Zecken können Zeitreisen? Post von der Staatsanwaltschaft

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Aufmerksame Indymedia-Leser*inner erinnern sich vielleicht an uns: Wir sind die namenlose Bezugsgruppe, die in der Walpurgisnacht mit einer Adbusting-Aktion auf gefälschte Bürgermeisterschreiben gegen den Tag der Bundeswehr in Alt-Tegel aufmerksam machen wollte. Dabei wurde eine*r von uns von der Polizei erwischt (https://de.indymedia.org/node/80655). Letzte Woche bekam diese Person Post. In dem Brief informiert die Staatsanwaltschaft über die Einstellung einer Ermittlung wegen Urkundenfälschung, und nicht etwa wegen Adbusting.

Ende April hat die Gruppe KSK West-Berlin in Alt-Tegel ein gefälschtes Bürgermeisterschreiben verteilt. [1] Darin sagen sie in der Rolle Frank Balzers den Tag der Bundeswehr 2020 offiziell ab und begründen den Schritt mit allerlei hübschen, humanistischen Gesinnungswandelungen des BM. Das gab gut Presse und das Bezirksamt bemühte sich um eine Klarstellung. Die Bundeswehr sei ganz im Gegenteil nämlich wichtiger Bestandteil der Bezirksidentität und außerdem sehr wichtig für Kranzniederlegungen (kein Scherz, steht so in der PM von denen). [2]

Wenige Tager später verteilte das KSK erneut gefälschte Schreiben, diesmal getarnt als Dementi von der ersten Fälschung. Balzer wird darin ordentlich in die Militaria-Ecke verordnet, mit latentem Hang zu völkisch-nationalem Gedankengut und als bekennender Fan der Truppe - alles auf Grundlage eines echten Interviews, das der BM zusammen mit dem Kommandeur der Julius-Leber Kaserne in Reinickendorf gab. [3]

Wir haben von den zwei Aktionen vor allem hier über Indy mitbekommen und fanden das richtig genial. Vor allem aber wollten wir uns mal im Kapern von Werbeflächen versuchen. Unserer Meinung nach mangelte es den Leuten vom KSK West-Berlin nämlich an coolen Bildern für das Internet und die Öffentlichkeit. Daher die Idee zu Adbustings. Doch bei unserer Aktion in der Nacht zum 01. Mai 2020 wurde eine*r von uns von einem Zivi erwischt. [4]

Letzte Woche kam dann der Brief: Die Staatsanwaltschaft Berlin teilt mit, dass ein Verfahren wegen Urkundenfälschung im Zeitraum 23. und 24. April 2020 wegen StPO §170 Abs. 2 eingestellt wurde. „Als erstes habe ich meinen Kalender sorgfältig überprüft“, erklärt die betroffene Person, „aber weil die Clubs da wegen Corona schon lange geschlossen hatten, hab ich da mit Sicherheit keinen Stempel auf meinen Handrücken abgemalt!“ Die nächste Idee dazu, was an diesem Datum passiert sein könnte, bestätigte ein Blick in Indymedia: „Da hat das KSK-Westberlin die erste Fälschung verteilt!“ Dazu gab es ja, wie man der PM des Bezirksamtes entnehmen kann, eine Anzeige wegen Urkundenfälschung. „Aber dass das was mit mir zu tun haben könnte, hätte ich nicht gedacht.“

Besonders eine Sache überrascht die Person: „Ich verstehe nicht, warum sie mir diesen Brief schicken. Das mussten sie gar nicht, denn ich wurde nie darüber belehrt, dass ein solches Verfahren gegen mich läuft! Bei meiner Festnahme war nur die Rede von womöglicher Sachbeschädigung, aber nicht mal da waren sich die Cops so sicher. Eigentlich haben sie mir nur erzählt, dass ich mit dem Adbusten irgendetwas illegales getan hätte.“

Vermutlich sind die Polizist*innen, stolz auf ihre Festnahme, mit einem Bündel an Vorwürfen zur Staatsanwältin gegangen und haben sich allerhand Befugnisse geben lassen. Die Staatsanwältin hat sich dann womöglich auch gar nicht genau den Bericht durchgelesen, sondern einfach nur den Ermittlungsmaßnahmen zugestimmt. Eine Staatsanwältin hat da nämlich nur so 9 Minuten Zeit pro Fall! [5]

