indy-LeserInnen wissen mehr

Regionen: 

 

Richtigstellungen zu einem Artikel im „nd“ zum Beginn der mündlichen Verhandlung gegen einen Redakteur von Radio Dreyeckland wegen angeblicher Unterstützung einer verbotenen Vereinigung

 

Auf der Webseite des „nd“ erschien vergangene Woche ein vorab-Bericht zur am 18. April beginnenden mündlichen Verhandlung gegen einen Redakteur von Radio Dreyeckland.

 

 

 

Immerhin das ist wahr:

 

  • Es geht um einen Redakteur von Radio Dreyeckland,

    und

  • es geht am 18. April los.

 

 

 

Ansonsten geht in dem „nd“-Artikel vieles durcheinander.

 

 

 

 

 

 

Kriminelle und verfassungswidrige Vereinigungen sind zweierlei

 

 

 

Schon im dritten Satz sind ein gravierender Fehler und eine Fragwürdigkeit. Dieser Satz lautet:

 

„Die einst bei Linken beliebte Internetplattform [linksunten.indymedia] mit Open-Posting-Prinzip hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) 2017 […] als kriminelle Vereinigung verboten.“

 

 

Nein, weder die Plattform noch der BetreiberInnenkreis der Plattform – wie es richtiger heißen müßte (siehe dazu unten) –, wurde als „kriminelle Vereinigung“ verboten. Das Verbot wurde vielmehr wegen angeblicher Widerläufigkeit gegen die Strafgesetze und wegen angeblicher Gerichtetheit gegen die verfassungs­mäßige Ordnung ausgesprochen [1]:

 

„1. Der Verein ‚linksunten.indymedia‘ läuft nach Zweck und Tätigkeit den Strafge­setzen zuwider und richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung.

2. Der Verein ‚linksunten.indymedia‘ ist verboten und wird aufgelöst.“

(Bundesanzeiger. [2] Allgemeiner Teil vom 25.08.2017 B1)

 

 

Der Unterschied ist vor allem für Leute wichtig, die beschuldigt werden, Mitglie­der in solchen Vereinigungen zu sein:

 

 

  • Die Mitgliedschaft in einer Kriminellen Vereinigungen ist von Anfang straf­bar. [3]

  • Die Mitgliedschaft in Vereinigungen der zweiten Art ist dagegen erst ab Vollziehbarkeit des Verbots strafbar.[4]

     

 

  • Um Kriminelle Vereinigungen geht es in § 129 StGB (siehe unten FN 9).

  • Die Rechtsgrundlage für Verbote von Vereinen/Vereinigungen (beide Aus­drücke sind im vorliegenden Zusammenhang gleichbedeutend) ist dage­gen Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz [5] in Verbindung mit § 3 Absatz 1 Satz 1 Vereinsgesetz [6]; die Strafbarkeit der Mitgliedschaft in Vereinigungen der letzteren Art, sofern sie verboten wurden, ergibt sich erst (von Vollzieh­barkeit bis Bestandskraft des Verbots) aus § 20 Vereinsgesetz (siehe FN 4); ab Bestandskraft des Verbotes aus § 85 StGB [7].

 

  • Die Definition beider bzw. aller drei Arten von Vereinigungen unterschei­det sich:

    • (Bestimmte) Vereinigungen sind unabhängig davon, ob deren Mitglie­der Straftaten begehen, verfassungswidrig. Bei gegen die verfass­sungsmäßige Ordnung (das gleiche oder jedenfalls so etwas ähnli­ches wie die „freiheitliche demokratische Ordnung“) gerichtete Vereini­gungen geht es – als Verbotsgrund – nicht um Straftaten, sondern um politisch-ideologische Abweichungen von dem, was der Staat für wün­schenswert hält. Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz ist ein Element der spezifisch bundesrepublikanischen, ideologischen Staatsschutzkon­zeption [8].

    • Strafgesetzwiderläufige und Kriminelle Vereinigungen sind sich zwar ähnlicher, aber zweiterer Begriff ist enger als ersterer.

      § 129 Absatz 1 Satz 1 StGB erfaßt ausschließlich solche Vereinigun­gen, „deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten ge­richtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind“[9]; in Art. 9 Absatz 2 und § 3 Vereinsgesetz findet sich eine derartige Begrenzung dagegen nicht.

      Eine weitere Begrenzung des Begriffs der Kriminellen Vereinigung er­gibt sich aus § 129 Absatz 3 Strafgesetzbuch: „Absatz 1 ist nicht anzu­wenden,

      1. wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesver­fassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat,

      2. wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätig­keit von untergeordneter Bedeutung ist oder

      3. soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung Straftaten nach den §§ 84 bis 87 betreffen.“

 

Schon am § 129 StGB gibt es einiges kritisieren; am § 85 StGB und Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz – um die es in den Fällen linksunten.indymedia und Ra­dio Dreyeckland geht – ist noch mehr zu kritisieren: Letztere stellen ihrerseits autoritär-etatistische Abweichungen vom Modell der westlichen, bürgerlichen, pluralistischen Demokratie dar [10]: Sie begrenzten den politischen Pluralismus.

 

 

Gerechtfertigt wird diese Begrenzung des politischen Pluralismus herrschender­seits als Lehre aus dem Nationalsozialismus + Totalitarismus-Ideologie:

 

 

  • Da die Nazis legal an die Macht gekommen seien, seien nunmehr verfas­sungsrechtliche Sanktionen (Vereins- und Parteiverbote, Grundrechtsverwirkungen) schon im Vorfeld von Straftaten geboten.

     

  • Dieses Fehllernen aus der Geschichte wird dann auch noch auf sog. „linksextremistische“ – vor allem stalinistische, teilweise aber auch natio­nal-befreierische und (mit dem Fall linksunten.indymedia) vermutlich zum ersten oder zweiten [11] Mal auch auf in autonom-anarchistischer Tradition stehende Kräfte angewandt.

 

 

Um ein Fehllernen handelt es sich deshalb,

 

 

  • weil die Nazis – entgegen der historischen Legende – nicht legal, son­dern illegal an die Macht gelangten

    und

  • weil allemal Mängel an Entschlossenheit der November-Revolution (die daraus resultierende Kontinuität des monarchistischen BeamtInnenappa­rates etc.) entscheidender für den späteren nationalsozialistischen Macht­antritt waren als etwaige Mängel der Weimarer Verfassung (siehe dazu den Anhang zum hiesigen Artikel).

 

 

 

Wurde 2017 eine – bei Linken beliebte – Internet-Plattform verboten?

 

 

Aber zurück zu dem „nd“-Artikel in Sachen Radio Dreyeckland – in diesem heißt es (wie bereits gesagt) unter anderem: Es sei 2017 eine „bei Linken beliebte In­ternetplattform […] verboten“ worden.

 

 

Zwar hatte das Bundesinnenministerium 2017 tatsächlich eine Pressemitteilung verbreitet, in der es hieß:

 

„Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat heute die linksextremistische In­ternetplattform ‚linksunten.indymedia‘ auf Grundlage des Vereinsgesetzes verbo­ten und aufgelöst.“

(https://web.archive.org/web/20170825104801/https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html)

 

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat 2020 aber entschieden:

 

„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzu­sammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“.

(https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33; meine Hervorhebung).

