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Richtigstellungen zu einem Artikel im „nd“ zum Beginn der mündlichen Verhandlung gegen einen Redakteur von Radio Dreyeckland wegen angeblicher Unterstützung einer verbotenen Vereinigung
Auf der Webseite des „nd“ erschien vergangene Woche ein vorab-Bericht zur am 18. April beginnenden mündlichen Verhandlung gegen einen Redakteur von Radio Dreyeckland.
Immerhin das ist wahr:
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Es geht um einen Redakteur von Radio Dreyeckland,
und
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es geht am 18. April los.
Ansonsten geht in dem „nd“-Artikel vieles durcheinander.
Kriminelle und verfassungswidrige Vereinigungen sind zweierlei
Schon im dritten Satz sind ein gravierender Fehler und eine Fragwürdigkeit. Dieser Satz lautet:
„Die einst bei Linken beliebte Internetplattform [linksunten.indymedia] mit Open-Posting-Prinzip hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) 2017 […] als kriminelle Vereinigung verboten.“
Nein, weder die Plattform noch der BetreiberInnenkreis der Plattform – wie es richtiger heißen müßte (siehe dazu unten) –, wurde als „kriminelle Vereinigung“ verboten. Das Verbot wurde vielmehr wegen angeblicher Widerläufigkeit gegen die Strafgesetze und wegen angeblicher Gerichtetheit gegen die verfassungsmäßige Ordnung ausgesprochen [1]:
„1. Der Verein ‚linksunten.indymedia‘ läuft nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider und richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung.
2. Der Verein ‚linksunten.indymedia‘ ist verboten und wird aufgelöst.“
(Bundesanzeiger. [2] Allgemeiner Teil vom 25.08.2017 B1)
Der Unterschied ist vor allem für Leute wichtig, die beschuldigt werden, Mitglieder in solchen Vereinigungen zu sein:
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Die Mitgliedschaft in einer Kriminellen Vereinigungen ist von Anfang strafbar. [3]
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Die Mitgliedschaft in Vereinigungen der zweiten Art ist dagegen erst ab Vollziehbarkeit des Verbots strafbar.[4]
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Um Kriminelle Vereinigungen geht es in § 129 StGB (siehe unten FN 9).
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Die Rechtsgrundlage für Verbote von Vereinen/Vereinigungen (beide Ausdrücke sind im vorliegenden Zusammenhang gleichbedeutend) ist dagegen Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz [5] in Verbindung mit § 3 Absatz 1 Satz 1 Vereinsgesetz [6]; die Strafbarkeit der Mitgliedschaft in Vereinigungen der letzteren Art, sofern sie verboten wurden, ergibt sich erst (von Vollziehbarkeit bis Bestandskraft des Verbots) aus § 20 Vereinsgesetz (siehe FN 4); ab Bestandskraft des Verbotes aus § 85 StGB [7].
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Die Definition beider bzw. aller drei Arten von Vereinigungen unterscheidet sich:
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(Bestimmte) Vereinigungen sind unabhängig davon, ob deren Mitglieder Straftaten begehen, verfassungswidrig. Bei gegen die verfasssungsmäßige Ordnung (das gleiche oder jedenfalls so etwas ähnliches wie die „freiheitliche demokratische Ordnung“) gerichtete Vereinigungen geht es – als Verbotsgrund – nicht um Straftaten, sondern um politisch-ideologische Abweichungen von dem, was der Staat für wünschenswert hält. Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz ist ein Element der spezifisch bundesrepublikanischen, ideologischen Staatsschutzkonzeption [8].
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Strafgesetzwiderläufige und Kriminelle Vereinigungen sind sich zwar ähnlicher, aber zweiterer Begriff ist enger als ersterer.
§ 129 Absatz 1 Satz 1 StGB erfaßt ausschließlich solche Vereinigungen, „deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind“[9]; in Art. 9 Absatz 2 und § 3 Vereinsgesetz findet sich eine derartige Begrenzung dagegen nicht.
Eine weitere Begrenzung des Begriffs der Kriminellen Vereinigung ergibt sich aus § 129 Absatz 3 Strafgesetzbuch: „Absatz 1 ist nicht anzuwenden,
1. wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat,
2. wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist oder
3. soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung Straftaten nach den §§ 84 bis 87 betreffen.“
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Schon am § 129 StGB gibt es einiges kritisieren; am § 85 StGB und Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz – um die es in den Fällen linksunten.indymedia und Radio Dreyeckland geht – ist noch mehr zu kritisieren: Letztere stellen ihrerseits autoritär-etatistische Abweichungen vom Modell der westlichen, bürgerlichen, pluralistischen Demokratie dar [10]: Sie begrenzten den politischen Pluralismus.
Gerechtfertigt wird diese Begrenzung des politischen Pluralismus herrschenderseits als Lehre aus dem Nationalsozialismus + Totalitarismus-Ideologie:
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Da die Nazis legal an die Macht gekommen seien, seien nunmehr verfassungsrechtliche Sanktionen (Vereins- und Parteiverbote, Grundrechtsverwirkungen) schon im Vorfeld von Straftaten geboten.
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Dieses Fehllernen aus der Geschichte wird dann auch noch auf sog. „linksextremistische“ – vor allem stalinistische, teilweise aber auch national-befreierische und (mit dem Fall linksunten.indymedia) vermutlich zum ersten oder zweiten [11] Mal auch auf in autonom-anarchistischer Tradition stehende Kräfte angewandt.
Um ein Fehllernen handelt es sich deshalb,
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weil die Nazis – entgegen der historischen Legende – nicht legal, sondern illegal an die Macht gelangten
und
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weil allemal Mängel an Entschlossenheit der November-Revolution (die daraus resultierende Kontinuität des monarchistischen BeamtInnenapparates etc.) entscheidender für den späteren nationalsozialistischen Machtantritt waren als etwaige Mängel der Weimarer Verfassung (siehe dazu den Anhang zum hiesigen Artikel).
Wurde 2017 eine – bei Linken beliebte – Internet-Plattform verboten?
Aber zurück zu dem „nd“-Artikel in Sachen Radio Dreyeckland – in diesem heißt es (wie bereits gesagt) unter anderem: Es sei 2017 eine „bei Linken beliebte Internetplattform […] verboten“ worden.
Zwar hatte das Bundesinnenministerium 2017 tatsächlich eine Pressemitteilung verbreitet, in der es hieß:
„Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat heute die linksextremistische Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst.“
Das Bundesverwaltungsgericht hat 2020 aber entschieden:
„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“.
(https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33; meine Hervorhebung).
