Berlin: Wieder Störpropaganda gegen die Bundeswehr
Kaum muss die Bundeswehr nicht mehr gegen die Taliban kämpfen, tut sich eine neue Bedrohung auf. Eine Kommunikationsguerilla greift mitten in Berlin am hellichten Tag mit veränderten Werbeplakaten den Ruf des Militärs an. „Das ist Störpropaganda gegen die Bundeswehr!“, befand der Staatsschutz des LKAs und leitete schon im Mai entsprechende Ermittlungen gegen eine andere Aktion ein. Dadurch motiviert hingen Aktivist*innen heute erneut knapp über 30 Poster unerlaubt in Werbevitrinen. „Laut StGB ist 'Störpropaganda gegen die Bundeswehr' geeignet, die Tätigkeit der Bundeswehr zu stören. Wenn man dem LKA glaubt, dass dieses Ziel schon mit unseren Postern erreicht wird, dann sollten wir so oft wie möglich plakatieren“, findet Marcelle Brechbohnert, Sprecher*in der Aktionsgruppe.
Eigenartige Werbung
Die täuschend echt gedruckten Poster im Flecktarn-Polygon-Design provozieren allerhand Reaktionen. Vor dem Plakat mit dem Slogan „Jeder Tote ist ein kleiner Schritt zum Weltfrieden“ bleiben Menschen sichtlich verwirrt stehen und diskutieren über die Bedeutung des Schriftzugs. Dem Spruch „Nicht jeder Soldat ist ein Nazi“ mit der Zusatzbemerkung „Aber verdammt viele Nazis sind Soldaten“ stimmten einige Passant*innen sogar lautstark zu. Weitere Slogans lauten: „Munition & Menschenleben – ein bisschen Schwund ist immer“, „Wir suchen Klimakiller (m/w/d)“ und „Ausbeutung gewaltsam verteidigen.“
Behörden auf Hochtouren
Dass die Bundeswehr mit Adbustings lächerlich gemacht wird, reichte dem LKA Berlin in der Vergangenheit als Grund für mindestens fünf Hausdurchsuchungen und zehn DNA-Analysen von en Bundeswehrpostern. Und der Berliner Verfassungsschutz meldete in 2018/19 gleich drei Adbusting-Aktionen ans Terrorabwehrzentrum GETZ. Das rief breiten Protest auch in Jura-Kreisen hervor. Prof. Dr. Fischer-Lescano (Uni Bremen) und Prof. Dr. El-Ghazi (Uni Trier) unterstützen eine Betroffene bei einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Hausdurchsuchung. In einem Gutachten zum Fall schrieb Prof. Dr. Fischer-Lescnao: „Das Vorgehen gegen spezifische Meinungsinhalte wird von Art. 5 GG grundsätzlich untersagt. Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt.”
Einsichtige Staatsanwältin
Nach einem gescheiterten Gerichtsprozess, der im Herbst 2019 mit einer Einstellung endete, ist auch die Berliner Staatsanwaltschaft mittlerweile dieser Meinung. Im Mai 2020 lehnte die Behörde weitere Hausdurchsuchungen ab und stellte ein Adbusting-Verfahren ein. Das Aufhängen eigener Poster in Werbevitrinen sei nicht strafbar, wenn nichts gestohlen oder beschädigt werde.
Veränderte Poster am Kriegsministerium
Lediglich knapp ein Jahr später nahm das LKA einen neuen Anlauf zur Kriminalisierung von kreativen Protestformen. Im Mai 2021 mobilisierten in Berlin Antimilitarist*innen zum „Tag ohne Bundeswehr 2021“. Deshalb hingen sie in den Nachbarschaften rund ums Kriegsministerium veränderte Werbeposter auf. Eigentlich sollten die Poster mit Bildern von Wellen, Seegang und Kriegsschiffen für die Marine werben. Doch die Aktivist*innen übermalten die Poster täuschend echt und änderten die Slogans in „Rumballern statt Retten. Statt Flüchtlinge im Mittelmeer zu retten rüsten wir auf“ und „Volle Kraft voraus in die Klimakrise. Statt Klimaschutz zu fördern rüsten wir auf.“
„Annegret Kramp-Knarrenbauer“ ruft zum Adbusten auf
Um die Wirkung der Aktion noch zu verstärken, verteilten die Aktivist*innen in den angrenzenden Häusern 5000 Flugblätter. Diese stammten augenscheinlich vom Kriegsministerium. Eine angebliche Kriegsministerin Annegret Krupp-Knarrenbauer verkündete: „Wir kämpfen auch dafür, dass Sie gegen uns sein können.“ Ihre Reaktion zur vorausgegangenen Adbusting-Aktion: „Halten Sie sich auch in Zukunft nicht mit Kritik an der Bundeswehr zurück. Das ist ihr gutes Recht.“ Weiter machte die angebliche Kriegsministerin auf den Tag ohne Bundeswehr aufmerksam und forderte auf, an dem Aktionstag mit eigenen Plakat-Veränderungen teilzunehmen, diese zu fotografieren und in den Sozialen Medien zu teilen, „damit wir Ihre Meinung zur Kenntnis nehmen können.“
Störpropaganda oder Satire?
