Wahldebakel und Widerstand

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In Österreich haben die rechten und rechts-nationalistischen Kräfte spätestens bei den Nationalratswahlen am 15. Oktober gezeigt, dass sie auf dem Vormarsch sind. Hanna Lichtenberger und re:volt-Redakteurin Johanna Bröse sprechen über bisherige Strategien und Möglichkeiten des Widerstands.

Das Ergebnis der österreichischen Nationalratswahl am vergangenen Sonntag bietet keinen Anlass zur Freude: Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) mit ihrem Rechtsaußen-Antreiber Sebastian Kurz und seiner auf ihn zugeschnittenen „Liste Kurz“ konnte mit circa 31,5 Prozent klar die Wahlen für sich gewinnen. Auch die rechtsradikale FPÖ hat mit 26,0 Prozent mehr als fünf Prozentpunkte seit den letzten Wahlen aufgeholt. Die SPÖ hingegen hat mit ebenfalls rund 26,9 Prozent ein denkbar schlechtes Ergebnis eingefahren, die Grünen flogen gleich ganz aus dem Nationalrat. Dezidiert linke Parteien und Bündnisse, etwa die KPÖ+, schafften es kaum, die für die Wahlkampfkosten-Rückerstattung wichtige Ein-Prozent-Marke zu überschreiten.

Hanna Lichtenberger ist Politikwissenschaftlerin in Wien und analysiert schon seit Jahren die politischen Entwicklungen des Landes. Sie hat ihre Eindrücke der Nationalratswahlen 2017 und die Perspektiven für linke Strukturen in Österreich mit re:volt-Redakteurin Johanna Bröse diskutiert. Herausgekommen ist ein recht desillusionierter Abriss davon, welches neue, autoritäre und neoliberale Gesellschaftsmodell damit etabliert wird und welche Möglichkeiten linke Kräfte in Österreich momentan haben. Und darüber, was dringend notwendig wäre, damit sich daran wieder etwas ändert.

 

Johanna: Wenige Tage nach der Wahl habe ich das Gefühl, dass viele meiner Genoss_innen in Österreich in einer Art Kältestarre sind, zumindest, was die Formulierung von einem klaren „Wie weiter?“ angeht. Dabei kam das Ergebnis doch nicht ganz unerwartet, oder? Ich meine, die FPÖ, aber auch die ÖVP lehnen sich jetzt letztlich auf ihre Politik der Ressentiments und der Polarisierung zurück, welche sie in den vergangenen Monaten und Jahren unablässig ausgebaut und ausgepolstert haben.

 

Hanna: Stimmt, das Ergebnis kam nicht unerwartet. Der FPÖ-Obmann Strache hat bei der Wahlparty gesagt, 60 Prozent der Wähler_innen hätten für ein FPÖ-Programm gestimmt. Strache hat Kurz immer wieder vorgeworfen, bei ihm abgeschrieben zu haben und tatsächlich ähneln sich die Programme enorm. Das zeigt, was viele Beobachter_innen schon seit zwei Jahren sagen: Wir erleben in Österreich einen massiven Rechtsrutsch. Und der Stimmenzuwachs für die FPÖ ist nur ein Ausdruck davon. Die ganze politische Debatte in Österreich und die meisten Parteien sind mitgerutscht. Forderungen, die früher aus der Mitte der Gesellschaft kamen, Arbeitszeitverkürzung, die soziale Absicherung aller, der freie Hochschulzugang und anderes, stehen jetzt am linken Rand. Viele meiner Freund_innen haben sich darüber gewundert, dass die Wahlkabine meint, sie hätten die meiste Überschneidung mit der KPÖ gehabt. Kein Wunder, wenn die mit einem guten links-sozialdemokratischen Programm antritt, während alle anderen ungebremst nach rechts geschwenkt sind – sprachlich wie inhaltlich.

 

Johanna: Autoritarismus und Nationalismus werden hierfür seit Jahren in der bürgerlichen Mitte und bis weit in die prekarisierten Klassen hinein strategisch genährt und vorangetrieben. Nach oben buckeln und nach unten treten wird als staatlich anerkannte Haltung gefördert, und gleichzeitig werden die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen real immer prekärer und unsicherer. Es scheint ja damit recht egal, ob die FPÖ dann in der Regierungskoalition mit den türkisen Konservativen oder gar den vermeintlichen Sozialdemokraten der SPÖ zusammenarbeitet oder in die Opposition geht: Demokratieabbau und rassistische Spaltung, restriktive Abschottungspolitik, Sanktionierungen nach innen, verstärkte Aushöhlung der Arbeitsrechte und eine Ausweitung neoliberaler Wirtschaftspolitik werden zukünftig auf der Agenda des Staatsprojekts ganz oben stehen. Oder?