Auch dieser Unterschied ist wichtig. Er ist deshalb wichtig, weil die Innenministerien des Bundes und der Länder nicht befugt sind, Meinungsäußerungen und Medien zu verbieten. Zwar werden auch (bestimmte) Parteien und Vereinigungen – letztlich – wegen deren Meinungen verboten; zusätzlich bedarf es allerdings einer spezifischen Organisiertheit, aus der – aus Sicht des Staates – eine besondere Gefährlichkeit bzw. – aus Sicht der politischen AktivistInnen – eine besondere Effektivität resultiert:
„Ein gleichgesinnte Gemeinschaft ist bedrohlicher als Individualität.“
(Löwer, in: von Münch / Kunig, Grundgesetz. Bd. 1, 20126, Art. 9, RN 1; s.a. RN 48: „gesteigerte Gefährlichkeit kollektiver Verwirklichung strafbaren Tuns“.)
„Der Einzelne wird nämlich“ von Organisationsverboten „nicht betroffen, soweit er selbst bestimmte politische Ziele anstrebt und vertritt. Es wird ihm nur verwehrt, dies durch Förderung einer verfassungsfeindlichen Organisation und der ihr eigenen Wirkungsmöglichkeiten zu tun. Sein Handeln wird gefährlich durch die von der Organisation ausgehende Wirkung.“
(BVerfGE 25, 44 - 64 [56 f. = DFR-Tz. 47 - 49]; https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv025044.html#057)
Wichtig ist dieser Unterschied insbesondere hinsichtlich individueller Meinungsäußerungen und Vereinsverboten:
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Die sog. „Verwirkung“ [12] der Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit (und anderer Grundrechte) darf nur vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden.
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(Bestimmte) Vereine dürfen dagegen von den Innenministerien verboten werden. [13]
Praktisch
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hat die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgericht bisher einen repressionsbegrenzenden Effekt (Grundrechtsverwirkungen wurden noch nie ausgesprochen, und es wurden erst zwei Parteien verboten; Vereinsverbote gibt es dagegen zahlreiche).
Dabei muß es allerdings nicht bleiben:
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Für Parteiverbote und den Ausspruch von Grundrechtsverwirkungen ist – abgesehen von der Möglichkeit der Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – ausschließlich das Bundesverfassungsgericht zuständig.
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Gegen Vereinsverbote kann sich dagegen zweimal gewehrt werden: Zunächst einmal vor den Verwaltungsgerichten; und falls dies erfolglos ist, vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Verbotsbehörde kann dagegen nicht das Verfassungsgericht anrufen, falls bereits die Verwaltungsgerichte das Vereinsverbot kassieren (was allerdings eh nur selten vorkommt; und Verfassungsbeschwerden gegen Vereinsverbote bestätigende Verwaltungsgerichtsentscheidungen waren noch nie erfolgreich).
Nun wird jener Unterschied zwischen Meinungs- bzw. Medienverboten einerseits und Organisationsverboten andererseits allerdings verwischt, wenn die verbotene Organisation eh nicht anderes macht, als Meinungen zu äußern und Medien herauszugeben (vgl. dazu de.indymedia vom 13.06.2019: Pressefreiheit in Deutschland: Medienunternehmen sind – verbotsfähige – Vereine :o). Genau das ist eines der vielen Probleme am Fall „linksunten.indymedia“.
Gericht und Staatsanwaltschaft sind zweierlei
Im vierten Satz des „nd“-Artikels heißt es dann:
„Als strafbare Unterstützungshandlung gilt dem Gericht eine kurze Nachricht über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit dem Verbot der von ‚Linksunten‘.“ (Hv. hinzugefügt)
Welches Gericht gemeint ist, wird vom „nd“ nicht ausdrücklich gesagt – aber in den vorhergehenden Sätzen des Artikels ist nur ein Gericht erwähnt: das „Landgericht in Karlsruhe“.
Falls mit „dem Gericht“ im vierten Satz des Artikels tatsächlich das Landgericht Karlsruhe gemeint ist, ist auch dieser Satz Quatsch. Das Landgericht Karlsruhe wird vielmehr erst am Ende der mündlichen Verhandlungen, die am 18. April beginnt, entscheiden, ob es die „kurze Nachricht“ auf der Webseite von Radio Dreyeckland „über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit dem Verbot der von ‚Linksunten‘“ als Unterstützung eines verbotenen Vereins ansieht.
Noch im Mai 2023 hielt dies das Landgericht Karlsruhe nicht für besonders wahrscheinlich; erst eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart führte dann dazu, daß nun die mündliche Verhandlung stattfinden wird – wie aber erst viel weiter unten in dem „nd“-Artikel erklärt wird:
„‚Einzig das Karlsruher Landgericht schien auf die Pressefreiheit und die Verhältnismäßigkeit achtgeben zu wollen‘, heißt es [seitens des Unterstützerkreises „Soliwelle Dreyeckland“] weiter. Tatsächlich hatte das Landgericht zunächst die Verfahrenseröffnung gegen Kienert abgelehnt, die erfolgten Durchsuchungen für rechtswidrig erklärt. Nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft ließ das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart die Anklage allerdings doch zu und verwies den Fall zurück an das Landgericht.“ [14]
Und auch das Oberlandesgericht Stuttgart hat noch nicht entschieden, daß die Kurzmeldung auf der RDL-Webseite tatsächlich eine Unterstützung eines verbotenen Vereins sei, sondern bloß, daß dies „wahrscheinlich“ sei – und daß alles weitere vom Landgericht Karlsruhe in der jetzt anstehenden mündlichen Verhandlung aufgeklärt werden müsse:
„eine Verurteilung des Angeklagten wegen des in der Anklage erhobenen Vorwurfs des Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot gem. § 85 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB [ist] wahrscheinlich“
(OLG Stuttgart, Beschluß vom 12.06.2023 zum Aktenzeichen 2 Ws 2/23, Textziffer 42)
Aber:
„Diffizile Beweiswürdigungsfragen dürfen nicht im Zuge der nicht-öffentlichen und nicht-unmittelbaren vorläufigen Tatbewertung des für die Eröffnungsentscheidung zuständigen Gerichts endgültig entschieden werden.“
(ebd., Textziffer 44)
Deshalb ist auch die Unterüberschrift des „nd“-Artikels („Gericht setzt wegen Unterstützung von ‚Linksunten‘ neun Termine an) ungenau: Jedenfalls zunächst einmal ist es nur ein hinreichender15 Tatverdacht, wegen dem das strafrechtliche Hauptverfahren eröffnet und die mündliche Verhandlung angesetzt wurden. Für eine Verurteilung ist dagegen nicht nur die Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung des Straftatbestandes durch die angeklagte Person, sondern die Überzeugung [16] des Gerichts, daß der Straftatbestand durch die angeklagte Person verwirklicht wurde, erforderlich. (Hält das Gericht die TäterInschaft dagegen nur für wahrscheinlich, so hat das Gericht auch nach der mündlichen Verhandlung noch Zweifel – und muß freisprechen.)
