Aktionen gegen Schwarzfahr-Kriminalisierung - Teil 1 Fahrt nach und Prozess in München: Interview mit einem der Aktivistis

Regionen: 

Am Montag und Dienstag (2./3. 3.) fand eine Reihe angekündigter sowie spontaner Aktionsschwarzfahrten statt. Anlass waren 3 Prozesse wegen Schwarzfahren mit Hinweisschild - einer in München (2.3.) und zwei in Gießen (3.3. und 5.3.). Die Aktionsfahrten waren ein Zeichen gegen die Kriminalisierung des sog. Schwarzfahrens und für einen fahrscheinfreien ÖP(N)V.Wir sprachen mit einem der Aktivistis über die Aktionsanfahrt nach München, die Demo dort und den Prozess am Münchener Landgericht.

Ihr seid am Montag ohne Fahrschein von Kempten nach München gefahren, um solidarisch an einem Prozess im Münchener Landgericht teilzunehmen, was war das besondere an dieser Aktion und der gewählten Aktionsform?

Wir waren einerseits mit Schildern und Transpis ausgerüstet, die kundtaten, dass (und warum) wir umsonst fahren. Außerdem verteilten wir Flugblätter, die unsere Motivation, die politische Forderung nach Nulltarif im öffentlichen Personenverkehr sowie die rechtlichen Hintergründe erklärten. Von den Schaffner*innen wollten wir uns dabei wenig stören lassen (die bekamen zwar bei Interesse auch Flyer, aber darüberhinaus wenig Aufmerksamkeit von uns), was auf der Fahrt nach München auch einigermaßen geklappt hat.

Was heißt 'geklappt' in dem Fall? Wie waren die Reaktionen von Kontrolleur*innen und Fahrgästen?

Also unter den Fahrgäste gab es eigentlich alle denkbaren Rekationen - einige interessierten sich in typisch deutscher Manier überhaupt nicht für den Inhalt des Flyers sondern nur für die Frage, ob das denn erlaubt sei und wir eine Genehmigung hätten, aber mit erfreulich viele Menschen kam es auch zu spannenden und konstruktiven Gesprächen und sehr viele befürworteten unsere Forderung nach fahrscheinlosem ÖP(N)V. Die beiden Schaffner*innen auf der Fahrt nach München (es waren nur zwei Züge von Kempten nach München) waren nicht gut auf uns zu sprechen und wollten uns teilweise recht aggressiv (verbal) davon abhalten, die Flyer zu verteilen. Zumindest der Schaffner des ersten Regionalzuges bis Buchloe fiel eindeutig in die Kategorie 'Hunde, die bellen, beißen nicht' - er pöbelte uns zwar zunächst massiv an und kündigte an, die Polizei zu verständigen, aber als er merkte, dass wir uns nicht abhalten ließen, ließ er uns wieder in Ruhe. In  jenem ersten Zug wechselten wir dann auf einem Zwischenhalt in Kaufbeuren den Zug (das waren zwei Züge hintereinander), um auch die Menschen im anderen Zugteil auf die Aktion aufmerksam machen und mit Flyern versorgen zu können, denn im hinteren Zugteil waren wir durch. Obwohl erwartbar war und wir davon ausgingen, dass der Schaffner mit uns den Zugabschnitt wechseln würde (was er auch tat, aber uns eben dann in Ruhe flyern ließ), sollte die Bundespolizei diesen Vorgang später in einer Pressemitteilung als "Flucht" vor dem Schaffner in ein anderes Abteil bezeichnen. Die rechneten wohl nicht damit, dass unsere Aktion, das Flyerverteilen und die Gespräche mit den Leuten, das waren, worauf es uns ankam und wir überhaupt nicht die Absicht hatten, vor den Schaffnix wegzulaufen.

Die Bundespolizei hat euch also doch noch erwischt und hinterher sogar noch eine Pressemitteilung veröffentlicht - wie kam das?