 

 

Auch dieser Unterschied ist wichtig. Er ist deshalb wichtig, weil die Innenminis­terien des Bundes und der Länder nicht befugt sind, Meinungsäußerungen und Medien zu verbieten. Zwar werden auch (bestimmte) Parteien und Vereinigun­gen – letztlich – wegen deren Meinungen verboten; zusätzlich bedarf es aller­dings einer spezifischen Organisiertheit, aus der – aus Sicht des Staates – eine besondere Gefährlichkeit bzw. – aus Sicht der politischen AktivistInnen – eine besondere Effektivität resultiert:

 

„Ein gleichgesinnte Gemeinschaft ist bedrohlicher als Individualität.“

(Löwer, in: von Münch / Kunig, Grundgesetz. Bd. 1, 20126, Art. 9, RN 1; s.a. RN 48: „gesteigerte Gefährlichkeit kollektiver Verwirklichung strafbaren Tuns“.)

 

 

„Der Einzelne wird nämlich“ von Organisationsverboten „nicht betroffen, soweit er selbst bestimmte politische Ziele anstrebt und vertritt. Es wird ihm nur verwehrt, dies durch Förderung einer verfassungsfeindlichen Organisation und der ihr eige­nen Wirkungsmöglichkeiten zu tun. Sein Handeln wird gefährlich durch die von der Organisation ausgehende Wirkung.“

(BVerfGE 25, 44 - 64 [56 f. = DFR-Tz. 47 - 49]; https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv025044.html#057)

 

 

Wichtig ist dieser Unterschied insbesondere hinsichtlich individueller Meinungs­äußerungen und Vereinsverboten:

 

  • Die sog. „Verwirkung“ [12] der Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit (und anderer Grundrechte) darf nur vom Bundesverfas­sungsgericht ausgesprochen werden.

  • (Bestimmte) Vereine dürfen dagegen von den Innenministerien verboten werden. [13]

 

 

Praktisch

 

  • hat die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgericht bisher einen repres­sionsbegrenzenden Effekt (Grundrechtsverwirkungen wurden noch nie ausgesprochen, und es wurden erst zwei Parteien verboten; Vereinsver­bote gibt es dagegen zahlreiche).

 

 

Dabei muß es allerdings nicht bleiben:

 

  • Für Parteiverbote und den Ausspruch von Grundrechtsverwirkungen ist – abgesehen von der Möglichkeit der Beschwerde zum Europäischen Ge­richtshof für Menschenrechte – ausschließlich das Bundesverfas­sungsgericht zuständig.

  • Gegen Vereinsverbote kann sich dagegen zweimal gewehrt werden: Zu­nächst einmal vor den Verwaltungsgerichten; und falls dies erfolglos ist, vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Verbotsbehörde kann dagegen nicht das Verfassungsgericht anrufen, falls bereits die Verwaltungsgerich­te das Vereinsverbot kassieren (was allerdings eh nur selten vorkommt; und Verfassungsbeschwerden gegen Vereinsverbote bestätigende Ver­waltungsgerichtsentscheidungen waren noch nie erfolgreich).

 

 

Nun wird jener Unterschied zwischen Meinungs- bzw. Medienverboten einer­seits und Organisationsverboten andererseits allerdings verwischt, wenn die verbotene Organisation eh nicht anderes macht, als Meinungen zu äußern und Medien herauszugeben (vgl. dazu de.indymedia vom 13.06.2019: Pressefreiheit in Deutschland: Medienunternehmen sind – verbotsfähige – Vereine :o). Genau das ist eines der vielen Probleme am Fall „linksunten.indy­media“.

 

 

Gericht und Staatsanwaltschaft sind zweierlei

 

 

Im vierten Satz des „nd“-Artikels heißt es dann:

 

„Als strafbare Unterstützungshandlung gilt dem Gericht eine kurze Nachricht über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit dem Verbot der von ‚Linksunten‘.“ (Hv. hinzugefügt)

 

Welches Gericht gemeint ist, wird vom „nd“ nicht ausdrücklich gesagt – aber in den vorhergehenden Sätzen des Artikels ist nur ein Gericht erwähnt: das „Land­gericht in Karlsruhe“.

 

 

Falls mit „dem Gericht“ im vierten Satz des Artikels tatsächlich das Landgericht Karlsruhe gemeint ist, ist auch dieser Satz Quatsch. Das Landgericht Karlsruhe wird vielmehr erst am Ende der mündlichen Verhandlungen, die am 18. April be­ginnt, entscheiden, ob es die „kurze Nachricht“ auf der Webseite von Radio Dreyeckland „über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammen­hang mit dem Verbot der von ‚Linksunten‘“ als Unterstützung eines verbotenen Vereins ansieht.

 

 

Noch im Mai 2023 hielt dies das Landgericht Karlsruhe nicht für besonders wahrscheinlich; erst eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart führte dann dazu, daß nun die mündliche Verhandlung stattfinden wird – wie aber erst viel weiter unten in dem „nd“-Artikel erklärt wird:

 

„‚Einzig das Karlsruher Landgericht schien auf die Pressefreiheit und die Verhält­nismäßigkeit achtgeben zu wollen‘, heißt es [seitens des Unterstützerkreises „Soli­welle Dreyeckland“] weiter. Tatsächlich hatte das Landgericht zunächst die Verfahrenseröffnung gegen Kienert abgelehnt, die erfolgten Durchsuchungen für rechtswidrig erklärt. Nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft ließ das Ober­landesgericht (OLG) Stuttgart die Anklage allerdings doch zu und verwies den Fall zurück an das Landgericht.“ [14]

 

Und auch das Oberlandesgericht Stuttgart hat noch nicht entschieden, daß die Kurzmeldung auf der RDL-Webseite tatsächlich eine Unterstützung eines ver­botenen Vereins sei, sondern bloß, daß dies „wahrscheinlich“ sei – und daß al­les weitere vom Landgericht Karlsruhe in der jetzt anstehenden mündlichen Verhandlung aufgeklärt werden müsse:

 

„eine Verurteilung des Angeklagten wegen des in der Anklage erhobenen Vorwurfs des Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot gem. § 85 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB [ist] wahrscheinlich“

(OLG Stuttgart, Beschluß vom 12.06.2023 zum Aktenzeichen 2 Ws 2/23, Textziffer 42)

 

Aber:

 

„Diffizile Beweiswürdigungsfragen dürfen nicht im Zuge der nicht-öffentlichen und nicht-unmittelbaren vorläufigen Tatbewertung des für die Eröffnungsentscheidung zuständigen Gerichts endgültig entschieden werden.“

(ebd., Textziffer 44)

 

 

Deshalb ist auch die Unterüberschrift des „nd“-Artikels („Gericht setzt wegen Unterstützung von ‚Linksunten‘ neun Termine an) ungenau: Jedenfalls zunächst einmal ist es nur ein hinreichender15 Tatverdacht, wegen dem das strafrechtliche Hauptverfahren eröffnet und die mündliche Verhandlung angesetzt wurden. Für eine Verurteilung ist dagegen nicht nur die Wahrscheinlichkeit der Verwirkli­chung des Straftatbestandes durch die angeklagte Person, sondern die Über­zeugung [16] des Gerichts, daß der Straftatbestand durch die angeklagte Person verwirklicht wurde, erforderlich. (Hält das Gericht die TäterInschaft dagegen nur für wahrscheinlich, so hat das Gericht auch nach der mündlichen Verhandlung noch Zweifel – und muß freisprechen.)

 

 

Worauf es nun ankommt

 

 

Im vorletzten Satz das „nd“-Artikels heißt es dann:

 

„Zunächst muss das Gericht klären, ob das statische Archiv von ‚Linksunten‘ (hier als Kopie), auf das Kienert im Original verlinkt hatte, überhaupt als Fortführung der verbotenen Plattform gelten kann.“

 

Auch das ist – wegen des oben schon angesprochenen Unterschieds zwischen Verein und „Plattform“/Medium – ungenau. (Im übrigen muß das Archiv nicht als „Kopie“ verlinkt werden – es kann auch direkt verlinkt werden.)