Im vorletzten Satz das „nd“-Artikels heißt es dann:
„Zunächst muss das Gericht klären, ob das statische Archiv von ‚Linksunten‘ (hier als Kopie), auf das Kienert im Original verlinkt hatte, überhaupt als Fortführung der verbotenen Plattform gelten kann.“
Auch das ist – wegen des oben schon angesprochenen Unterschieds zwischen Verein und „Plattform“/Medium – ungenau. (Im übrigen muß das Archiv nicht als „Kopie“ verlinkt werden – es kann auch direkt verlinkt werden.)
Auch wenn nicht nur das „nd“ und viel andere, sondern auch das Oberlandesgericht Stuttgart [17] lax mit dem Unterschied zwischen Verein/BetreiberInnenkreis und Medium/Plattform umgehen, so hat es doch eine Sache in seinem Eröffnungsbeschluß vom 12.06.2023 (in Übereinstimmung mit dem vorhergehenden landgerichtlichen Nicht-Eröffnungs-Beschluß des Landgerichts Karlsruhe und im Gegensatz zur Auffassung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe) korrekt erkannt:
„Das Fortbestehen dieser“ – verbotenen – „Vereinigung [ist] für die Erfüllung des Tatbestandes des § 85 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB erforderlich […], weil eine nichtexistente Vereinigung nicht unterstützt werden kann“.
Die verbotene Vereinigung ist aber nicht die „Plattform“ bzw. das „Veröffentlichungs- und Diskussionsportal“, sondern – wie das Bundesverwaltungsgericht (wie bereits oben zitiert) entschieden hat – „der dahinter stehenden Personenzusammenschlu[ß]“:
„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“.
(https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33; meine Hervorhebung).
Die erste Frage, die in der anstehenden mündlichen Verhandlung zu klären ist, ist also, ob das linksunten-Archiv von demselben Personenkreis veröffentlicht wurde, der auch bis 2017 für den laufenden Betrieb von linksunten.indymedia zuständig war – warum dies (entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart) ziemlich unwahrscheinlich ist (und, falls es doch der Fall sein sollte, es jedenfalls ziemlich unwahrscheinlich ist, daß es sich beweisen läßt), hatte ich in meinem Artikel bei taz-Blogs vom 25.02.2024 erklärt:
Schwimmen der Staatsanwaltschaft Karlsruhe
und dem Oberlandesgericht Stuttgart die Felle weg?
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Anhang: Wider die Legende von der ‚zu liberalen‘ / ‚zu demokratischen‘ Weimarer Verfassung
Das Grundgesetz stellt mit seinen Normen über Partei- und Vereinsverboten sowie Grundrechtsverwirkungen insofern ein Fehllernen aus der Geschichte dar, als insbesondere die Artikel 18 (Grundrechtsverwirkung) und 21 (‚Parteiverbote‘) [18] Grundgesetz zum Schutz der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ auf der Legende von der ‚zu liberalen‘ Weimarer Republik und der Legende von der Legalität des nationalsozialistischen Machtantritts beruht.
Weder war die Weimarer Republik gegen links sonderlich liberal (auch wenn die KPD nur zeitweilig verboten war) noch war der nationalsozialistische Machtantritt legal.
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Abgesehen von den ökonomischen Integrations-Schwierigkeiten Anfang der 1930er Jahre, waren auf der staatsrechtlichen Ebene die Probleme
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eine anti-republikanische Justiz, die die – vorhandenen! – Repressionsinstrumente, die sie gegen links durchaus exzessiv anwandte, gegen rechts kaum anwandte [19],
sowie
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Notstandskompetenzen des Reichspräsidenten, die schon mit den Präsidialregierungen vor Ernennung Hitlers zum Reichskanzler für eine Entparlamentarisierung der Weimarer Republik [20] und Grundrechtseinschränkungen genutzt wurden.
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Der Ernennung Hitlers folgte eine Auflösung des Reichstages, der Hitler anderenfalls das Mißtrauen ausgesprochen hätte können, die Reichstagsbrandverordnung brachte weitere Grundsrechtseinschränkungen und das Ermächtigungsgesetz konnte nach der Neuwahl nur
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aufgrund verfassungswidriger Zusammensetzung des Reichsrates [21]
und
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weil die KPD- und auch einige SPD-Reichstags-Abgeordneten [22] inhaftiert waren [23], die KPD-Mandate zusätzlich annuliert [24] wurden und [25] die nominell ‚liberalen‘ und konservativen Abgeordneten dafür stimmten,
verabschiedet werden.
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Daraus ist vor allem zu lernen,
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daß den ‚liberalen‘ und konservativen Parteien das ökonomische (kapitalistisches) Hemd näher war als der demokratische Rock
und
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daß der ‚Geburtsfehler‘ der Weimarer Republik nicht ‚zu viel‘ Liberalismus, Demokratie, Pluralismus oder Formalismus, denen nun eine ‚wehrhafte Wertordnung‘ (fdGO) entgegenzusetzen sei, war, sondern daß die sozialdemokratisch dominierte November-Revolution nicht einmal eine radikaldemokratische Revolutionierung von Verwaltung und Justiz brachte, sondern der monarchische Staatsapparat des Kaiserreichs weitgehend unangetastet blieb.
Wenn darüber hinaus auch eine verfassungsrechtliche Lehre gezogen werden kann, „dann nicht, daß ‚die Mehrheit’ oder ‚das Parlament’ zuviel Macht hatte, sondern daß es risikoreich ist, allzu viel Macht auf eine einzelne Person, vorliegend den Reichspräsidenten, zu delegieren – selbst wenn er von einer Mehrheit gewählt wird. Je größer der Kreis der Repräsentanten ist (nicht 1 Reichspräsident, nicht 16 BundesverfassungsrichterInnen; sondern ca. 500, 600 Abgeordnete), umso geringer ist das Risiko von unkontrollierbaren Alleingängen“ [26] – auch wenn sie niemals ausgeschlossen sind.
Dies sollte auch aktuell beachtet werden, wenn vor allem grüne und sozialdemokratische PolitikerInnen und JuristInnenorganisationen (linke eingeschlossen) auf das Bundesverfassungsgericht zur AfD-Abwehr setzen: Der Staatsgerichtshof der Weimarer Republik entschied schlicht nicht mehr über den Antrag der preußischen Landesregierung gegen das Ermächtigungsgesetz, deren Rechte durch die verfassungswidrige Zusammensetzung des Reichsrates bei der Abstimmung über das Gesetz verletzt wurden…
1 Die gleiche Verwechselung von Kriminellen und vereinsrechtlich verbotenen Vereinigungen fand sich zunächst auch im „nd“-Artikel vom 07.02.2023 zum Fall „Radio Dreyeckland“ und wurde dann korrigiert: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170750.neue-details-zu-durchsuchung-radio-dreyeckland-polizei-kennt-jetzt-quellen-von-journalisten.html (siehe den Anfang des Hinweises am Artikelende).
