Am 26. November fuhr ein Rechter in Leipzig mit seinem Auto in den Gegenprotest
Der Artikel informiert über einen Vorfall am 26. November 2022 in Leipzig, bei dem der Rechte Gebhard Berger aus Altenburg sein Auto in eine Versammlung von Antifaschist*innen lenkte und dabei Menschen anfuhr. Wir sind Augenzeug*innen der Tat, waren jedoch nicht die ganze Zeit bei der Versammlung anwesend und können auch nicht vollständig über alle Geschehnisse im Nachgang berichten. Weitere Informationen haben wir im Gespräch mit anderen Menschen zusammen getragen. Ergänzt wird der Beitrag um Hintergrundrecherchen zu Berger von Altenburg Rechtsaußen. Wir bitten um weitere Berichte zur Tat, wollen aber davon abraten sich bei der Polizei zu melden. Die Gründe dafür fassen wir am Schluss zusammen.
Augenzeug*innenberichte: Mit Auto in linke Versammlung gefahren
Am 26. November 2022 fand in Leipzig ein bundesweiter rechter Aufmarsch statt. Ein Artikel dazu mit der Route des Aufmarsches findet sich hier. Eine Zusammenfassung des Tages gibt es von chronik.Le.
Auf der Route des rechten Aufmarsches kam es zu einer Vielzahl an spontanen Versammlungen von Antifaschist*innen. Die meisten wurden bei den Behörden angezeigt.
Eine linke Spontanversammlung bildete sich auf der Karl-Tauchnitz-Straße zwischen Ferdinand-Rhode-Straße / Grassistraße am Ende der geplanten Route des rechten Aufmarsches, bei der auch Polizei vor Ort war. Viele Autofahrer*innen wendeten, wenn sie die Menschen auf der Straße sahen, andere fuhren über den Gehweg an der Versammlung vorbei.
Nicht so Gebhard Berger, ein Augenoptiker aus Altenburg. Dieser nahm (wie er selbst gegenüber der LVZ schilderte) an der Kundgebung der Rechten teil, beteiligte sich aber nicht am anschließenden Aufmarsch. Sein auffälliger roter Peugot mit der Aufschrift "Berger Brillen", so berichteten mehrere Menschen, parkte in der Grassistraße.
Gebhard Berger fuhr mit weiteren Autos von der Grassistraße auf die Karl-Tauchnitz-Straße stadtauswärts. Während alle anderen Fahrzeuge jedoch wendeten, wartete Berger einen kurzen Moment und entschloss sich dann auf die Versammlung zuzufahren. Er fuhr zwar langsamer, stoppte aber nicht. Sein Fahrzeug war mit allerhand Parolen behangen und er somit eindeutig als Rechter zu identifizieren. Menschen in der Versammlung bedeuteten ihm, dass es für ihn hier nicht weiter gehe, und dass er umdrehen solle. Einige stellten sich vor sein Auto. Mehrere sprachen ihn an, dass er zurück fahren solle. Dabei wurde seine Fahrertür geöffnet und ihm das auch erklärt. Angriffe gegen ihn oder auf das Auto gab es keine.
Berger kam der Aufforderung zurückzufahren nicht nach, sondern gab plötzlich trotz vor dem Auto befindlicher Personen Vollgas. Dabei mussten zwei Menschen auf das Auto springen, um nicht überfahren zu werden. Eine Person musste sich für mehrere Meter auf der Motorhaube festhalten und fiel letztendlich herunter. Glücklicherweise wurde keine der beiden Personen schwer verletzt, was letztendlich nur ihren schnellen Reaktionen zu verdanken ist. Auch andere Menschen mussten schnell beiseite springen.
Berger flüchtete mit hoher Geschwindigkeit vom Tatort. Passant*innen aus dem Park, die die Situation beobacheten, verfolgten ihn auf Fahrrädern und konnten eine Polizeistreife informieren, die Berger im Kreisverkehr stoppte. An dieser Stelle entstandt das zunächst auf Twitter vom Web Demo Ticker Berlin verbreitete Foto, das Berger neben seinem Auto zeigt.
Direkt neben der Versammlung befanden sich Beamt*innen der Bereitschaftspolizei - am Anfang eine ganze Gruppe um die Versammlung herum und weitere im Park, später noch drei Polizist*innen, die direkt wenige Meter entfernt auf Höhe des Geschehens standen. Die Beamt*innen behaupteten, nichts gesehen zu haben und weigerten sich, sich gegenüber den Teilnehmer*innen auszuweisen.
