„Kein Gott, kein Staat, Kein Glyphosat“ 120 Tagessätze für Sprühkreide
Staatsanwaltschaft forderte 5 Monate Haft auf Bewährung für 3 Jahre plus Geldstrafe.
Am 19.05.2020 wurde am Amtsgericht Bonn ein merkwürdiges Urteil verkündet. Der Vorwurf lautete Sachbeschädigung in 2 Fällen, anlässlich einer Demonstration gegen die Haupt-Aktionär*innen Verhandlung von Bayer am 26.04.2019 am Platz der Vereinten Nationen in Bonn.
Zum Sachverhalt:
Im ersten Fall ging es um das gemeinschaftliche Anbringen von Parolen auf dem Boden mittels Sprühkreide. Die Worte: „System Change“, „Shame on you“ und „Kein Gott, kein Staat, kein Glyphosat“ waren auf dem Boden vor der HAV zu lesen. Daraufhin stürzte sich eine Einheit Bereitschafts-Polizist*innen auf die Beiden Aktivist*innen und legte ihnen Handschellen an. Trotz der sichergestellten Sprühkreide welche offensichtlich wasserlöslich ist sollten die Beiden Beschuldigten in Polizeigewahrsam gebracht werden.
Nun soll im zweiten Fall in einer Zelle des Gefangenen-Transporter ein Sicherheitsgurtsystem beschädigt worden sein. Konkret soll das Metallstück der Gurtschnalle abgebrochen worden sein. Wie es möglich sei in Handschellen und mit bloßen Händen eine Gurtschnalle abzubrechen sollte auch Thema der Verhandlung werden.
Zum Prozess:
Zu beginn des Prozesses wurden die insgesamt 7 vom Gericht geladenen Zeug*innen ordnungsgemäß belehrt und die Anwesenheit der unverteidigten Angeklagten Person wurde von der Richterin Gleesner festgestellt, einige solidarische Prozess-beobachtende und Presse waren auch anwesend.
Anschließend folgte die Verlesung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft, in welcher es u.a. sinngemäß hieß: Nach einer Reinigung des Bodens hat der Regen die Spuren rückstandslos verwischt.
Nun verlas die Angeklagte Person eine lange Einlassung zur Sache, in welcher im ersten Teil in einem laienhaften Rechtsgutachten u.a. die Tatbestandsmerkmale des § 303 StGB (Sachbeschädigung) „subsumiert“ wurden. D.h. es wurde geprüft ob alle Anforderungen für eine Verurteilung gegeben waren. Hier und da gab es kleine Ausschweifungen, ob Eigentum Diebstahl sei oder dass Bayer verachtenswert sei. Aufgrund von Handel mit unfruchtbarem Gen-Saatgut welches die Lebensgrundlage vieler Bäuer*innen zerstört oder wegen großflächigem Einsatz von Glyphosat, welcher Mensch und Umwelt erheblich gefährdet wurden Beweggründe benannt, welche zur Tat mit der Sprühkreide geführt hätten.
Insbesondere war wichtig, ob gem. §303 Abs. II StGB, die Veränderung des Erscheinungsbildes vorübergehend oder von Dauer war. Die beschuldigte Person kam zum Schluss: Nein, die Tatbestandsmerkmale seien nicht gegeben, es war keine Sachbeschädigung.
Im zweiten Teil der Einlassung wurde darauf hingewiesen wie es denn möglich sei mit bloßen Händen das Metallstück einer Gurtschnalle abzubrechen. Und dass es doch grob fahrlässig sei Gefangene mit Handschellen hinter dem Rücken ganz ohne bzw. mit defektem Sicherheitsgurt in einem Wagen mitzunehmen. Sie hätten sich bei einer starken Bremsung ernsthaft verletzen können.
Außerdem sei Bayer nicht weniger verachtenswert als RWE oder Rheinmetall. (Der Tag der Verhandlung war übrigens auch der Tag der Rheinmetall HAV)
Die Einlassung zur Sache wurde damit geschlossen, dass Akteneinsicht beantragt wurde, damit sich der Beschuldigte Mensch besser auf die Verteidigung vorbereiten könne. Dies wurde mit der Begründung verweigert, es bestünden schützenswerte Interessen Dritter (die der anderen Angeklagten Person).