Warum taucht nun der gleiche Fehler wieder auf?
Abgesehen davon enthielt auch der damalige Korrekturhinweis immer noch einen Fehler. Dessen letzter Satz lautete: „Im noch anhängigen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot (§ 85 StGB) ist auch nur die ‚Unterstützung‘ einer möglichen ‚Ersatzorganisation‘ gegenständlich.“
Nein, es geht nicht um die Unterstützung einer (angeblichen) Ersatzorganisation. Die Strafbarkeit der Unterstützung einer Ersatzorganisation setzt voraus, daß die Verbotsbehörde festgestellt hat, daß eine bestimmte Organisation eine Ersatzorganisation für eine bereits verbotene Organisation sei: „entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß er [der Verein] Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins ist“ (§ 20 Absatz 1 Satz 1 Vereinsgesetz; vgl. auch § 8 Absatz 1 Satz 1 Vereinsgesetz: „nur auf Grund einer besonderen Verfügung […], in der festgestellt wird, daß sie Ersatzorganisation des verbotenen Vereins ist.“) Eine solche Feststellung gibt es im Zusammenhang mit linksunten nicht; es soll sich vielmehr um die Unterstützung der ursprünglich verbotenen Vereinigung handeln.
2 https://www.bundesanzeiger.de („linksunten“ in das Suche-Feld eingeben und dann auf das dritte Ergebnis klicken, um die Verbotsverfügung als Text zu erhalten – oder diesen Link verwenden, der aber nur zu einer Bilddatei führt: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2017/verbotsverfuegung-linksunten.pdf;jsessionid=0D9AF3F33888D13D778CED155A92D49F.2_cid332?__blob=publicationFile&v=2).
3 Zum Beispiel die Gründungsmitglieder der RAF wurden unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer Kriminellen Vereinigung (den § 129a StGB über Terroristische Vereinigungen gab es damals noch nicht!) verurteilt, ohne daß die RAF jemals (als Kriminelle Vereinigung) verboten wurde.
Und falls es in den Ermittlungsverfahren gegen vermeintliche Mitglieder der Letzten Generation wegen § 129 StGB zu (Anklagen und) Verurteilungen kommt, so wird es auch zu diesen Verurteilungen kommen, ohne daß vor Beginn der (Mitgliedschafts-)Tat die angebliche Vereinigung verboten wurde.
4 „Wer im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit
1. den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot […], 2. […],
3. den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereines oder einer Partei der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Art oder deren weitere Betätigung unterstützt, 4. […] 5. […],
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 84, 85, 86a oder den §§ 129 bis 129b des Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht ist.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__20.html)
5 „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_9.html)
6 „Ein Verein darf erst dann als verboten (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, daß seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder daß er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet; in der Verfügung ist die Auflösung des Vereins anzuordnen (Verbot).“ (https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__3.html)
7 „(1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes den organisatorischen Zusammenhalt 1. […]
2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist,
aufrechterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar.
(2) Wer sich in einer Partei oder Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__85.html)
8 Siehe dazu: Friedhelm Hase, „Bonn und „Weimar“. Bemerkungen zu der Entwicklung vom „okkasionellen“ zum „ideologischen“ Staatsschutz, in: Dieter Deiseroth / Friedhelm Hase / Karl-Heinz Ladeur (Hg.), Ordnungsmacht? Über das Verhältnis von Legalität, Konsens und Herrschaft [Festschrift für Helmut Ridder zum 60. Geburtstag], EVA: Frankfurt am Main, 1981, 69 - 84.
9 „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129.html)
10 „Die politische Sonderstellung der Bundesrepublik in Westeuropa findet ihren augenfälligsten Ausdruck in der Berufsverbotepraxis. Zwar ist in allen bürgerlichen Demokratien die berufliche Benachteiligung von Oppositionellen im Rahmen des politisch Durchsetzbaren an der Tagesordnung. Insoweit ist die Repression in der Bundesrepublik nur quantitativ größer als jenseits des Rheins und der Alpen: Es ist eben ‚mehr möglich‘ in einem Land, wo die Opposition zahlenmägig schwach und ohne Repräsentanz in den politischen Institutionen ist, wo sich weite Teile der Arbeiterbewegung im kapitalistischen Staat repräsentiert fühlen. Aber die Unterschiede im Bereich der politischen und beruflichen Repression sind nicht nur quantitativ. Ein augenfälliger Unterschied besteht vielmehr auch in der Begründung. Während etwa in Frankreich, in den USA oder in Großbritannien Berufsverbote mit nationalen Sicherheitsinteressen, also politisch begründet worden sind, gibt sich die Berufsverbotepraxis in unserem Land als Anwendung von Recht. Während die französische Rechtsprechung die einschlägige Praxis der Exekutive niemals gebilligt hat, während der Supreme Court in den USA entsprechendes Verhalten als Ausnahme von der Anwendung von Verfassungsrecht dargestellt hat, soll nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts gerade diese Praxis vom Grundgesetz geboten sein. Daß schon diese Verrechtlichung von Politik, die im übrigen in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zahlreiche Parallelen findet, dem demokratischen Prozeß Handschellen anlegt, wird von den meisten Juristen nicht analysiert. Auch politisch links stehende Juristen bedienen sich vielfach der Begrifflichkeiten und Argumentationsfiguren, die die herrschende Jurisprudenz aus der vordemokratischen, deutschen Geschichte übernommen und dem Grundgesetz übergestülpt hat. So geht die herrschende Denkweise in das ‚Rechtsbewußtsein‘ der demokratischen Bewegung ein. Die vorliegende Abhandlung soll ein Beitrag zur Zerstörung dieser Hegemonie etatistischer Rechtsvorstellungen sein.“ (Hartmut Geil, Berufsverbote und Staatsschutz – oder: Wie das Bundesverfassungsgericht das Grundgesetz mit Leben erfüllt und die freiheitliche Ordnung aufrichtet, in: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften H. 109, Mai/Juni 1978, 380 - 393 [380])
11 Der eventuell erste Fall ist das Verbot des SDS Heidelberg. Ich weiß aber nicht genau, ob der SDS Heidelberg zu dem Verbotszeitpunkt noch studentInnenbewegt ausgerichtet war oder bereits die ML-Ideologie des späteren Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) vorwegnahm. Siehe zu diesem Fall (habe ich bisher nur teilweise gelesen):
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Verbotsverfügung des baden-württembergischen Innenministeriums vom 24.06.1970: https://doi.org/10.5771/0023-4834-1970-3-345.
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Teilweise Aufhebung der sofortigen Vollziehbarkeit des Verbotes: https://doi.org/10.5771/0023-4834-1970-3-351.
