[B] Hört das Senats-Theater nie auf?
Wieder betrügt und demütigt der Berliner Senat Flüchtlinge. Wieder will keiner von den Polit-Arschlöchern dieser Republik die Forderungen der Refugees hören. Wieder soll ein massives Polizeiaufgebot das absichern. Und wieder erweisen wir uns zu schwach, dem etwas entgegenzusetzen.
Seit knapp zwei Jahren protestieren Geflüchtete aus dem ganzen Bundesgebiet gegen die deutsche Praxis der Residenzpflicht sowie gegen die Pflicht, in Wohnheimen leben zu müssen. Auch wenn die diversen Betreiberfirmen das Wort „Lager“ nicht gerne hören, so handelt es sich in den meisten Fällen genau um solche. Weit ab vom Schuss, ohne Kontaktmöglichkeiten zur normalen Bevölkerung, mit abgepacktem Plastikessen und ohne Beschäftigungsmöglichkeiten. Im Endeffekt sind die Zustände dort nicht viel besser, als in einem regulären Gefängnis, was dann wiederum die Frage aufwirft, warum das so sein muss.
Die Zustände mögen von Einrichtung zu Einrichtung unterschiedlich sein und in anderen europäischen Ländern sieht es nicht besser aus, trotzdem bleibt festzuhalten, dass man in Deutschland im Knast landet, wenn man die Frechheit besitzt, auf der Suche nach einer besseren Zukunft dieses Land hier zu betreten.
Wie groß war die Aufregung vor zwei oder drei Jahren, als Dänemark während der Hauptferienzeit laut darüber nachgedacht hat, wieder Grenzkontrollen einführen zu wollen? Während wir, als BewohnerInnen der ersten Welt, wie selbstverständlich voraussetzen, dass wir reisen dürfen, wohin auch immer unser Herz begehrt, gilt für einen Großteil der Weltbevölkerung, dass sie dort zu bleiben hat, wo das Glücksspiel der Geburt sie hinkatapultiert hat. Wer dagegen revoltiert, weg geht, flieht, stößt auf Mauern, Zäune und militärisch ausgerüstete Grenzwächteragenturen und wer auch diese Hindernisse überlebt hat, ist immer noch nicht am Ziel, sondern wird für diese Dreistigkeit auch noch bestraft und schikaniert. Die Tragödie um die europäische und internationale Flüchtlingspolitik ist der offensichtlichste Beweis dafür, dass der Kapitalismus ein absolut ungerechtes Dreckssystem ist.Eine kalte Maschine, der Einzelschicksale vollkommen gleichgültig sind, ein Mahlwerk, das läuft und läuft und jeden zerquetscht, der ihr unter die Räder kommt.
Anders lässt es sich nicht erklären, dass Springers Berliner Schmierenblatt B.Z. gestern mit der Schlagzeile „Hört das Flüchtlings-Theater denn niemals auf?“ einen Artikel zur aktuellen Entwicklung um den Berliner Refugee-Protest überschrieb. Ganz so, als wären die verzweifelten Menschen, die da auf einem Dach stehen und mit Selbstmord drohen, Darsteller einer etwas nervigen Streetperformance, über die man angewidert mit den Augen rollt. Man könnte kotzen über sie viel Borniertheit, handelt es sich bei der neuesten Eskalation der Flüchtlingsproteste schließlich um eine Reaktion auf die Verarschungspolitik des Berliner Senats, der im Gegenzug zur „friedlichen Räumung“ des Protestcamps auf dem Kreuzberger Oranienplatz und der Gerhart-Hauptmann-Schule so allerhand versprochen hat und nun alle Versprechen bricht. Waren die Vereinbarungen, die im April kurz vor der Räumung des O-Platzes, mit VertreterInnen der Refugees getroffen wurden, ohnehin recht vage, stellt sich nun heraus, dass der Senat offensichtlich zu keinem Zeitpunkt gewillt war, auch nur den kleinsten Teil der Zusagen auch wirklich umzusetzen.