 

Hanna: Nein, ganz egal ist es nicht – für die Sozialdemokratie wäre es aus meiner Perspektive der Untergang. Aber die FPÖ hat im Wahlkampf bereits darauf hingearbeitet, eine Koalition mit der ÖVP vorzubereiten. Die internen strategischen Differenzen zwischen dem national-sozialen Flügel und dem neoliberal-autoritären Flügel sind in wirtschaftspolitischen Fragen entschieden worden: Mit dem lange aufgeschobenen Wirtschaftsprogramm zeigt die FPÖ glasklar, dass sie die Partei der Banken, der Reichen und Konzerne ist. Die Wirtschaftsprogramme von FPÖ und ÖVP ähneln sich auffällig stark und in den TV-Duellen konnten Differenzen lediglich in der Frage ausgemacht werden, wer mehr gegen den Islam ist und wer mehr Flüchtlinge abschieben will. Beide setzen in der Kommunikation auf rassistisch besetzte soziale Themen: Die FPÖ plakatierte die Fairnesskrise und die ÖVP die neue Gerechtigkeit. Beide verknüpften etwa die Frage der Differenz zwischen Löhnen und Mindestsicherung, aber auch die grundsätzliche Sicherung des Sozialstaates mit der Migrationsfrage.

 

Johanna: Dieses Sündenbock-Syndrom zeigt nur einmal mehr die fundamentale kapitalistische Krise, welche in Europa immer mehr durch rechte Formierungen und Staatsprojekte bearbeitet wird. Es scheint mir allerdings, dass die rassistische Beantwortung der sozialen Frage auf sehr dünnem Eis gebaut ist: Arbeitsplätze abbauen, Mindestlöhne unterwandern, Mietpreise in die Höhe treiben und alles dann den „Anderen“, den Flüchtlingen, den Muslim_innen usw. in die Schuhe schieben, das funktioniert doch nicht auf Dauer. Das Ausspielen von Geflüchteten gegen andere Prekarisierte und von Abstiegsängsten bedrohte Menschen sowie Kürzungen bei beiden Lagern werden nicht ausreichen, um die neoliberalen Verhältnisse im Sinne der Bourgeoisie, vor allem der Wirtschaftseliten, zu stabilisieren.

 

Hanna: Aber zunächst funktioniert es sehr gut. Die Wirtschaftsprogramme zeigen ja ziemlich deutlich, worum es geht: Die Abgabenquote soll auf 40 Prozent gesenkt werden, 12 bis 14 Milliarden Euro soll das kosten, finanziert werden soll dies unter anderem mit Einsparungen im Gesundheits- und Sozialsystem. Kürzen will die FPÖ etwa im Sozialbereich, konkret 3,8 Milliarden. Um diese für Österreich gigantische Summe erreichen zu können, muss das Schwarz-Blaue Projekt die großen Finanzposten des Sozialbudgets angreifen – das Arbeitslosengeld, die Mindestsicherung und die Pensionen. Das Einsparungspotential bei den Sozialversicherungen, von dem Schwarz und Blau träumen, ist ebenfalls ohne Leistungskürzungen unmöglich. Sie wollen zwei Drittel aller Verwaltungskosten streichen. Das ist völlig unrealistisch, da schon jetzt nur zwei von 100 ausgegebenen Euro der Krankenversicherung für Verwaltung ausgegeben werden. Der Rest kommt Versicherten zugute. Mieter_innen werden nicht entlastet – von der Mietpreisobergrenze oder der Abschaffung von Makler_innengebühren für Mieter_innen kann keine Rede sein. Kurz will Eigentum fördern – aber wer kann sich das schon leisten, wenn selbst die Miete zur Belastungsprobe wird. Außerdem stehen uns wohl mit der Überarbeitung des Mietrechts weitere Angriffe bevor. Es geht gerade so weiter. Auch die Mindest-Körperschaftssteuer soll gestrichen werden – das erleichtert Unternehmen die Steuervermeidung, weil es Kurzfrist-Gründungen und Schachtelkonstruktionen erleichtert. Außerdem will die FPÖ die, als Folge der Finanzkrise verschärfte, Bankenregulierung (konkret Basel III) wieder lockern. Und natürlich: Eine Erbschafts- oder Schenkungssteuer wird es unter Schwarz-Blau nicht geben.