12 „Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_18.html)
13 „Verbotsbehörde ist
1. die obersten Landesbehörde oder die nach Landesrecht zuständige Behörde für Vereine und Teilvereine, deren erkennbare Organisation und Tätigkeit sich auf das Gebiet eines Landes beschränken;
2. das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat für Vereine und Teilvereine, deren Organisation oder Tätigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__3.html)
14 Der vierte Satz des „nd“-Artikels hätte also vielmehr lauten müssen: „Als strafbare Unterstützungshandlung gilt der Staatsanwaltschaft eine kurze Nachricht über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit dem Verbot der von ‚Linksunten‘.“
Und wenn zusätzlich Gerichte erwähnt werden sollen, so hätte noch erwähnt werden können, daß auch das Amtsgericht Karlsruhe (als es im Dezember 2022 Durchsuchungsbeschlüsse für das Verfahren erließ) und das Oberlandesgericht Stuttgart einen dahingehend Verdacht teilen.
15 „Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__203.html)
16 „Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__261.html)
17 Das OLG spricht von „verbotene[r] Website“ und „verbotene[r] Internetpräsenz“ sowie „verbotene[r] Plattform“ (Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluß vom 12.06.2023 zum Aktenzeichen 2 Ws 2/23, Textziffer 16, 49, 52 und 65) sowie „verbotenerweise immer noch betriebene[r] Website“ (Textziffer 55).
Genau an dieser Erweiterung des Vereinsverbotes zu einem Mediumsverbot muß die juristische Kritik jetzt vor allem ansetzen!
Warum? Aus mindestens zwei Gründen:
1. Weil sich juristisch an dem Verbot allenfalls nur noch sehr schwer etwas ändern läßt.
2. Weil zwar wahr ist, daß der in Rede stehende Artikel auf der Webseite von Radio Dreyeckland bloß berichtenden und das Verbot (sanft) kritisch beleuchtenden – aber nicht das Verbotsobjekt unterstützenden – Charakters ist. Aber wünschenswert wäre, wenn mehr Leute darüber hinaus auch sagen würden: „Wir möchten […] linksunten in seiner ganzen Pluralität – von links-militant bis pazifistisch-sozial-bewegt – wieder haben.“ (https://www.scharf-links.de/suche/detail/aus-anlass-der-durchsuchung-von-radio-dreyeckland-fuer-medienfreiheit-gegen-zensur) – Und auch das wäre noch keine handgreifliche Unterstützung, sondern bloß posthume „Sympathiewerbung“ (die nicht strafbar ist).
18 „(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.
(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.
(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.“
19 Nach einer zeitgenössischen Untersuchungen
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war es zwischen 1919 und Mitte 1922 war es zu 354 politisch motivierten Morden von Seiten der anti-demokratischen Weimarer Rechten gekommen. Das Strafmaß dafür war: 1 x lebenslange Haft, ca. 90 Jahre Zeitstrafen (d.h. ca. 3 Monate pro Mord) sowie 730 Reichsmark Geldstrafe.
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In der gleichen Zeit kam es zu 22 politischen Morden von links. Das Strafmaß zum Vergleich: 10 Todesurteile, 3 x lebenslänglich und fast 250 Jahre Zeitstrafen. (Emil Julius Gumbel, Vier Jahre politischer Mord. Verlag der neuen Gesellschaft, Berlin-Fichtenau, 1922, 78 und 80; vgl. aus neuer Zeit dazu: Manfred Walther, Hat der juristische Positivismus die deutschen Juristen im „Dritten Reich“ wehrlos gemacht?, in: Ralf Dreier / Wolfgang Sellert [Hg.], Recht und Justiz im „Dritten Reich“, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1989, 323 - 354 [328]).
Siehe außerdem:
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Heinrich Hannover / Elisabeth Hannover-Drück, Politische Justiz. 1918-1933, Lamuv: Bornheim-Merten, 1987 (Inhaltsverzeichnis), Attica: Hamburg, 1977 / Fischer: Frankfurt am Main/Hamburg, 1966
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Moritz Liepmann, Kommunistenprozesse, DMV: München, 1928; https://web.archive.org/web/20210922062131/http://systemcrashundtatbeilinksunten.blogsport.eu/juristisches-zum-linksunten-verbot/historisches/repression-gegen-die-kpd-zur-zeit-der-weimarer-republik-1918-193033/moritz-liepmann-kommunistenprozesse-muenchen-1928/.
20 Schon die Regierungen Brüning I und II waren Minderheitsregierungen, die ihre Politik mittels reichspräsidialer Notverordnungen betrieben (allerdings noch ohne, daß die beiden Ernennung Brünnings von einer Auflösung des Reichstags begleitet gewesen wären):
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„Hindenburg hoffte, nun endlich das ‚antiparlamentarische‘ und ‚antimarxistische‘ Kabinett zu haben, an dem er in den Hintergrundgesprächen der Monate zuvor gemeinsam mit Kuno Graf Westarp, Gottfried Treviranus und Kurt von Schleicher gearbeitet hatte. Gleich in seiner Regierungserklärung machte Brüning dem Parlament deutlich, dass er willens sei, notfalls auch gegen das Parlament zu arbeiten: Die Ära der nicht parlamentarischen […] Präsidialkabinette begann.“ (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Heinrich_Br%C3%BCning&oldid=236279487#Berufung_zum_Reichskanzler)
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„Unter anderem mit Hilfe der Sozialdemokraten überstand die Regierung [Brüning II] am 16. Oktober verschiedene Misstrauensanträge. Am selben Tag vertagte sich der Reichstag bis Februar 1932.“ (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Kabinett_Br%C3%BCning_II&oldid=233598042#Kabinettsumbildung)
Dies änderte sich dann mit den Kabinetten Papen und Schleicher:
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„Papen bildete am 1. Juni 1932 eine Regierung (Kabinett Papen), die von der SPD-Presse als ‚Kabinett der Barone‘ bezeichnet wurde. Im Reichstag hatte die Regierung keine Mehrheit. Die SPD bereitete sofort ein Misstrauensvotum vor. Aber bereits am 4. Juni 1932 löste der Reichspräsident den Reichstag auf, […].“ (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Reichstagswahl_Juli_1932&oldid=235672266) Auch nach der anschließenden Reichstagswahl blieb die Regierung ohne Mehrheit.
