FSK-Interview zur Durchsuchung bei Radio Dreyeckland in vergangenen Woche - Einige Einordnungen

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Wie soll die Betätigung oder der organisatorische Zusammenhalt eines vermeintlichen Vereins in strafrechtlich relevanter Weise unterstützt werden können, wenn der vermeintliche Verein, nicht (mehr) existiert oder jedenfalls in der Weise, die zur Begründung seines Verbotes herangezogen wurde, gar nicht mehr tätig ist?

 

Am Montagabend wurde vom Freien Sender-Kombinat (FSK) Hamburg ein ca. 3/4-stündiges Interview mit einigen Einordnungen zu der Durchsuchung, die vor einer Woche bei Radio Dreyeckland in Freiburg stattfand, gesendet. - Hier werden die Gliederung des Interviews und eine ergänzende Link- und Literaturliste sowie zwei kleine Korrekturen zur Verfügung gestellt. Besonders sei auf zwei kurze Ausschnitte aus dem Interview hingewiesen:

 

 

A. Gliederung

 

I. Der Anlaß der Durchsuchung – ein Artikel vom 30. Juli 2022 auf der Webseite von Radio Dreyeckland, der das Archiv von linksunten.indymedia verlinkt

II. Die Spiegelung des Archivs von linksunten.indymedia, die Detlef Georgia Schulze schon Anfang 2020 vorgenommen hatte

III. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Verbot von linksunten.indymedia

IV. Zum Unterschied zwischen sog. Kriminellen Vereinigungen und vereinsrechtlich verbotenen Vereinigungen

V. Zur Geschichte der Repression gegen die Zeitschrift „radikal“

VI. Zur für das rdl-Verfahren relevanten Verjährungsfrist

VII. Kein Verstoß gegen § 85 Strafgesetzbuch, auf den sich der Durchsuchungsbeschluß beruft

IIX. Auch kein Verstoß gegen § 86 StGB (Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen)

IX. Zu den Aussichten des noch anhängigen Verfassungsbeschwerde-Verfahrens

 

B. Link- und Literatur-Liste sowie Korrekturen zu dem Interview (erstellt von DGS)

 

Zu Abschnitt I. (Anlaß der Durchsuchung)

 

+ Der rdl-Artikel:

++ aktuelle Webseite: https://rdl.de/beitrag/ermittlungsverfahren-nach-indymedia-linksunten-verbot-wegen-bildung-krimineller

++ Speicherung der Ursprungsfassung bei archive.org: https://web.archive.org/web/20220730100120/https://rdl.de/beitrag/ermittlungsverfahren-nach-indymedia-linksunten-verbot-wegen-bildung-krimineller (mir fallen jedenfalls keine Unterschiede auf)

 

Zu Abschnitt II. (Archiv-Spiegelung durch DGS)

 

+ Meine Spiegelung des Archivs von linksunten-indymedia: https://web.archive.org/web/20200317101152/http://www.links-wieder-oben-auf.net/archiv/index.html

+ Mein Brief an die Medienanstalt Berlin-Brandenburg dazu: http://trend.infopartisan.net/trd0220/Brief_an_LMA_o_adress_fuer%202-2020.pdf

 

+ Brief an das Landeskriminalamt: https://twitter.com/TaP_Theorie/status/1521404091804626944 und Folge-Tweet

 

Zu Abschnitt III. (Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts)

 

+ „Leipziger Urteil“ (= eines der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts zu den vier Klagen gegen das Verbot – zu allen vier Klagen gibt es weitgehendst inhaltsgleiche Urteile mit unterschiedlichem Aktenzeichen): https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.

++ Feststellung, daß es einen „Verein“ gegeben habe: Textziffer 37 bis 47

++ Weigerung, das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen der Verbotsgründe zu prüfen: Textziffer 15 (vgl. dazu meine Kritik: Das Leipziger Landdogma und der wirkliche Artikel 9 Absatz 1 Grundgesetz, in: de.indymedia vom 30.01.2020; https://de.indymedia.org/node/62412).