 

Johanna: Das sind heftige Angriffe auf diejenigen, die unter den bisherigen Reformen auch schon marginalisiert wurden. Es ist offensichtlich: Wer von Schwarz-Blau profitieren wird, ist die herrschende Klasse. Und zudem, das würde ich so sehen, scheint das ja auch die favorisierte Alternative für die Herrschenden zu sein – also ich lese da zumindest keinen Widerstand.

 

Hanna: Das wird auch recht offen so kommuniziert, wenn man nur etwas genauer hinschaut. Um alle diese Angriffe durchsetzen zu können, wird Schwarz-Blau die stärkste Arbeitnehmer_innenvertretung angreifen – die Arbeiterkammer. Praktisch alle Arbeitnehmer_innen sind Pflichtmitglieder in der Arbeiterkammer und zahlen auch 0,5 Prozent ihres Bruttolohns als Mitgliedsbeitrag. Die FPÖ forderte im Wahlkampf die Aufhebung der Pflichtmitgliedschaft in Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer – ob dies mit der ÖVP gegen die Wirtschaftskammer durchsetzbar ist, wird sich zeigen. Eine Mehrheit jedenfalls wird es dafür geben, die Beiträge herabzusetzen und so die Arbeiterkammer empfindlich zu schwächen. Klar ist, dass dies auf Kosten der politischen Lobbyarbeit der Arbeiterkammer gehen soll.

Das Ausmaß der Parteien-Misere

Johanna: Ich kann mir vorstellen, dass die meisten Leser_innen gar nicht so genau Bescheid wissen, wie die Parteienlandschaft in Österreich aufgestellt ist. Ich könnte sagen: Es ist ein ziemlich trauriges Thema, weil die fortschrittlichen sozialistischen Kräfte innerhalb des Ganzen wirklich kaum sichtbar sind. Die Strukturen werden nicht als linke Alternative wahrgenommen. Es heißt, das parlamentarische Spektrum linksseitig der „Mitte“ sei noch nie so schwach vertreten wie heute. Kannst du die Gelegenheit nutzen, da mal ein bisschen Licht darauf zu richten?

 

Hanna: Ja, ich kann das ganze Feld, welches von der Mitte ausgehend nach links reicht, ja einmal anhand der einzelnen Akteur_innen darstellen. Aber erfreulich ist es wirklich nicht, da hast du recht. Christian Kern hat vor eineinhalb Jahren die SPÖ, die wirtschaftspolitisch nicht ganz mit der SPD zu vergleichen ist, übernommen. Im Januar 2017 gab es dann eine Regierungskrise nach der Präsentation des Plan A. Kern hatte zu der Zeit relativ gute Umfrageergebnisse, die sich erst gedreht haben, als Sebastian Kurz’ Putsch in der ÖVP erfolgreich war. Ab dann ging es für die SPÖ in den Umfragen stark bergab – aus unterschiedlichen Gründen. Kerns Ziel, den ersten Platz zu verteidigen und Schwarz-Blau zu verhindern, scheiterte. Aber die SPÖ, der der Boulevard phasenweise 20 Prozent in den Umfragen zugeschrieben hat, scheint zumindest ein wenig erleichtert darüber, dass der Totalabsturz verhindert werden konnte. So viele Fehler im Wahlkampf bei den Spitzenfunktionär_innen auch passiert sind (die Anstellung des Beraters Tal Silberstein, der eine Dirty Campaigning-Facebook-Seite gegen Sebastian Kurz ohne das Wissen von Christian Kern einrichten ließ, die mit antisemitischen und antimuslimischen Ressentiments spielte – um nur ein Beispiel zu nennen), so war es aus SPÖ-Perspektive in den letzten Wochen dennoch gut, mit einem viel kämpferischeren Spitzenkandidaten auf soziale Themen zu setzen und vor Schwarz-Blau (ÖVP - FPÖ) zu warnen. Das Wiener Ergebnis, mit einem Plus von über drei Prozent, stärkt dabei zunächst den Wiener Kurs gegen Rot-Blau und die linken/liberalen Kräfte in der Sozialdemokratie. Umgekehrt hatte im Burgenland, dessen Landeshauptmann Hans Niessl im Wahlkampf immer wieder für ein mögliches Rot-Blau geworben hatte, die SPÖ herbe Verluste eingefahren. Zwar wohl weniger, weil die Wähler_innen diese Position abstrafen wollten (sonst hätte dies etwa die Grünen im Burgenland gestärkt), sondern weil eines mal wieder klar wurde: Wer rechte Politik als Sozialdemokrat_in macht, hilft mit, den Rechten die Stimmen zu besorgen.