Die Streifenpolizisten im Kreisverkehr fragten via Funk zum Vorfall nach, bekamen aber letztendlich nur die Information, dass die Polizist*innen bei der Versammlung nichts mitbekommen haben. Die Streifenpolizist*innen begaben sich selbst nicht zur Versammlung und fragten nach Zeug*innen oder Geschädigten, sie begründeten dies damit, dass sie vom Kreisverkehr nicht weg können, weil dort ebenfalls ein Versammlung des Gegenprotestes statt fand und unweit des Kreisverkehrs eine weitere Versammlung des Gegenprotestes.
Berger selbst stand mit seinem Auto im Kreisverkehr bei den Streifenpolizist*innen, gegenüber der LVZ erklärte er "Er selbst behalte sich vor, Anzeige zu erstatten.".
Weitere Personen berichteten, dass es mit Berger nach der Situation in der Karl-Tauchnitz-Straße noch zu weiteren Konflikten mit Gegendemonstrant*innen im Umfeld des Kreisverkehrs gekommen sein soll. Hier wäre es sinnvoll, wenn diese auch noch aufgeschrieben und auf Indymedia veröffentlicht werden würden.
Die Dokumentation eines Twitter-Nutzers legt nahe, dass es bei einem der Vorfälle wohl zu Beschädigungen an Bergers Auto kam, zu welchem Zeitpunkt lässt sich nicht sagen.
Recherche: Wer ist Gebhard Berger aus Altenburg?
Gebhard Berger (*1961) ist ein rechter Augenoptiker aus Altenburg, wo er seit 1988 das Familienunternehmen Berger Brillen fortführt. Das ehemalige AfD-Mitglied gehört zum rassistischen Altenburger Bürgerforum und wurde von diesem als parteiloser Kandidat zur Bundestagswahl 2021 unterstützt. Er verfasst gewaltverherrlichende und frauenfeindliche Beiträge und verbreitet Fehlinformationen zu Impfungen und Coronakrise.
Berger war bis 2014 Mitglied der AfD, seinen Austritt begründete er mit innerorganisatorischen Konflikten. Auch nach seinem Weggang besuchte er weiter AfD-Veranstaltungen.
Ab 2015 machte Berger mit flüchtlingsfeindlichen Leserbriefen im lokalen Anzeigenblatt Kurierund Kolumnen beim Online-Magazin abg-info auf sich aufmerksam. Der Kurier ist für seine rechtspopulistischen Beiträge selbst dem Verfassungsschutz bekannt. Das Online-Magazin abg-info wird vom Bürgerforumsmitglied Marco Unverzagt betrieben. Zu dieser Zeit fiel Berger außerdem durch Stimmungsmache bei kommunalen Informationsveranstaltungen zur Flüchtlingsaufnahme auf, wo ihm schlussendlich Hausverbot erteilt wurde. Laut eigener Angabe nahm Berger auch an PEGIDA-Aufzügen teil.
Im Jahr 2016, als Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte alltäglich waren, warb Berger für sein Brillengeschäft mit dem Slogan "Zeit sich zu bewaffnen" über dem Foto einer Frau mit Maschinengewehr in der Hand (in diesem Beitrag zu sehen). Das Bild wurde als Anzeige unter anderem neben flüchtlingsfeindlichen Beiträgen des Bürgerforumsmitglieds Andreas Sickmüller in der so genannten "Bürger Zeitung" der Gruppe vom 01.02.2017 veröffentlicht. Der Deutsche Werberat rügte die Reklame im Mai 2016 als gewaltverherrlichend:
Nach Ansicht des Werberats werde [dadurch] zur Gewaltanwendung aufgerufen. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten und Entwicklungen mit Blick auf die Flüchtlingsthematik sei ein derart offensiver Gewaltappell gesellschaftlich nicht akzeptabel.
Augenfällig ist, dass sich Brillen Berger für seine Werbung oft der objektifizierenden Darstellung weiblicher Körper bedient. Auch Berger selbst zeigt sich auf Facebook als selbsternannter "PATEn-Onkel vom Bürgerforum" als Patriarch zwischen drei leicht bekleideten Frauen. In seinen politischen Texten fällt auf, dass insbesondere Politikerinnen zum Ziel seiner Abwertung werden. Besonders intensiv arbeitete er sich an der ehemaligen Landrätin Sojka ab, über die er mehrere abschätzige Leserbriefe und Kolumnen verfasste.
