Worte einer Angehörigen – „Zurzeit sind wir voller Hass“

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Im Folgenden veröffentlichen wir ein Schreiben einer Angehörigen eines Gefangenen aus dem Knast Moabit. Es beschreibt sehr eindrücklich, wie sich Angehörige fühlen können, wenn ihre Liebsten hinter Gittern verharren müssen. Gleichzeitig zeigt das Schreiben auch, mit welcher Gewalt der Staat und seine Handlanger versuchen, Gefangene und auch ihre Angehörigen zu brechen – was sich diese Mutter und auch der Gefangene selbst nicht gefallen lassen.

„Pünktlich zu meinem Geburtstag durfte ich heute die Stimme meines Sohnes am Telefon hören. Er ist wieder in der JVA Moabit. Eine laaaaange Woche hörte ich nichts von ihm. Echt grausam!

Mein Baby lebt. Ok mittlerweile ist er knapp 1.90 groß und ein stattlicher Hüne, der auch schon angst einflößend erscheinen kann, aber nun zum Thema.

Zu wissen, dass unser Kind verhaftet wurde, machte uns anfänglich sprachlos. Warum? Wieso? Weshalb? Ich hockte auf Nachtschicht und wartete auf ein Lebenszeichen meines Sohnes, nix kam.

Im Autoradio, auf dem Weg zur Arbeit, hörte ich von dem Vorfall und dachte mir noch, was war da los? Je dunkler und leiser die Nacht wurde und mein Sohn sich nicht meldete, kamen in mir schon Ängste hoch. Hieß es doch es gab Verletzte. In den frühen Morgenstunden gab es dann eine Meldung vom Anwalt auf dem AB zu Hause. So erfuhren wir von dem Unding.

Unser Sohn wäre dringend tatverdächtig und es bestünde Fluchtgefahr (Na klar, während Corona kann man sich auch ins Ausland absetzen). Mein Mann und mir zog es den Boden unter den Füßen weg. Beide geschockt und standen komplett neben uns. Bei unseren Arbeiten, die wir nachgehen, tragen wir eine hohe Verantwortung während unserer Dienstzeiten. Wir beide wurden krankgeschrieben. Psychopharmaka machten uns das Dahinvegetieren leichter.

Das Leben, wie wir es bis dato kannten, gab es nicht mehr. In Trance liefen wir als Zombies rum, alles rauschte an uns vorbei. Die Welt drehte sich ohne uns weiter. Es verging für uns eine Ewigkeit, bis wir zum ersten Mal unseren Sohn sprechen konnten.

Er ist nun in einer JVA, OMG! Von diesen Häusern hört man nichts Gutes. Keiner wünscht seinem Kind die staatliche Hölle. Wir brachten ein paar Sachen hin und wurden gleich mal belehrt, was er haben darf und was nicht. Er hatte nur das Notdürftigste in JVA-Standard zur Überbrückung. Wir fühlten uns einer Ohnmacht nahe, soviel Regeln die wir nun beachten mussten. Hey, Leute wir sind nur die Eltern, die sich ab sofort ängstigten, wie und ob es für uns und unser Kind weiter geht!

Sein erstes Appartement war eine Begegnungsstätte. Zwei Räume mit Verbindungstür. Fanden wir akzeptabel, jemanden zum Reden für unseren Sohn. Jede Kleinigkeit die er haben wollte, musste nun beantragt werden. Teilweise schrieb er mehrere Anträge und bekam keine Antwort. Er sollte wohl am eigenen Leib erfahren, wo er ist. Ab sofort entschieden andere, was er darf und was nun gut für ihn ist. Als Neuling, natürlich ohne Erfahrung, ohne Aufklärung der Vorgehensweisen in der JVA, musste er neu lernen wie es ist als Abschaum der Gesellschaft dahin zu vegetieren. Nach dem Motto, beantrage deinen nächsten Antrag! Er begab sich in den Hungerstreik. Dadurch wurden seitens der Schließer öfters überlegt, wie sie ihn das ausreden/austreiben könnten. Sein Einkauf sollte zurück gehalten werden, wer im Hungerstreik ist, soll nicht noch belohnt werden. Klappte aber nicht. Er musste aus seinem Appartement raus und bezog ein Einzelzimmer! Er könne dem Nachbarn noch etwas wegessen. Man nahm ihn nicht ernst. Unser Zureden half auch nicht. Aus purer Verzweiflung zeigten wir die JVA wegen unterlassener Hilfeleistung an. Zeitgleich wurde er in den Bunker gebracht, Suizid Gefahr.