 

 

Auch wenn nicht nur das „nd“ und viel andere, sondern auch das Oberlandes­gericht Stuttgart [17] lax mit dem Unterschied zwischen Verein/BetreiberInnenkreis und Medium/Plattform umgehen, so hat es doch eine Sache in seinem Eröff­nungsbeschluß vom 12.06.2023 (in Übereinstimmung mit dem vorhergehenden landgerichtlichen Nicht-Eröffnungs-Beschluß des Landgerichts Karlsruhe und im Gegensatz zur Auffassung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe) korrekt er­kannt:

 

„Das Fortbestehen dieser“ – verbotenen – „Vereinigung [ist] für die Erfüllung des Tatbestandes des § 85 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB erforderlich […], weil eine nicht­existente Vereinigung nicht unterstützt werden kann“.

 

Die verbotene Vereinigung ist aber nicht die „Plattform“ bzw. das „Veröffentli­chungs- und Diskussionsportal“, sondern – wie das Bundesverwaltungsgericht (wie bereits oben zitiert) entschieden hat – „der dahinter stehenden Personen­zusammenschlu[ß]“:

 

„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzu­sammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“.

(https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33; meine Hervorhebung).

 

Die erste Frage, die in der anstehenden mündlichen Verhandlung zu klären ist, ist also, ob das linksunten-Archiv von demselben Personenkreis veröffentlicht wurde, der auch bis 2017 für den laufenden Betrieb von linksunten.indymedia zuständig war – warum dies (entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart) ziemlich unwahrscheinlich ist (und, falls es doch der Fall sein sollte, es jedenfalls ziemlich unwahrscheinlich ist, daß es sich beweisen läßt), hatte ich in meinem Artikel bei taz-Blogs vom 25.02.2024 erklärt:

 

 

Schwimmen der Staatsanwaltschaft Karlsruhe

 

und dem Oberlandesgericht Stuttgart die Felle weg?

 

https://blogs.taz.de/theorie-praxis/schwimmen-der-staatsanwaltschaft-karlsruhe-und-dem-oberlandesgericht-stuttgart-die-felle-weg/.

 

 

 

---------

 

 

Anhang: Wider die Legende von der ‚zu liberalen‘ / ‚zu demokratischen‘ Weimarer Verfassung

 

 

Das Grundgesetz stellt mit seinen Normen über Partei- und Vereinsverboten so­wie Grundrechtsverwirkungen insofern ein Fehllernen aus der Geschichte dar, als insbesondere die Artikel 18 (Grundrechtsverwirkung) und 21 (‚Parteiverbo­te‘) [18] Grundgesetz zum Schutz der „freiheitlichen demokratischen Grundord­nung“ auf der Legende von der ‚zu liberalen‘ Weimarer Republik und der Legende von der Legalität des nationalsozialistischen Machtantritts beruht.

 

Weder war die Weimarer Republik gegen links sonderlich liberal (auch wenn die KPD nur zeitweilig verboten war) noch war der nationalsozialistische Machtan­tritt legal.

 

 

  • Abgesehen von den ökonomischen Integrations-Schwierigkeiten Anfang der 1930er Jahre, waren auf der staatsrechtlichen Ebene die Probleme

    • eine anti-republikanische Justiz, die die – vorhandenen! – Repressi­onsinstrumente, die sie gegen links durchaus exzessiv anwandte, ge­gen rechts kaum anwandte [19],

      sowie

    • Notstandskompetenzen des Reichspräsidenten, die schon mit den Präsidialregierungen vor Ernennung Hitlers zum Reichskanzler für eine Entparlamentarisierung der Weimarer Republik [20] und Grund­rechtseinschränkungen genutzt wurden.

     

  • Der Ernennung Hitlers folgte eine Auflösung des Reichstages, der Hitler anderenfalls das Mißtrauen ausgesprochen hätte können, die Reichstagsbrandverordnung brachte weitere Grundsrechtseinschränkun­gen und das Ermächtigungsgesetz konnte nach der Neuwahl nur

    • aufgrund verfassungswidriger Zusammensetzung des Reichsrates [21]

      und

    • weil die KPD- und auch einige SPD-Reichstags-Abgeordneten [22] inhaf­tiert waren [23],  die KPD-Mandate zusätzlich annuliert [24] wurden und [25] die nominell ‚liberalen‘ und konservativen Abgeordneten dafür stimmten,

    verabschiedet werden.

 

 

Daraus ist vor allem zu lernen,

 

  • daß den ‚liberalen‘ und konservativen Parteien das ökonomische (kapita­listisches) Hemd näher war als der demokratische Rock

    und

  • daß der ‚Geburtsfehler‘ der Weimarer Republik nicht ‚zu viel‘ Liberalis­mus, Demokratie, Pluralismus oder Formalismus, denen nun eine ‚wehr­hafte Wertordnung‘ (fdGO) entgegenzusetzen sei, war, sondern daß die sozialdemokratisch dominierte November-Revolution nicht einmal eine radikaldemokratische Revolutionierung von Verwaltung und Justiz brach­te, sondern der monarchische Staatsapparat des Kaiserreichs weitge­hend unangetastet blieb.

 

 

Wenn darüber hinaus auch eine verfassungsrechtliche Lehre gezogen werden kann, „dann nicht, daß ‚die Mehrheit’ oder ‚das Parlament’ zuviel Macht hatte, sondern daß es risikoreich ist, allzu viel Macht auf eine einzelne Person, vorlie­gend den Reichspräsidenten, zu delegieren – selbst wenn er von einer Mehrheit gewählt wird. Je größer der Kreis der Repräsentanten ist (nicht 1 Reichspräsi­dent, nicht 16 BundesverfassungsrichterInnen; sondern ca. 500, 600 Abgeord­nete), umso geringer ist das Risiko von unkontrollierbaren Alleingängen“ [26] – auch wenn sie niemals ausgeschlossen sind.

 

 

Dies sollte auch aktuell beachtet werden, wenn vor allem grüne und sozialde­mokratische PolitikerInnen und JuristInnenorganisationen (linke eingeschlossen) auf das Bundesverfassungsgericht zur AfD-Abwehr setzen: Der Staatsgerichtshof der Weimarer Republik entschied schlicht nicht mehr über den Antrag der preußischen Landesregierung gegen das Ermächtigungs­gesetz, deren Rechte durch die verfassungswidrige Zusammensetzung des Reichsrates bei der Abstimmung über das Gesetz verletzt wurden…

 

 


 

 

 

1 Die gleiche Verwechselung von Kriminellen und vereinsrechtlich verbotenen Vereinigungen fand sich zu­nächst auch im „nd“-Artikel vom 07.02.2023 zum Fall „Radio Dreyeckland“ und wurde dann korrigiert: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170750.neue-details-zu-durchsuchung-radio-dreyeckland-polizei-kennt-jetzt-quellen-von-journalisten.html (siehe den Anfang des Hinweises am Artikelende).

Warum taucht nun der gleiche Fehler wieder auf?