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Als ein Mißtrauensvotum des Parlaments unmittelbar drohte, wurde es erneut aufgelöst: „Der Druck auf die Regierung Papen wurde während der einzigen regulären Sitzung des bei den vorangegangenen Reichstagswahlen gewählten 6. Deutschen Reichstags am 12. September 1932 deutlich. Als Tagesordnungspunkt war nur die Entgegennahme einer Regierungserklärung vorgesehen, doch die Kommunisten beantragten die Aufhebung zweier Notverordnungen und ein Misstrauensvotum gegen die Regierung Papen. […]. Die Nationalsozialisten ließen die Sitzung für eine halbe Stunde unterbrechen, […]. Dies gab von Papen die benötigte Zeit, um eilig einen Boten in die Reichskanzlei zu schicken, dort eine bereits von Reichspräsident Paul von Hindenburg unterschriebene Auflösungsorder […] zu datieren und in den Reichstag zurückzubringen.“ (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Reichstagswahl_November_1932&oldid=235936245#Septemberkrise)
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Nach der anschließend Neuwahl im November 1932 wurde Schleicher – für knapp zwei Monate – Reichskanzler: „Der neue Reichstag trat am 6. Dezember zusammen und tagte bereits am 9. Dezember zum letzten Mal. […]. Am 30. Januar 1933 ernannte Hindenburg Hitler zum Kanzler. Zwei Tage später, am 1. Februar 1933, löste er den Reichstag [...] auf. Die nächsten Reichstagswahlen vom 5. März 1933 fanden bereits während der beginnenden Diktatur unter der Regierung Hitlers statt.“ (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Reichstagswahl_November_1932&oldid=235936245#Folgen)
21 „Als entscheidend erweist sich die fehlerhaft Zusammensetzung des Reichsrates, da entgegen Art. 63 I WRV und dem Urteil des Staatsgerichtshofes im Prozeß um den ‚Preußenschlag‘ 34 der 66 Stimmen von Reichskommissaren ausgeübt wurden […].“ (Horst Dreier, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Band 60, 2001, 9 - 72 [21, FN 57]; Hyperlinks im Zitat hinzugefügt)
22 Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Bd. 2: Deutsche Geschichte von 1933-1990, Beck: München, 2000 / PBP: Bonn, 2004 – jew. 9 (KPD) und 16 (SPD).
23 Friedhelm Hase / Karl-Heinz Ladeur / Helmut Ridder, Nochmals: Reformalisierung des Rechtsstaats als Demokratiepostulat?, in: Juristische Schulung 1981, 794 - 798 (797): „Bekanntlich ist das Ermächtigungsgesetz, mit dem die Weimarer Verfassung formal weitgehend außer Kraft gesetzt wurde (wie es um ihre ‚Geltung‘ in den Jahren ab 1930 gestanden hatte, wollen wir hier mal ganz außer Betracht lassen), unter erheblichen Druck von SA und NS-kontrollierter Polizei zustande gekommen (die KPD-Abgeordneten waren bereits verhaftet […]). Ein auf die Verfahrensrationalität rekurrierendes politisch informiertes Konzept von formaler und gesellschaftlicher Demokratie kann ein solches Verfahren […] nicht als verfassungsgemäß anerkennen“, da es die freie parlamentarische Debatte und Entscheidungsfindung aufhebt.“ (Hv. i.O.)
24 Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Bd. 2: Deutsche Geschichte von 1933-1990, Beck: München, 2000 / PBP: Bonn, 2004 – jew. 12.
25 Allein die Fernhaltung der KPD-Abgeordneten hätte an der 2/3-Mehrheit nichts geändert.
26 https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/19502/StaR-P_w_2_Ueberlegungen_A-1.pdf?sequence=1&isAllowed=y, S. 106, FN 67.
Ergänzungen
Lob der Linken Tageszeitung
Das nd hat zu der Sache und dem Verbot nach dem Vereinsgesetz immer gut berichtet. Schon vor Jahren. Siehe:
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1092748.indymedia-linksunten-der-erfol...
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1132114.indymedia-linksunten-das-verbo...
Und bis heute. Vielleicht ist mit der Zeitungskrise nicht mehr die Zeit für die Kolleg:innen, angemessen zu recherchieren? Alles muss schneller gehen, weil weniger Menschen die gleiche Arbeit machen müssen?
Wir brauchen das nd. Keine andere Zeitung hat so gut über die Angelegenheit mit Radio Dreyeckland berichtet.
Vielleicht das nächste mal kurz und knapp eine konstruktive Email ans nd schreiben, mit der Bitte den Fehler zu beheben? Solidarische Grüße!
Für mehr Nachhaltigkeit
Steht oben in dem Artikel etwas anderes?!
Und was passiert dann? Vielleicht ein Korrekturhinweis, wie dort am Ende:
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170750.neue-details-zu-durchsuchung-r... -
und die Leute, die den Artikel schon gelesen haben, bekommen es nicht mit.
Medienkritik
@Medienkritiker:innen
Eine enfache mail nützt tatsächlich in der Regel nicht viel, wenn überhaupr, mag das in kümftige Bericherstattung einlefließen. Die manchnmal etwas genervt klingende Argumentation in dem Beitrag hier oben kann ich durchaus nachvollziehen, wobei die Person augenscheinlich viel tiefer in der Materie drinnen steckt, als der Autor des ND-Artikels. Sicherlich:Fakten sollten stimmen, vorliegend geht es aber meist um unscharfe Formulierungen und juristische Termini haben mitunter im Alltag eine andere Bedeutung (klassisches Beispiel: wie oft schreiben Zeitungen von Raub, wo es rechtlich vielmehr um Einbruchdiebstahl geht).
Ich plädiere also für beides: den Text hier auf indymedia zu stellen ist wichtig, und ihn auch noch an den Redakteur des ND zu mailen.
Antwort an die Medienkritiker:innen
Ihr schreibt (am 26.03. am 21:55 Uhr): „Vielleicht ist mit der Zeitungskrise nicht mehr die Zeit für die Kolleg:innen, angemessen zu recherchieren? Alles muss schneller gehen, weil weniger Menschen die gleiche Arbeit machen müssen?“ – Grundsätzlich ist das sicherlich ein Problem.
Noch mal zu dem jetzigen „nd“-Artikel
Aber in dem „nd“-Artikel, um den es hier geht, sind drei eindeutige – und völlig unnötige – Fehler und ein Punkt über den vielleicht gestritten werden kann. Mein obenstehender indy-Artikel, der sich mit dem „nd“-Artikel befaßt, hat – vor dem Anhang zur Kritik der geschichtspolitischen Legitimation der BRD-Staatsschutzkonzeption – vier Abschnitte:
Kriminelle und verfassungswidrige Vereinigungen sind zweierlei
Wurde 2017 eine – bei Linken beliebte – Internet-Plattform verboten?
Gericht und Staatsanwaltschaft sind zweierlei
Worauf es nun ankommt.
Im einzelnen geht es um folgende Sätze in dem „nd“-Artikel:
Verboten, aber nicht kriminell
Daß daran etwas nicht stimmt, muß doch allein schon anhand der Überschrift und des Inhalts des Radio Dreyeckland-Artikels auffallen, der jetzt Gegenstand des Strafverfahrens vor dem Landgericht Karlsruhe ist, über das der „nd“-Artikel berichtet.
