Nachbericht der Prozessbeobachtung im April 2018 – Ankündigung der Berufungsverhandlung
Der Prozess im Zusammenhang mit der wilden Demo im Sommer 2015 ist am 26.04.18 mit drei Freisprüchen und einer Verurteilung zu Ende gegangen. Einer der angeklagten Aktivist*innen wurde trotz widersprüchlicher Beweislage wegen versuchter Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Landfriedensbruch zu 90 Tagessätzen à 15€ verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte 100 Tagessätze gefordert. Wie den übrigen Angeklagten die ihnen in der Akte vorgeworfenen Tathandlungen zugeordnet wurden, konnte bis zum Ende des Prozesses nicht geklärt werden. So musste letztlich auch die Staatsanwaltschaft Freisprüche beantragen. Der Staatsanwaltschaft reicht das Urteil gegen die verurteilte Person wohl nicht aus. Sie legte Berufung ein und der Prozess – nun nur noch gegen einen Menschen - wird am 05.12.18 vor dem Aachener Landgericht wieder aufgerollt.
Der Prozess wurde von solidarischen Menschen begleitet. Ohne auf jede Einzelheit eingehen zu können, wollen wir euch teilhaben lassen an einigen Sachen, die uns besonders aufgefallen sind. Vor allem, was das Verhalten bzw. die Aussagen der vorgeladenen Bullen angeht. Insgesamt lassen die zahlreichen Widersprüche und die offensichtlich willkürlichen Aussagen der Bullen (besonders hinsichtlich der Zuordnung der einzelnen Straftaten zu den angeklagten Personen) den Prozess als totale Farce erscheinen, um einen völlig überzogenen und gewalttätigen Polizeieinsatz im Nachgang zu legitimieren.
Der gesamte Prozess war gespickt mit widersprüchlichen Aussagen der vorgeladenen Zeug*innen. Während die unabhängigen Zeug*innen meist betonten, dass sie sich nicht mehr allzu gut an Einzelheiten erinnern konnten, waren die Aussagen der Cops geprägt von zwanghaften Erinnerungs-Konstruktionen. So wurde deutlich, dass nahezu alle Cops scheinbar mit der Intention zu ihrer Aussage anreisten, die Angeklagten zu belasten. Dieses perfide Vorhaben scheiterte jedoch an der offensichtlichen Unfähigkeit, im Vorhinein erfolgreich Absprachen zu treffen.
Der wohl schwerste Vorwurf, der während des Prozesses im Raum stand, war, dass eine Person mit gestrecktem Bein von der Treppe in einen der Polizisten gesprungen sein soll. Von diesem „Kamikaze-“ oder „Karatekick“ wussten einige der Bullenzeugen zu berichten. Allerdings konnten sie sich partout nicht darauf einigen, welcher der Angeklagten denn nun der Treter sei, noch, welcher der Cops von dem Bruce-Lee-Tritt getroffen worden sei. Das klang dann so:
Bullenzeuge Mays sagte, Kollege Tomi sei getreten worden. Er selber habe den Treter festhalten können und sei mit ihm zu Boden gegangen.
Tomi allerdings konnte sich überhaupt nicht an einen Tritt gegen sich erinnern; er sei allerdings geschubst worden und zusammen mit Mays und einer der flüchtenden Personen zu Boden gegangen.
Kollege Vogel brachte noch mehr Verwirrung in die Sache – er behauptete, er selbst sei getreten worden und zu Boden gegangen, wusste allerdings nicht mehr, wo er getroffen wurde. Er habe noch im Fallen sein Pfefferspray gezogen und sich damit gegen den karateversierten Angreifer zur Wehr setzen können. Anschließend habe er den Treter aus eigenem Interesse in Richtung Katschhof (Richtung A) verfolgt, die Verfolgung allerdings schnell abgebrochen.
