Aus Asche kann auch ein Flächenbrand entstehen - Gedanken Zur Tag X +1 Demo in Leipzig

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Der Debattenbeitrag "Das Ende einer Besetzung" versuchte sich bereits an einer Kritik der Tag X+1 Demo nach der Räumung des Black Triangles. Der dargestellten Kritik können wir in vielen Punkten zustimmen und möchten lediglich diese aus unserer Sicht ergänzen und darauf aufbauen. Wir stellten uns auch die Frage: Wie weiter? Wie können wir wieder angemessen und entschlossen auf der Straße Akzente setzen? Der Text versteht sich als Beitrag zu einer Diskussion darüber, wie wir in Leipzig wieder eine selbstbestimmte und entschlossenere Demonstrationskultur entwickeln können.

Nach der Räumung des Black Triangle lag unsere Hoffnung darin, dass die Tag X+1 Demonstration Schauplatz unserer Wut gegen die Regierenden und ihre Handlanger werden würde. Obwohl sie von einigen von uns als kämpferischste Demo in Leipzig seit längerem wahrgenommen wurde, wies sie doch
Charakteristika auf, die wir für sehr problematisch halten:

1)
Die Route wurde uns von den Bullen vorgegeben und die Demo fand somit in einem Raum statt, der es ihnen erlaubte, die gesamte Demo unter Kontrolle zu halten.
2) 
Es fehlte an Eigeninitiative und selbstbestimmtem Handeln, um sich trotz der vorgegebenen Route Freiraum zu erkämpfen und eine unkontrollierbare Situation hervorzurufen. 
3)
Es gab keinen geschlossenen Zug, der uns vor dem Eingreifen der Bullen und nachfolgender Repression geschützt hätte. Angriffe auf die Bullen wurden so auch im Verlauf der Demo zunehmend erschwert.
4)
Der Kessel wurde von einem großen Teil hingenommen, es gab kaum Versuche der Gefangenenbefreiung und wenige blieben, um die gefangenen Gefährt*innen bei ihrer Freilassung zu empfangen.
5)
Das gefahrene Tag X +1 Konzept an sich.

Um in Zukunft selbstbestimmte kämpferische Demonstrationen durchzuführen, aus denen wir gestärkt hervorgehen, möchten wir einige Vorschläge unterbreiten. 

Hierbei sei noch erwähnt, dass im Vorfeld der Tag X+1 Demo versucht wurde, ihr einen friedlichen Charakter vorzugeben. Es wurde zu Besonnenheit aufgerufen, es wurde dazu aufgerufen, die prognostizierten Ausschreitungen nicht wahr werden zu lassen. Die Verteidiger*innen des sozialen Friedens werden immer versuchen, uns ihren Diskurs der Gewalt, ihre Doktrin der Gewaltlosigkeit und des legitimen Protests aufzuzwingen. Dieses Spiel spielen linke Parteipolitiker*innen ebenfalls mit. Einzeln vernahmen wir auf der Demo Äußerungen wie "Ihr provoziert einen Angriff auf die Demo, wenn ihr die Cops angreift". Es ist für uns unverständlich wie in diesen gesellschaftlichen Zuständen, einen Tag nachdem die Stadt, die Bahn und die Bullen uns wieder einen Freiraum nahmen, Menschen in unseren Reihen unseren Wutausbruch unterbinden wollen. Vergessen scheinen die Kämpfe, die nicht durch Verhandlungen, sondern durch unsere unversöhnliche Haltung auf der Straße, unsere Unkontrollierbarkeit geführt wurden. Wir dürfen uns in unserem Auftreten nicht in die Schranken weisen lassen. Denn die Regierenden werden uns nur solange in Ruhe lassen, wie wir uns ihren Spielregeln beugen, ein wenig Unmut äußern, aber keine relevante Gefahr für ihren „Rechtsstaat“ darstellen. Doch wir sind wütend, wir sind unregierbar, nehmen sie uns unsere Räume bedarf es einer entsprechenden Antwort.  Dass es dabei zu physischen Distanzierungen innerhalb der Demonstration kam, ist erschreckend. Bei "hit and run"-Aktionen entfernten sich Menschen von uns sobald wir wieder im Schutz der Demo untertauchen wollten. Durch diese unsolidarische Geste machen sich diese Menschen zu den Helfern der Bullen und haben somit in unseren Augen nichts auf dieser Demo verloren.
Das Konzept der Tag X+1 Demo hatte stets einen militanten Charakter, wie auf den Plakaten deutlich zu sehen war. Die Bullen versuchen Proteste gezielt mit Deeskalationsmethoden zu bremsen und durch Befriedung ungefährlich zu machen. Lasst uns dem etwas entgegen setzen. Lasst uns die Eskalation suchen:

1) 
Wählen wir unsere Routen selber aus. Dies kann durch eine nicht-öffentliche Mobilisierung gelingen, sofern die Bullen nichts davon mitbekommen. Sollten sie es doch, kann man immer noch versuchen, die Demo nicht anzumelden oder aus der angemeldeten Demo auszubrechen und eine "out of control"-Situation erschaffen. Am Kräfteverhältnis wird sich zeigen, ob wir uns selbstbestimmt die Straße nehmen können oder nicht. Als Positivbeispiel wollen wir Bezug auf die autonome Anti-Erdogan Demo 2017 nehmen. Diese wurde nicht angemeldet und konnte entschlossen ihre unangekündigte Route laufen. Dies gibt uns Hoffnung darauf, dass wir wieder lernen uns solidarisch und kämpferisch die Straßen zu nehmen, ohne uns in dem Rahmen der Bullen zu bewegen. 