Der RDL-Artikel trägt die Überschrift Linke Medienarbeit ist nicht kriminell! und im Text des RDL-Artikels heißt es:
Der angebliche Verein war schon verboten, bevor das Ermittlungsverfahren ein Ergebnis hatte; und er bleibt auch nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens verboten. – Schon daraus ergibt sich: Der angebliche „Verein“ ist ganz unabhängig davon verboten, ob er eine Kriminelle Vereinigung ist. – Der Fehler hätte sich also vermeiden lassen, ohne erst groß recherchieren zu müssen.
Außerdem hatte derselbe Autor, der jetzt den „nd“-Artikel zu dem Fall „Radio Dreyeckland“ geschrieben hat, bereits am 07.02.2023 einen Artikel zu dem Fall im „nd“ veröffentlicht. Unter diesem Artikel befindet sich (wie bereits in Fußnote 1 meines oben stehenden indy-Artikels erwähnt) eine Notiz, in der es heißt:
Der Autor hätte also nicht groß recherchieren müssen, sondern sich nur noch mal seinen alten Artikel ansehen müssen, falls er die Sache nicht mehr genau im Kopf hatte.
Die Staatsanwaltschaft erhebt den Anklagevorwurf – nicht das Gericht
Der nächste fehlerhafte Satz in dem jetzigen „nd“-Artikel lautet:
Auch dieser Fehler hätte sich ohne große Recherche vermeiden lassen; der „nd“-Autor hätte einfach nur aus der Pressemitteilung der Soliwelle Radio Dreyeckland vom Tage bevor sein „nd“-Artikel erschien, abschreiben müssen. In dieser Pressemitteilung heißt es:
Es wäre also nicht nötig gewesen, groß zu recherchieren, sondern in dem Fall hätte bloßes Abschreiben aus einer Pressemitteilung – was ansonsten nicht so empfehlenswert ist – gereicht: Es geht um den Vorwurf der Unterstützung einer verbotenen (nicht: kriminellen) Vereinigung!
Und bisher handelt es sich auch nur um eine „angebliche Unterstützung“ bzw. einen Vorwurf (‚Dem angeklagten Redakteur wird vorgeworfen, …‘) und noch nicht um ein Gerichtsurteil.
Der dritte Fehler liegt also in der Verwechselung von Anklage und Urteil; von Staatsanwaltschaft und Gericht. Dieser Unterschied sollte zumindest für JournalistInnen, die über Repression und Antirepressionsarbeit schreiben, zur Allgemeinbildung gehören – und es nicht erst Recherchen erfordern, ihn zu verstehen. Außerdem weiß der „nd“-Autor ja sogar, daß das Landgericht Karlsruhe, vor dem die mündliche Verhandlung ab dem 18. April stattfinden wird, die Anklage schlecht aufgenommen hatte und die Eröffnung des strafrechtlichen Hauptverfahrens abgelehnt hatte – und die mündliche Verhandlung jetzt nur stattfinden, weil das Oberlandesgericht Stuttgart so entschieden hat. Weiter unten erwähnt er es ja selber in seinem Artikel. Wieso schreibt es der „nd“-Autor am Anfang falsch, wenn er es weiter unten zutreffend darstellt? – Vielleicht hat die Redaktion dem Autor in seinen Artikel gepfuscht; aber auch dann würde sich die Frage stellen, warum die Redaktion Artikel so lektoriert, daß sie selbstwidersprüchlich werden.
Verboten wurde nicht die Internet-Plattform linksunten.indymedia, sondern deren alter BetreiberInnenkreis
Bleibt noch der vierte Punkte, der weniger eindeutig ist – der Unterschied zwischen Internet-Plattform und BetrieberInnenkreis. Über diesen Unterschied mag gestritten werden – jedenfalls sei dem „nd“ zugute gehalten, daß fast alle Artikel (nicht nur die „nd“-Artikel) zu dem Komplex „linksunten.indymedia“ / „Radio Dreyeckland“ das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 2020 nicht beachten. Das Landgericht Karlsruhe hatte ihn aber in seinem Nicht-Eröffnungs-Beschluß vom 16.05.2023 beachtet:
Zu befürchten steht, daß der Ausgang des jetzigen Verfahrens gegen den RDL-Redakteur am Ende zu einem erheblichen Teil davon abhängen wird, ob der Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz – die sicherlich (je nach Urteil des Landgerichts von der Staatsanwaltschaft oder der Verteidigung) angerufen werden wird –
der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts und des Landgerichts Karlsruhe (verboten wurde der Personenzusammenschluß „hinter“ der Internet-Plattform, aber nicht Plattform selbst)
oder der Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe und des Oberlandesgerichts Stuttgart (verboten worden sei – jedenfalls auch – die Plattform)
folgt.
Zur älteren „nd“-Berichterstattung über das linksunten-Verbot
Ihr schreibt außerdem noch:
Beides sind Interviews (und beide von einer anderen Person als dem jetzigen Autor geführt); in dem zweiten Interview (vom 28.01.2020 – einen Tag vor der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht über das linksunten-Verbot) sagte der interviewte Anwalt in der Tat korrekt, daß es sich bei dem linksunten-Verbot um eine „Anwendung des Vereinsgesetzes“ handelte.
Allerdings lautete seine vollständige Antwort auf die „nd“-Frage:
folgendermaßen:
Und das „nd“ spitzte das dann zu folgender Überschrift zu: „Das Verbot per Vereinsgesetz ist ein Novum“.
Ein Novum war das linksunten-Verbot unter diesem Gesichtspunkt nicht. In Bezug auf die Neonazis-Plattform Altermedia kam gut 1 ½ Jahre vorher die gleiche juristische Konstruktion zur Anwendung:
Für das linksunten-Verbot mußte nur noch – in ‚schöner‘ totalitarismus-theoretischer Symmetrie – der „Vereins“name ausgetauscht werden… (Im dortigen Fall kam es aber – anders als im Fall „linksunten“ – zusätzlich tatsächlich zu Anklagen und Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer Kriminellen Vereinigung: Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 08.02.2018 zum Aktenzeichen 5 - 2 StE 21/16 und Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 05.06.2019 zum Aktenzeichen 3 StR 337/18).
Auch im Zusammenhang mit Nicht-Internet-Medien kam die vereinsrechtliche Konstruktion schon früher zur Anwendung – gegen den kurdischen Fernsehsender Roj TV und gegen den antisemitischen Verlag Hohe Warte (letzteres Verbot wurde aber vom Bundesverwaltungsgericht wegen ungenauer Bezeichnung des Verbotsobjekts aufgehoben); darüber berichtete ich am 13.06.2019 bei de.indymedia: Pressefreiheit in Deutschland: Medienunternehmen sind – verbotsfähige – Vereine :o).
Dafür, daß der interviewte Anwalt bei dem Interview, das am 28.01.2020 veröffentlicht wurde, weder die juristische Fachliteratur im Kopf hatte noch anscheinend de.indymedia liest, ist nun allerdings nicht das „nd“ verantwortlich. Das geht auf dessen eigene Kappe.