 

+ Artikel 9 Grundgesetz: http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_9.html

 

zu Abschnitt IV. (Zum Unterschied zwischen sog. Kriminellen Vereinigungen und vereinsrechtlich verbotenen Vereinigungen)

 

+ § 129 Strafgesetzbuch (Kriminelle und terroristsche Vereinigungen): http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129.html und http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129a.html

 

+ Zur KommunistInnen-Verfolgung in der BRD der 1950er und 60er Jahre:

++ Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1978 (https://external.dandelon.com/download/attachments/dandelon/ids/FL001993536B6DD933BEBC1257AF600365931.pdf).

++ Hans Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art, Mohr: Tübingen, 1968 (https://d-nb.info/456293663/04).

++ Bundesgerichtshof – Montag, den 20. Mai vor 61 Jahren: 3,5 Jahre Haft wegen mitgliedschaftlicher Betätigung in der Arbeitsgemeinschaft demokratischer Juristen (ADJ): http://www.scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews[swords]=Schulze%20Zentralrat&tx_ttnews[tt_news]=69632&tx_ttnews[backPid]=65&cHash=fd1f9f2541

++ Zum VVN-Verbot: https://twitter.com/TaP_Theorie/status/1490350640782008322 und Folge-Tweet (die Seiten-Reihenfolge ist leider durcheinander)

 

zu Abschnitt V. (Zur Geschichte der Repression gegen die Zeitschrift „radikal“)

 

+ Zur Zeitschrift „radikal“:

20 Jahre radikal. Geschichte und Perspektiven autonomer Medien; https://www.nadir.org/nadir/archiv/Medien/Zeitschriften/radikal/20jahre/Inhalt.html

 

+ Klöckner – der Vorname, der mir nicht einfiel: Michael (https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Kl%C3%B6ckner; zu Benny Härlin: https://de.wikipedia.org/wiki/Benedikt_H%C3%A4rlin)

 

+ „radikal“-Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz von 1997: „Hinsichtlich des gegen die Angeschuldigten erhobenen Hauptvorwurfs der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB hat der Senat in seinem Beschluß über die Nichteröffnung des Hauptverfahrens vom 5. März 1997 die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf den zur Anklage gebrachten Sachverhalt aus Rechtsgründen verneint.“ (https://www.nadir.org/nadir/initiativ/r_ver/chrono/chro_2.htm)

 

+ „höhere Strafmaß“: das war sowohl ein Versprecher als auch ein Irrtum:

++ gemeint war vielmehr der Strafrahmen – der ist aber bei § 85 StGB und bei § 129 StGB gleich.

++ ob das Strafmaß, was in konkreten Verfahren verhängt wird, bei § 85 StGB vielleicht tatsächlich niedriger ist, bei § 129 StGB weiß ich nicht – müßte vielleicht überhaupt erst einmal rechtssoziologisch untersucht werden.

++ Als weiterer Unterschied ist noch zu erwähnen, daß die Strafbarkeit bei § 129 StGB sozusagen ‚automatisch‘ gegeben ist, während die Strafbarkeit nach § 85 StGB ein vorhergehendes bestandskräftiges vereinsrechtliches Verbot voraussetzt.

++ Solange das vereinsrechtliche Verbot zwar schon „vollziehbar“, aber noch nicht bestandskräftig ist, ist § 20 Vereinsgesetz einschlägig: http://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__20.html.

 

Zu Abschnitt VI. (Verjährungsfrist)

 

+ Verjährungsfrist nach § 24 Landespressegesetz Baden-Württemberg [*]:

https://www.landesrecht-bw.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jlr-PresseGBWV15P24&psml=bsbawueprod.psml&max=true (fraglich ist, ob diese Norm auch für den Rundfunk und Telemedien gilt)

+ zur sog. „Unterbrechung“ der sog. „Verfolgungsverjährungsfrist“ laut Strafgesetzbuch: http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__78c.html

+ „drei Jahre, glaube ich“ (zur normalen Verjährungsfrist für Delikte nach § 85 StGB) – es sind in Wirklichkeit fünf: „fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind“ http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__78c.html; Strafrahmen für ‚Unterstützung‘ nach § 85 StGB: „Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“)

 

Abschnitt II. (Kein Verstoß gegen § 85 Strafgesetzbuch, auf den sich der Durchsuchungsbeschluß beruft)

 

+ § 85 Strafgesetzbuch und Vorläuferinnorm § 90a Strafgesetzbuch:

++ aktuelle Fassung: http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__85.html (OHNE „wirbt“)