2) 
Werdet euch der Verhältnisse bewusst, in denen die Demonstration stattfindet. Überlegt euch Aktionen, um kämpferische Aspekte zu setzen. Bereits sich zu vermummen und Pryotechnik zu zünden, kann sehr bekräftigend für euch und alle anderen in der Demo sein. Gibt es Lücken, durch welche die Bullen angegriffen werden können, nutzt sie! Zeigen wir ihnen und uns selber, dass sie uns nicht alles vorschreiben können. Die Tag X+1 Demo bot uns seit Langem wieder einige Möglichkeiten hierfür, was zum Teil der Deeskalationsstrategie der Bullen und dem damit fehlenden Wanderkessel zu verdanken war. 

3) 
Dies ist nur machbar, wenn innerhalb der Demo ein Schutzraum entsteht, aus dem heraus agiert werden kann. Wie jede kämpft sollte für sich und mit den eigenen Gefährtinnen entschieden werden. Wer sich nicht in der Lage sieht in eine körperliche Auseinandersetzung zu geraten, sollte von uns allen davor beschützt werden, wer die Auseinandersetzung sucht, sollte in unseren Reihen die Sicherheit haben, nicht den Bullen überlassen zu werden. Ein Schwarzer Block kann dabei hilfreich sein, vor allem das Identifizieren einzelner Straftaten für die Bullen zu erschweren.  Dabei müssen wir uns auf die Rückendeckung aller verlassen können. 

4) 
Wenn wir zu Veranstaltungen gehen, sind wir alle verantwortlich uns gegenseitig zu unterstützen und zu schützen. Die Bullen müssen daran gehindert werden unsere Demos mit Repression zu überziehen. Sollte es doch dazu kommen, darf niemand alleine gelassen werden. Werden unsere Gefährt*innen eingekesselt, ist es unsere Pflicht diese zu unterstützen. Wenn die Bullen versuchen Leute aus unseren Reihen herauszuziehen, wehren wir uns vehement dagegen. Wenn sie jemanden ergreifen, versuchen wir so weit es geht die Gefangenen zu befreien. Werden Gefährt*innen in Gewahrsam genommen, verlagern wir unseren Protest vor ihre Mauern. Es ist wichtig, dass wir uns aufeinander verlassen können und niemand im Stich gelassen wird.

5)
Der Protest um die Räumung wurde dadurch vorbestimmt, dass sich niemand für die Tag X+1 Demo verantwortlich fühlte. Ein wohl bis dahin existierendes Arno Nitzsche-Kollektiv fehlte bis auf Weiteres oder wollte nicht die Initiierung übernehmen. In der gesamten Zeit der Besetzung wurde kein Konzept erarbeitet, um Strukturen für ein Tag X+1 Konzept einzubinden.  So kam es zu der erlebten Ziellosigkeit und Uneinigkeit.  Auf einen Plan, wie es nach dem Sammeln auf dem Wiedebachplatz weitergehen solle, wurde sich jedoch von vielen Anwesenden verlassen. Es gab aber keine organisierte erste Reihen, keine durchdachte Route oder Kommunikation über eine geplante Nicht-/Anmeldung der Demo. Dies könnte erklären, dass es kaum Absprachen vor Ort unter Bezugsgruppen gab, wie es bei spontanen Situationen üblich ist. Der Demo fehlte so jegliche organisierte Struktur um eine eher träge Masse mitzureißen und diese zu schützen. Auch eine spontane, unorganisierte Dynamik konnte durch diese Art der Mobilisierung nicht entstehen. Generell sollte sich die Frage gestellt werden unter welchen Bedingungen eine Mobilisierung auf den Tag nach der Räumung sinnvoll ist und wie diese dementsprechend aussehen sollte. Auch kann es eine Möglichkeit sein den Tag X etwas hinauszuzögern, um sich der aktuellen Situation zu bemächtigen. Beide Möglichkeiten haben abzuwägende Vor- und Nachteile.

Trotz aller Eskapaden zeigt uns das Beispiel des Black Triangle, dass eine Besetzung durchführbar und lohnenswert ist. Bleiben wir dran uns Freiräume zu erkämpfen, zu verteidigen und militante Projekte zu verwirklichen.
 
Für herrschaftsfreie Räume!
 
Einige unregierbare Steineschmeißer*innen

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Ergänzungen

https://autonomesblaettchen.noblogs.org/ausgaben/ausgabe-nr-32/

Im Artikel "500 Cops und 3 Tage Regen - Ein kritischer Blick auf den Protest gegen die Räumung der Friedel 54 und das Verhälnis von Militanz und Ohnmacht" wird sehr gut darauf eingegangen, unter welchen Umständen Menschen bereit sind mehr zu reißen. Klar sind wir alle gegen Bullen und deren Angriffe auf unsere Strukturen. ABER das Black Triangle war schon lange kein Teil unserer Strukturen mehr, sondern ... naja :-) Insider*innen wissen um die Zustände. Kurz gesagt: Währe das "Kollegtiv" nicht so scheiße gewesen, hätten sich auch viel mehr Leute für den Erhalt stark gemacht. Ein Haus/Platz whatever, das/der vielen Menschen ein (politisches) zu Hause gibt, wird auch verteidigt. Für eine Hand voll Arschlöcher geht niemand unnötige Risiken ein. Ahoi!