AfD-Untersuchungsausschuss: Beweisaufnahme beginnt im Juni
Nach einer Corona-Zwangspause setzt der parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Kürzung der AfD-Landesliste seine Arbeit fort. Viel zu tun ist bisher nicht – und ausgerechnet die Rechtspartei steht auf der Bremse. Jetzt treiben andere Fraktionen die Aufklärung voran.
Zu seiner dritten Sitzung ist heute in Dresden der Untersuchungsausschuss des Landtags zusammengekommen, der sich mit der Kürzung der AfD-Landesliste im Vorfeld der Landtagswahl im vergangenen Jahr befasst. Inhaltliche Fortschritte gab es kaum, auch rund ein halbes Jahr nach der Einsetzung des Gremiums hat die Beweisaufnahme noch nicht begonnen. Den 19 Abgeordneten liegt bislang keine einzige Akte vor, auch Zeug*innen wurden noch nicht befragt. Immerhin wurden nun einige Beweisanträge beschlossen.
„Regierung sollte sich warm anziehen“
Schon nach einer guten halben Stunde war die die Tagesordnung abgearbeitet. Die bisherige Verzögerung und das überschaubare Pensum haben nur zum Teil mit der Pandemie zu tun. Eine für Anfang April geplante Sitzung musste deshalb ausfallen, erst ab dieser Woche normalisiert sich der Parlamentsbetrieb schrittweise. Zur Vorsicht beriet sich das kleine Gremium heute mit gehörigem Sitzabstand im großen Plenarsaal, die Öffentlichkeit blieb außen vor. Hinter den verschlossenen Türen, so schildern Beteiligte ihren Eindruck, ist es nach wie vor die AfD, die auf der Bremse steht – obwohl sie die Schaffung des Ausschusses ursprünglich verlangt hatte.
Bisher ging es im Ausschuss nur um Verfahrensfragen. So besteht die AfD darauf, dass Zeug*innen vereidigt werden können, bei Falschaussagen drohen dann erhöhte Strafen. Das sächsische Untersuchungsausschussgesetz ermöglicht das, theoretisch zumindest. Allerdings hat der Bund längst eine gegenteilige Regelung getroffen. Daran will sich die Rechtspartei nicht halten. In der vergangenen Woche kündigte Fraktionschef Jörg Urban sogar an, dass der Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und weitere Regierungsmitglieder bald „unter Eid“ im Ausschuss aussagen müssen. „Die Regierung sollte sich daher warm anziehen“, drohte Urban.
Er verwies dabei auf ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs. Es hatte kürzlich Frauke Petry – Urbans Vorgängerin als Landes- und Fraktionsvorsitzende – vom Vorwurf eines fahrlässigen Falscheids freigesprochen. Von der Urteilsbegründung sieht sich die AfD jetzt in ihrer Auffassung bestätigt, Zeug*innen doch vereidigen zu können, die Fraktion ließ sogar eine Kopie des Schriftsatzes im Landtag verteilen. Allerdings ist in dem Papier wörtlich zu lesen, dass Untersuchungsausschüssen „keine Vereidigungsbefugnis zugebilligt ist“. Alle anderen Fraktionen sehen das ein und beendeten heute mit ihrer Mehrheit die leidige Diskussion.
Unterlagen, die es gar nicht gibt
Es ist ohnehin noch völlig offen, wann Kretschmer und andere namhafte Politiker*innen aussagen müssen, und ob überhaupt. Solche Vernehmungen hat die AfD nämlich bislang nicht beantragt. Sie will sich zunächst Akten vorlegen lassen, außerdem Fahrtenbücher und Reisekostenabrechnungen etlicher Spitzenbeamt*innen sowie Telefonverbindungsnachweise der Diensttelefone von Landeswahlleitung und Landeswahlausschuss. Ihnen gemeinsam unterstellt die AfD, im vergangenen Sommer konspiriert zu haben mit dem Ziel, von den insgesamt 61 geplanten Landtagskandidat*innen der Partei nur 18 zuzulassen. Das sächsische Verfassungsgericht kassierte die Entscheidung teilweise und ließ immerhin 30 Kandidierende antreten.
Der AfD-Antrag, jene Unterlagen beizuziehen, die man für wichtige Beweismittel hält, passierte heute den Ausschuss, die Koalitionsfraktionen enthielten sich, die Linksfraktion stimmte dagegen. Klar ist bereits, dass die AfD nicht alles erhalten wird, was sie begehrt. Der Grund ist einfach: Den ehrenamtlich tätigen Mitgliedern des Landeswahlausschusses, unter ihnen übrigens ein Parteifreund der AfD, stehen gar keine Diensttelefone zur Verfügung.
Neben dem Leerlauf des Ausschusses ist dieses Stochern im Nebel ein Grund, warum sich die Geduld der regierungstragenden Fraktionen von CDU, SPD und Grünen neigt. Sie haben heute eine ganze Reihe eigener Beweisanträge eingebracht, um unter anderem mehrere Sachverständige zu benennen, darunter der Bundeswahlleiter Georg Thiel. Gegenüber dem Ausschuss sollen die Expert*innen erläutern, wie üblicherweise ein gültiger Wahlvorschlag zustande kommt. Möglicherweise lag nämlich gar kein Komplott vor, um die Chancen der AfD bei der Landtagswahl zu schmälern. Vielmehr besteht der Verdacht, dass bei der Aufstellung der Kandidierenden nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist.
Anhörungen ab Juni
Dafür gibt es handfeste Anhaltspunkte. Als die AfD im vergangenen Sommer ihre Unterlagen bei der Landeswahlleitung einreichte, legte sie zunächst nicht eine einheitliche, sondern zwei separate Landeslisten vor. Die Partei konnte auch in der Folge nicht entkräften, dass sie statt einer einheitlichen gleich zwei unterschiedliche sogenannte Aufstellungsversammlungen durchgeführt hat, bei völlig getrennten Parteitagen. Mittendrin wechselte man außerdem das Wahlverfahren – im Widerspruch zu einem Beschluss am Anfang der Kandidat*innenkür, entgegen der eigenen Parteisatzung und wohl auch unter Verstoß gegen das verfassungsmäßige Gebot der Gleichheit der Wahl.
Es verwundert nicht, dass die AfD dazu lieber keine Sachverständigen laden will. Sie zog heute den Nutzen der geplanten Anhörungen in Frage und enthielt sich bei der Abstimmung, bei der sich trotzdem eine ausreichende Mehrheit fand. Damit gibt es endlich ein Programm für die beiden nächsten Sitzungen, die nach aktueller Planung im Juni und im September stattfinden sollen. Dann wird auch erstmals die interessierte Öffentlichkeit zugelassen sein.
Noch zwei weitere Sitzungen sollen in diesem Jahr folgen, für die es bereits einen Termin, aber noch keinen Inhalt gibt. Es ist gut möglich, dass sich schon in absehbarer Zeit einige Personen „warm anziehen“ müssen, die mit der pannenreichen Listenaufstellung etwas zu schaffen hatten. Wie es aus Parlamentskreisen heißt, wird möglicherweise Jörg Urban, der auf Listenplatz 1 gewählt worden war und der als Landesvorsitzender die Verantwortung für den Wahlantritt seiner Partei trägt, noch vor dem Ministerpräsidenten Rede und Antwort stehen müssen.