++ Fassung seit 1. August 1968: https://lexetius.de/StGB/85,4 (OHNE „wirbt“)

++ § 90b Strafgesetzbuch (von 1964 bis 1. August 1968): https://lexetius.de/StGB/90b,6 (MIT [!] „wirbt“)

++ Noch davor handelte es sich um den damaligen § 129a StGB (1951 bis 1964), der nichts [!] mit dem heutigen § 129a StGB zu tun hat: https://lexetius.de/StGB/129a,12

 

+ BGHSt 20, 287 - 292 (289): „Geht der Zusammenhalt ehemaliger Mitglieder zwar auf ihre frühere Zugehörigkeit zu der Partei usw. zurück, beruht er aber nicht mehr auf ihrem Willen, Ziele zu verfolgen, die zum Verbot geführt haben, sondern auf persönlichen Beziehungen (Freundschaften, geselliger Verkehr usw), so fehlt es am ‚organisatorischen‘ Zusammenhalt.“ (https://research.wolterskluwer-online.de/document/ca514a79-f54b-4405-bdb6-8fb6f4af47cc, Textziffer 16)

 

+ Urteil des Bayerischen Oberlandesgericht von 1997 zu Parolen bzgl. der nicht mehr existierenden oder jedenfalls nicht mehr aktiven RAF:

BayObLG, Beschluß vom 27. 11. 1997 zum Aktenzeichen 3 St 3–97, in: Neue Juristische Wochenschrift 1998, 2542 - 2544.

 

Abschnitt XII. (Auch kein Verstoß gegen § 86 StGB [Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen])

 

+ § 86 Strafgesetzbuch: http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__86.html (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) – außerdem noch relevant: § 86a (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen): http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__86a.html

 

+ BGH zum Unterschied zwischen „Werbung“ und „Unterstützung“ – in Bezug auf § 129a Strafgesetzbuch: „Hieran [an der früher unklar gebliebenen Unterscheidung zwischen „Werbung“ und „Unterstützung“] kann im Hinblick auf die neue Gesetzeslage nicht festgehalten werden. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich alle Handlungen, die sich in einem Werben für die Ideologie und die Ziele einer terroristischen Vereinigung erschöpfen, aus der Strafbarkeit herausnehmen wollen; das Werben um Mitglieder oder Unterstützer hat er nur noch für bestimmte besonders gefährliche terroristische Vereinigungen unter Strafe gestellt und es insoweit bei einem gegenüber dem Unterstützen niedrigeren Strafrahmen belassen. Es hieße, diesen im Gesetzeswortlaut und in der Gesetzessystematik objektivierten Willen des Gesetzgebers zu missachten, wollte man derartige Aktivitäten weiterhin als Unterstützen im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB ansehen, weil ihnen die abstrakte Eignung zukommt, das Gefährdungspotential der beworbenen Vereinigung zu stärken.“ (https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/2/07/ak-6-07.php, Textziffer 13)

 

Zu den Aussichten des noch anhängigen Verfassungsbeschwerde-Verfahrens

 

+ „verunglückte Klage“ / das Interview von rdl mit mir nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgericht:

Verfassungsbeschwerde gegen Indymedia Linksunten Verbot: Kritik an Prozesstaktik und mangelnder Reaktion auf Verbot; https://www.freie-radios.net/102934

 

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+ Von mir bei den taz-Blogs zur rdl-Durchsuchung: https://blogs.taz.de/theorie-praxis/zwei-fragen-an-das-amtsgericht-karlsruhe/

 

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+ Umfassende Materialsammlung zum linksunten-Verbot: https://www.labournet.de/interventionen/solidaritaet/solidaritaet-gegen-das-verbot-von-linksunten-indymedia-widerstand-gegen-polizeistaat/.

+ Eine schon etwas ältere Analyse zum § 129 StGB:Warum der § 129 StGB von Übel ist; in: de.indymedia vom 16.09.2020; https://de.indymedia.org/node/104181.

 

[*] In diesem Sonderfall ist das Landespressegesetz – als Ausnahme vom generellen Verhältnis zwischen Bundes- und Landesrecht – in der Lage, das bundesgesetzliche Strafgesetzbuch zu brechen, da die speziell presserechtliche Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer Vorrang vor der allgemeinen Strafgesetzgebungskompetenz des Bundes hat (lex specialis derogat lex generalis).

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