Kritische Polizisten vs. Deutsche Polizeigewerkschaft

Regionen: 

Der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten (Hamburger Signal) e.V., Thomas Wüppesahl, hat ein Interview zu dem umstrittenen Polizeieinsatz und den damit verbundenen Ausschreitungen in Chemnitz gegeben. Das Wüppesahl-Interview bildet einen Gegenstandpunkt zum Interview des Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, welcher zuvor das Handeln der Sächsischen Polizei(Führung) gegen jegliche Kritik verteidigt hatte. Wüppesahl sprach diesbezüglich vom “Sachsensumpf“.

 

 

"Es ist eindeutig, dass hier mit Kalkül auf zusätzliche Kräfte verzichtet worden ist. Man wollte einfach Freiräume geben."

 

 

Thomas Wüppesahl, Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten (BAG), dazu, ob die Polizei heute in Chemnitz besser aufgestellt sein wird als am Montag:

 

"Heute Abend wird es funktionieren, weil einfach die (…) die Kräftemobilisierung im Hintergrund, die jetzt endlich stattfindet, dafür sorgen wird. Das kann sich nicht mal die sächsische Polizei erlauben, bei einem Auftritt des sächsischen Ministerpräsidenten wieder für solch einen Mob zu sorgen."

Dazu, dass am Montag angeblich nicht auf die Warnungen des Verfassungsschutzes gehört worden ist:

 

"Das ist nicht nachvollziehbar. Das ist Ausdruck des Sachsen-Sumpfes in anderer Gestalt als vor 15 und 20 Jahren. Aber es ist eindeutig, dass hier mit Kalkül auf zusätzliche Kräfte verzichtet worden ist. Man wollte einfach Freiräume geben (…). Beim dritten Mal heute Abend wird es nicht passieren, was wir Sonntag und Montag erlebt haben in Chemnitz. Aber wir werden es wieder erleben und wir werden es auch in anderen Bereichen (…) Sachsens erleben."

Dazu, wer seiner Meinung nach für die Misere von Sonntag und Montag verantwortlich ist:

 

"(…) Wenn man 600 Polizeibeamte zusammenzieht, obwohl die Lagemeldung von den Verfassungsschutzämtern – die ja ans Innenministerium in Sachsen weitergegeben worden ist (…) – und man dann keine zusätzlichen Kräfte anfordert, wenn man weiß, dass ungefähr 5000 in der Stadt sein werden, die Probleme machen, dann kann man das nicht mit fehlerhafter Führungskultur oder schlechter Ausbildung erklären. (…) Das ist der Sachsen-Sumpf. Das ist die weit überproportional im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt gedanklich-mentale Nähe von Polizeibeamten mit denen, die dort auf der Straße Randale machen. Und es gibt eben bis in das Ministerium – und auch in anderen Ministerien in Dresden – diese Grundhaltung. Bitte vergessen Sie nicht, was wir durch den NSU-Terror wissen: Dort war auch Sachsen die Hochburg (…) und das Rückzugsgebiet in Zwickau und Chemnitz. Diese Netzwerke wurden nicht aufgearbeitet (…)." (Interview, 30.08.18)

 

 

 

webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Ergänzungen

Am 25. Oktober 2004 wurde Wüppesahl wegen des Verdachts der Vorbereitung einer Straftat verhaftet. Informant und Hauptbelastungszeuge der Staatsanwaltschaft war ein ehemaliger Polizist und Kollege Wüppesahls, der ebenfalls Mitglied der Kritischen Polizisten war. Dieser besorgte Wüppesahl zum Schein eine unbrauchbar gemachte Pistole aus Polizeibeständen und ein Messer. Damit sollte ein Überfall auf einen Geldtransport durchgeführt werden. Die Festnahme fand bei der Übergabe in der Wohnung des ehemaligen Polizisten statt.[3]

Die Prozesseröffnung fand am 4. März 2005 statt. Wüppesahl führte an, der vorgestellte Plan sei in Wirklichkeit undurchführbar gewesen. Er habe die Vorbereitung nur zum Schein mitgetragen, um seinen ehemaligen Kollegen als Spitzel der Polizei zu entlarven und eine Bespitzelung und Racheaktion der Hamburger Justiz wegen seiner unbequemen Tätigkeiten zu beweisen.[4] Wahlverteidiger war Uwe Maeffert. Das Landgericht Hamburg verurteilte Wüppesahl am 7. Juli 2005 wegen der Vorbereitung und Versuchs der Beteiligung an einem Raubmord und Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren. Nach der zurückgewiesenen Revision wurde das Urteil rechtskräftig. Er wurde daraufhin aus dem Polizeidienst entlassen.