„Aber dann mussten die ja erstmal erklären, wie ich durch ein Adbusting am 01.05. für eine Urkundenfälschung am 23.-24.04. verantwortlich sein soll“, mutmaßt die betroffene Person. Und dass wir im Besitz einer Zeitmaschine sind, hielt wohl auch die Staatsanwältin für abwägig und hat einfach routinemäßig das Einstellungsschreiben rausgeschickt. Dabei hat sie vermutlich angenommen, die verdächtigte Person wäre über die Ermittlungen wegen Urkundenfälschung belehrt worden. Sonst hätte sie sich das Schreiben nämlich, laut des in ihm zitierten Paragraphen [6], sparen können.

Eine Frage bleibt bei der betroffenen Person aber offen: „Läuft noch ein Verfahren wegen des Adbustings gegen mich und was wäre da der konkrete Vorwurf? Die Cops vor Ort waren sich da ja wie gesagt selbst nicht so sicher.“ Zwischen denen lief die Konversation in der Nacht der Festnahme nämlich ungefähr so:

      Polizist A: „Ganz klarer Fall von Sachbeschädigung!“
      Polizistin B: „Wo sind denn die originalen Plakate hin?“
      Polizist C, hat es gerade geschafft, eine Werbevitrine zu öffnen und freut sich: „Die haben sie bloß zusammen gerollt und in die Seite gesteckt. Guckt mal!“
      Polizistin B: „Hmm... Aber was ist das dann? Trotzdem Sachbeschädigung?“
      Polizist A: „Nee... Ruf mal Zentrale an und frag, was wir machen sollen.“
      Polizist D (zu der betroffenen Person, nachdem sie schon ungefähr ein dutzend Mal die Aussage verweigert hat): „Wie Sie sicher wissen, ist das, was Sie hier gemacht haben, illegal. Sie haben daher das Recht, die Aussage zu verweigern.“

Schon komisch, dass die Gesetzeshüter*innen Aktivistis mehr Ahnung von Gesetzen zumuten als sich selbst! Und man erkennt auch genau, wie die Denke bei denen funktioniert: Wenn etwas links ist, dann ist es in Polizeiköpfen grundsätzlich illegal. Jedenfalls solange nicht jede Möglichkeit der Kriminalisierug erfolglos durchprobiert wurde.

Zusammen mit der Soligruppe plakativ haben wir einen Anwalt engagiert, der für uns jetzt Akteneinsicht und Mitteilung über andere laufende Verfahren einholt. Wir sind gespannt darauf, auf welche weiteren Ideen die Beamt*innen so gekommen sind. Vielleicht liest sich die Akte ja ähnlich unterhaltsam wie das eben geschilderte Gespräch zwischen den Polizist*innen.

[1] https://de.indymedia.org/node/79311
[2] https://www.berlin.de/ba-reinickendorf/aktuelles/pressemitteilungen/2020...
[3] https://de.indymedia.org/node/79633
[4] https://de.indymedia.org/node/80655
[5] https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/berliner-justiz-wenige-minu...
[6] https://dejure.org/gesetze/StPO/170.html

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Ergänzungen

ich finde es ja gut, ermittlungen und ihren ablauf öffentlich zu machen. dass irgend ein streifenbulle noch nicht die passenden paragraphen zur hand hat die später in einer anzeige stehen ist doch aber kein skandal? dafür gibts doch das lka5 was dann nachschlägt was in diesem fall zum tragen kommen könnte. dennoch schön das sie das dann direkt wieder eingestellt haben.

und wer sich ernsthaft fragt wie man für in der vergangenheit liegende sachen eine anzeige bekommen kann: nur andersrum geht es nicht. wenn die anzeige für einen vorfall in der zukunft datiert wäre, wäre das komisch.

und warum beschwert man sich dadrüber, über die einstellung eines verfahrens informiert zu werden, obwohl dies garnicht rechtlich vorgeschrieben sei? ist doch gut, das überhaupt bescheid gesagt wurde.