OLG-Beschluss mit Trick 17

 

 

Dass das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart – nach zuvor gegenteiliger Ent­scheidung des Landgerichts (LG) Karlsruhe – das Hauptverfahren jetzt doch eröffnet hat (s. z.B. golem.de und heise.de – jeweils vom 13.06.2023), kommt schon recht überraschend. Wir hatten zwar schon nach dem Beschluss des LG vor allzu viel Euphorie gewarnt [1], aber das ändert nichts daran, dass das Ganze ein ziemlich ungutes Geschmäckle hat.

 

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[*] Achim: Die einleitenden ca. 10 % des Textes, der Schlussabschnitt und politische Bewertungen sowie ein Teil der weiteren Formulierungen; dg: juristische Recherche und Formulierungen.

 

1 Siehe dazu

 

 

 

Ein OLG-Beschluss mit dünner Argumentation / Tatsachengrundlage

 

Auffällig ist vor allem, dass das OLG auf die sehr ausführlichen Begründungen für die Nicht-Eröffnung des LG kaum eingegangen ist (es beschäftigt sich zwar teilweise mit denselben Fragen wie das Landgericht; nimmt auch teilweise ab­weichende Bewertungen vor, aber geht kaum auf die Gründe ein, die das Landgericht für seine Bewertung anführte [1]). Es werden im Prinzip nur zwei ‚Argu­mente‘ vorgebracht, die man nur mit viel Wohlwollen überhaupt als Argumente gelten lassen kann.

 

Das OLG ist der Ansicht, es sei überwiegend wahrscheinlich, dass Kienert am Ende verurteilt werden müsse. Dies sei deshalb überwiegend wahrscheinlich, weil zum einen ebenfalls überwiegend wahrscheinlich sei, dass der unterstütze verbotene ‚Verein‘ noch existiere und zum anderen wiederum überwiegend wahrscheinlich, sei dass Kienert diesen ‚Verein‘ durch Verbreitung (nämlich Ver­linkung) dessen „Gedankenguts“ (sic!) unterstützt habe.

 

Das OLG untermauert seine Prognose kaum mit Tatsachen oder auch nur An­haltspunkten, wie auch Kienerts Anwältin Angela Furmaniak in einen Interview kritisiert (https://www.freie-radios.net/122659; ab Min. 5:11).

 

Angeblich überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der unterstützte ‚Verein‘ (= alter BetreiberInnenkreis von linksunten.indymedia) noch existiert

 

So stützt sich das OLG zum einen hinsichtlich seiner These, dass die verbotene „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ wahrscheinlich nach wie vor existiere, vor al­lem darauf, dass die alte URL seit 2020 wieder mit Inhalten bestückt ist, ohne der Frage nachzugehen, welche Leute – dankenswerterweise – dafür gesorgt haben, dass dort wieder Inhalte zu lesen sind. Letzterer Aspekt ist aber entscheidend, wenn es um die Frage geht, ob der alte BetreiberInnenkreis weiterhin existiert.

 

Was hat es nur mit der angeblichen ‚Straftat‘ von Kienert auf sich?

 

Das OLG hält es zum anderen für überwiegend wahrscheinlich, dass für Kienert „die Information der Öffentlichkeit über Propagandatexte“ einer verbotenen Verei­nigung (d.h.: über die URL des linksunten-Archivs) „nur ein Vorwand“ war, „um in Wahrheit die mit den Texten angestrebte propagandistische Wirkung für die dem Verbot unterliegende Vereinigung zu erzielen“ (S. 15 unten / 16 oben des OLG-Beschlusses[2]).

 

[...]

 

Verlinkung ist keine Verbreitung

[...]

 

Ist Fabian Kienerts Artikel identifikatorisch?

[...]

 

Sind die beiden Kriterien des Oberlandesgerichts überhaupt ausreichend als juristische Voraussetzung für eine Bestrafung?

[...]

 

Sieben Einwände gegen den Eröffnungs-Beschluss des OLG Stuttgart

[...]

 

 

Die Entscheidung des OLG: Ein rechtspopulistischer Warnschuss vor dem Bug der Medienschaffenden?