Vorm Einzug in den Bunker wurden seitens der hohen Anzahl von Begleitpersonen noch behauptet, dass er unmenschliche Handlungen an sich selbst begeht. In unseren Augen wieder mal Repressalien seitens der Schließer und einer Peepshow gleich. Einseitige Machtspiele.

Am Morgen danach hielt man ihn leckeres Frühstück vor die Nase. Zum Glück hatte unser Sohn so viel Rückgrat und lehnte dies ab. Man wollte nur seinen Willen brechen. Er möge doch wieder essen. Wenn jemand in so einer Einrichtung ist, haben wir das Gefühl, er muss das Personal huldigen und heiligen. Gegen die Corona Maßnahmen, zur Eindämmung dieser, wird permanent verstoßen. Keiner rennt mit Mund-Nasenschutz herum.

Nach, für uns zu langen Zusehens seitens der JVA, wurde unser Sohn ins JVA-Krankenhaus verlegt. Keinerlei Informationen darüber gelangten zu uns seitens der Mitarbeiter der JVA. Zum Glück gab es für uns andere Wege, es zu erfahren….

Wir haben das Gefühl, sie können mit den Insassen machen was sie wollen. Halten eh alle zusammen und eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Dass die Insassen (angebliche) kriminelle Taten begangen haben müssen um dort einzuziehen ist uns schon klar. Aber kein Mensch hat es verdient dort die Willkür einzelner Personen hilflos ausgesetzt zu sein.

Wir sind auf einer Seite hilflos, machtlos, besorgt, misstrauisch, verärgert, verunsichert, aufgewühlt aber anderseits werden wir aggressiver, kritischer, feindseliger, bösartiger und rachsüchtiger.

Wie heißt es: „ Wer Wind sät, wird Sturm ernten.“ Zurzeit sind wir voller Hass. Wollen uns aber für unseren Sohn einsetzen, ziehen alles in Betracht um ihn dort endlich rauszubekommen.

Teilweise fühlen wir uns von seinem Anwalt im Stich gelassen, spärliche Informationen werden uns auf Nachfrage vor die Füße geknallt. Wir und auch unser Sohn sind dem System hoffnungslos ausgeliefert und hoffen nicht mehr auf Gerechtigkeit. Man wir an unserem Sohn ein Exempel statuieren. Der Staatsanwalt R. Hennicke wird auch nicht unser Freund werden und ob er je Freunde im Leben hatte, bezweifeln wir sehr stark. Heute mal wieder ein Telefonat mit seinem Anwalt gehabt, es werden erstmal Gutachten angefordert und gefertigt und vor August wird nichts passieren. Ich gebe nicht auf und auch mein Sohn ist ein Kämpfer, ich liebe ihn dafür.

In unserem Land läuft einiges schief. Gib einen Teil der Menschen die Macht über den anderen Teil und schon knallt es. Mit der Justiz haben wir bis jetzt nur negatives erlebt.

Unser Kind in dem System gefangen und jeder kann machen was er will mit ihm, schreckliche Vorstellung. Bis jetzt hat er es in der JVA Moabit erlebt und überlebt.

Wir brauchen aber dringend Unterstützung! Leider sind wir bis jetzt ideenlos, aber wenn ihr welche habt, meldet euch oder macht gerne was!“

Solidarische Briefe können an uns geschickt werden, wir werden sie den Angehörigen und dem Gefangenen weiterleiten. Drückt eure Wut und euren Hass gegenüber Knästen und dem Staat auch auf vielen anderen Wegen aus und zeigt somit den Gefangenen und Angehörigen, dass sie nicht alleine sind. Wenn wir, Gefangene, Ex-Gefangene, Angehörige, Aktivist*innen und alle Feind*innen des Staates gemeinsam kämpfen, können wir mehr erreichen, als vereinzelnd.

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