Es gibt wohl doch vernünftige Bilderberg-Proteste in Dresden
Es gab hier ja bereits mehrere Diskussionen, wie mit der Bilderberg-Konferenz 2016 in Dresden umgegangen werden sollte. Während über eindeutig rechtsradikale Proteste wie die von NPD und AfD gar nicht zu diskutieren ist, will ich hier auf eine Veranstaltung hinweisen, die ich für besuchenswert halte, die einige Ideologen hier wohl vorschnell als Querfront verschreien würden.
Es gab ja bereits die Diskussion, warum niemand in Dresden fähig ist, eine ernstzunehmende Kritik von links an der Bilderberg-Konferenz zu formulieren. Nun, ich halte folgenden Aufruf für sehr gelungen, auch wenn er nicht aus einer klassisch linken Gruppe stammt:
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Pressemitteilung zum 3-tägigen Protest auf dem Theaterplatz anlässlich der Bilderberg-Konferenz in Dresden 2016
… verfasst von den AktivistInnen der Mahnwache für Frieden - Dresden
Sehr geehrte Damen und Herren,
vom 9.-12. Juni 2016 sind in Dresden einflussreiche Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Medien zu Gast. Die ca. 150 BesucherInnen der Bilderberg-Konferenz setzen sich traditionell aus GeschäftsführerInnen multinationaler Konzerne, DirekorInnen von Geschäfts- und Zentralbanken, ChefredakteurInnen großer Zeitungen und ganz allgemein GroßaktionärInnen marktführender Unternehmen weltweit zusammen. Auch die Deutsche Spitzenpolitik ist dieses Jahr durch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und voraussichtlich Bundesinnenminister Thomas de Maizière vertreten.
Wir nehmen diese unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführte Tagung zum Anlass, um grundlegende Kritik an der Ausrichtung Deutscher Innen- und Außenpolitik, der Ausgestaltung weiter Teile der Deutschen Medienlandschaft und nicht zuletzt am kapitalistischen Wirtschaftssystem zu üben.
Auch wenn sich die Bilderberg-Konferenz vom Prinzip her nicht wesentlich von anderen inoffiziellen Treffen einflussreicher Menschen unterscheidet, so ist sie in ihrer hochkarätigen Besetzung doch ein Aushängeschild für Vernetzungsprozesse gesellschaftlicher Eliten, der damit einhergehenden Korruption und Intransparenz und nicht zuletzt der zunehmenden Monopolisierung von Macht.
Durch eine Analyse der TeilnehmerInnen der letzten Jahrzehnte stellt sich schnell heraus, welche Denkmuster und Ideologien bei der Bilderberg-Konferenz vorherrschend sind, oppositionelle Ansichten fehlen gänzlich:
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das absolute Bekenntnis zur NATO und derem hegemonialen Anspruch, inklusive der unreflektierten Übernahme medial inszenierter Verteidigungsnarrative gegen Russland oder den internationalen Terrorismus (während faktisch prüfbar zahlreiche, teils völkerrechtlichtswidrige, Aggressionen der letzten Jahrzehnte von NATO-Staaten ausgingen)
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die völlige Unterordnung des Wohlergehens ganzer Gesellschaften unter eine hemmungslose Wachstums- und Verwertungslogik
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das Bestreben, staatliche Regulierungsmöglichkeiten zu Gunsten des freien Marktes einzudämmen und die sich aus kapitalistischer Wirtschaftslogik zwangsweise ergebende Schere zwischen arm und reich zu ignorieren oder auszunutzen
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konkrete Maßnahmen der Umverteilung von unten nach oben
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propagandistische Beeinflussung gesellschaftlicher Debatten durch die Monopolisierung ganzer Medienkonglomerate und die Finanzierung pseudo-unabhäniger „Denkfabriken“
Wenn unsere Gesellschaft es nicht schafft, aus neoliberalen, marktradikalen und imperialistischen Denkmustern auszubrechen, machen wir uns nicht nur mitverantwortlich für die Ausbeutung des globalen Südens und der Destabilisierung ganzer Weltregionen. Wir verwerfen damit auch unser aller Chancen und die unserer Kinder, in Zukunft noch in einer sozialen Gesellschaft zu leben.
Eine Gesellschaft, die nicht für kurzfristige Gewinne ihr komplettes Sozialsystem privatisiert, eine Gesellschaft die sich ihre Lebensgrundlage nicht zu Gunsten des Profits einiger Weniger zerstören lässt und nicht zuletzt eine Gesellschaft, die mit allen Menschen der Welt in Frieden leben will anstatt am Krieg und an Feindbildern zu verdienen.
Die Bilderberg-Konferenz ist nur die Spitze des Eisbergs rücksichtsloser Elitenpolitik und sie ist gleichzeitig ein Spiegel des auch in unseren Köpfen immer fester verankerten kapitalistischen Denkens.
Doch Wirtschaftswachstum und Reichtum sind nicht alles, die Würde des Menschen ist und bleibt unantastbar! Dafür möchten wir gemeinsam auf dem Theaterplatz einstehen, um uns und unsere Mitmenschen für die Prozesse zu sensibiliseren, die unser friedliches Zusammenleben bedrohen und nicht zuletzt durch profitierende gesellschaftliche Eliten angeheizt werden.
Daher laden wir alle Demokratinnen und Demokraten ein, von Donnerstag bis Samstag mit uns über eine friedlichere und solidarischere Gesellschaft ins Gespräch zu kommen. Die Dresdner Friedensbewegung wird von Donnerstag bis Samstag vor Ort sein.
Programm:
9.6. Do: 09:00-21:00 Uhr.
Gemeinsamer Protest zur Bilderberg Konferenz mit Antifaschistischer Aktion und der Friedensbewegung!
Offenes Mikrofon: 16:00 Uhr
Mahnwache für Frieden: 19:00 Uhr
10.6. Fr: 12:00-21:00 Uhr
Offenes Mikrofon: 13:00 und 16:00 Uhr
Mahnwache für Frieden: 19:00 Uhr
11.6. Sa: 12:00-21:00 Uhr.
Offenes Mikrofon: 13:00 und 16:00 Uhr
Mahnwache für Frieden: 19:00 Uhr
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Donnerstag Abend arbeiten die wohl mit einer Demonstration der "roten Fahne" zusammen, die sich selbst als "antifaschistische Aktion" in Abgrenzung der in ihren Augen zu "antideutsch" geprägten Antifa bezeichnen. Kann man jetzt von halten was man will. Jedenfalls finde ich es positiv zu bewerten, dass an dem Donnerstag Abend ein Gegenpol zu völkischen Demos von NPD und co. stattfindet. Auch wenn einige, die ihr Feindbild überall suchen (und meist auch finden) hier gleich wieder mit Schlagwörtern wie neurechte Querfront und strukturellem Antisemitismus um sich werfen werden, halte ich einen linken Gegenpol mit formulierbarer linker Kritik an der Bilderberg-Konferenz für notwendig. Und da ist die obige Veranstaltung momentan das Einzige. Finde den Aufruf durchaus gelungen, hab bisher nichts Vergleichbares im Zusammenhang mit Bilderberg-Protesten in DD lesen können.
Kann hier natürlich gern debattiert werden.
Ergänzungen
Nein, gibt es nicht.
https://www.vice.com/de/read/verwirrte-aus-allen-politischen-lagern-gegen-die-bilderberger-in-dresden