Der Machtkampf in der AfD: Einschläge kommen näher

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Katrin Ebner-Steiner

Putschversuch in der Bayern-Fraktion, Abberufung in der Erasmus-Stiftung und eine unangenehme Enthüllung in Mecklenburg-Vorpommern: Die Verbündeten des verfassungsfeindlichen Flügels halten an dem Neonazi Andreas Kalbitz fest, geraten aber zunehmend selber unter Beschuss. Die meisten Wähler*innen der Partei erwarten, dass sich Parteichef Jörg Meuthen im Führungsstreit durchsetzen wird. idas besichtigt die aktuellen Fronten.

Misstrauen in Bayern

Vor einer Woche hat sie völlig gelassen in die Kamera geschaut: Katrin Ebner-Steiner, AfD-Abgeordnete in Bayern, war am vergangenen Mittwoch zu Besuch in Dresden und traf hier den sächsischen Fraktionsvorsitzenden Jörg Urban. „Stark sind wir durch Gemeinsamkeit, gegenseitige Unterstützung und Zusammenhalt“, verbreitete Urban hinterher. Es gibt gleich mehrere Gemeinsamkeiten, die beide verbindet: Sie gehören dem verfassungsfeindlichen Flügel an – und haben in ihren Parlamenten den gleichen Job.

Seit Oktober 2019 steht Ebner-Steiner an der Spitze der Bayern-Fraktion. Doch um den Spitzenposten musste sie nun kurzfristig bangen: Übers Wochenende hatten ihre Kolleg*innen Unterschriften für einen Abwahlantrag gesammelt, der überraschend eine Mehrheit fand und heute in einer internen Fraktionsversammlung beraten wurde. Ergebnis: Die meisten Abgeordneten entziehen der Vorsitzenden das Vertrauen. Sie darf aber an der Spitze bleiben, weil es zur nötigen Zweidrittel-Mehrheit, um sie abzuwählen, nicht reichte.

Die Konflikte in Bayern sind älter als der aktuelle Machtkampf in der AfD, der in Fahrt gekommen war, als der Bundesvorstand die Auflösung des Flügels angeordnet hat, und der vollends eskaliert ist seit dem Rausschmiss des Neonazis Andreas Kalbitz vor knapp zwei Wochen. Seither ist nicht mehr zu übersehen, dass viele in der Partei die aufgewühlte Stimmung nutzen, um alte und neue Rechnungen zu begleichen. Ebner-Steiner ist da nur ein Fall unter weiteren, einer mit viel Symbolwert.

Abberufung hier, Enthüllung da

Ein anderer aktueller Fall spielt in der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Dort wurde am Montag Erik Lehnert aus dem Vorstand des Stiftungsvereins abberufen. Hintergrund: Das neurechte Institut für Staatspolitik, das Lehnert leitet, wird neuesdings vom Verfassungsschutz beobachtet. Wenn das auf die Stiftung abfärbt, sind Fördermittel in Gefahr, Millionenbeträge, die fließen sollen, sobald die AfD ein weiteres Mal in den Bundestag einzieht. Das Votum gegen Lehnert, bisher Beisitzer, fiel knapp aus. Sein Name wurde bereits von der Stiftungswebsite entfernt, offenbar bleibt er ihr höchstens noch als stilles Mitglied erhalten. Für den Flügel ist das eine weitere Niederlage.

Die Fürsprecher*innen der verfassungsfeindlichen Strömung mussten zuletzt auch einen Rückschlag in Mecklenburg-Vorpommern hinnehmen. Die dortige Landesspitze hat den kompletten Vorstand des Kreisverbands Rostock abgesetzt. Letztes öffentliches Statement der dann entmachteten Gruppe war eine Solidarisierung mit Kalbitz gewesen. Gestern dann der nächste Schlag: Die Schweriner Volkszeitung machte eine kompromittierende Tonaufzeichnung öffentlich. Zu hören ist der Bundestagsabgeordnete Enrico Komning aus Mecklenburg-Vorpommern, einer der Parlamentarischen Geschäftsführer der AfD-Fraktion, ein strammer Flügel-Mann.

Über die parlamentarische Demokratie sagt er: „Die wollen wir doch gar nicht, die wollen wir doch abschaffen.“ Unmittelbar darauf bekräftigt er, „wir“ würden das Parteiensystem „so wie es jetzt ist“ nicht fortführen wollen. „Ich will es nicht“, setzt er nach. Komning hat die Echtheit der Aufnahme bereits eingeräumt, seine Worte fielen demnach Ende 2016 im Kreise von AfD-Mitgliedern und wurden heimlich aufgezeichnet. Zu der Zeit saß er im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und will lediglich die Vorzüge direkter Demokratie gepriesen haben.

Friktionen in weiteren Bundesländern

Man mag es kaum für einen Zufall halten, dass die Aufzeichnung gerade jetzt bekannt wird, in einer Zeit, da alle Seiten härtere Bandagen anlegen. In der hessischen Landtagsfraktion, das wurde am Montag bekannt, sind zwei Abgeordnete detailliert ausgeforscht und Dossiers angelegt worden, um vermeintliche „Verfehlungen“ nachzuweisen. Betroffen sind der 75-jährigen Rolf Kahnt und der 68-jährige Rainer Rahn. Zu den Vorwürfen, die man ihnen fraktionsintern macht, gehören unter anderem „ablehnende Gesichtszüge“, berichtet die Hessenschau. Beide Parlamentarier gehören dem Flügel nicht an, waren bisher aber auch keine Opponenten. Ähnlich wie in Bayern reicht der Konflikt in Hessen länger zurück, aber auch er hat Symbolwert: Mit Rahn demontiert man den einstigen Spitzenkandidaten der Landes-AfD, der sie Ende 2018 überhaupt erst in den Landtag geführt hatte.

Auch in anderen Bundesländern könnten bald Volten geschlagen werden – etwa in Nordrhein-Westfalen, wo die AfD ihren mitgliederstärksten Landesverband hat, angeführt von Rüdiger Lucassen. Er hatte in der Vergangenheit Björn Höcke im Wahlkampf unterstützt, sich dann aber in einem Schreiben an den Bundesvorstand erfolgreich dafür eingesetzt, den Flügel aufzulösen. Vor dem Kalbitz-Rauswurf soll sich Meuthen in Nordrhein-Westfalen rückversichert haben, dass man das mittrage. Doch am Montag vor einer Woche war Lucassen plötzlich zu Gast bei einem internen AfD-Treffen in Berlin, über das zuerst die WELT berichtet hatte. Demnach soll neben dem AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland auch Götz Kubitschek dabeigewesen sein, der neurechte Publizist, Höcke-Berater und Flügel-Vordenker.

Nach Angaben des Spiegel berieten sich vor allem die ostdeutschen Landesvorsitzenden, unter ihnen Sachsen-Chef Jörg Urban, zum weiteren Vorgehen. Es stand die Idee im Raum, einen Sonderparteitag einzuberufen, um Jörg Meuthen und weitere Mitglieder des Bundesvorstands zu stürzen. Das müssen sechs Landesverbände beantragen, mehr als der Flügel in der Tasche hat. Wollte man den wankelmütigen Lucassen überreden, mitzuziehen? Gefruchtet hat das nicht, nach dem Treffen wurde die Idee, den Showdown bei einem Sonderparteitag herbeizuzwingen, kleinlaut begraben.

Rechter Bekenntnisdruck

Stattdessen geht man jetzt kleinere Schritte, startet Petitionen, sammelt Unterschriften. Der sogenannten Niedersachsen-Erklärung, die Kalbitz in Schutz nimmt, haben sich bislang rund 700 Personen angeschlossen. Weitere 600 Namen stehen unter einer weiteren, ähnlich gestalteten Resolution. Offenbar reicht das schon, um einen Bekenntnisdruck zu erzeugen: Plötzlich schließen sich auch in Sachsen teils namhafte AfD-Vertreter*innen an, die sich lange zurückgehalten haben und bisher nicht zum Flügel-Umfeld gezählt wurden.

In diesem Spektrum spielt man mit dem Versprechen, dass der Kalbitz-Ausschluss keinesfalls Bestand haben werde und es „für diejenigen, die das losgetreten haben, schwierig“ werden wird, wie es Gauland ausdrückt. Man stützt sich dabei unter anderem auf eine Art Gutachten, das der sächsische Bundestagsabgeordnete Jens Maier verfasst hat, der bis vor kurzem Flügel-Obmann war. Ihm zufolge habe Kalbitz „beste Aussichten“, denn Teile der Parteisatzung, auf die sich der Bundesvorstand bei der Kalbitz-Entscheidung stützt, gingen nicht mit dem Parteienrecht konform. Man erwartet, dass man das beim Bundesschiedsgericht und vor einem Zivilgericht, wo sich Kalbitz wehren will, auch so sehen wird.

Das Zutrauen in den eigenen Standpunkt ist aber offensichtlich nicht so groß, dass man einfach abwarten möchte. Die Flügel-Kräfte wehren sich und greifen Meuthens Leute an. Ein erster Aufschlag kam von Kubitschek. In einer langen Schimpftirade kommt er auf den hamburgischen AfD-Vizechef Alexander Wolf zu sprechen, der als Beisitzer dem Bundesvorstand angehört und gegen Kalbitz gestimmt hat. Beide kennen sich „von sehr früh her“, berichtet Kubitschek, sie hätten „im Burschenschaftshaus der Danubia München manchen gemeinsamen Abend erlebten.“ Wolf habe dort gar ein Liederbuch verbreitet, die „härteste erhältliche Zusammenstellung“, voller NS-Liedgut.

„Emotionale Überreaktion“

An diesem Montag legte bei Facebook der ehemalige AfD-Politiker Dennis Augustin nach. Er war einmal Vorsitzender des AfD-Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern, bis ihn im vergangenen Herbst sein eigener Vorstand vor die Tür setzte. Grund: Augustin hatte beim Parteieintritt nicht angegeben, früher bei der NPD aktiv gewesen zu sein, ein Fall, der gut vergleichbar ist mit der Causa Kalbitz. Auch Augustin plaudert jetzt aus dem Nähkästchen und erinnert daran, dass Wolf eine Vergangenheit bei den Republikanern hat. Wolfs Biografie sei „vollgestopft mit rechtsextremen Bezügen. Und dieser Typ, ein erfolgloses, farbloses politisches Leichtgewicht, besitzt die Dreistigkeit, einen verdienten Kollegen im Bundesvorstand mit aus der Partei zu werfen“, sagt Augustin.

Das soll wohl heißen: Darum, eine „Brandmauer nach rechtsaußen“ zu errichten, von der Meuthen neuerdings spricht, geht es nicht. Hier handeln Pharisäer „zu den Bedingungen des Establishments“, wie es Kubitschek ausdrückt. Diese Argumentation ist die Generallinie des Flügels selbst, der sich als einzigen Garanten gegen eine Anverwandlung der AfD an die „Altparteien“ verkauft. Doch Meuthen, so scheint es, bringt all das bislang nicht aus der Ruhe, er geht davon aus, bis zum nächsten regulären Wahlparteitag im Herbst 2021 Parteivorsitzender zu bleiben. „Ich rechne nicht damit, dass vorher etwas passiert“, sagte er am Sonntag in einem FASZ-Interview. Dass das sein Mit-Vorsitzender Tino Chrupalla anders sieht, dass Gauland dem Vernehmen nach um sein politisches Lebenswerk fürchtet, hält er für eine „emotionale Überreaktion“.

Reaktionen sind auch bei den potentiellen Wähler*innen der Partei messbar: Alle großen Institute sehen die AfD bundesweit noch bei höchstens zehn Prozent, eher darunter. Im Spitzenland Sachsen misst man knapp 24 Prozent, gut dreieinhalb Punkte weniger als zur Landtagswahl 2019, so eine aktuelle Civey-Umfrage im Auftrag der Sächsischen Zeitung. Außerdem hält eine knappe Mehrheit von 51 Prozent aller AfD-Wähler*innen den Kalbitz-Rauswurf für richtig, 40 Prozent sind dagegen, so repräsentative Daten des Forsa-Instituts. Eine klare Mehrheit von 62 Prozent der AfD-Anhänger*innen steht demnach hinter Meuthen – und fast genauso viele erwarten, dass er den Machtkampf gewinnen wird. Dem Flügel trauen das nur 24 Prozent zu.

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