Ein unabhängiger Zeuge schilderte die Situation ganz ohne Kampfkunsteinlage: Für ihn sah die Situation auf der Treppe viel mehr nach Flucht als nach Angriff aus.
Ein Aktivbürger stellte später einen der Angeklagten. Dieser sei vom Markt in Richtung Kockerellstraße (Richtung B) gelaufen gekommen. Der bürgerliche Held wies die hinzu gerufenen Bullen bei der Übergabe des Gefangenen darauf hin, dass noch eine weitere Person geflüchtet sei. Er setzte laut eigener Aussage zur Verfolgung an, doch die Bullen winkten ab: „Einer reicht!“
Diesen „einen“ will Vogel später als „den Treter“ wiedererkannt haben, was dabei die entscheidenden Merkmale waren, daran konnte er sich nicht erinnern.
Hieran wird deutlich, wie willkürlich die Zuordnung von einzelnen Straftaten zu konkreten Personen schon am 30.06.15 war. Keiner der Cops konnte Auskunft darüber geben, wer die Angeklagten identifiziert habe oder was die dafür entscheidenden Merkmale gewesen seien. Es scheint, als seien ziemlich willkürlich vier Personen ausgewählt worden, um als Sündenböcke für einen aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatz her zuhalten.
Die Problematik der Zuordnung wurde noch dadurch verschärft, dass Einsatzleiter Spyrka irgendwann anordnete: „Alle mitnehmen!“ Besonders pikant: Auch ein bis dato unbeteiligter Passant, der kritisch nach dem Grund des Bulleneinsatzes fragte, wurde so „Teil der Maßnahme“. Er wurde zusammen mit den anderen Personen, die der „Versammlung“ zugerechnet wurden in die Gefangenensammelstelle gebracht.
Nachfragen und Kritik zu Sinn und Zweck der Maßnahme, wurden von den Beamt*innen vor Ort als Unfug abgetan, oder wie im Falle des oben genannten Passanten sogar mit einer Festnahme beantwortet. Rechenschaft gegenüber der Bevölkerung? Fehlanzeige.
Mindestens zwei Bullen taten sich durch ihre Falschaussagen vor Gericht besonders hervor:
So erklärte der Bullenzeuge Dahmen, er habe eindeutig einen Kamikaze-Sprung in Richtung der Cops gesehen, bei Betrachtung der Aktenlage und Vorhaltung der vor drei Jahren niedergeschriebenen Vermerke wurde jedoch klar, dass er diesen Moment gar nicht gesehen haben konnte, weil er zeitlich erst danach am Marktplatz eintraf. Dort wurde er dann von Kolleg*innen darüber informiert, dass Personen geflüchtet seien, nachdem es zu Auseinandersetzungen gekommen war. Hieraus ergibt sich klar und deutlich, dass die Aussagen des genannten Bullen nicht der Wahrheit entsprechen können.
Ein anderer Bulle sagte, er und sein Kollege hätten weiße (!) schusssichere Westen über der Zivilkleidung getragen und wären dadurch deutlich als Polizeibeamte zu erkennen gewesen. Jedoch hat kein anderer Mensch das gesehen oder gar beschrieben.
Zynisch mutet auch die einzige Verurteilung an; drei der vier Straftaten soll die beschuldigte Person vollführt haben während sie am Boden liegend von mindestens zwei Beamten fixiert wurde. Mehrere Zeug*innen berichteten, dass der Mensch vorher von der Treppe fiel und auf dem Kopf landete und danach von Beamten über den Boden geschleift worden sei. Aus dieser Situation der am Boden liegenden Person Körperverletzung und Widerstand anzulasten wirkt mehr als zwanghaft.
Dass die Staatsanwaltschaft jetzt sogar noch ein härteres Urteil erzielen will, ist einfach eine Frechheit. Wir werden den Prozess weiterhin beobachten und den Angeklagten solidarisch begleiten.
Kommt am 05.12.18 um 09:00 Uhr zum Landgericht Aachen!
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