Statement zum Angriff der Bullen auf die anarchistische 1. Mai-Demo in Hamburg

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Wieder einmal haben die Bullen unsere anarchistische 1. Mai-Demonstration angegriffen. Lest hier unser Statement.
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Als Bündnis Schwarz-Roter 1. Mai haben wir vor mittlerweile über vier Jahren das Experiment gewagt, eine regelmäßige anarchistische Maidemonstration in Hamburg zu organisieren und anzumelden. Wir machen bis heute keinerlei Anspruch geltend, für jemand anderes zu sprechen als uns selbst. Unser gemeinsames Handeln erschöpft sich allerdings keineswegs in einer Zurschaustellung unserer Zahl und unserer Stimmen an diesem einen Tag; und daher sollte es uns nicht schwerfallen, auch die Niederlage vom Montag einzugestehen. Unsere Kämpfe finden überall statt und werden weitergeführt, selbst wenn unsere Demonstration noch zehnmal faktisch verboten werden sollte.

 

Dass der bürgerliche Staat sich aktiv um unsere Grundrechte scheren würde, haben wir von Anfang an nicht angenommen. Jede*r, die vielleicht noch daran glaubte, wurde bereits in den vorigen Jahren eines Besseren belehrt. Ebenso wenig beklagen wir uns über die exzessive Polizeigewalt gegen unsere Gefährt*innen, so als wäre diese nur ein ‚Unfall‘ und nicht Teil einer repressiven Strategie gegen revolutionäre Bewegungen. Nein: Ihre Gewaltakte sind sehr konkrete Angriffe eines ebenso konkreten Gegners, die wir leider zu erwarten haben und mit denen wir weiterhin umgehen müssen. Denn Tatsache ist, dass Politik, Innensenator, Staatsschutz und Bullenapparat zur Befriedung der Maiproteste in Hamburg auf die Aushebung einer militärischen Übermacht setzen, die linksradikalen Protest im Keim ersticken will. Hier sitzt der Kontrollverlust um den G20-Gipfel den Herrschenden nach wie vor tief in den Knochen.

 

Dass wir als bekennende Anarchist*innen einen legalistischen Weg gewählt haben, um die Sichtbarkeit unserer Bewegung zu vergrößern und eine Plattform zur Vernetzung zu bieten, haben wir uns gut überlegt und breit diskutiert. Nach Jahrzehnten der Versprengtheit formiert sich tatsächlich eine Generation junger Anarchist*innen, deren Erfolge wir uns nicht auf die Fahnen schreiben, die wir aber freudig an unserer Seite begrüßen: Auf der Straße, im Betrieb, in der Universität und in den Schulen.

Wir sind also selbstbewusst genug, uns als das zu zeigen, zu dem wir gewachsen sind: einer relevanten gesellschaftlichen Kraft voller Widersprüche und Ideen. Und als gesellschaftliche Kraft, mit der man rechnen muss, sehen wir keinen Grund, das Versammlungsrecht nicht als Mittel zum Zweck für unsere Ziele zu nutzen. Dies mag Irritation hervorrufen. Nicht wenige ach so feine Demokrat*innen gönnen uns auch die brutalen Maßnahmen der Bullen. Die bürgerliche Gesellschaft sollte in ihrer Arroganz jedoch nicht vergessen, was die zahlreichen Verbote, Grundrechtseinschränkungen und die Prügelorgien der Bullen, die Verfolgung durch den Staatsschutz und all dies gegen überwiegend friedliche Demos auch für sie bedeutet: Wir werden Zeug*innen und Betroffene einer beispiellosen autoritären Formierung. Wenn 1000 Demonstrierende mindestens ebenso vielen schwerbewaffneten Bullen gegenüberstehen und Demonstrationen wie unsere faktisch verboten werden, nur weil dem Staatsschutz einige Transparente nicht passen oder sie die angebliche Vermummung einzelner Teilnehmer*innen nicht ertragen, stellt dies eine ernsthafte Gefahr für die Zivilgesellschaft dar. Das repressive Regime sickert ein ins Tagesgeschäft, Bullengewalt wird normalisiert und pervertiert; es gibt immer neue Befugnisse und Waffen, auch im digitalen Raum, für die sog. Sicherheitsbehörden. Wer sich dabei wohlfühlt, habe seine Privilegien beisammen. Wir jedenfalls wollen uns nicht damit abfinden. Und auch wenn die Bullen weiter den Eindruck erwecken wollen, dass wir oder beispielsweise der vom Verfassungsschutz als „gewaltorientiert“ eingeschätzte „Rote Aufbau“ eine Art Kleinkrieg auf der Straße gegen sie suchten. Abseits der Absurdität dieser tiefsitzenden Ängste wird die reale Gewalt einer Gesellschaft im Kapitalismus immer erdrückender. Wir suchen keinen Staatsstreich, wenn wir am Ersten Mai marschieren. Wir suchen den Krieg gegen den Krieg, gegen die Ausbeutung, gegen die Übermacht der Herrschenden und den Kapitalismus; und wir kämpfen mit allen Mitteln, die uns angemessen scheinen. Die Lächerlichkeit der von den Bullen erzeugten Gesamtsituation zeigt sich in diesem Gesamtbild, aber auch im Detail sehr gut.