Also in Buchloe mussten wir umsteigen in den Zug nach München. Schon kurz nach dem Einstieg versuchte die Schaffnerin vergeblich, uns mit der Polizei zu drohen - wir fingen einfach wieder an zu flyern und mit den Menschen zu sprechen. Auch hier kam es wieder zu spannenden Gesprächen und Reaktionen. Das Absurdeste war allerdings, dass wir irgendwann bemerkten, dass die Schaffnerin anfing, den Mitfahrenden die Flyer wieder aus der Hand zu reißen und sie zerknüllt in irgendwelche Ecken des Zuges zu schmeißen - dass es dafür auch Mülleimer gibt und sie uns heftig kritisieren würde, wenn wir Müll im Zug verteilen würden, teilten wir ihr zwar mit, interessierte sie aber nicht die Bohne. Das wurde ihrerseits nur noch von der Aussage getoppt, unser Flyerverteilen sei unökologisch - während sie die selben Flyer ungelesen zerknüllt und im Zug verteilt...Die selbe Schaffnerin bestellte dann auch die Bundespolizei, die in Pasing mit zwei Leuten zustieg und uns mitnehmen wollte. Wir wollten das aber nicht. Als sie merkten, dass wir tatsächlich nicht mit ihnen gehen werden, hieß es, wir seien vorläufig festgenommen. Auf unsere Frage, was denn der Grund für die Festnahme sei, kam erstmal lange nix und dann stammelte einer der Beamt*innen "Ähh... §127 StPO" (das ist in der Tat ein Festnahmeparagraph, aber eher z.B. wegen Fluchtgefahr bei schweren Verbrechen). Sichtlich irritiert von unserer Rechtskenntnis und allgemein verwirrt fuhren einige von ihnen also mit bis nach München, wo uns schon weitere Uniformierte erwarteten. Nun hatten wir in München allerdings eine angemeldete Demonstration, zu der wir hinwollten - der noch auf dem Gleis folgende etwa 40-minütige Polizeikessel war also auch rechtswidrig, denn Personalien hätten sie auch im Zug feststellen können - aber wann interessiert sich die Polizei schonmal fürs Recht... - die erst deutlich später am Tag veröffentlichte PM der Bundespolizei ist diesbezüglich übrigens auch spannend, denn darin wird behauptet, dass Schwarzfahren mit Hinweisschild grundsätzlich eine Straftat darstellen würde, obwohl gerade diese Frage auch (und gerade) unter Jurist*innen höchst umstritten ist. Ich vermute daher, dass die Bundespolizei Nachahmer*innen fürchtet und deswegen diese rechtlich mindestens undifferenzierte (aus unserer Sicht sogar falsche) Aussage trifft. Sorgen wir also dafür, dass diese Angst gerechtfertigt ist und bescheren wir ihnen noch eine Menge weiterer gelunger Aktionsfahrten!

Wie reagierte die Öffentlichkeit - gab es Presse vor Ort?

Die Reaktionen der Passant*innen auch auf der folgenden Demo durch den Hauptbahnhof waren wie gesagt sehr unterschiedlich, erstaunlich viele aber fanden die Aktion gut und kamen mit uns über Nulltarifkonzepte u.ä. ins Gespräch (in einem Zug nach München hat sich uns sogar jemand angeschlossen, der sowieso kein Ticket und an dem Tag noch nichts vorhatte). Presse war schon auf dem Gleis vor Ort (u.a. bayrischer Rundfung (Radio) und tz), interviewte uns und begleitete uns durch den Bahnhof.

Seid ihr dann überhaupt noch rechtzeitig zum Prozess gekommen, wo ihr schon so lange von der Polizei aufgehalten wurdet?