 

Was die politischen Konsequenzen aus dieser – mir (Achim) fällt leider kein besseres Wort dafür ein, trotz des ernsten und eigentlich traurigen Hintergrunds – Justizposse sein könnte, dafür möchte ich abschließend dg aus seiner/ihrer akribischen juristischen Analyse des OLG-Beschlusses zitieren:

 

„(Auch) Personenkreise, die Medien herausgeben bzw. verlegen, als Vereine zu ver­bieten, bedroht in der Tat alle Medienschaffenden: Auch bspw. die Süddeutsche Zei­tung GmbH ist ein ‚Verein‘ im Sinne von §§ 2 und 14 Vereinsgesetz – nur, daß die von der Süddeutsche Zeitung GmbH verlegten Medien eine etwas andere politische Tendenz haben, als sie die internet-Zeitung linksunten.indymedia hatte. Aber kön­nen wir uns sicher sein, daß ein hypothetisch künftig AfD-geführtes Bundesinnenmi­nisterium keinen Bedarf sehen wird, die Süddeutsche Zeitung GmbH zu verbieten? Und wer/welche weiß wie dann Bundesverwaltungsgericht und Bundesverfassungs­gericht zusammengesetzt sein werden…“

 

(https://blogs.taz.de/theorie-praxis/olg-stuttgart-blosse-sympathiewerbung-ist-nicht-strafbar/)

 

 

 

Dass nebenbei auch alle Medienschaffenden von dieser Entscheidung einen Ein­schüchterungseffekt erhalten, darauf hat auch schon der Kollege Kienert hingewiesen:

 

„Die Kriminalisierung belastet nicht nur mich, sondern verunsichert Journalist:innen in der ganzen Republik. Es muss möglich sein, kritisch über Vereinsverbote zu be­richten, ohne sich direkt dem Vorwurf auszusetzen, eine verbotene Vereinigung zu unterstützen.“

 

Aber offensichtlich wird aktuell die Grenze zwischen [angeblich] (staatlich) ak­zeptiertem politischen Spektrum und Kriminalisierungspotential einem brisanten Stresstest unterzogen. [3] Man darf gespannt sein, ob diejenigen, die in der Gefahr stehen, als grenzwertig eingestuft zu werden, darauf anders als mit Angst reagie­ren werden.

 

 

Die vollständige Fassung dieses Artikels ist als .pdf-Datei (18 Seiten) angehängt.

 

 

 


 

 

 

1 So wies das Landgericht zur Bebilderung von Fabian Kienerts Artikel auf folgendes hin: Die „Bebilder­ung [wird] – wenn auch in einer kleingeschriebenen, in der Presse aber üblichen Bildunterschrift – da­durch relativiert, dass hinsichtlich des auf der Hauswand zu lesenden Schriftzugs ‚Wir sind alle linksun­ten‘ angemerkt wird: ‚ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.‘ Eine eindeutig unterstützende Zielrichtung kann folglich auch insoweit nicht konsta­tiert werden.“ (S. 26 des Landgerichts-Beschlusses)

Diese Bild-Beschriftung und deren Bewertung durch das Landgericht wird aber an keiner Stelle des OLG-Beschlusses erwähnt.

 

2 „Die Grenze zur Strafbarkeit bei der Wiedergabe fremder Texte ist aber überschritten, wenn die Infor­mation der Öffentlichkeit über Propagandatexte verbotener Vereinigungen nur ein Vorwand ist, um in Wahrheit die mit den Texten angestrebte propagandistische Wirkung für die dem Verbot unterliegende Vereinigung zu erzielen (BGH, Urteil v. 09.04.1997, 3 StR 387/96). Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass der Artikel als eine solche Propaganda anzusehen sein wird.“

 

[3] Vergleiche: https://taz.de/Gefahr-antidemokratischer-Tendenzen/!5937734/ (vom 16.06.2023) sowie von mir und TaP: https://de.indymedia.org/node/283282 (vom 03.06.2023).

 

 

 

 

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Ergänzungen

Vor welchem Gericht wird das Verfahren stattfinden & wird es eine solidarische Prozessbegleitung geben?

 

Gericht: Landgericht Karlsruhe.

 

Prozessbegleitung: Wäre wünschenswert, ist mir aber bisher nichts zu bekannt. - Vielleicht da: karlsruhe {aett} rote-hilfe.de (https://rote-hilfe.de/ueber-uns/adressen) fragen bzw. anregen.