Abgesehen davon enthielt auch der damalige Korrekturhinweis immer noch einen Fehler. Dessen letzter Satz lautete: „Im noch anhängigen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen ein Vereini­gungsverbot (§ 85 StGB) ist auch nur die ‚Unterstützung‘ einer möglichen ‚Ersatzorganisation‘ gegenständ­lich.“

Nein, es geht nicht um die Unterstützung einer (angeblichen) Ersatzorganisation. Die Strafbarkeit der Unter­stützung einer Ersatzorganisation setzt voraus, daß die Verbotsbehörde festgestellt hat, daß eine bestimmte Organisation eine Ersatzorganisation für eine bereits verbotene Organisation sei: „entgegen einer vollziehba­ren Feststellung, daß er [der Verein] Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins ist“ (§ 20 Absatz 1 Satz 1 Vereinsgesetz; vgl. auch § 8 Absatz 1 Satz 1 Vereinsgesetz: „nur auf Grund einer besonderen Verfügung […], in der festgestellt wird, daß sie Ersatzorganisation des verbotenen Vereins ist.“) Eine solche Feststellung gibt es im Zusammenhang mit linksunten nicht; es soll sich vielmehr um die Unterstützung der ursprünglich ver­botenen Vereinigung handeln.

 

2 https://www.bundesanzeiger.de („linksunten“ in das Suche-Feld eingeben und dann auf das dritte Ergebnis klicken, um die Verbotsverfügung als Text zu erhalten – oder diesen Link verwenden, der aber nur zu einer Bilddatei führt: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2017/verbotsverfuegung-linksunten.pdf;jsessionid=0D9AF3F33888D13D778CED155A92D49F.2_cid332?__blob=publicationFile&v=2).

 

3 Zum Beispiel die Gründungsmitglieder der RAF wurden unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer Krimi­nellen Vereinigung (den § 129a StGB über Terroristische Vereinigungen gab es damals noch nicht!) verurteilt, ohne daß die RAF jemals (als Kriminelle Vereinigung) verboten wurde.

Und falls es in den Ermittlungsverfahren gegen vermeintliche Mitglieder der Letzten Generation wegen § 129 StGB zu (Anklagen und) Verurteilungen kommt, so wird es auch zu diesen Verurteilungen kommen, ohne daß vor Beginn der (Mitgliedschafts-)Tat die angebliche Vereinigung verboten wurde.

 

4 „Wer im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit

1. den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot […], 2. […],

3. den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereines oder einer Partei der in den Nummern 1 und 2 be­zeichneten Art oder deren weitere Betätigung unterstützt, 4. […] 5. […],

wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 84, 85, 86a oder den §§ 129 bis 129b des Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht ist.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__20.html)

 

5 „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_9.html)

 

6 „Ein Verein darf erst dann als verboten (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, daß seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zu­widerlaufen oder daß er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverstän­digung richtet; in der Verfügung ist die Auflösung des Vereins anzuordnen (Verbot).“ (https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__3.html)

 

7 „(1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes den organisa­torischen Zusammenhalt 1. […]

2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Er­satzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist,

aufrechterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist straf­bar.

(2) Wer sich in einer Partei oder Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__85.html)

 

8 Siehe dazu: Friedhelm Hase, „Bonn und „Weimar“. Bemerkungen zu der Entwicklung vom „okkasionellen“ zum „ideologischen“ Staatsschutz, in: Dieter Deiseroth / Friedhelm Hase / Karl-Heinz Ladeur (Hg.), Ord­nungsmacht? Über das Verhältnis von Legalität, Konsens und Herrschaft [Festschrift für Helmut Ridder zum 60. Geburtstag], EVA: Frankfurt am Main, 1981, 69 - 84.

 

9 „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheits­strafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129.html)

 

10 „Die politische Sonderstellung der Bundesrepublik in Westeuropa findet ihren augenfälligsten Ausdruck in der Berufsverbotepraxis. Zwar ist in allen bürgerlichen Demokratien die berufliche Benachteiligung von Oppo­sitionellen im Rahmen des politisch Durchsetzbaren an der Tagesordnung. Insoweit ist die Repression in der Bundesrepublik nur quantitativ größer als jenseits des Rheins und der Alpen: Es ist eben ‚mehr möglich‘ in ei­nem Land, wo die Opposition zahlenmägig schwach und ohne Repräsentanz in den politischen Institutionen ist, wo sich weite Teile der Arbeiterbewegung im kapitalistischen Staat repräsentiert fühlen. Aber die Unter­schiede im Bereich der politischen und beruflichen Repression sind nicht nur quantitativ. Ein augenfälliger Unterschied besteht vielmehr auch in der Begründung. Während etwa in Frankreich, in den USA oder in Großbritannien Berufsverbote mit nationalen Sicherheitsinteressen, also politisch begründet worden sind, gibt sich die Berufsverbotepraxis in unserem Land als Anwendung von Recht. Während die französische Recht­sprechung die einschlägige Praxis der Exekutive niemals gebilligt hat, während der Supreme Court in den USA entsprechendes Verhalten als Ausnahme von der Anwendung von Verfassungsrecht dargestellt hat, soll nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts gerade diese Praxis vom Grundgesetz geboten sein. Daß schon diese Verrechtlichung von Politik, die im übrigen in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zahlreiche Parallelen findet, dem demokratischen Prozeß Handschellen anlegt, wird von den meisten Juristen nicht analysiert. Auch politisch links stehende Juristen bedienen sich vielfach der Begrifflichkeiten und Argu­mentationsfiguren, die die herrschende Jurisprudenz aus der vordemokratischen, deutschen Geschichte übernommen und dem Grundgesetz übergestülpt hat. So geht die herrschende Denkweise in das ‚Rechtsbe­wußtsein‘ der demokratischen Bewegung ein. Die vorliegende Abhandlung soll ein Beitrag zur Zerstörung dieser Hegemonie etatistischer Rechtsvorstellungen sein.“ (Hartmut Geil, Berufsverbote und Staatsschutz – oder: Wie das Bundesverfassungsgericht das Grundgesetz mit Leben erfüllt und die freiheitliche Ordnung aufrichtet, in: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften H. 109, Mai/Juni 1978, 380 - 393 [380])

 

11 Der eventuell erste Fall ist das Verbot des SDS Heidelberg. Ich weiß aber nicht genau, ob der SDS Heidel­berg zu dem Verbotszeitpunkt noch studentInnenbewegt ausgerichtet war oder bereits die ML-Ideologie des späteren Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) vorwegnahm. Siehe zu diesem Fall (habe ich bisher nur teilweise gelesen):

 

12 „Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfrei­heit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_18.html)

 

13 „Verbotsbehörde ist

1. die obersten Landesbehörde oder die nach Landesrecht zuständige Behörde für Vereine und Teilvereine, deren erkennbare Organisation und Tätigkeit sich auf das Gebiet eines Landes beschränken;

2. das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat für Vereine und Teilvereine, deren Organisation oder Tätigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__3.html)

 

14 Der vierte Satz des „nd“-Artikels hätte also vielmehr lauten müssen: „Als strafbare Unterstützungshand­lung gilt der Staatsanwaltschaft eine kurze Nachricht über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit dem Verbot der von ‚Linksunten‘.“

Und wenn zusätzlich Gerichte erwähnt werden sollen, so hätte noch erwähnt werden können, daß auch das Amtsgericht Karlsruhe (als es im Dezember 2022 Durchsuchungsbeschlüsse für das Verfahren erließ) und das Oberlandesgericht Stuttgart einen dahingehend Verdacht teilen.

 

15 „Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereiten­den Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__203.html)

 

16 „Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__261.html)

 

17 Das OLG spricht von „verbotene[r] Website“ und „verbotene[r] Internetpräsenz“ sowie „verbotene[r] Platt­form“ (Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluß vom 12.06.2023 zum Aktenzeichen 2 Ws 2/23, Textziffer 16, 49, 52 und 65) sowie „verbotenerweise immer noch betriebene[r] Website“ (Textziffer 55).