 

Die SPÖ steht nun vor dem Dilemma, dass es gilt, Schwarz-Blau zu verhindern, das aber nur gelänge, wenn sie mit der FPÖ oder der ÖVP in eine Koalition geht. Beides sind unsägliche Optionen: Eine Neuauflage einer „großen Koalition“ (Schwarz-Rot) wäre meines Erachtens der absolute Untergang der Partei, der der FPÖ beim nächsten Mal 40 Prozent plus bescheren würde. Eine Koalition mit der FPÖ wäre die komplette Aufgabe des antifaschistischen Erbes und der Verrat an den Grundsätzen der Gleichheit, Freiheit und Solidarität, welche die Sozialdemokratie in Österreich in der Vergangenheit hochgehalten hat.

 

Die Glaubwürdigkeit, Politik für die 95 Prozent machen zu wollen, kann in beiden Koalitionsmöglichkeiten unter diesen Bedingungen nur verlieren. Also muss die SPÖ eigentlich in Opposition gehen. Das ebnet natürlich gleichzeitig Schwarz-Blau den Weg. Was kann sie sonst tun? Wenig bis nichts, wenn sie nicht konsequent Lehren aus dem Desaster zieht und den Karren mit einem gesamtparteilichen Linksruck (inklusive der Direktwahl des Vorsitzes, der Öffnung der Sektionen, etc.) versucht, aus dem Dreck zu ziehen.

 

Johanna: Und die Grünen? Also ich wäre ja froh, wenn wir weniger von dieser unsäglichen Partei in Deutschland hätten…

 

Hanna: Naja, dass die Grünen aus dem Parlament geflogen sind, ist in Österreich kein Grund zur Freude. Gerade im Menschenrechtsbereich, in Fragen von Asyl und Migration waren die Grünen eine sichtbare Kraft im Parlament mit einer anderen Erzählung. Aber auch die aktive antifaschistische Arbeit etwa von Karl Öllinger, Harald Walser, Albert Steinhauser oder Berivan Aslan werden fehlen. Größtes Problem der Grünen war sicher, dass die Strategie der SPÖ, wie schon bei den Wien-Wahlen im Jahr 2015, erneut funktioniert hat: Um die FPÖ (oder Schwarz-Blau) zu verhindern, müsse man die SPÖ wählen. Andere Probleme bei den Grünen sind aber hausgemacht: Der Rausschmiss der Jungen Grünen war ein Fehler. Eine Jugendorganisation für Kritik oder auch etwaigem Fehlverhalten rauszuwerfen, ist einer sich selbst als alternativ-links verstehenden Partei unwürdig. Dass Peter Pilz, der nun mit einer eigenen Liste im Nationalrat sitzt, nicht auf den von ihm exklusiv gewünschten vierten Platz gewählt wird, hat den Grünen – das zeigen auch Wähler_innenstromanalysen – letztendlich den Einzug ins Parlament gekostet. Man kann also zusammenfassen, dass die Zuspitzung auf die drei Spitzenkandidaten nicht nur für die Grünen, sondern auch für die Linke im engeren Sinn fatale Folgen gehabt hat. Und da kommen wir auch zu den genuin linken Gruppierungen: Obwohl der Wahlkampf von KPÖ Plus (dem Wahlbündnis zwischen der KPÖ und den Jungen Grünen, nachdem diese aus der Partei geschmissen worden waren) inhaltlich sehr gut und handwerklich professionell war, haben der Verlust von Stimmen und die hohe Wahlbeteiligung dazu geführt, dass das Ergebnis nicht nur unter den Erwartungen der Aktivist_innen, sondern auch unter dem Ergebnis des letzten Antritts lag. Auch, wenn es von Beginn an als ein erster Schritt in die Richtung einer sozialen Alternative am Stimmzettel konzipiert war, ist die Enttäuschung vieler, die im Wahlkampf aktiv waren, verständlich. Der Zeitpunkt dieses Projekt zu starten war denkbar schwierig, die Planungsphase mit den überraschenden Neuwahlen kurz, die Konkurrenz für Proteststimmen mit Peter Pilz, Gilt und anderen Minilisten groß.