Das echte Verteidigungsministerium reagierte fast humorvoll: „Bei den Postwurfsendungen handelt es sich um eine Kunstaktion, welche man offensichtlich dem Formenkreis der Satire zuordnen kann.“ Ganz anders sahen dies die berüchtigten Beamt*innen beim Staatsschutz im LKA und sie erfasste mal wieder der Arbeitseifer. Bereits wenige Tage nach der Aktion lag das Ermittlungsverfahren mit einer neuen Kriminalisierungs-Idee bei der Staatsanwaltschaft. Der Vorwurf: „Störpropaganda gegen die Bundeswehr“. Die Adbuster*innen hatten bereits gewitzelt, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis das LKA diesen Paragrafen anwenden würde. „Doch wir konnten uns nicht vorstellen, dass die echt so blöd sind“, merkt Marcelle Brechbohnert kopfschüttelnd an.
Paragraph ohne praktische Bedeutung
Denn im einschlägigen Strafrechtskommentar von Prof. Dr. Thomas Fischer heißt es: „Die Vorschrift hat keine praktische Bedeutung“, weil die Tatbestandsmerkmale „kaum zu verwirklichen“ seien (Fischer, Thomas: Strafgesetzbuch und Nebengesetze. Becksche Kurzkommentare. § 109d, RN 1). Tatbestandsmerkmal des § 109d „Störpropaganda gegen die Bundeswehr“ ist u.a. „die Behinderung der Bundeswehr bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bei der Landesverteidigung.“ Prof. Fischer betont deshalb in seinem Kommentar, dass die Strafvorschrift nicht für andere Bereiche gelte. Auch werde die Meinungsfreiheit durch diesen Paragraphen nicht eingeschränkt. Deshalb seien Aussagen wie „die Offiziere sind alle Lumpen“ oder „die Soldaten sollen durch Schinderei und Unterdrückung zum Mord auf andere Völker abgerichtet werden“ nach dieser Vorschrift nicht strafbar (RN 4).
Jetzt wieder Adbustings am Kriegsministerium
„Um den hitzigen Ermittlungen des LKA die gebührende Aufmerksamkeit zu geben, haben wir jetzt weitere gefälschte Bundeswehrposter aufgehängt”, erklärt Marcelle Brechbohnert. „Dabei waren wir so nett, auf die von den Postern ausgehende Gefahr mit großen Warnaufklebern hinzuweisen“, schmunzelt sie*. „Achtung! Störpropganda!“ ist auf den auf die Glasscheiben der Werbevitrinen geklebten Warnhinweisen in großen Buchstaben zu lesen. Weiterhin klärt ein kurzer Text über die laufenden Ermittlungen der Berliner Polizei gegen Bundeswehr-Adbustings auf. Diese Adbustings wurden, wie schon Monate zuvor von der Gruppe „Außenwerbung kunstvoll kapern“, in der Umgebung des Verteidigungsministeriums in Berlin aufgehängt.
LKA verfolgt Meinungen
Doch warum reagieren die Beamt*innen in den Fluren des alten Flughafens am Tempelhofer Damm so über? Eine Erklärung bieten Aktennotizen aus anderen Strafverfahren gegen Adbuster*innen. Diese zeigen, dass das LKA Adbuster*innen mit Hausdurchsuchungen und DNA-Analysen zu Leibe rückte, weil Adbustings die Bundeswehr „gar lächerlich“ machen.
LKA verfolgt Fakten
Unter dem mit Reichsadlern dekorierten Dach haben die Staatsschützer*innen auch sonst mitunter merkwürdige Einfälle. So gab es beispielsweise am 15. Juli Hausdurchsuchungen bei den Ersteller*innen der Webseite tearthisdown.com. Auf dieser Webseite, die unter anderem von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland ins Leben gerufen wurde, werden schlicht Standorte kolonialistischer Denkmäler und Straßennahmen in Deutschland gesammelt. Die Liste verdeutlicht die Allgegenwärtigkeit von Rassismus. Das ist zwar kein Straftatbestand im StGB, aber dem LKA und der Berliner Staatsanwaltschaft reicht es offenbar trotzdem für eine Reihe von Hausdurchsuchungen.
LKA voller Nazis
In dieser Behörde häufen sich die Einzelfälle. 2018 kam an die Öffentlichkeit, dass die Staatsschützer des LKAs sich in ihren Chatgruppen mit „Heil Hitler“ grüßen. In der Vernehmung gab der Dienstvorgesetzte an, dies „nicht kritisch hinterfragt“ zu haben. Mit „Heil Hitler“ zu grüßen gilt beim Staatsschutz also als völlig normales Sozialverhalten. Bereits 2014 wurde öffentlich, dass in den Chatgruppe des Staatsschutz problematische Weihnachtsgrüße kursierten. Die Beamt*innen verschickten ein Bild von Adolf Hitler als Weihnachtsmann mit der Sprechblase „Ho-Ho-Holocaust“ und ein Bild eines Weihnachtsbaum vor einer Hakenkreuz-Fahne und Weihnachtskugeln mit Hakenkreuzen. Dazu der Satz „Zum Glück ist alles HEIL!“ Beamte des Staatsschutzes teilten polizeiliche Daten mit der AfD. Und natürlich „rein privat“ schreiben Beamt*innen des LKAs Drohbriefe an Linke.
Tragische Konsequenzen hatte es, als der Staatsschutz den Attentäter Anis Amri von der Observationsliste strich, um linke Hausprojekte überwachen zu können. Kein Wunder, dass sich solche autoritären Charaktere auch über veränderte Werbeplakate der Bundeswehr ärgern.