Gebhard Berger gehört zum Altenburger Bürgerforum, in dem sich seit 2015 lokale rechte Akteur*innen vereinen. Das Bürgerforum, das seit Anfang 2016 auch als Deutscher Zivilschutz e.V. firmiert, ist ein Sammelbecken extrem rechter Ideologien und fungiert als Scharnier zur breiten bürgerlichen Bevölkerung. Ein Sprecher, Frank Schütze, äußerte auf Facebook nationalsozialistische Sympathien und teilte Liedtexte einer NS-Rechtsrockband. Weitere Mitglieder verorten sich im neurechten Spektrum. Die Veranstaltung mit Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer in Kosma bei Altenburg im Dezember 2015 gehört zu den meistbesuchten der Gruppe. Zu den weiteren Gastrednern der Gruppe gehört der kürzlich verurteilte Stephane Simon. Berger spendete im Namen von Berger Brillen im November 2016 einen Betrag von 1000 Euro an das Bürgerforum / Deutscher Zivilschutz, um Weihnachtsgeschenke an "legal im Altenburger Land lebende Hilfsbedürftige" zu verteilen.
Seit 2020 beteiligt sich Berger ebenso wie Lars Fleck, Andreas Sickmüller, Frank Schütze und andere Mitglieder und Sympathisant*innen des Bürgerforums an den nicht angemeldeten montäglichen Protesten gegen die Corona-Maßnahmen. Auch andere Vertreter*innen der extremen Rechten wie der NSU-Unterstützer und Hammerskin Thomas Gerlach sowie die Freien Sachsen gehörten zu den Teilnehmenden. Berger engagiert sich in der um das Frühjahr 2021 gegründeten Initiative EICAL (Elterninitiative gegen die Coronamaßnahmen Altenburger Land), für die er unter anderem Aufkleber herstellen lies, die eine - wohl um eine Strafbarkeit zu verhindern zu einer Blüte stilisierte - Judenstern-Abwandlung mit der Aufschrift "ungeimpft" zeigen. Eine solche trägt Berger bei den Demonstrationen auch selbst zur Schau. Auf Telegram verbreitet er unter anderem Beiträge von Querdenker Michael Ballweg.
2021 kandidierte Berger als Parteiloser für den Bundestag und erhielt dabei Unterstützung unter anderem von Andreas Sickmüller, einer führenden Figur des Altenburger Bürgerforums. In einem Wahlbeitrag im September 2021 behauptete Berger:
Die Zahl der Impf-Opfer hat die der Corona-Erkrankung längst überholt. Die wahren Zahlen der Opfer [...] werden, wie die der Gen-Spritzen verschwiegen bzw. manipuliert, die an anderen Krankheiten Gestorbenen und Verkehrstoten werden als Corona-Tote umdeklariert [...].
Bergers Falschbehauptungen wurden unter anderem im "Neuen Gera" (Ausgabe vom 3. September 2021) veröffentlicht, einem lokalen Anzeigenblatt, das ebenfalls durch seine rechtspopulistischen Beiträge auffällig geworden ist.
Trotz seiner Positionen erfährt Berger in Altenburg statt Ächtung weiterhin Achtung als selbständiger Unternehmer und Förderer lokaler Vereine. Im von Berger 2015 mitbegründeten Netzwerk "Farbe bekennen" tummeln sich unzählige Gewerbetreibende, die bis heute auf eine Distanzierung verzichten. Aufrufe wie die in bürgerlichem Gewand aus Richtung Bürgerforum und Berger kommende Petition zur Wiedereröffnung der Geschäfte in der Corona-Krise unterzeichnen sie bereitwillig und unkritisch.
Das Ladengeschäft von Berger Brillen am Kornmarkt 11 in Altenburg dient derweil der lokalen rechten Szene als Verteilstelle für Propagandamaterial wie von Berger entworfenen Anti-Impf-Stickern, Zeitungen des Bürgerforums und der AfD, als Sammelstelle für Unterschriftenlisten zu den Bürgerforums-Kandidaturen zur Kommunalwahl 2018 und als Postadresse für Zuschriften ans Bürgerforum.
Zum Fuhrpark gehören mehrere mit "Brillen Berger"-Werbung bedruckte Fahrzeuge. Neben dem in den Vorfall verwickelten Peugeot mit dem Kennzeichen ABG GB 90 fährt Berger unter anderem einen einem Ferrari nachgebildeten Sportwagen mit dem Kennzeichen ABG GB 19, einen VW Bus ("DIESEN BUS STEUERT EIN DEUTSCHER FAHRER !!!"), u.v.m. Bilder finden sich auf der Internetseite von "Brillen Berger" und auf Facebook.
Daneben stellt Berger seine Räumlichkeiten in der Leipziger Straße 22 in Altenburg der "Galerie Altenburg" zur Verfügung, als deren Sprecher er auch auftritt. In der Galerie fanden unter Umgehung der Corona-Maßnahmen öffentlich auf Telegram beworbene Kneipen-Treffs "unabhängig vom Impfstatus" statt, an denen auch andere Mitglieder des Bürgerforums teilnahmen.
