Sachsens VS-Chef ist Burschenschafter
Für nicht weniger als „Ehre, Freiheit, Vaterland“ streitet die Burschenschaft Marchia Bonn. Ihr zweiter Wahlspruch „Fest, Treu, Wahr“ gilt aber nicht immer. Denn mit der Wahrheit rückte ein Marche erst nach aktuellen Presserecherchen heraus: Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen, Gordian Meyer-Plath, ist in der schlagenden Verbindung aktiv. Der Mediävist hatte 1987 bis 1993 unter anderem an der Universität Bonn studiert, war dort zur Marchia gestoßen.
Bis heute ist er als „Alter Herr“ aktiv, wie die Ausgabe der TAZ am Freitag berichtete. Der Geheimdienstler bezeichnet sein Engagement als „reine Privatsache“.
Bonner Burschen fordern „Lebensraum“
Die Marchia machte Ende 2011 durch den Austritt aus dem Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB) von sich reden. Hintergrund war der schon länger schwelende und weiter anhaltende Rechtsruck der DB. Auch die Reihen der Marchia blieben davon nicht verschont: Im Jahr 2007 hat sie Matthias Brauer ausgeschlossen, nachdem er auf dem Marchia-Gelände ein Holzkreuz im Ku-Klux-Klan-Stil verbrannt und „Heil White Power!“ gerufen hatte.
Der Zwischenfall wurde erst später und wiederum durch Medienrecherchen bekannt. Der DB-Funktionär Brauer wechselte kurzerhand zu den einschlägigen Bonner Raczeks, die mit ihrer Forderung nach Einführung eines „Ariernachweises“ ein stramm-rechter Protagonist der DB-Entwicklung ist.
Den Austritt aus dem Dachverband begründete die Marchia mit in der DB verbreiteten Standpunkten, die „mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Staates und mit den Prinzipien unserer Marchia unvereinbar“ seien. Allerdings fordert die Marchia selbst ein „Europa der Vaterländer“ sowie die „Sicherung kultureller Eigenarten“ und Traditionen der „Völker in ihren jeweiligen Regionen und Lebensräumen“.
NSU-Skandal als Karrieresprung
Man verpflichte sich, so heißt es im Selbstverständnis der Burschenschaft weiter, zur „Abwehr aller äußeren und inneren Bedrohungen von Staat und Gesellschaft“. Dieser Verpflichtung ist Meyer-Plath treu geblieben. Ab 1994 arbeitete er für den brandenburgischen „Verfassungsschutz“, zwischendrin für eine CDU-Bundestagsabgeordnete und heute als Präsident des LfV Sachsen.
Er folgte damit Reinhard Boos nach, der vor knapp zwei Jahren um Versetzung gebeten hatte. Hintergrund war das „zufällige“ Auffinden von Geheimdienst-Unterlagen im „toten Winkel“ eines Aktenspindes beim LfV Sachsen. Die Dokumente waren nicht registriert – und wiesen direkte Bezüge zum NSU-Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe auf. Zuvor hatte Boos mehreren Gremien versichert, alle zur Aufklärung nötigen Akten „vollständig“ vorgelegt zu haben.
V-Mann zu Rechtsterroristen chauffiert
Meyer-Plath kündigte nach dem Führungs- einen „Philosophiewechsel“ an. Allerdings ist er in den NSU-Skandal selbst verwickelt. Denn zu seiner Zeit beim brandenburgischen „Verfassungsschutz“ war er für die Quelle Carsten Szczepanski zuständig, besser bekannt als V-Mann „Piatto“. Der „Ku Klux Klan“-Anhänger Szczepanski war 1995 wegen versuchten Totschlags an einem Nigerianer zu acht Jahren Haft verurteilt worden, genoss durch seine Spitzeldienste jedoch zahlreiche Vergünstigungen. So konnte Szczepanski aus dem Gefängnis heraus Nazi-Fanzines wie „Der Weiße Wolf“ und „United Skins“ produzieren, bekam rasch Freigang.