Der Polizeikessel selber war zeitlich noch machbar, wir hatten eben nur weniger Zeit für die Demo, die deswegen durch den vollen Münchener Hauptbahnhof (statt auf dem Vorplatz) stattfand und so trotzdem einige Aufmerksamkeit erregte. Wir einigten uns mit der Bahn darauf, unser Megafon nicht während der Bahnhofsdurchsagen zu benutzen und konnten dann aber sogar der Polizei vermitteln, dass wir auch im Bahnhof demonstrieren dürfen (seit dem sog. Fraport-Urteil darf man das - beste Reaktion eines Bullen dazu war "aber wir sind hier nicht in Frankfurt"). Alles in allem war die Demo also mit viel Aufmerksamkeit und vielen Interessierten Menschen auch ein voller Erfolg. Erst nachdem wir dann nach einer Station U-Bahnfahrt bereits von über einem dutzend Wachschützer*innen der MVG erwartet und einige von uns gewaltsam in ein Hinterzimmer geschleift wurden, bekamen wir etwas mehr Zeitdruck. Das Absurde ist, dass die MVG-Wachteln ein erhöhtes Beförderungsentgelt dafür verlangten, dass wir unten auf dem Bahnsteig standen und Flyer verteilten - also für keine Beförderung. Nach einigem Hin und Her kamen die in das Hinterzimmer Geschleiften wieder heraus und nach einigen Diskussionen mit den auch noch hinzugekommenen Bullen, konnte dann auch der Letzte von uns zum Gericht aufbrechen. Eigentlich hätten die letzten drei von uns den Beginn der Verhandlung schon verpassen müssen, wir hatten aber Glück: Die Verhandlung war zufällig um eine Stunde verschoben, sodass uns noch viel Zeit bis zu Prozess blieb.Während dieser Zeit wurde teilweise weiter geflyert, denn es waren erfreulicherweise auch einige Jugendliche aus München spontan aus Interesse an unserer Aktion zum Prozess gekommen - dabei fiel der grandiose Satz "Flyer verteilen ist hier verboten - also zumindest Flyer in so eine Richtung...", mit dem sich Justizwachteln ein bisschen zum Gespött der Stunde machten: Meinungsfreiheit in Gerichten nur für die richtigen Meinungen...

Und der Prozess selbst?

Da hat der Angeklagte einen von uns schwarz Angereisten als Verteidigung beantragt, was auch genehmigt wurde. Nach der Befragung des einzigen Zeugen (ein Bahnkontrolleur), der sich an absolut nix erinnern konnte, wurde das Verfahren eingestellt. Dabei meinte der Staatsanwalt noch, dass er es interessant gefunden hätte, wenn die Frage nach gekennzeichnetem Schwarzfahren mal auf höherer Ebene entschieden würde - das zeigt, wie umstritten das Ganze ist. Mittlerweile haben etliche Medien Berichte und Kommentare (letztere leider oft in höchst sozialrassistischer Weise) veröffentlicht, u.a. BR, TZ, Süddeutsche, Merkur-Online.

Was ist dein Fazit der Aktionen?

Ich würde das als eine sehr gelungene direkte Aktion bewerten - es hat nicht nur phasenweise auch sehr viel Spaß gemacht, sondern löste vor allem ungeahnt viele öffentliche Reaktionen aus. Etliche Medienberichte aus verschiedenen Regionen sowie eine Pressemitteilung der Bundespolizei - das gibts nicht alle Tage. Aber auch über die öffentlich sichtbaren Situationen hinaus gab es viele spannende Reaktionen bis hin zu konstruktiven Gesprächen und Diskussionen mit Umstehenden, Schaffner*innen oder Polizist*innen. Die Art der Gesprächsführung, sich nicht einschüchtern oder kleinreden zu lassen, ging also voll auf und sorgte sogar dafür, dass selbst die zunächst aggressiv Reagierenden irgendwann mitten in der inhaltlichen(!) Debatte vertieft waren.

 

  • Hinweis: Die weiteren Berichtsteile erscheinen in den kommenden Stunden und Tagen (Überblick)
    • Teil 1: dieser Text hier
    • Teil 2: Von München nach Frankfurt mit unfreiwilligen Zwischenstopps
    • Teil 3: Von Frankfurt nach Gießen und der Prozess in Gießen
    • Teil 4: Prozess am 5.3. in Gießen
  • Informationen, Gesetzestexte und -kommentare, Urteile und Studien zum Nulltarif unter www.schwarzstrafen.de.vu.

 

Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen