600 Menschen gegen Propagandafeier zum „Tag der deutschen Einheit“ in Kiel

Etwa 600 Menschen aus verschiedenen linken Spektren beteiligten sich am 3. Oktober 2019 an der Demonstration gegen die zentralen Einheitsfeierlichkeiten 2019 in Kiel. Unter dem Motto „Wut verbindet – Deutschland spaltet. Klassensolidarität statt Vaterland!“ startete der Protestzug am späten Vormittag nahe des Hauptbahnhofs und zog anschließend zur Sparkassenarena.

Hier wurde die Ankommensphase des offiziellen Festakts der BRD-Führungsriege für eine erste Zwischenkundgebung genutzt. In Redebeiträgen wurden die vielfältigen sozialen Verwüstungen, die die wiedererstarkte deutsche Nation seit der „Wiedervereinigung“ zu verantworten hat, am Beispiel der Treuhandverbrechen beim Ausverkauf der DDR-Wirtschaft sowie der EU-Austeritätspolitik in Griechenland thematisiert. Darauf zog die Demo entlang der Sicherheitszone um den Exerzierplatz zum Bürgerfest in der Kieler Innenstadt. Die Antifaschistische Jugend Kiel solidarisierte sich in einem Redebeitrag am Lorentzendamm mit ihren Altersgenoss*innen in den Neuen Bundesländern, die dort bis heute vielerorts mit der allgemeinen Perspektivlosigkeit zu kämpfen haben.

Nachdem die Wegstrecke sich bis hierhin durch eher mäßig bevölkerte Teile des Einheitstaumels gezogen hatte, fand sich ab der Zwischenkundgebung am Kieler Schloss zunehmend ein größeres Publikum für die Kritik der Demonstrant*innen. Hier sprach die SDAJ Kiel zu verfälschenden Mythen über die DDR und den Folgen der „Wiedervereinigung“ in Form von Sozialabbau, Krieg und Rechtsruck in ganz Deutschland. Die Offene linksradikale Plattform Kiel setzte sich anschließend mit den seit Jahrzehnten gewachsenen Neonazistrukturen in Ost-Deutschland auseinander und mahnte, das Problem faschistischer Strukturen ausschließlich dort zu verorten. Lautstark ging es weiter durch die Dänische Straße zum Alten Markt, wo die Autonome Antifa-Koordination Kiel vor einem tiefen Staat, d.h. zuletzt vermehrt enttarnten neofaschistischen Zellen innerhalb von staatlichen Behörden, Polizei und Bundeswehr warnte.

Untermalt von Rauchfackeln wurde die Strecke entlang der mittlerweile belebten Kieler City zur Abschlusskundgebung am Stresemannplatz zurückgelegt. Hier sprach die TurboKlimaKampfGruppe Kiel zur autoritären Formierung des deutschen Staates, dessen Repression sämtliche soziale Bewegungen zuletzt immer drastischer trifft. Als konkretes Beispiel für diese Repression irrsinnigen Ausmaßes wurde abschließend einem Kieler Genossen die Solidarität ausgesprochen, der jüngst im Nachklang des G20 Gipfels in Hamburg zu einer Haftstraße verurteilt wurde.

Während der Demo wurde darüber hinaus immer wieder deutlich gemacht, warum der 3.10. aus linker Perspektive kein Grund zum feiern ist. Dabei wurde z.B. der zahllosen Mauertoten an den europäischen Außengrenzen gedacht. Außerdem wurde die Vereinnahmung der DDR-Opposition durch die herrschende Geschichtsschreibung zurückgewiesen, die für eine Reform des Sozialismus gekämpft hat und keineswegs für dessen Einverleibung in die kapitalistische BRD. Desweiteren wurden Grußworte sowohl von Genoss*innen aus Berlin, als auch aus Potsdam verlesen, wo im nächsten Jahr die zentrale Einheitsfeier stattfinden soll.

Nach Beendigung der Demo blockierten einige Menschen die Kreuzung an der Andreas Gayk-Straße. Diese Versammlung wurde von der Polizei gewaltsam geräumt. Dabei wurden neun Menschen vorläufig in Gewahrsam genommen, drei wurden auf die Wache verschleppt.

Bereits am 2.10. hatte es kleinere Aktionen am Rande des Bürgerfests zum „Tag der deutschen Einheit“gegeben: Mit Kreidemalereien wurde an die mörderische europäische Abschottungspolitik erinnert, Antimilitarist*innen konfrontierten das Open Ship der Bundeswehr mit einem Die-In und Antifachist*innen schredderten vor dem Landesamt für Verfassungsschutz auf der Ländermeile NSU-Akten. Kleinere weitere Aktionen begleiteten beide Tage der Feierlichkeiten.

Das Bündnis gegen die Einheitsfeier 2019 zeigt sich mit Beteiligung und Verlauf seiner Demonstration insgesamt zufrieden. Erfreulich ist auch, dass Genoss*innen aus verschiedenen Städten insbesondere aus dem norddeutschen Raum anreisten, um die Demo zu unterstützen.

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