Genau an dieser Erweiterung des Vereinsverbotes zu einem Mediumsverbot muß die juristische Kritik jetzt vor allem ansetzen!

Warum? Aus mindestens zwei Gründen:

1. Weil sich juristisch an dem Verbot allenfalls nur noch sehr schwer etwas ändern läßt.

2. Weil zwar wahr ist, daß der in Rede stehende Artikel auf der Webseite von Radio Dreyeckland bloß berich­tenden und das Verbot (sanft) kritisch beleuchtenden – aber nicht das Verbotsobjekt unterstützenden – Cha­rakters ist. Aber wünschenswert wäre, wenn mehr Leute darüber hinaus auch sagen würden: „Wir möchten […] linksunten in seiner ganzen Pluralität – von links-militant bis pazifistisch-sozial-bewegt – wieder haben.“ (https://www.scharf-links.de/suche/detail/aus-anlass-der-durchsuchung-von-radio-dreyeckland-fuer-medienfreiheit-gegen-zensur) – Und auch das wäre noch keine handgreifliche Unterstützung, sondern bloß posthume „Sympathiewerbung“ (die nicht strafbar ist).

 

18 „(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheit­liche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepu­blik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitli­che demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepu­blik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss fest­gestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Par­teien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Fi­nanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.“

 

19 Nach einer zeitgenössischen Untersuchungen

  • war es zwischen 1919 und Mitte 1922 war es zu 354 politisch motivierten Morden von Seiten der anti-demokratischen Weimarer Rechten gekommen. Das Strafmaß dafür war: 1 x lebenslange Haft, ca. 90 Jahre Zeitstrafen (d.h. ca. 3 Monate pro Mord) sowie 730 Reichsmark Geldstrafe.

  • In der gleichen Zeit kam es zu 22 politischen Morden von links. Das Strafmaß zum Vergleich: 10 To­desurteile, 3 x lebenslänglich und fast 250 Jahre Zeitstrafen. (Emil Julius Gumbel, Vier Jahre politi­scher Mord. Verlag der neuen Gesellschaft, Berlin-Fichtenau, 1922, 78 und 80; vgl. aus neuer Zeit dazu: Manfred Walther, Hat der juristische Positivismus die deutschen Juristen im „Dritten Reich“ wehrlos gemacht?, in: Ralf Dreier / Wolfgang Sellert [Hg.], Recht und Justiz im „Dritten Reich“, Suhr­kamp: Frankfurt am Main, 1989, 323 - 354 [328]).

Siehe außerdem:

 

20 Schon die Regierungen Brüning I und II waren Minderheitsregierungen, die ihre Politik mittels reichspräsi­dialer Notverordnungen betrieben (allerdings noch ohne, daß die beiden Ernennung Brünnings von einer Auf­lösung des Reichstags begleitet gewesen wären):

Dies änderte sich dann mit den Kabinetten Papen und Schleicher:

  • „Papen bildete am 1. Juni 1932 eine Regierung (Kabinett Papen), die von der SPD-Presse als ‚Kabi­nett der Barone‘ bezeichnet wurde. Im Reichstag hatte die Regierung keine Mehrheit. Die SPD berei­tete sofort ein Misstrauensvotum vor. Aber bereits am 4. Juni 1932 löste der Reichspräsident den Reichstag auf, […].“ (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Reichstagswahl_Juli_1932&oldid=235672266) Auch nach der anschließenden Reichstagswahl blieb die Regierung ohne Mehrheit.

  • Als ein Mißtrauensvotum des Parlaments unmittelbar drohte, wurde es erneut aufgelöst: „Der Druck auf die Regierung Papen wurde während der einzigen regulären Sitzung des bei den vorangegange­nen Reichstagswahlen gewählten 6. Deutschen Reichstags am 12. September 1932 deutlich. Als Ta­gesordnungspunkt war nur die Entgegennahme einer Regierungserklärung vorgesehen, doch die Kommunisten beantragten die Aufhebung zweier Notverordnungen und ein Misstrauensvotum gegen die Regierung Papen. […]. Die Nationalsozialisten ließen die Sitzung für eine halbe Stunde unterbre­chen, […]. Dies gab von Papen die benötigte Zeit, um eilig einen Boten in die Reichskanzlei zu schi­cken, dort eine bereits von Reichspräsident Paul von Hindenburg unterschriebene Auflösungsorder […] zu datieren und in den Reichstag zurückzubringen.“ (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Reichstagswahl_November_1932&oldid=235936245#Septemberkrise)

  • Nach der anschließend Neuwahl im November 1932 wurde Schleicher – für knapp zwei Monate – Reichskanzler: „Der neue Reichstag trat am 6. Dezember zusammen und tagte bereits am 9. De­zember zum letzten Mal. […]. Am 30. Januar 1933 ernannte Hindenburg Hitler zum Kanzler. Zwei Tage später, am 1. Februar 1933, löste er den Reichstag [...] auf. Die nächsten Reichstagswahlen vom 5. März 1933 fanden bereits während der beginnenden Diktatur unter der Regierung Hitlers statt.“ (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Reichstagswahl_November_1932&oldid=235936245#Folgen)

 

21 „Als entscheidend erweist sich die fehlerhaft Zusammensetzung des Reichsrates, da entgegen Art. 63 I WRV und dem Urteil des Staatsgerichtshofes im Prozeß um den ‚Preußenschlag‘ 34 der 66 Stimmen von Reichskommissaren ausgeübt wurden […].“ (Horst Dreier, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Na­tionalsozialismus, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Band 60, 2001, 9 - 72 [21, FN 57]; Hyperlinks im Zitat hinzugefügt)

 

22 Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Bd. 2: Deutsche Geschichte von 1933-1990, Beck: München, 2000 / PBP: Bonn, 2004 – jew. 9 (KPD) und 16 (SPD).

 

23 Friedhelm Hase / Karl-Heinz Ladeur / Helmut Ridder, Nochmals: Reformalisierung des Rechtsstaats als Demokratiepostulat?, in: Juristische Schulung 1981, 794 - 798 (797): „Bekanntlich ist das Ermächtigungsge­setz, mit dem die Weimarer Verfassung formal weitgehend außer Kraft gesetzt wurde (wie es um ihre ‚Gel­tung‘ in den Jahren ab 1930 gestanden hatte, wollen wir hier mal ganz außer Betracht lassen), unter erhebli­chen Druck von SA und NS-kontrollierter Polizei zustande gekommen (die KPD-Abgeordneten waren bereits verhaftet […]). Ein auf die Verfahrensrationalität rekurrierendes politisch informiertes Konzept von formaler und gesellschaftlicher Demokratie kann ein solches Verfahren […] nicht als verfassungsgemäß anerkennen“, da es die freie parlamentarische Debatte und Entscheidungsfindung aufhebt.“ (Hv. i.O.)

 

24 Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Bd. 2: Deutsche Geschichte von 1933-1990, Beck: München, 2000 / PBP: Bonn, 2004 – jew. 12.

 

25 Allein die Fernhaltung der KPD-Abgeordneten hätte an der 2/3-Mehrheit nichts geändert.

 

26 https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/19502/StaR-P_w_2_Ueberlegungen_A-1.pdf?sequence=1&isAllowed=y, S. 106, FN 67.