 

Etliche Stunden standen sich die Teilnehmer*innen unserer Demonstration am Montag die Beine in den Bauch, während ein Einsatzleiter Fischer strategische Kompromisse erst anbot, dann abblockte und schließlich ins Gegenteil verkehrte. Rasch wurde deutlich, dass das faktische Verbot unserer Versammlung bereits von höheren Stellen beschlossen und nun zur kreativen Umsetzung gebracht wurde. Was wir eingangs als unsere ‚Niederlage‘ bezeichnet haben, ist also keinesfalls überraschend. Wir sind trotzdem überrascht davon, wie weit man zu gehen bereit ist, um uns an diesem einzelnen Tag um jeden Preis zu stoppen: Kopfschüttelnde Anwält*innen und irritierte Presseartikel sind die Folge; mindestens ein Schwerverletzter die traurige Bilanz. Offensichtliche, dreiste und nicht selten im Nachhinein öffentlich widerlegte Lügen der Bullen gehören ebenso zur Einsatzstrategie wie das gezielte Herbeiführen von Traumata bei besonders jungen Personen. Diese sollen nachhaltig eingeschüchtert und vor jeder weiteren politischen Regung abgeschreckt zurückweichen. Spoiler: Sie tun es nicht.

 

Das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen. Die Repression gegen linksradikale Aktivist*innen erfordert ein Umdenken, über alle Spektren hinweg: Diesbezüglich grüßen wir Revolutionäre Maidemo, das Bündnis WHDG sowie alle anderen Linksradikalen, die sich an unserem gemeinsamen Kampftag die Straße genommen haben und bedanken uns für die praktische und rhetorische Solidarität an diesem frustrierenden Tag. Wir bedanken uns bei allen Menschen, die unsere Struktur und die Teilnehmenden der Demonstration ihre Solidarität haben spüren lassen. Wir danken den Sanis und dem Ermittlungsausschuss, der Roten Hilfe, Out of Action und all den anderen für ihre wertvolle Arbeit. Wir danken allen Teilnehmenden, dass sie sich dieser Gefahr mit uns gemeinsam gestellt haben und trotz allem einen kühlen Kopf bewahrt und niemanden allein gelassen haben. Wir werden uns beraten und den Ersten Mai auswerten, als Bündnis, aber auch als Akteur*innen der anarchistischen Bewegung. Solange das Recht auf freie Meinungsäußerung scheinbar für uns nicht gilt, werden wir alternative Formen finden, unserer Wut und unseren Träumen für die Utopie Gehör zu verschaffen. Die Polizei mag sich freuen über das Zunichtemachen monatelanger Vorarbeiten; unsere Begegnungen, unsere Freund*innenschaften und unseren Traum von einer besseren Welt kann uns ein einzelner erster Mai nicht nehmen. Wir sind motivierter denn je und können allen, die die Geschehnisse verfolgen, versichern, dass die Strategie der Repression nicht aufgehen wird.

 

Der Hass des Systems zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wenn wir keine Bedrohung darstellen würden, würden wir nicht so viel Gegenwind erhalten. Was der Staat und seine Schergen in der langen Geschichte der sozialen Bewegungen noch nie verstanden hat: Ihre Repression bricht uns nicht. Sie schweißt uns zusammen und stärkt unsere Entschlossenheit. Ihr nehmt uns legale Wege des Protests? Doch Protest lässt sich nicht unterdrücken und findet immer einen Weg sich zu äußern - egal was ihr tut. In diesem Sinne grüßen wir all die widerständigen Menschen auf der ganzen Welt. Von den kämpfenden FLINTA* im Iran, über die streikende Bewegung in Frankreich, bis hin zu allen, die sich gegen jeden Widerstand am Ersten Mai in Einzelaktionen die Straße genommen haben.

 

Für uns beginnt jetzt eine Phase der Reflektion und die Suche nach einem Umgang mit der Tatsache, dass die Bullen uns legalen Protest verunmöglichen. Wir schließen hier nicht aus, weitere Demos anzumelden um wenigstens den Versuch zu wagen, Möglichkeiten des Protests zu schaffen, bei dem sich unregierbare und kreative Menschen sammeln können. Denn als Demobündnis sehen wir unsere Aufgabe darin, möglichst viele Menschen für öffentlichen Protest auf der Straße zu mobilisieren. Der Weg den wir dafür gewählt haben, ist der legalistische, trotz aller Hürden. Welche Schlüsse 1000 Menschen, denen die Polizei einmal mehr ihre Grundrechte geraubt hat aus den Erlebnissen des diesjährigen Ersten Mais ziehen, das wissen wir nicht. Wir übernehmen keine Verantwortung, aber kritisieren werden wir bestimmt keine Aktion, die kommen wird. Wir sind viele. Wir sind hungrig nach dem Versprechen der Freiheit. Wir kommen wieder.

 

Schwarz-Roter 1. Mai
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