Was tun?

Johanna: Für mich klingt das alles aber auch so, als seien die bestehenden Strukturen im Parlament nicht diejenigen, die aktuell zu einer grundlegenden Veränderung beitragen können. Du hast auch mal gesagt, dass die Linken generell die „Balkon-Muppets ihres eigenen Untergangs“ seien – ich fand das Bild sehr gelungen. Diese Schwierigkeit, innerhalb der Linken über eigene Grabenkämpfe hinaus zu kommen, sehe ich auch in Deutschland. Außerparlamentarisch wird die Frage der Selbstorganisation weiter in den Mittelpunkt gerückt; und auch unter dem Stichwort “Neue Klassenpolitik” gibt es ja aktuell in vielen Strukturen große und auch kontroverse Diskussionen. Da geht es viel um den Umgang mit veränderten Produktionsverhältnissen, um den stärkeren Einbezug von Rassismus und Sexismus in den Debatten, um die Frage nach Identitätspolitiken und gemeinsamen Plattformen, der Forderung nach Lohn für Hausarbeit und Organisierungsarbeit usw. Wichtig scheint mir, dass es hier auch immer wieder gute Ansätze gibt, wie eine verbindende Perspektive aussehen kann, die auch die Errungenschaften der bisherigen Klassenkämpfe nicht ausblendet; ich denke da etwa an die aktuellen Beiträge von Keeanga-Yamahtta Taylor zu dieser Debatte. Sie zeigt unter anderem, dass für die Spaltung der Arbeiter_innenklasse und ihre Übernahme von reaktionären Argumentationsmustern zwei Hauptgründe auszumachen sind: Wettbewerb um vermeintlich nicht ausreichende Ressourcen (und damit initiierte Verteilungskämpfe unter den Subalternen) und die ideologische Hegemonie der herrschenden Klasse. Wie sind denn so die Diskussionen, die in der Linken in Österreich geführt werden?

 

Hanna: Da machst du einen spannenden Punkt. Ich bekomme einiges nur noch am Rande mit. Aber dieses Wahlergebnis ist auf vielen Ebenen für die Linke in Österreich eine Herausforderung. Zum einen wird man sich auf den Linksruck der SPÖ in der Opposition vorbereiten müssen und dazu ein gutes strategisches Verhältnis aufbauen müssen. Nicht mit einem Fingerzeig, sondern auf eine kritische, aber grundsätzlich wertschätzende Art und Weise. Ich denke, es wird zwei Antworten in der Linken geben: Die einen werden mehr über radikale Klassenpolitik reden und die anderen werden sagen, es soll wieder verstärkt um Antirassismus gehen. Angesichts der Angriffe, die es definitiv von rechts geben wird, kann es wohl kein entweder/oder geben: Eine vernünftige Klassenpolitik ist immer antirassistisch und antisexistisch.

 

