„Uns aus dem Elend zu erlösen…“ – Hinein in die Unteilbar-Einheitsfront!
Am 15.12.2023 veröffentlichte die TAZ einen Kommentar von Sarah Ulrich:
AfD in Regierung verhindern: Der eigentliche Feind steht rechts
Die als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD Sachsen bleibt in Umfragen vorne. Statt dagegen aktiv zu werden, bekämpfen sich Linke gegenseitig. – https://taz.de/AfD-in-Regierung-verhindern/!5977533/
Minimalkonsens, aber bitte nicht zu genau hinschauen
In Deutschland nehmen Antisemitismus und Rassismus gerade massiv zu. Eigentlich müssten Linke genau im Kampf dagegen eine gemeinsame Grundlage sehen.
Genau darüber zu sprechen, Akteur*innen zu benennen und den geforderten „Minimalkonsens“ innerhalb linker Bündnisse überhaupt zu finden, sofern es möglich ist, scheint die Autorin abzulehnen. Phrasenhaft wird geschrieben:
Natürlich braucht es eine klare Abgrenzung von Antisemitismus und Islamismus. Ebenso wie von antipalästinensischem, antimuslimischem und antiarabischem Rassismus. Bewegungen, die solche Ideologien verbreiten, sind nicht emanzipatorisch.
Wer diese Abgrenzung jedoch überhaupt herstellen will und sich mit den Aktivitäten möglicher Bündnispartner*innen beschäftig, wird „Pauschalverurteilung“ oder gar „Positionen, die so dogmatisch, einseitig und autoritär sind, dass sie einen Minimalkonsens verunmöglichen“ unterstellt. Wie der „Minimalkonsens“ mit jenen aussehen soll, die die Taten vom 7. Oktober bejubelt und Vergewaltigungen negiert haben, erklärt die Feministin leider nicht. Ebenfalls unklar bleibt, wieso die Abgrenzung zu jenen Positionen und Organisationen nicht „dem gesellschaftlichen Gesamtklima nützen“ sollen und die eigentliche Grundlage einer emanzipatorischen Bewegung wären.
Der Hauptfeind steht im eigenen Land
Anstatt sich also untereinander zu streiten, schlägt Sarah Ulrich vor, den wahren Feind in den Blick zu nehmen, der stehe nun einmal „rechts“ und könnte im Osten der BRD vielleicht vor der nächsten Machtübertragung durch die Wähler*innen im nächsten Jahr in Sachsen und Thüringen stehen. Völlig außer acht gelassen werden dabei die Wahlen in diesem Jahr in Hessen und Bayern, in Bundesländern, die nicht für großen „Streit“ innerhalb der linken Bewegung zwischen „antideutsch“ und „antiimperialistisch“ Strömungen bekannt sind und am 8. Oktober 2023 statt fanden.
In Hessen wurde die AfD zweitstärkste Partei mit 18,4 % (+5,3%), in Bayern bekam die AfD 14,6 (+4,4) und wurde drittstärkste Partei hinter den Freien Wählern 15,8 (+4,2). Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse scheint es völlig unerheblich, wie und ob die Linke gerade streitet und keine gemeinsame beschworene Einheitsfront bildet. Keine linke Kampagne hat in diesen Bundesländern nennenswerte Auswirkungen auf das Wahlergebnis gehabt. Was die „linken Positionen“ von Grünen, SPD und Wagenknecht-Partei (?) sind für den „Minimalkonsens“ gegen den Faschismus, wäre sicherlich auch ein unnötiger Streit, der in Sachsen und Thüringen vermieden werden sollte für das nächste Jahr. Bereits vor den Wahlen 2019 im Osten schrieb Thorsten Mense:
Alle Kraft politischer Arbeit in die Verhinderung einer Regierungsbeteiligung der AfD zu stecken, überhöht jedoch in gefährlichem Maße die Bedeutung von Wahlen. Das lässt sich an Thüringen aufzeigen, wo im Oktober ebenfalls Landtagswahlen anstehen. Der Freistaat wird seit 2014 von der Linkspartei in Koalition mit der SPD und den Grünen regiert. Seit dem Amtsantritt der – damals bundesweit ersten– rot-rot-grünen Landesregierung haben sich rassistische Einstellungen dort erheblich ausgebreitet.
Mittlerweile sind über die Hälfte der Thüringer und Thüringerinnen der Meinung, die Bundesrepublik sei »in gefährlichem Maß überfremdet«. Die Indikatoren für »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« sind dort fünf bis zehn Prozent größer als im bereits erschreckend hohen ostdeutschen Durchschnitt und das, obwohl es dem Bundesland wirtschaftlich besser geht als anderen im Osten.
Autoritäre Formierung
Die Fokussierung politischer Arbeit auf die Wahlen als die Stelle, an der die bedrohliche gesellschaftliche Entwicklung aufzuhalten sei, verkennt, dass eine autoritäre und nationalistische Formierung längst im Gange ist. Die Asylrechtsverschärfungen, Abschiebungen und repressiven Polizeigesetze, neonazistische Strukturen in den Sicherheitsbehörden und rechter Terror auf den Straßen, von Deutschland finanzierte Folterlager in Libyen, das Massensterben im Mittelmeer – all das findet bereits statt. – https://jungle.world/artikel/2019/34/aufmarsch-ost?page=all):
Sarah Ulrich vergisst in ihrem Kommentar zu erwähnen, dass der gesellschaftliche autoritäre Umbau auch ohne eine Regierungsbeteiligung der AfD seit Jahren von statten geht. Mit Parteien, die Teil des „Unteilbar-Bündnis“ von 2019 waren und es bei einer Neuauflage wieder wären. Was einiges über den „Minimalkonsens“ verrät, der sich wohl damit zusammen fassen lässt, dass der gesellschaftliche reaktionäre Umbau wenigsten nicht von einer AfD-Regierung umgesetzt wird.
