Social Center for Burkhard Jung – ein soziales Zentrum für den Oberbürgermeister
Seit November 2015 fordert ein “selbstorganisiertes Bündnis” ein soziales Zentrum in Leipzig. Nach dem vergangenen Wochenende kann von einem gescheiterten Projekt gesprochen werden. Eine linke Sicht auf die Irrungen und Wirrungen der letzten Tage und Monate.
Worum geht es eigentlich?
Im Aufruf zum Projekt wird die Situation wie folgt beschrieben:
- “Aus zahlreichen Unterkünften wird berichtet, dass es an den grundlegendsten Dingen wie Verpflegung oder an medizinischer Versorgung mangelt – ein würdevolles Leben ist hier nicht möglich! Isoliert von der restlichen Bevölkerung, ohne jede Möglichkeit, die Sprache zu lernen, zu arbeiten oder ihre Zeit selbst zu gestalten, verbringen die Menschen ihre Zeit in Lagern, die sie sowohl seelisch als auch körperlich zermürben und krank machen. Dies gilt auch für Leipzig. Es ist ein Skandal, dass zurzeit mehr als 22.000 Wohnungen leer stehen.”
Beim angestrebten sozialen Zentrum ging es dann jedoch gar nicht mehr um ein würdevolles Leben und den Leerstand in Leipzig, wie sich im Folgenden zeigen wird.
Nach einer Reihe von “Utopia Workshops”, bei denen viele Menschen irgendwas zu einem neuen Zentrum träumen sollten, folgte Mitte Dezember die erste “symbolische Besetzung” von Räumen der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Die Universität lobte nach der reibungslosen Räumung die “ordentlichen und sauberen Besetzer”, und alle waren mit der Aktion zufrieden. So konstatiert danach ein Mitstreiter im Interview mit dem Kreuzer:
- “Bei der ersten Besetzung wollten wir die Medien auf unser Anliegen aufmerksam machen. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine symbolische Besetzung viele Kapazitäten frisst. Einen weiteren Symbolakt können wir nicht stemmen.”
Es ging also um Aufmerksamkeit. Im nächsten Jahr sollte wieder besetzt werden, dann aber richtig!
Die Gretchenfrage: Gibt es in Leipzig dafür nicht schon genügend offene Räume?
Diese Frage stellte der Kreuzer, nicht wenigen geht es ähnlich. Zumindest gibt es in kaum einer anderen ostdeutschen Stadt so viele (Haus-)Projekte, linke und alternative Räume, Wagenplätze und vieles mehr. Die Antwort im Interview:
- “Die bestehenden Räume sind für viele, die sich engagieren und nicht aus der Szene sind, nicht ansprechend. Durch das »For All« wollen wir es schaffen, dass auch Leute aus anderen Milieus zu uns kommen.”
Mag sein, dass die Räume nicht alle ansprechen. Aber ist das überhaupt das dringendste Problem für die Menschen in den Lagern und Unterkünften? Sollte es nicht eigentlich um ein würdevolles Leben mit Privatsphäre, sicherem Rechtsstatus und der Möglichkeit, sich ein eigenes Leben aufzubauen, gehen? Braucht es wirklich ein soziales Zentrum, um einen Kampf gegen institutionellen und gesellschaftlichen Rassismus zu organisieren? Zudem lässt der Vertreter des Social Centers verlautbaren: “Demonstrationen gegen rassistische Übergriffe haben keinen Nutzen.”
Auf einer Podiumsdiskussion im Januar (“Social Center 4 All und Hausbesetzen reloaded – eine linke Antwort auf die angebliche ‘Flüchtlingskrise’?”) wurde eine Vertreterin ebenfalls nach den Zielen gefragt. Eine Antwort, warum es das soziales Zentrum in Leipzig braucht, gab es wieder nicht. Vielmehr schien sich der Eindruck zu bestätigen, dass es Teilen des Bündnisses um ein zusätzliches Projekt in der Stadt geht. Denn der Zweck des Gebäudes, wenn darin kein Wohnraum für Menschen aus den Lagern geschaffen werden soll, wird nicht erhellt. Genauso finden sich keine Antworten, weshalb die bestehenden Projekte und Räume nicht für weitere Menschen geöffnet werden können. Viele von diesen wären sicher auch für weitere Unterstützung und Ideen dankbar.
“Antirassistische Bewegungen in Leipzig”
So der Titel eines Textes der Gruppe “Prisma/Interventionistische Linke Leipzig” auf der Seite des geplanten Social Centers. Er unternimmt einen Versuch, die Bewegung in Leipzig zu beschreiben:
- “Zu Beginn der 90er Jahre war dies vor allem die Verteidigung des eigenen Lebensumfeldes gegenüber Nazis und Rassist*innen und der Versuch, Räume zu schaffen, in welchen es Gruppen von Neonazis nicht länger möglich war, organisierte Angriffe auf Migrant*innen und Asylsuchende zu verüben. Auch in den 2000er Jahren lag der Fokus häufig auf der Auseinandersetzung mit Neonazis; zu nennen sind hierbei vor allem die Aufmärsche von Christian Worch, welche durch vielfältiges antifaschistisches Engagement nach und nach unterbunden werden konnten.”