Kritik: Das Verhalten der Polizei
Während allen Versammlungen waren Polizist*innen vor Ort, auch bei den spontanen. Obwohl nach eigenen Angaben der Polizeidirektion Leipzig am 26. November 1500 Polizeibeamt*innen im Einsatz waren wurde bei vielen Versammlungen nicht darauf geachtet, den Verkehr umzuleiten und diese vor möglichen Attacken durch Kraftfahrzeuge zu schützen. Dabei sind Pkw-Angriffe von Rechten schon vorgekommen, "Auto als Waffe", auch in Henstedt-Ulzburg ( Interview nach "vehicle attack" auf Antifas in Henstedt-Ulzburg) und auch in Leipzig sind zwei Ereignisse dokumentiert.
Die Polizeidirektion Leipzig berichtete in ihrer Pressemitteilung vom 26. November nicht über den Vorfall mit Berger, obwohl sein Fahrzeug im Kreisverkehr gestoppt wurde. Erst am Montag schrieb die Polizeidirektion Leipzig:
Im Zusammenhang mit einer Sitzblockade im Bereich der Karl-Tauchnitz-Straße Ecke Grassistraße soll es nach bisherigen Kenntnissen der Polizei zu einem Zwischenfall zwischen einem Fahrzeug und Versammlungsteilnehmenden gekommen sein. Die Ermittlungen dazu stehen hierzu noch am Anfang. Den ersten Erkenntnissen der aufnehmenden Einsatzkräfte zufolge soll ein Pkw-Fahrer versucht haben, die Versammlung, deren Teilnehmende auf der Straße saßen, zu umfahren. Die Schilderungen des betroffenen Fahrers zum Geschehen weisen deutliche Unterschiede zu den Aussagen einzelner Twitter-Accounts auf. Erkenntnisse zu verletzten Personen in diesem Zusammenhang liegen der Polizei derzeit nicht vor.
Die Polizei bittet in der Meldung um Hinweise, lässt aber unerwähnt, dass selbst Polizist*innen bei der Versammlung waren, ebenso, dass sich in direkter Nähe eine Polizeisperre in Richtung des Simsonplatz befand.
Kritik: Der Artikel der LVZ zum Vorfall
Journalist*innen der Leipziger Volkszeitung (LVZ), Andreas Tappert und Antonie Rietzschel, berichteten am Montag nach Meldungen auf Twitter über die Tat und befragten dazu auch Berger. Andreas Tappert fiel in der Vergangenheit mit seiner Nähe zur AfD auf. In dem Artikel werden nicht nur das Altenburger Bürgerforum und die Person Gebhard Berger verharmlost, sondern auch Aussagen Bergers ohne Einordnung wiedergegeben. Kritische Fragen zum Verhalten der Polizei und den nicht statt gefunden Ermittlungen fehlen.
Meinung: Was tun?
Nach allem was vom Tag bekannt ist raten wir dringend davon ab sich als Zeug*in bei der Polizei zu melden. Die Polizei vor Ort hat nicht nur die Situation überhaupt erst zugelassen, sondern auch behauptet, von alldem nichts mitbekommen zu haben. Verfahren gegen rechte Täter*innen führen außerdem oft zu Gegenanzeigen, aufgrund derer die Ermittlungsbehörden aus von rechter Gewalt Betroffenen schnell vermeintliche Täter*innen konstruieren. Über ihr Akteneinsichtsrecht können Rechte zudem Zugriff auf Namen und Adressen von Betroffenen und Zeug*innen erhalten. Wenn ihr trotzdem über eine Anzeige als Betroffene*r oder Meldung als Zeug*in nachdenkt, dann besprecht euch zuvor mit vertrauenswürdigen Anwält*innen.
Wir schlagen vor, lieber auf Plattformen wie Indymedia weitere Augenzeug*innenberichte zu veröffentlichen und so zur Aufklärung beizutragen. Gedächtnisprotokolle können auch beim Ermittlungsausschluss Leipzig abgegeben werden.
Warnt andere Menschen vor Gebhard Berger aus Altenburg. Die Möglichkeit in Versammlungen zu fahren um Menschen zu verletzten und dabei auf eine an Aufklärung desinteressierte Polizei zu treffen wird Berger, aber auch andere Rechte, darin ermutigen weitere Attacken mit Fahrzeugen zu begehen.
Für Veranstalter*innen von linken Demonstrationen, aber auch von Blockaden, müssen für die Zukunft Konzepte überlegt werden, wie sie sich vor Attacken von Rechten mit Fahrzeugen schützen können. Nach der Attacke mit Berger stellte die Versammlung eigenmächtig Hamburger Gitter vom Straßenrand als Schutz auf die Straße.
Hinweis: Sollten Journalist*innen Informationen aus diesem Artikel oder von anderen verlinkten Beiträgen verwenden, so ist dies bitte in ihren Publikationen kenntlich zu machen.