Johanna: Es ist ein dicht verwobener Diskurs um Sicherheitspolitik, Sozialstaatsabbau, Kulturalisierung von Armut und Kriminalität, antifeministischer Mobilisierung gegen Frauen* und selbstbestimmte Sexualität, der da weiter auf Österreich zurollt. Das Feindbild Islam dient dabei wie anderswo als zentraler Blitzableiter der Affekte, welche durch die Jahrzehnte neoliberaler Zurichtung unter kapitalistischen Verhältnissen bei den gebeutelten Menschen entstehen konnten. Es gibt ja auch viele Genoss_innen, die darüber schlaue Dinge geschrieben haben, und die zeigen, dass die weltweit sichtbare Hegemoniekrise und Konkurrenzideologie die Wahrscheinlichkeit auf rechte und reaktionäre Deutungsangebote erhöht. Die Gefahr ist, dass zur Sicherung der bestehenden Ausbeutungsverhältnisse das begonnene rechts-nationalistische Staatsprojekt immer weiter verschärft wird. Denn Rassismus und Nationalismus sind leider effektive Hilfsmittel, um den spröde gewordenen Neoliberalismus in seinen Fundamenten zu unterstützen. Dass diese Entwicklung nicht weiter geht, dafür müssen wir sorgen. Ich war deshalb auch sehr froh zu sehen, dass sich recht schnell nach den ersten Hochrechnungen am Sonntagabend eine große Anzahl von Menschen zu antirassistischen und antifaschistischen Demonstrationen im Land zusammengeschlossen hat. Es zeigt, dass Widerstand von unten aufgebaut werden muss, und dieser auch deutlich und kompromisslos auf die Straße getragen gehört. Ich muss dir aber auf jeden Fall auf dem Punkt der Bündnisse kritisch entgegentreten: In einem Beitrag zu den Bundestagswahlen in Deutschland hat mein re:volt-Kollege Geronimo Marulanda jüngst geschrieben, man dürfe den Fehler nicht machen, die links-liberalen Strukturen der bürgerlichen Mitte als Verbündete gegen rechts wahrzunehmen: „Wer als Alternative wahrgenommen werden will, der muss sich vom neoliberalen Regime abgrenzen und nicht als sein fünftes Rad wahrgenommen werden.“ Ich halte das für höchst richtig und wichtig, weil ich denke, dass es nur mit einer klaren antifaschistischen und antikapitalistischen, revolutionären Perspektive weiter vorwärts geht. Ich glaube, inhaltlich stimmst du dem zwar zu, aber hast einen anderen strategischen Bezug dazu; oder nicht?

 

Hanna: Inhaltlich hast du Recht mit dem Argument, dass liberale Politik die Ursachen des Rechtsrutsches nicht aufhalten kann. Gerade die Austeritätspolitik war Steigbügelhalter des neuerlichen Aufstiegs von Rechtspopulisten. Es gibt aber nicht nur liberale Kräfte, mit denen man bei den Grünen und der SPÖ zusammenarbeiten kann, sondern auch hier und da Linke, denen ich glaube, dass sie an einer grundlegend anderen Gesellschaft arbeiten wollen. Außerdem ist für mich relevant, wo zusammengearbeitet wird – denken wir an das Lichtermeer, das für die antirassistische Zivilgesellschaft immer noch ein Bezugspunkt ist, da waren von christlich-sozialen und liberalen Leuten bis zu Linksradikalen viele dabei. Solche punktuellen Kooperationen braucht es. Für die radikale Linke ist aber klar, dass solche symbolischen Aktionen nicht die einzige Ebene sein kann, auf der gekämpft wird. Ich bin in den Protesten gegen Schwarz-Blau politisiert worden, 2000 bin ich mit meinen Eltern auf die Donnerstagsdemo gegangen, im Mai 2003 war ich bei der Demonstration gegen die Pensionskürzungen dabei – nass bis auf die Unterhose. Ich glaub, wir können viel lernen aus den Erfahrungen, aber auch den Fehlern, die damals gemacht wurden.

 

Eine Gefahr, die ich sehe, ist ein möglicher Trend zur blinden Bewegungsaffinität anstatt des kontinuierlichen Organisationsaufbaus, der auf lokale Strukturen und Bildungsarbeit setzt. Das wäre meines Erachtens nach ein Fehler, vor allem für jene Teile der Linken, die sich auf eine parlamentarische Linke orientieren. PLUS hat angekündigt, nach den Wahlen eine Mitmachplattform aufbauen zu wollen und das Moment der Organisierung auf lokaler Ebene, in den Städten auch abseits von Wien, voranzustellen. Projekte wie Aufbruch arbeiten ebenfalls daran – weshalb ich für eine Bündelung der Kräfte plädieren würde. Die Linke in Österreich kann es sich nicht leisten, ihren Kleingruppen-Fetisch weiter auszuleben und der fortschreitenden eigenen Irrelevanz zuzuschauen. Worauf es ankommt, ist, alle Kräfte zu sammeln, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen, um gegen die schwarz-blauen Angriffe gewappnet zu sein. Wenn es um die Abwehr der schwarz-blauen Angriffe und den Umbau des Staates geht, wäre es deshalb aus meiner Perspektive gut, auf die Zusammenarbeit in der Offensive gegen Rechts zu orientieren. Das Bündnis gibt es jetzt schon einige Jahre, auf diese Kontinuität zu setzen, ist meines Erachtens nach ein sehr wichtiger Vorteil.

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