Neben einer wohlwollenden Einzelfallprüfung, von der sich Asyl-ExpertInnen sowieso nichts erhofft haben, wurde den TeilnehmerInnen des Refugee Protests, die sich freiwillig bei den Behörden gemeldet und sich kooperativ gezeigt haben, versprochen, dass sie sechs Monate lang Sozialleistungen sowie eine Unterkunft bekämen. Nun gab der Berliner Senat am Montag bekannt, dass die Einzelfallprüfungen abgeschlossen seien und die Geflüchteten aus ihren Unterkünften auszuziehen haben. Mit einem Großaufgebot an Polizei setzten die Behörden dann auch Dienstag morgen gleichzeitig den Auszug mehrerer hundert Gefüchteter in drei unterschiedlichen Einrichtungen in Berlin durch, wobei es im Hostel an der Gürtelstraße im Berliner Bezirk Friedrichshain zu Protestaktionen kam. Mehrere Personen hatten sich aufs Dach des Hauses begeben, und drohten damit, sich in den Tod zu stürzen, falls die Polizei das Gebäude stürmt, was das Kampfblatt der bürgerlichen Presse dann wiederum als Theateraufführung interpretierte.
Wie viel Dreistigkeit und Lügen kann ein Mensch ertragen? Wie viel Respektlosigkeit und Demütigung? Dass Sozialsenatorin Dilek Kolat, die maßgeblich für die im April getroffene Einigung verantwortlich war, es mit ihren Zusagen nicht so genau nimmt, dürfte niemanden überraschen. Dass der Berliner Innensenator Frank Henkel, zu keinem Zeitpunkt gewillt war, diese lasche Vereinbarung überhaupt ernsthaft anzugehen, ebenfalls nicht. Dass es der gesamten politischen Klasse seit zwei Jahren scheißegal ist, was die protestierenden Refugees wollen, denken oder fordern ist offensichtlich. Seit zwei Jahren, seit zwanzig Jahren, seit der faktischen Abschaffung des Asylrechts in Deutschland bewegt sich nämlich überhaupt nichts in dieser Frage. Die Geflüchteten können sich auf den Kopf stellen, sie können hungern und ein Camp in der Mitte der Stadt errichten, als Stachel im Fleisch der Gesellschaft, sie können zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken – es ändert sich nichts. Gar nichts. Ihre Bewegung wird ausgesessen, zerschlagen und korrumpiert. Dass es ausgerechnet dieselbe Gruppe war, die am Montag Nachmittag versuchte, den Oranienplatz wieder zu besetzen, die auch maßgeblich verantwortlich dafür war, dass er überhaupt abgerissen und „freiwillig“ geräumt wurde, ist nur eine ironische Fußnote in dieser Geschichte. Mit starker und rabiater Polizeipräsenz wurde sofort dagegen eingeschritten. Die anschließende Demo am Montag Abend war laut, stark, stimmungsvoll und mit rund Tausend TeilnehmerInnen auch gut besucht, doch bereits am Dienstag Abend fanden sich nur noch rund 400 Menschen zu einer gemeinsamen Demonstration am Frankfurter Tor ein. Die Taktik des Berliner Senats, das Movement zu zerstreuen, ihm die zentralen Orte zu nehmen und es eben doch zu „evicten“ droht also aufzugehen.
Es gilt in diesem Sinne über neue Aktionsformen, Orte und Konzepte nachzudenken, um den Protest gegen die ungerechte und desolate europäische Flüchtlingspolitik aufrecht zu erhalten und den Forderungen der Geflüchteten Nachdruck zu verleihen. "Solidarität muss praktisch werden, Feuer und Flamme den Abschiebebehörden" nur zu rufen, könnte sich als zu wenig erweisen.
Von Thomas Hunter | lowerclassmagazine ( blog / facebook / twitter )