Das war Voraussetzung, um ihn spätestens 1998 auf die Chemnitzer „Blood & Honour“-Szene anzusetzen. Meyer-Plath chauffierte ihn dorthin, angeblich ohne den bis heute unklaren Auftrag gekannt zu haben und ohne sich an Details der Gespräche mit dem Rassisten im Staatsdienst erinnern zu können. Hier tut Aufklärung not, denn „Piatto“ tauchte just in Chemnitz auf, als sich das NSU-Trio dort mithilfe von B&H-Mitgliedern häuslich eingerichtet hatte.
Erfolgreiche Geheimniskrämerei
Der Einsatz war aus Geheimdienst-Sicht durchaus erfolgreich. Tatsächlich berichtete der V-Mann im Spätsommer und Herbst 1998 mehrfach ausführlich über das untergetauchte Trio, über namhafte sächsische Unterstützer wie Jan Werner und Antje Probst (heute heißt sie Böhm) sowie deren Versuche, Waffen, Geld und Ausweisdokumente zu beschaffen. Nur die Handschellen klickten nicht.
Grund: Die klaren Hinweise auf Rechtsterrorismus wurden dem sächsischen „Verfassungsschutz“ mitgeteilt, der eigentlich zuständigen Polizei jedoch absichtlich vorenthalten. Zielfahndern des Thüringer LKA fiel bei einer Telefonüberwachung zwar selber auf, dass der sächsische B&H-Anführer Jan Werner Kontakt zu einem Handyanschluss hielt, das auf das brandenburgische Innenministerium registriert war. Meyer-Plath und Kollegen erfuhren das aber sofort vom Großen Bruder, dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Szczepanski erhielt einen neuen Apparat, diesmal auf einen ordentlichen Decknamen, und schon war die frische Spur der Polizei dahin.
Bei kritischen Nachfragen vor Untersuchungsausschüssen beharrte Meyer-Plath darauf, mit solchen Entscheidungen nichts zu tun gehabt, sondern nur „V-Mann-Fahrer“ gewesen zu sein. Das ist eine sehr gefällige Interpretation und alles andere als „fest, treu, wahr“. Wahr ist vielmehr: Der Top-Geheimdienstler und sein Top-Spitzel waren per Du. Und mehrere der brisanten Treffberichte mit „Piatto“ aus dem Jahr 1998 tragen unverkennbar die Unterschrift des V-Mann-Führers. Es war Meyer-Plath.
Keine Privatsache
Der Wert dieser Unterschrift ist nicht zu unterschätzen, heute nämlich verantwortet Meyer-Plath den „Verfassungsschutzbericht“ für Sachsen. Die aktuelle Ausgabe enthält über Burschenschaften – gar nichts.
Das ist überraschend, weil es über die Verbindungsszene im Freistaat einiges zu berichten gäbe: Anfang des Jahres hat die Aachen-Dresdner Burschenschaft Cheruscia den Vorsitz der DB übernommen. Neuer Schriftleiter des Verbandsmagazins „Burschenschaftliche Blätter“ ist Dirk Taphorn, Mitarbeiter des „Identitären Zentrums“ in Dresden. Für die so genannten Identitären interessiert sich auch die extrem rechte Leipziger Burschenschaft Germania, sie veranstaltete Anfang des Jahres gar einen Stammtisch mit der „Identitären Bewegung“, zu der ein Leipziger AfD-Mitglied gehört. Am Germania-Stammtisch nahmen wiederum mehrere NPD-Mitglieder teil.
Darüber zu schweigen kann einer dieser branchentypischen Zufälle sein. Oder schlicht die „alte Burschenherrlichkeit“, die man in Verbindungskreisen gern besingt. Sie ist nun keine Privatsache mehr – LINKE und Grüne im Landtag forderten heute personelle Konsequenzen.
Ergänzungen
Warum sollte eine
Warum sollte eine Mitgliedschaft denn keine Privatsache sein? Die Erklärung dafür bleibt der Artikel schuldig.