Weiter geht es mit dem Mord 2010 an Kamal K., um daraufhin ins Jahr 2015 zu springen. Die rassistischen Morde der 90er Jahre in Leipzig wie diesen hier unterschlagen, und fertig ist die kurze und platte Geschichte bei Prisma. Dabei wird die gar nicht so lange zurückliegende Arbeit antirassistischer Gruppen wie LExil, der Umtauschinitiative, dem Initiativkreis NoHEim und der Antirassistischen Gruppe Leipzig einfach nicht mehr erwähnt. Der Zustand “antirassistischer Bewegungen in Leipzig” in den 90er Jahren bleibt im Dunkeln. Dies verweist vielleicht auch auf die inhaltliche Schwäche des aktuellen Bündnisses. Immerhin hätte eine Beschäftigung mit den Inhalten der Antirassistischen Gruppe Leipzig etwas zu den politischen Akteuren des vergangenen Wochenendes beitragen können. Etwa durch den Vortrag “Ist Rot/grün im Bereich Einwanderungspolitik das kleinere Übel gegenüber Schwarz/Gelb?”:
- “‘Wenigstens nicht ganz so rassistisch, wie der Stoiber!’ höre ich einige sagen. Dass dem nicht so ist, soll im Folgenden aufgezeigt werden. Und zwar nicht anhand rassistischer Äußerungen der beiden Kanzlerkandidaten – die gibt es zuhauf – sondern einer Betrachtung der drei großen Projekte Rot-Grüns in der Einwanderungspolitik: der Reform des Staatsbürgerschaftsrecht, der Greencardverordnung und des kürzlich verabschiedeten Zuwanderungsgesetzes…”
“Wir wollen keinen linken Ruf entstehen lassen.”
Diese Aussage findet sich auch im Kreuzer-Interview. Innerhalb der radikalen Linken dürfte dieses Ziel am Wochenende erreicht worden sein. Lediglich BILD und AfD sehen nach der Besetzung Erfolge und beschwören das Bild einer fiesen linksradikalen Aktion.
Zur Erinnerung: Bei der Podiumsdiskussion im Januar ging es noch um eine “linke Antwort”. Am vergangenen Wochenende blieb es wieder nur bei einer “symbolischen Besetzung”, obwohl es doch dieses Mal ernst werden sollte, wie noch im Dezember getönt wurde.
Den größten Gegenwind erfuhr die Besetzung von der SPD und den Grünen. Überraschenderweise war es der Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Die Linke), der eine Räumung der Polizei verhinderte. Dabei fragen sich seit Jahren nicht wenige, warum er eigentlich Mitglied dieser Partei ist.
Am Montag wurde die Besetzung aufgegeben, um einen Termin beim Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung zu bekommen. Dafür wurde extra ein Kuchen gebacken. Nun gäbe es wahrlich eine Menge Gründe, ihm und seiner Partei einen Kuchen nach dem anderen ins Gesicht zu werfen. Zuletzt beispielsweise seine Gleichsetzung von Links und Rechts nach dem Angriff von Neonazis in Connewitz, seine Aussagen im Dezember oder die Tatsache, dass er sich von den großen Playern der Immobilienbranche den Wahlkampf finanzieren lässt. Jung wäre also ein prima Ansprechpartner für die Frage, warum Geflüchtete in Leipzig doch nicht so einfach in Wohnungen leben können.
Stattdessen haben sich die BesetzerInnen auf Gespräche mit dem Oberbürgermeister und den Grünen eingelassen und schon mal einen Verein gegründet, um mit der Stadt zu verhandeln. Nun können sie sich Gedanken um Nutzungskonzepte, Geld, Brandschutz und weiteren Verwaltungskram machen. Dabei hieß es ursprünglich:
- “Deshalb brauchen wir einen Ort:
den alle Menschen selbst gestalten und über den sie selbst bestimmen können, fernab von jeglicher Verwaltung durch Behörden oder Wachdienste!…
Wir sind keine Parlamentarier*innen und haben nicht so viel Zeit.”
Am Wochenende wurde noch mit Hassi auf dem Dach herumgeturnt, am Montag bei der eigenständigen Räumung roter Rauch gezündet, dabei wollte man doch keinen “linken Ruf” entstehen lassen, der überdies auch die guten Kuchengespräche hätte gefährden können. Letztendlich ließ man sich wieder auf die Spielregeln der klassischen Politik ein und unterließ jegliche Kritik an den Parteien und den gesellschaftlichen Zuständen.
Als Geflüchtete am 2. Februar 2016 gegen die Zeltstadt am Deutschen Platz protestierten und eine Demonstration zum Rathaus organisierten, waren ihnen die Tore versperrt, ein Gespräch gab es nicht. Dem Bündnis war dieser unterschiedliche Umgang jedoch keine Kritik wert. Vielleicht hätten die Geflüchteten im Februar auch einfach einen Kuchen backen sollen.
Noch etwas fällt auf: Mit “Ums ganze!” (Gruppe “The future is unwritten”) und “Interventionistische Linke” (Gruppe “Prisma”) sind zwei große bundesweite Zusammenhänge – manche sprechen auch von “BewegungsmanagerInnen” – Teil des Bündnisses für das Social Center Leipzig. Dies spiegelt sich aber nicht in der Beteiligung wider. Nicht nur die Besetzungen waren für Leipziger Verhältnisse eher schlecht besucht. Vielleicht liegt es an den unklaren Zielen und Aussagen. Abgestimmt wird innerhalb der radikalen Linken jedenfalls mit den Füßen. Mit der Vereinsgründung und der engen Kooperation mit der Stadt kann das Projekt in naher Zukunft als gestorben betrachtet werden.
Text zugesandt von: anonym