Ein erster Zeuge wurde aufgerufen: der vermeidlich geschädigte Leiter des Messegeländes, welcher eine fragwürdige Reinigung beauftragte die Parolen zu entfernen. Angeblich soll für 77€ mit Hochdruckreiniger und schrubben ein ganzer Vormittag verbracht worden sein. Jedoch hätten sie nicht alles entfernen können. Er bezeugte, dass der Regen die restlichen Spuren der Graffiti vollständig entfernt hatte und der Boden in seiner Substanz nicht beschädigt wurde.
Als nächstes wurden 2 Zeugen vom Sicherheitsdienst, welche die Hauptversammlung bewachten vom Zeugenstand entlassen, da es nicht mehr nötig war zu beweisen, dass die beschuldigte Person Parolen angebracht hatte.
Dann wurde eine Polizeibeamte, welche zwar die Strafanzeige gefertigt hatte aber nichts vom Vorfall mitbekommen hatte ebenfalls entlassen.
Es folgte eine Beamtin vom Staatsschutz, welche ebenfalls nichts zum Tathergang sagen konnte. Dann ein Kriminaloberkommissar, welcher entlassen wurde weil er auch nicht mit dabei war. Und schließlich ein Polizist... Welcher auch nichts sagen konnte.
Dem Gericht wurde zum Ärger der Staatsanwaltschaft klar, dass eine Verurteilung am besagten Tage nicht Möglich war, denn es hätten weitere Beamt*innen geladen werden müssen. Dies sei nicht prozessökonomisch. Ob die Ladung von etlichen Zeug*innen, die absolut nichts zum Tathergang sagen konnten prozessökonomisch war, sei mal dahingestellt.
Also wurde im Hinblick auf eine Verurteilung wegen der Sprühkreide die Anklage wegen der Sachbeschädigung im Gefangenen Transporter eingestellt.
Die Staatsanwältin stimmte trotzig zu, denn sie versuchte zu überzeugen es sei möglich durch ruckartige Bemühungen eine Gurtschnalle abzubrechen, währen wer angeschnallt ist.
Anschließend wurde mittels Beweisanträgen seitens der Verteidigung festgenagelt, dass es sich um wasserlösliche Farbe handelte. Die Staatsanwältin bezog Stellung und sagte: „Es gibt wasserlöslich und es gibt wasserlöslich und das sind zwei verschiedene Sachen“ einiges sei mehr wasserlöslich, anderes sei nicht so sehr wasserlöslich, aber beides sei wasserlöslich. Sie hätte mal vor langer Zeit auf ihrem Balkon mit Kreide gemalt und es sei trotz Witterung sehr lange sichtbar geblieben.
Die Beweisaufnahme wurde geschlossen und die Staatsanwaltschaft forderte sagenhafte 5 Monate Haft auf Bewährung für 3 Jahre zusätzlich einer Strafzahlung von 2000€. Begründet wurde dies mit einer vorangegangenen Verurteilung wegen Sachbeschädigung und weil die angeklagte Person ständig
lächeln müsse und keinerlei Reue zeige oder Respekt gegenüber Autoritäten.
Die Aktivist*in hatte das letzte Wort und betonte, dass es nicht relevant sei ob eine fragwürdige Reinigung stattgefunden hat, denn die Veränderung des Erscheinungsbildes von der Witterung vollständig beseitigt wurde und diese Veränderung somit nicht Dauerhaft war. Außerdem würden Knäste und das Strafsystem ihren Sinn verfehlen weil der Zweck der Resozialisierung nicht gegeben sei und Protest gegen den neoliberalen Kapitalismus sei legitim und notwendig. Geschlossen wurde mit einer Solidaritätsbekundung an die Streikenden in Bornheim.
Die Richterin Frau Gleesner folgte der Auffassung der Staatsanwältin, verurteilte den Menschen auf 120 Tagessätze à 10€ und setzte damit ein klares Zeichen gegen diese erhebliche Form des Ökoterrorismus.
Doch das Theater geht weiter, denn eine Berufung wurde angekündigt und der Prozess gegen die zweite angeklagte Person steht noch an.
Weitere Gerichtstermine (in anderen Fällen) finden statt am:
- 03.06. vor dem Landgericht Aachen
(Vorwurf: Tätlicher Angriff während der Räumungen im Hambi 2018)
- 19.06. vor dem Amtsgericht Düren
(Vorwurf: Hausfriedensbuch an der Kante im Hambi, Ende April 2019)
- 21.08. vor dem Amtsgericht Düren
(Vorwurf: Hausfriedensbruch... )
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