Auch seine Antwort auf die erste damalige „nd“-Frage („Was sind die zentralen Argumente Ihrer Klage gegen das Verbot von ‚Indymedia Linksunten‘?“) geht auf die anwaltliche Kappe:
Da waren alle Blauäugigkeit und Unbedachtheiten des juristischen Vorgehens gegen das linksunten-Verbot in einem Absatz komprimiert versammelt:
Für einen Verein im Sinne des Vereinsgesetzes braucht es keinen Vorstand und keine Eintragung ins Vereinsregister. Der vereinsgesetzliche Vereins-Begriff ist absichtlich viel weiter gefaßt als der Vereins-Begriff im BGB. § 2 Absatz 1 Vereinsgesetz lautet: „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html; Hv. hinzugefügt)
Diese Weite des vereinsgesetzlichen Vereins-Begriffs hätte nicht außer Acht gelassen werden dürfen, wenn vor Gericht bestritten werden sollte, daß der BetreiberInnenkreis von linksunten ein „Verein“ im Sinne des Vereinsgesetzes war.
Mit dem zweiten ‚Argument‘ hatten die AnwältInnen kurioserweise die Klagebefugnis ihrer eigenen MandantInnen in Frage gestellt: Leute, die „nicht Teil“ des verbotenen Vereins sind, haben durch das Verbot auch keinen unmittelbaren Schaden; es ist ja nicht ‚ihr‘ Verein, der verboten wurde. (Für Schäden durch Haussuchungen im Zusammenhang mit dem Verbot gibt es andere Rechtsbehelfe als die Klage gegen das Verbot. Den Schaden, den die LeserInnen und AutorInnen von linksunten durch das Verbot haben, haben Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgericht nicht als ausschlaggebend angesehen: Die AutorInnen können ihre Texte ja anderswo veröffentlichen und die LeserInnen sie dort lesen.)
Auch das Telemediengesetz hätte den BetreiberInnenkreis von linksunten nicht gerettet – wenn, dann hätte sich auf den Rundfunkstaatsvertrag (heute: Medienstaatsvertrag) berufen werden müssen – warum habe ich unter anderem dort erklärt:
https://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2023/03/Blindflug_nach_Karlsruhe.pdf,
S. 5 unten (ab Zwischenüberschrift „Nebelkerze ‚Telemediengesetz‘“ bis zur nächsten Zwischenüberschrift auf S. 6) sowie S. 8 f. („Anhang:
Telemedien-Kontrolle gemäß Rundfunkstaatsvertrag“).
Der Anfang der letzten Frage des „nd“ in dem damaligen Interview lautete:
Das scheint mir das grundlegende Problem vieler linker Beschäftigungen mit dem Recht im allgemeinen sowie staatlicher Repression insbesondere zu sein: Es wird nicht verstanden oder – voluntaristisch – verneint, daß „[d]ie Form […] wesentlich“ ist (LW 38, 77 - 229 [134]); daß ‚Form‘fragen den Vorrang vor ‚Inhalts‘fragen haben: Zunächst wird die Zulässigkeit eines Verwaltungsakts (z.B. eines Vereinsverbotes), einer Klage (z.B. gegen ein Vereinsverbot) usw. geprüft und dann erst die Begründetheit.
Warum? Weil, wenn eine unzuständige Behörde einen Verein verbietet, es nicht darauf ankommt, ob die zuständige Behörde den Verein verbieten dürfte. Weil es, wenn eine Person ohne Betroffenheit von dem Vereinsverbot gegen das Verbot klagt, es nicht darauf ankommt, ob eine Person mit Betroffenheit erfolgreich klagen dürfte.
Weil Recht zwar ein Produkt von Politik ist, aber nicht dasselbe wie Politik; weil Recht in bestimmten Verfahren zustande kommt und eine bestimmte Form hat [*]. Zum Beispiel dafür, daß eine bestimmte Person bestraft wird, genügt juristisch nicht, daß die Regierung es will (auch wenn Regierungen – je nach Regime: manchmal oder öfter – ihren Willen rechtswidrig durchsetzen). Vielmehr muß die Strafandrohung schon im Gesetz gestanden haben, bevor die Tat begangenen wurde: „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_103.html) Über Schuld oder Unschuld von Angeklagten entscheidet auch nicht das Parlament, das die Gesetze erläßt, und schon gar nicht die Regierung, sondern ein Gericht – und auch nicht irgendein Gericht, sondern ein nach gesetzlichen Regeln bestimmtes Gericht: „Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_101.html) Und nach einer bestimmten Zeit verjähren Straftaten (außer Mord) – das heißt: Man / frau / * wird von der Staatsgewalt in Ruhe gelassen, auch wenn man / frau / * ‚es‘ war. Das heißt: Die ‚inhaltliche‘ Frage, welche Person hat die in Rede stehende Handlung ausgeführt und war sie strafbar, tritt völlig in den Hintergrund und die rein formale Frage, „Ist die Verjährungsfrist abgelaufen?“, wird die einzig entscheidende.
Der viel geschmähte Formalismus des Rechts dient also dem Schutz der BürgerInnen vor der Staatsgewalt. Unter anderem deshalb sollten Artikel zu Fragen der Repression und der Antirepressionsarbeit mit Sorgfalt geschrieben werden. – Würde es im Fall „Radio Dreyeckland“ um angebliche Unterstützung einer Kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) – und nicht (wie tatsächlich) um angebliche Unterstützung einer vereinsrechtlich verbotenen Vereinigung (§ 85 StGB) – gehen, dann würden sich in dem jetzigen Verfahren juristisch ganz andere Fragen stellen.
Nun mag gesagt werden: Politisch gehe es so oder so um ‚Staatsgewalt gegen linke Bewegung‘. Gemessen daran sei der Unterschied zwischen § 85 und § 129 StGB eine Petitesse (zu frz. petite = dt. klein). Aber es ist hoffentlich unstrittig, daß die linke Bewegung zur Zeit – leider – unfähig ist, die Staatsgewalt in offener Feldschlacht zu besiegen, sondern gezwungen ist, auch auf dem juristischen Feld zu kämpfen.
PS.:
Zu dem Vorschlag von „anonym“ vom 27.03. um 06:21 Uhr:
Vielen Dank für die Anregung; das werde ich mal machen.
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[*] „Recht ist […] ein gesellschaftliches Emanat von Formalisierung (mit dem […] auch Politik sich selbst binden kann)“ (Helmut Ridder, Vom Wendekreis der Grundrechte, in: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaften 1977, 467 - 521 [470] = ders., Gesammelte Schriften hrsg. von Dieter Deiseroth u.a., Nomos: Baden-Baden, 2010, 355 - 412 [358])
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