Nach am 3. März 2017 veröffentlichten Recherchen von Report München bekam Wendt jahrelang eine Besoldung als Hauptkommissar, ohne diese Tätigkeit tatsächlich auszuüben. In einem ersten Interview hatte er dies zunächst explizit verneint, gab dann aber in einem zweiten Interview zu, „nicht die ganze Wahrheit“ gesagt zu haben; er behauptete, er habe den nordrhein-westfälischen InnenministerRalf Jäger (SPD) schützen wollen. Nach einem Sprecher Jägers dient diese Besoldungspraxis der Förderung der Gewerkschaftsarbeit in Nordrhein-Westfalen und besteht schon seit mehr als zehn Jahren. Kurz nach dem Interview mit Report München beantragte Wendt seine vorzeitige Pensionierung aus dem Polizeidienst.[13][14] Unter Jägers Vorgänger Ingo Wolf von der FDP war Wendts Besoldung ohne Dienst eingeführt worden. Ziel soll gewesen sein, gegen die SPD-nahe Gewerkschaft der Polizei ein Gegengewicht aufzubauen. Er bezog neben der Beamtenbesoldung auch ein sechsstelliges Jahresgehalt als Gewerkschaftschef. Als Polizeihauptkommissar habe er demnach 3.348,68 Euro brutto im Monat erhalten, von seiner Gewerkschaft eine Aufwandsentschädigung in Höhe von monatlich 520 Euro brutto. Insgesamt würden sich seine Einkünfte auf 124.145,29 Euro brutto belaufen.[15]

 

Frank Tempel, der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, forderte, den Straftatbestand der Untreue zu prüfen, Die Linke NRW zeigte Jäger daraufhin wegen dieses Straftatbestandes an.[16] Der SPD-Politiker Christopher Lauer forderte Wendt zum sofortigen Rücktritt auf. Er habe immer auf die Einhaltung von Recht und Gesetz gepocht, sich selbst aber „nicht daran gehalten, sondern einfach kassiert.“[17]

 

Nach Ministeriumsangaben erhalten auch Sebastian Fiedler, Landesvorsitzender sowie stellvertretender Bundesvorsitzender vom Bund Deutscher Kriminalbeamter, und Erich Rettinghaus, Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, ähnliche Bezüge vom Land NRW.[18]

 

2017 war Wendts Besoldung Thema im Landtag. Innenminister Ralf Jäger erläuterte, dass es in Wendts Personalakte keine Belege für eine dauerhafte und vollständige Befreiung vom Dienst gebe. Auch sei nicht ersichtlich, ab wann und auf welcher Grundlage Wendt nicht mehr seinem Polizeidienst nachgegangen sei. Jäger erklärte vor dem Landtag auch: „Einen Fall Wendt darf es in Nordrhein-Westfalen nicht mehr geben“.[19] Es kam im Landtag auch zur Sprache, dass Wendt 2013 im Landesamt für Polizeiliche Dienste (LZPD) für sein 40-jähriges Dienstjubiläum bei der NRW-Polizei ausgezeichnet wurde. Im Stellenplan des LZPD führte man ihn als Pressereferent.[20]

 

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf stellte die Untreue-Ermittlungen im Fall Wendt im November 2017 ein; den für die Besoldung Verantwortlichen sei kein Vorsatz nachzuweisen. Die Staatsanwaltschaft fand keine Anhaltspunkte, dass Beteiligte bewusst pflichtwidrig gehandelt und einen finanziellen Schaden des Landes bewusst in Kauf genommen hätten. Es habe sich um eine lange Praxis gehandelt, die auch in anderen Bundesländern üblich ist, um den Gewerkschaftsvorsitzenden ihre verfassungsrechtlich geschützten Aufgaben zu ermöglichen.[21]

 

Eine interne Ermittlung des Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen kam 2018 zu dem Schluss, dass Wendts Besoldung unrechtmäßig war.[22]

 

Posten in fünf verschiedenen Gremien

 

Im Zuge der Recherchen von Report München wurde auch bekannt, dass Wendt trotz seines Beamtenverhältnisses als Mitglied des Aufsichtsrats des Versicherungskonzerns AXA eine Aufwandsentschädigung von 50.000 Euro pro Jahr erhält. Wendt hatte die Nebentätigkeit nicht wie vorgeschrieben angezeigt. Offiziell ging er nur der Nebentätigkeit als Geschäftsführer bei der DPolG-Service-Gesellschaft nach. Daraufhin kündigte das Land Nordrhein-Westfalen an, ein Disziplinarverfahren gegen Wendt einzuleiten.[23] Laut Spiegel Online bekomme Wendt insgesamt 77.721,13 Euro brutto für fünf verschiedene Gremienposten. Wendt habe diese Bezüge weder angegeben noch die Nebentätigkeit angezeigt.[24]