Die Beteiligung der AfD in einer Regierung wird kommen
Die Ergebnisse in Hessen und Bayern führten nicht grundlos zur Debatte über ein AfD-Verbot. Zivilgesellschaft, Wissenschaftler*innen und Linke führen seit Monaten diese Debatte, den meisten, gerade im Osten ist klar, dass eine AfD-Regierung kommen wird, völlig gleich was bis zum 01.09.2024 getan wird. Darum hoffen jene vom Staat, dass dieser gegen die AfD tätig wird. Dabei fällt gerne unterm Tisch, dass ein mögliches Verbot, wenn es denn eingeleitet würde, niemals rechtzeitig vor den Wahlen in Thüringen und Sachsen entschieden würde. Anstatt also weitere Podien, Texte usw. zu veranstalten ob ein Verbot sinnvoll oder möglich ist, sollten sich die Menschen und Strukturen darauf vorbereiten was es bedeuten kann unter einer Regierung der AfD zu leben, falls sie nicht sowieso planen den jeweiligen Landstrich zu verlassen.
Seit 2020 führen linke Gruppen im Raum Dresden einen Austausch über einen Umgang mit der AfD in Sachsen – https://www.addn.me/antifa/status-quo-debatte-ein-jahr-afd-als-staerkste-oppositionskraft/
Nichts von der Diskussion der Aktiven aus Sachsen findet sich im Kommentar in der TAZ wieder. Stattdessen wird eine Neuauflage von „Unteilbar“ proklamiert, denn:
Ob genau dieses Engagement den Wahlsieg der AfD verhindert hat, wissen wir nicht. Aber es hat ein Zeichen gesetzt.
Was das für Zeichen gewesen sein soll, was in Sachsen die AfD bei der Bundestagswahl 2021 mit einem Ergebnis von 25,7 % zur stärksten Partei gemacht hat, weiß wohl nur sie. Linken in Sachsen 2024 eine Neuauflage von gescheiterten Ansätzen nahe zu legen, ist hingegen ziemlich fatal.
Denn bereits 2019 war zu der „Wann wenn nicht jetzt“ - Kampagne, die mit Unteilbar verbunden war in der TAZ zu lesen:
„Wir sind zwar nicht mehr, aber wir lassen uns nicht einschüchtern“, sagt Bruno Rössel vom Organisationsteam ins Mikrofon auf der Openair-Bühne. – https://taz.de/Wann-wenn-nicht-jetzt-in-Bautzen/!5609726/
Viel Mühe und Infrastruktur wurde damals aufgebracht um Bühnen und Menschen in kleinere sächsische Städte zu karren. Denn besonders aus Leipzig wurde sich 2019 eine Strategie erdacht, die trotz ihrem eindeutigen absehbaren scheitern, im TAZ-Kommentar erneut beschworen wird:
Allerdings ist es mit den sächsischen Befindlichkeiten so eine Sache. Mag man in dem Bundesland auch noch so gern darüber schimpfen, »von denen im Westen« übers Ohr gehauen worden zu sein– seit 1990 wählten die sächsischen Bürgerinnen und Bürger so, dass es stets eine CDU-Regierung gab. Sie wählten also diejenigen, die die DDR schnell abwickeln wollten und »nie wieder Sozialismus« versprachen.
Das ist eine Tatsache, die auch denjenigen Linken nicht schmeckt, die den ostdeutschen Opferstatus gerne politisch nutzen würden– so zum Beispiel die Gruppe »Aufbruch Ost« aus Leipzig. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, die »ostdeutsche Seele« zu streicheln, und eine mehr therapeutische als politische Strategie entwickelt: drüber reden– oral history. Sie kritisiert, dass sich die außerparlamentarische Linke nicht ausreichend um die sozialen Zumutungen in den neunziger und nuller Jahren gekümmert habe, nicht im Osten und nicht im Westen.
Doch es lohnt sich ein genauerer Blick: Bis weit in die nuller Jahre waren große Arbeitskämpfe, abgesehen von den ersten Jahren nach der Wende, in Sachsen beinahe undenkbar. Warnstreikende wurden beschimpft, mit Eiern und faulem Obst beworfen; viele waren der Ansicht, wer Arbeit habe, solle nicht so unverschämt sein, noch mehr Geld zu verlangen. Wer keine Arbeit hatte, dem wurde zu verstehen gegeben, er solle froh sein, sich als Ein-Euro-Jobber nützlich machen zu dürfen.
– https://jungle.world/artikel/2019/34/saechsische-verhaeltnisse?page=all
Wieso im Kommentar von Sarah Ulrich noch falsche Zuschreibungen von angeblichen Selbstbezichtigungsschreiben „spontaner Zusammenschluss entsetzter antideutscher, antifaschistischer, antirassistischer Kommunisten:innen aus Leipzig“ zum Angriff auf die Bäckerei von knack.news eingebaut wurde, sowie die Extremismustheorie („rechtsextrem“) und Einordnungen des Verfassungsschutzes verbreitet werden, bleibt genauso unplausibel, wie die Beschwörung einer erneuten „Unteilbar- Einheitsfront“.
Menschen mögen ihre Aktivitäten in politischen Strömungen und Organisationen einstellen, aber sich nicht (selbst)kritisch mit deren Positionen und (gescheiterten) Strategien auseinander zu setzen, ist ziemlich schade. Auch für Sarah Ulrich.