 

 

Bilder: 
webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Ergänzungen

Das nd hat zu der Sache und dem Verbot nach dem Vereinsgesetz immer gut berichtet. Schon vor Jahren. Siehe:

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1092748.indymedia-linksunten-der-erfol...

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1132114.indymedia-linksunten-das-verbo...

 

 

Und bis heute. Vielleicht ist mit der Zeitungskrise nicht mehr die Zeit für die Kolleg:innen, angemessen zu recherchieren? Alles muss schneller gehen, weil weniger Menschen die gleiche Arbeit machen müssen?

Wir brauchen das nd. Keine andere Zeitung hat so gut über die Angelegenheit mit Radio Dreyeckland berichtet.

Vielleicht das nächste mal kurz und knapp eine konstruktive Email ans nd schreiben, mit der Bitte den Fehler zu beheben? Solidarische Grüße!

 

"Wir brauchen das nd."

Steht oben in dem Artikel etwas anderes?!

 

Vielleicht das nächste mal kurz und knapp eine konstruktive Email ans nd schreiben, mit der Bitte den Fehler zu beheben?

 

Und was passiert dann? Vielleicht ein Korrekturhinweis, wie dort am Ende:

 

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170750.neue-details-zu-durchsuchung-r... -

 

und die Leute, die den Artikel schon gelesen haben, bekommen es nicht mit.

 

@Medienkritiker:innen

Eine enfache mail nützt tatsächlich in der Regel nicht viel, wenn überhaupr, mag das in kümftige Bericherstattung einlefließen. Die manchnmal etwas genervt klingende Argumentation in dem Beitrag hier oben kann ich durchaus nachvollziehen, wobei die Person augenscheinlich viel tiefer in der Materie drinnen steckt, als der Autor des ND-Artikels. Sicherlich:Fakten sollten stimmen, vorliegend geht es aber meist um unscharfe Formulierungen und juristische Termini haben mitunter im Alltag eine andere Bedeutung (klassisches Beispiel: wie oft schreiben Zeitungen von Raub, wo es rechtlich vielmehr um Einbruchdiebstahl geht).

Ich plädiere also für beides: den Text hier auf indymedia zu stellen  ist wichtig, und ihn auch noch an den Redakteur des ND zu mailen.

 

Ihr schreibt (am 26.03. am 21:55 Uhr): „Vielleicht ist mit der Zeitungskrise nicht mehr die Zeit für die Kolleg:innen, angemessen zu recherchieren? Alles muss schneller ge­hen, weil weniger Menschen die gleiche Arbeit machen müssen?“ – Grundsätzlich ist das sicherlich ein Problem.

 

 

Noch mal zu dem jetzigen „nd“-Artikel

 

 

Aber in dem „nd“-Artikel, um den es hier geht, sind drei eindeutige – und völlig unnöti­ge – Fehler und ein Punkt über den vielleicht gestritten werden kann. Mein obenstehender indy-Artikel, der sich mit dem „nd“-Artikel befaßt, hat – vor dem An­hang zur Kritik der geschichtspolitischen Legitimation der BRD-Staatsschutzkonzepti­on – vier Abschnitte:

 

 

  • Kriminelle und verfassungswidrige Vereinigungen sind zweierlei

  • Wurde 2017 eine – bei Linken beliebte – Internet-Plattform verboten?

  • Gericht und Staatsanwaltschaft sind zweierlei

  • Worauf es nun ankommt.

 

 

Im einzelnen geht es um folgende Sätze in dem „nd“-Artikel:

 

 

Verboten, aber nicht kriminell

 

 

„Die einst bei Linken beliebte Internetplattform [linksunten.indymedia] mit Open-Posting-Prinzip hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) 2017 […] als kriminelle Vereinigung verboten.“

 

Daß daran etwas nicht stimmt, muß doch allein schon anhand der Überschrift und des Inhalts des Radio Dreyeckland-Artikels auffallen, der jetzt Gegenstand des Strafverfahrens vor dem Landgericht Karlsruhe ist, über das der „nd“-Artikel berichtet.

 

 

Der RDL-Artikel trägt die Überschrift Linke Medienarbeit ist nicht kriminell! und im Text des RDL-Artikels heißt es:

 

„Bald fünf Jahre ist der konstruierte Verein Indymedia Linksunten nun verboten. Jetzt informiert die Autonome Antifa Freiburg darüber, dass das zugehörige straf­rechtliche Ermittlungsverfahren wegen ‚Bildung einer krimineller Vereinigung‘ am 12. Juli nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde.“ (Hv. hinzugefügt)

 

Der angebliche Verein war schon verboten, bevor das Ermittlungsverfahren ein Ergeb­nis hatte; und er bleibt auch nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens verboten. – Schon daraus ergibt sich: Der angebliche „Verein“ ist ganz unabhängig davon verbo­ten, ob er eine Kriminelle Vereinigung ist. – Der Fehler hätte sich also vermeiden lassen, ohne erst groß recherchieren zu müssen.

 

 

Außerdem hatte derselbe Autor, der jetzt den „nd“-Artikel zu dem Fall „Radio Dreyeck­land“ geschrieben hat, bereits am 07.02.2023 einen Artikel zu dem Fall im „nd“ veröf­fentlicht. Unter diesem Artikel befindet sich (wie bereits in Fußnote 1 meines oben ste­henden indy-Artikels erwähnt) eine Notiz, in der es heißt:

 

„In einer früheren Version hieß es, ‚Linksunten‘ sei nach dem Vereinsgesetz als ‚kriminelle Vereinigung‘ verboten worden, […]. Jedoch erfolgte das Verbot nur nach dem Vereinsgesetz.“

 

Der Autor hätte also nicht groß recherchieren müssen, sondern sich nur noch mal sei­nen alten Artikel ansehen müssen, falls er die Sache nicht mehr genau im Kopf hatte.

 

 

Die Staatsanwaltschaft erhebt den Anklagevorwurf – nicht das Gericht

 

 

Der nächste fehlerhafte Satz in dem jetzigen „nd“-Artikel lautet:

 

„Als strafbare Unterstützungshandlung [Unterstützung der angeblich 2017 verbote­nen Kriminellen Vereinigung] gilt dem Gericht eine kurze Nachricht über die Ein­stellung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit dem Verbot der von ‚Linksunten‘.“

 

Auch dieser Fehler hätte sich ohne große Recherche vermeiden lassen; der „nd“-Autor hätte einfach nur aus der Pressemitteilung der Soliwelle Radio Dreyeckland vom Tage bevor sein „nd“-Artikel erschien, abschreiben müssen. In dieser Pressemitteilung heißt es:

 

„der Prozess gegen einen RDL Journalisten wegen angeblicher Unterstützung der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ am Landgericht Karlsruhe ist mitt­lerweile terminiert.“

 

„Am 18. April beginnt der Prozess gegen einen Radio Dreyeckland Redakteur. Ihm wird die Unterstützung der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ vorge­worfen.“ (Hv. hinzugefügt)

 

Es wäre also nicht nötig gewesen, groß zu recherchieren, sondern in dem Fall hätte bloßes Abschreiben aus einer Pressemitteilung – was ansonsten nicht so empfehlens­wert ist – gereicht: Es geht um den Vorwurf der Unterstützung einer verbotenen (nicht: kriminellen) Vereinigung!

 

 

Und bisher handelt es sich auch nur um eine „angebliche Unterstützung“ bzw. einen Vorwurf (‚Dem angeklagten Redakteur wird vorgeworfen, …‘) und noch nicht um ein Gerichtsurteil.

