefreiungen und -besetzungen im Kampf gegen die Gentechnik, bei der Besetzung von Wäldern gegen Flughäfen, Kohleabbau und Autobahnen, sowie in vielen lokalen und regionalen Kämpfen, aktuell vor allem zur Verkehrswende z.B. in und um Gießen (https://giessen-autofrei.siehe.website) oder zur Transformation des VW-Konzerns (https://verkehrswendestadt.de). Noch bevor die Letzte Generation mit ihren Aktionen begann, war er mehrfach bei Aktionen über und auf Autobahnen aktiv (https://autobahn.siehe.website). Er verfasste die Klagen für die erstmals gerichtlich durchgesetzten Abseilaktionen am 21.1.2022 in Frankfurt (A648) und kürzlich über der A9 (26.3.2023 in München). In mehreren Abseil- und Sitzblockadeprozessen prägt er als Strafverteidiger die juristische Aufarbeitung solcher Aktionen und bildet Aktivist*innen unter anderem der Letzten Generation in Trainings aus.
Im seiner Nachdenkreihe „Hirnstupser“ (u.a. als Youtube-Kanal und Facebookseite) hat Jörg Bergstedt nun im Beitrag „Kritik der Kritik an der Letzten Generation“ die Vorwürfe gegenüber den Aktivist*innen genauer untersucht – und Stück für Stück widerlegt. So wimmelt es von Falschdarstellungen und schlichten Erfindungen. Hinzu kommen abenteuerliche juristische Bewertungen, die Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit völlig außer Acht lassen, dabei aber oft ein vermeintliches Grundrecht auf freie Fahrt für Autos konstruieren. Die Ausführungen zeigen sehr deutlich, dass hinter der Hetze gegen LG vor allem wirtschaftliche und Machtinteressen stehen – das Weiter-so einer rein auf Profit ausgerichteten Politik.
Mit der Verteidigung der Aktionsformen, die die Letzte Generation anwendet und in kreativer Weise variiert, verknüpft der Autor sowohl in seinem kürzlich erschienenen Buch „Provoziert!“ (Büchner-Verlag) als auch in den Hirnstupser-Beiträgen eine Kritik an den bei den Aktionen vermittelten Inhalten. Diese seien einerseits sehr zurückhaltend und passen daher weder zu den spektakulären Aktionsformen noch zum postulierten Ziel, den Klimawandel auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dass die ohnehin sehr schwachen Forderungen im Laufe der Zeit dann noch weiter heruntergeschraubt wurden, ist selbst ein Grund dafür, dass die Debatte über die Aktionsform in den Vordergrund tritt: „Die Inhalte der Letzten Generation sind einfach zu langweilig, um Gegenstand der Berichterstattung zu werden.“ Hinzu kommt ein naives Staatsverständnis, welches die Illusion produziert, Entscheidungsträger*innen seien frei von Zwängen und könnten in freundlichen Gesprächen zu verändertem Handeln gebracht werden. Hier fehle jegliche kritische Analyse von Herrschafts- und Kapitalverhältnissen. Auch ein Gesellschaftrat, wie in die Letzte Generation inzwischen nur noch fordert, würde zwar nette Vorschläge produzieren, deren Umsetzung aber an den von LG nicht beachteten Beharrungsmächten und Profiteur*innen des Status Quo scheitern. Jörg Bergstedt plädiert daher dafür, bei den Aktionsformen weiter auf Provokation zu setzen, aber die Inhalte deutlich zu radikalisieren.
Die Links zu den Beiträgen:
- Internetseite https://provokante-aktionen.siehe.website
- Hirnstupserbeitrag „Kritik der Kritik an der Letzten Generation“: https://youtu.be/iBM14LFFMXs
- Das Buch „Provoziert!“ beim Büchner-Verlag: https://www.buechner-verlag.de/buch/provoziert/
- Mitschnitt des Vortrags „Provokante Aktionen und ihre Bedeutung für politischen Protest“: https://youtu.be/m9dZ7OQHl2U, für den der Referent auch gerne weiter angefragt werden kann.
Kontakt über die Projektwerkstatt, 06401-903283 und saasen@projektwerkstatt.de