 

 

Der dritte Fehler liegt also in der Verwechselung von Anklage und Urteil; von Staatsan­waltschaft und Gericht. Dieser Unterschied sollte zumindest für JournalistInnen, die über Repression und Antirepressionsarbeit schreiben, zur Allgemeinbildung gehören – und es nicht erst Recherchen erfordern, ihn zu verstehen. Außerdem weiß der „nd“-Autor ja sogar, daß das Landgericht Karlsruhe, vor dem die mündliche Verhandlung ab dem 18. April stattfinden wird, die Anklage schlecht aufgenommen hatte und die Eröff­nung des strafrechtlichen Hauptverfahrens abgelehnt hatte – und die mündliche Ver­handlung jetzt nur stattfinden, weil das Oberlandesgericht Stuttgart so entschieden hat. Weiter unten erwähnt er es ja selber in seinem Artikel. Wieso schreibt es der „nd“-Autor am Anfang falsch, wenn er es weiter unten zutreffend darstellt? – Vielleicht hat die Redaktion dem Autor in seinen Artikel gepfuscht; aber auch dann würde sich die Frage stellen, warum die Redaktion Artikel so lektoriert, daß sie selbstwidersprüchlich werden.

 

 

Verboten wurde nicht die Internet-Plattform linksunten.indymedia, sondern de­ren alter BetreiberInnenkreis

 

 

Bleibt noch der vierte Punkte, der weniger eindeutig ist – der Unterschied zwischen In­ternet-Plattform und BetrieberInnenkreis. Über diesen Unterschied mag gestritten wer­den – jedenfalls sei dem „nd“ zugute gehalten, daß fast alle Artikel (nicht nur die „nd“-Artikel) zu dem Komplex „linksunten.indymedia“ / „Radio Dreyeckland“ das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 2020 nicht beachten. Das Landgericht Karlsruhe hatte ihn aber in seinem Nicht-Eröffnungs-Beschluß vom 16.05.2023 beach­tet:

 

Es „kommt […] maßgeblich darauf an, ob ein hinreichender Verdacht der fortbeste­henden Existenz einer mit der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ (teil)identischen Vereinigung gegeben ist. […]. Im Ausgangspunkt ist dabei zu be­rücksichtigen, dass Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids vom 14.08.2017 nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚https://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals ist, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als einer vereinsmäßigen Organisation (BVerwG, Urt. v. 29.01.2020 – 6 A 1/19, juris Rn. 33).“

(https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/JURE230053049, Textziffer 52, und 54)

 

Zu befürchten steht, daß der Ausgang des jetzigen Verfahrens gegen den RDL-Redak­teur am Ende zu einem erheblichen Teil davon abhängen wird, ob der Bundesgerichts­hof als Revisionsinstanz – die sicherlich (je nach Urteil des Landgerichts von der Staatsanwaltschaft oder der Verteidigung) angerufen werden wird –

 

  • der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts und des Landgerichts Karlsruhe (verboten wurde der Personenzusammenschluß „hinter“ der Internet-Plattform, aber nicht Plattform selbst)

  • oder der Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe und des Oberlan­desgerichts Stuttgart (verboten worden sei – jedenfalls auch – die Plattform)

 

folgt.

 

 

Zur älteren „nd“-Berichterstattung über das linksunten-Verbot

 

 

Ihr schreibt außerdem noch:

 

„Das nd hat zu der Sache und dem Verbot nach dem Vereinsgesetz immer gut be­richtet. Schon vor Jahren. Siehe:

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1092748.indymedia-linksunten-der-erfol...

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1132114.indymedia-linksunten-das-verbo...

 

Beides sind Interviews (und beide von einer anderen Person als dem jetzigen Autor geführt); in dem zweiten Interview (vom 28.01.2020 – einen Tag vor der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht über das linksunten-Verbot) sagte der interviewte Anwalt in der Tat korrekt, daß es sich bei dem linksunten-Verbot um eine „Anwendung des Vereinsgesetzes“ handelte.

 

 

Allerdings lautete seine vollständige Antwort auf die „nd“-Frage:

 

„Ist dieser Verbotsversuch des Bundesinnenministeriums ein neues staatliches In­strument, um missliebige Publikationen zu unterbinden?“

 

folgendermaßen:

 

„Die Anwendung des Vereinsgesetzes auf eine Internetseite ist eine neue und be­sondere Entwicklung. Wenn sich das durchsetzt, können am Ende auch einzelne Blogs oder andere Medien im Internet über diesen Weg verboten werden.“ (meine Hv.)

 

Und das „nd“ spitzte das dann zu folgender Überschrift zu: „Das Verbot per Vereinsge­setz ist ein Novum“.

 

 

Ein Novum war das linksunten-Verbot unter diesem Gesichtspunkt nicht. In Bezug auf die Neonazis-Plattform Altermedia kam gut 1 ½ Jahre vorher die gleiche juristische Konstruktion zur Anwendung:

 

„1. Der Verein ‚Altermedia Deutschland‘ richtet sich gegen die verfassungsgemäße Ordnung und läuft nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider.

2. Der Verein ‚Altermedia Deutschland‘ ist verboten und wird aufgelöst.“

(https://www.bundesanzeiger.de; „Altermedia“ in das Suche-Feld eingeben und dann auf das dritte Ergebnis klicken)

 

Für das linksunten-Verbot mußte nur noch – in ‚schöner‘ totalitarismus-theoretischer Symmetrie – der „Vereins“name ausgetauscht werden… (Im dortigen Fall kam es aber – anders als im Fall „linksunten“ – zusätzlich tatsächlich zu Anklagen und Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer Kriminellen Vereinigung: Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 08.02.2018 zum Aktenzeichen 5 - 2 StE 21/16 und Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 05.06.2019 zum Aktenzeichen 3 StR 337/18).

 

Auch im Zusammenhang mit Nicht-Internet-Medien kam die vereinsrechtliche Kon­struktion schon früher zur Anwendung – gegen den kurdischen Fernsehsender Roj TV und gegen den antisemitischen Verlag Hohe Warte (letzteres Verbot wurde aber vom Bundesverwaltungsgericht wegen ungenauer Bezeichnung des Verbotsobjekts aufge­hoben); darüber berichtete ich am 13.06.2019 bei de.indymedia: Pressefreiheit in Deutschland: Medienunternehmen sind – verbotsfähige – Vereine :o).

 

 

Dafür, daß der interviewte Anwalt bei dem Interview, das am 28.01.2020 veröffentlicht wurde, weder die juristische Fachliteratur im Kopf hatte noch anscheinend de.indyme­dia liest, ist nun allerdings nicht das „nd“ verantwortlich. Das geht auf dessen eigene Kappe.

 

 

Auch seine Antwort auf die erste damalige „nd“-Frage („Was sind die zentralen Argu­mente Ihrer Klage gegen das Verbot von ‚Indymedia Linksunten‘?“) geht auf die an­waltliche Kappe:

 

„Zentrale Elemente unserer Klage sind erstens: Es gibt diesen Verein gar nicht, es gibt keinen Vorstand, keine eingetragenen Vereinsstrukturen oder sonst irgend­was. Er ist ein vom Bundesinnenministerium erfundenes Konstrukt. Zweitens: Selbst wenn es diesen Verein gäbe, ist jedenfalls der Kläger – und die anderen Personen, die die Verbotsverfügung zugestellt bekommen haben – nicht Teil die­ses Vereins. Und sollte es nach Ansicht des Gerichts doch einen Verein geben, dann hätte er drittens materiell-rechtlich nicht verboten werden dürfen, weil für den Fall des staatlichen Einwirkens auf ein presserechtlich zu beurteilendes Organ das sogenannte Telemediengesetz Anwendung findet.“

 

 

Da waren alle Blauäugigkeit und Unbedachtheiten des juristischen Vorgehens gegen das linksunten-Verbot in einem Absatz komprimiert versammelt:

 

  • Für einen Verein im Sinne des Vereinsgesetzes braucht es keinen Vorstand und keine Eintragung ins Vereinsregister. Der vereinsgesetzliche Vereins-Begriff ist absichtlich viel weiter gefaßt als der Vereins-Begriff im BGB. § 2 Absatz 1 Ver­einsgesetz lautet: „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristi­scher Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zu­sammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html; Hv. hinzugefügt)

    Diese Weite des vereinsgesetzlichen Vereins-Begriffs hätte nicht außer Acht ge­lassen werden dürfen, wenn vor Gericht bestritten werden sollte, daß der Be­treiberInnenkreis von linksunten ein „Verein“ im Sinne des Vereinsgesetzes war.

     

  • Mit dem zweiten ‚Argument‘ hatten die AnwältInnen kurioserweise die Klagebe­fugnis ihrer eigenen MandantInnen in Frage gestellt: Leute, die „nicht Teil“ des verbotenen Vereins sind, haben durch das Verbot auch keinen unmittelbaren Schaden; es ist ja nicht ‚ihr‘ Verein, der verboten wurde. (Für Schäden durch Haussuchungen im Zusammenhang mit dem Verbot gibt es andere Rechtsbe­helfe als die Klage gegen das Verbot. Den Schaden, den die LeserInnen und AutorInnen von linksunten durch das Verbot haben, haben Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgericht nicht als ausschlaggebend angesehen: Die Au­torInnen können ihre Texte ja anderswo veröffentlichen und die LeserInnen sie dort lesen.)

     

  • Auch das Telemediengesetz hätte den BetreiberInnenkreis von linksunten nicht gerettet – wenn, dann hätte sich auf den Rundfunkstaatsvertrag (heute: Medi­enstaatsvertrag) berufen werden müssen – warum habe ich unter anderem dort erklärt:

    https://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2023/03/Blindflug_nach_Karlsruhe.pdf,

    S. 5 unten (ab Zwischenüberschrift „Nebelkerze ‚Telemediengesetz‘“ bis zur nächsten Zwischenüberschrift auf S. 6) sowie S. 8 f. („Anhang:

    Telemedien-Kontrolle gemäß Rundfunkstaatsvertrag“).

 

 

Der Anfang der letzten Frage des „nd“ in dem damaligen Interview lautete:

 

„Die Pressestelle des Gerichts hat ‚nd‘ gegenüber vor einem halben Jahr noch mit­geteilt, das sei eine sehr komplexe Sache. Wenn das Gericht jetzt sagen würde, aus formalen Gründen fällen wir keine inhaltliche Entscheidung, dann wäre das bestürzend.“

 

 

Das scheint mir das grundlegende Problem vieler linker Beschäftigungen mit dem Recht im allgemeinen sowie staatlicher Repression insbesondere zu sein: Es wird nicht verstanden oder – voluntaristisch – verneint, daß „[d]ie Form […] wesentlich“ ist (LW 38, 77 - 229 [134]); daß ‚Form‘fragen den Vorrang vor ‚Inhalts‘fragen haben: Zu­nächst wird die Zulässigkeit eines Verwaltungsakts (z.B. eines Vereinsverbotes), einer Klage (z.B. gegen ein Vereinsverbot) usw. geprüft und dann erst die Begründetheit.

 

 

Warum? Weil, wenn eine unzuständige Behörde einen Verein verbietet, es nicht dar­auf ankommt, ob die zuständige Behörde den Verein verbieten dürfte. Weil es, wenn eine Person ohne Betroffenheit von dem Vereinsverbot gegen das Verbot klagt, es nicht darauf ankommt, ob eine Person mit Betroffenheit erfolgreich klagen dürfte.

 

 

Weil Recht zwar ein Produkt von Politik ist, aber nicht dasselbe wie Politik; weil Recht in bestimmten Verfahren zustande kommt und eine bestimmte Form hat [*]. Zum Bei­spiel dafür, daß eine bestimmte Person bestraft wird, genügt juristisch nicht, daß die Regierung es will (auch wenn Regierungen – je nach Regime: manchmal oder öfter – ihren Willen rechtswidrig durchsetzen). Vielmehr muß die Strafandrohung schon im Gesetz gestanden haben, bevor die Tat begangenen wurde: „Eine Tat kann nur be­straft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_103.html) Über Schuld oder Un­schuld von Angeklagten entscheidet auch nicht das Parlament, das die Gesetze er­läßt, und schon gar nicht die Regierung, sondern ein Gericht – und auch nicht irgend­ein Gericht, sondern ein nach gesetzlichen Regeln bestimmtes Gericht: „Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_101.html) Und nach einer bestimmten Zeit verjähren Straftaten (außer Mord) – das heißt: Man / frau / * wird von der Staatsgewalt in Ruhe gelassen, auch wenn man / frau / * ‚es‘ war. Das heißt: Die ‚inhaltliche‘ Frage, welche Person hat die in Rede stehende Handlung ausgeführt und war sie strafbar, tritt völlig in den Hintergrund und die rein formale Frage, „Ist die Verjährungsfrist abge­laufen?“, wird die einzig entscheidende.

 

 

Der viel geschmähte Formalismus des Rechts dient also dem Schutz der BürgerInnen vor der Staatsgewalt. Unter anderem deshalb sollten Artikel zu Fragen der Repression und der Antirepressionsarbeit mit Sorgfalt geschrieben werden. – Würde es im Fall „Radio Dreyeckland“ um angebliche Unterstützung einer Kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) – und nicht (wie tatsächlich) um angebliche Unterstützung einer vereins­rechtlich verbotenen Vereinigung (§ 85 StGB) – gehen, dann würden sich in dem jetzi­gen Verfahren juristisch ganz andere Fragen stellen.

 

 

Nun mag gesagt werden: Politisch gehe es so oder so um ‚Staatsgewalt gegen linke Bewegung‘. Gemessen daran sei der Unterschied zwischen § 85 und § 129 StGB eine Petitesse (zu frz. petite = dt. klein). Aber es ist hoffentlich unstrittig, daß die linke Be­wegung zur Zeit – leider – unfähig ist, die Staatsgewalt in offener Feldschlacht zu be­siegen, sondern gezwungen ist, auch auf dem juristischen Feld zu kämpfen.

 

 


 

 

 

PS.:

 

Zu dem Vorschlag von „anonym“ vom 27.03. um 06:21 Uhr:

 

 

„Ich plädiere also für beides: den Text hier auf indymedia zu stellen ist wichtig, und ihn auch noch an den Redakteur des ND zu mailen.“

 

Vielen Dank für die Anregung; das werde ich mal machen.

 

 

---------

 

 

 

[*] „Recht ist […] ein gesellschaftliches Emanat von Formalisierung (mit dem […] auch Politik sich selbst binden kann)“ (Helmut Ridder, Vom Wendekreis der Grundrechte, in: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaften 1977, 467 - 521 [470] = ders., Gesam­melte Schriften hrsg. von Dieter Deiseroth u.a., Nomos: Baden-Baden, 2010, 355 - 412 [358])

Bilder: 
Datei: 

 

Könnt Ihr bitte einen Blick in den vermeintlichen Spam werfen? (Da dürfte die html-Version zu dem .pdf-Anhang gelandet sein.)

Datei: