Stress in der DES
Lange war es ruhig um die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung. Wenn nichts mehr dazwischenkommt, winken ihr Millionenzuschüsse vom Staat. Es geht nur noch um „Bimbes“, kritisiert der Ehrenvorsitzende Konrad Adam. Dazu kommt jetzt eine neue Sorge: Hat man die Rechnung ohne den Verfassungsschutz gemacht?
Verdachtsfall im Vorstand
Die Probleme der AfD greifen auf die parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) über. Wie die aktuelle Ausgabe der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit berichtet, soll Erik Lehnert aus dem Vorstand des Stiftungsvereins ausscheiden. Auf der DES-Website wird er aktuell noch als Schriftführer aufgelistet, Änderungen im Vereinsregister wurden noch nicht veranlasst. Das könnte bald nachgeholt werden. Grund ist Lehnerts parallele Tätigkeit als Vorsitzender des Instituts für Staatspolitik (IfS), das seit kurzem als sogenannter Verdachtsfall der Verfassungsschutzbehörden gilt.
Offenbar befürchtet die Stiftung nachteilige Konsequenzen, wie sie nun das IfS treffen werden. Nach Angaben der Wochenzeitung ZEIT wurde dem Trägerverein auf Initiative des örtlich zuständigen Finanzamts Merseburg bereits die Gemeinnützigkeit entzogen. Das IfS bestreitet das, es steht Geld auf dem Spiel: An der Vereinsadresse im sachsen-anhaltischen Schnellroda sind auch der Antaios-Verlag, die Theoriezeitschrift Sezession und ein Buchversand des Publizisten Götz Kubitschek ansässig, der als einer der Initiatoren des völkisch-nationalistischen Flügel und als Intimus von Björn Höcke gilt.
Die gesteigerte behördliche Aufmerksamkeit für das IfS gilt als eine Folge der Beobachtung des Flügels. Nach idas-Informationen war der Kubitschek-Kreis bereits vor mehreren Jahren ein sogenannter Prüffall geworden, zunächst unabhängig von der AfD. Ohne die Gemeinnützigkeit wird Kubitschek finanzielle Zuwendungen durch Unterstützer*innen künftig nicht mehr mit Spendenquittungen vergelten können. Ob sich auch Konsequenzen für seine kommerziellen Projekte ergeben werden, ist noch nicht bekannt.
Ausgang offen
Offenbar sieht die AfD-nahe Stiftung ihren künftigen Zugang zu Geld durch die Personalie Lehnert gefährdet. Als parteinahe Stiftung kann die DES mit erheblicher staatlicher Unterstützung rechnen, sobald die AfD ein weiteres mal in den Bundestag einzieht. Das wird voraussichtlich im kommenden Jahr geschehen, der Stiftung winkt dann ein hoher zweistelliger Millionenbetrag. Das bisher noch überschaubare Vortrags- und Publikationsprogramm könnte dann massiv ausgedehnt werden. Konkret geplant sind auch Stipendien für Studierende. Was nicht eingeplant war: Dem Vernehmen nach soll sich Lehnert derzeit weigern, seinen Stiftungsposten freiwillig zu räumen. Er soll nun mit Hilfe eines Mitgliederentscheids abberufen und aus der Stiftung ausgeschlossen werden.
Ob das gelingt, bleibt abzuwarten. Mit Karlheinz Weißmann ist einer der einstigen IfS-Mitgründer zum stellvertretenden Vorsitzenden des DES-Kuratoriums ernannt worden. Mehrere Mitglieder aus Vorstand und Kuratorium haben in der Vergangenheit IfS-Veranstaltungen besucht, teils auch als Referent*innen. Lehnert selbst ist in der Partei gut vernetzt, nach der letzten Bundestagswahl fand er eine Anstellung im Büro des Abgeordneten Harald Weyel – der wiederum in das DES-Kuratorium berufen wurde. Im Folgejahr zog mit Andreas Lichert ein Aktivist aus dem IfS-Vorstand für die AfD in den hessischen Landtag ein. Als der thüringische Landtag eine Kommission einsetzte, um die „Ursachen und Formen von Rassismus und Diskriminierungen“ zu untersuchen, benannte die Höcke-Fraktion zu diesen Fragen ausgerechnet Lehnert als Sachverständigen. Es ist ein neurechter Filz.
Schon vor einigen Monaten war mit der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen eine IfS-nahe Aktivistin aus dem Kuratorium der Stiftung ausgeschieden. Es gibt unterschiedliche Erzählungen, worin die Gründe lagen, ob sie ging oder gegangen wurde. Streitpunkt soll ihre Kandidatur bei der Kommunalwahl 2019 in Dresden gewesen sein, bei der sie für die „Freien Wähler“ und nicht für die AfD angetreten war. Zwar ist die DES formal unabhängig, aber sie ist zugleich ein zentrales strategisches Projekt der AfD, um das innerparteilich jahrelang gerungen wurde und das man kaum mehr von der Leine lassen wird. Seit gut zwei Jahren ist die ehemalige CDU-Politikerin Erika Steinbach – nach eigenen Angaben Unterstützerin, aber kein Mitglied der AfD – die Vorsitzende. Ihr zur Seite steht als Ehrenvorsitzender der AfD-Mitgründer Konrad Adam, der auch ein Geburtshelfer der Stiftung war.
Grundsatzkritik vom Gründer
Doch zwischen Steinbach und Adam ist das Tischtuch seit einigen Wochen zerschnitten, es hat Krach gegeben. Anlass dafür war ein Gastbeitrag Adams, der über Ostern in der WELT erschienen ist. Darin breitete der 78-Jährige seine Sorgen über die Radikalisierung der eigenen Partei aus, streckenweise liest sich der Text wie eine Austrittserklärung: Seinem früheren Freund Alexander Gauland wirft er vor, die AfD absichtlich zu einer „Doppelstruktur aus Partei und Flügel“ umgeformt zu haben. Gauland, heute Ehrenvorsitzender der AfD, habe Schuld daran, „dass die Verantwortung für das Schicksal der Partei mittlerweile bei Leuten wie Höcke und Kalbitz liegt.“
Die Abwicklung des Flügels ist aus Adams Sicht nur ein „Manöver, das nicht gelingen wird, vielleicht auch nicht gelingen soll“. Der Flügel habe die Partei in einigen Regionen bereits derart „überwuchert“, dass er es sein werde, der die Partei schluckt, nicht umgekehrt. Dann kommt Adam zu sprechen auf die „clandestinen Strukturen, die dem Flügel Macht und Geld sichern“ – und erläutert diese Andeutung am Beispiel des DES:
Die bisher zahlreichen Anläufe, eine parteinahe Stiftung zu schaffen, seien von dem Versuch getrieben gewesen, „einen Teil des Goldregens abzubekommen“, der durch die kommende staatliche Unterstützung winkt. Am Ende gehe es nur um „Bimbes“, sagt Adam konsterniert. Ihm selbst habe ein offenes und öffentliches Diskussionsforum vorgeschwebt, nicht eingezwängt in die Programmatik der Mutterpartei und der Interessen ihrer maßgeblichen Vertreter*innen. Doch von dem Anspruch, alles anders zu machen als die „Altparteien“ und deren Stiftungen, sei nicht viel übriggeblieben: „Wie überall im Dunstkreis der Parteien gilt auch in der Desiderius-Erasmus-Stiftung das geschlossene Auftreten mehr als die Erörterung heikler, strittiger Themen.“
„Zutiefst verbittert und enttäuscht“
Die Vorwürfe wiegen schwer. Sie haben eine längere Vorgeschichte, am Anfang steht eine Kränkung. An der Seite Bernd Luckes und Frauke Petrys war Adam einer der ursprünglichen Bundessprecher der AfD gewesen. Das Trio führte die Partei gemeinsam, bis Mitte 2015 Lucke geschasst wurde. Mit ihm und Alexander Gauland hatte Adam bereits die Vorläuferinitiative „Wahlalternative 2013“ aus der Taufe gehoben. Doch als langjähriger Weggefährte Luckes wurde auch Adam durch die Parteibasis abgestraft, er schaffte es nicht mehr in den Bundesvorstand, übernahm seitdem nie wieder ein Parteiamt.
„Zutiefst verbittert und enttäuscht“ sei Adam folglich, sagt heute Gauland. Als einfaches Mitglied blieb Adam weiter umtriebig, er wurde Vorsitzender der neu gegründeten Desiderius-Erasmus-Stiftung, eine von zunächst etlichen Versuchen, eine Parteistiftung aus der Taufe zu heben. Als sich die AfD nach jahrelangen Diskussionen entschlossen hat, die DES als parteinahe Stiftung anzuerkennen, war Adam dort bereits entmachtet worden. Erika Steinbach wurde Vorsitzende und ist es bis heute. Adam dagegen wurde mit dem eigens geschaffenen Posten des Ehrenvorsitzen versehen, und zwar auf Wunsch Gaulands, der seinem einstigen Mitstreiter damit ein politisches Altenteil überließ.
In einem Interview im vergangenen Jahr antwortete Adam auf die Frage, was das Amt bedeutet, das er für die DES bekleidet: „Das weiß ich auch nicht“. Tatsächlich hat er sogar Stimmrecht im Stiftungsvorstand – sieht sich selbst aber als einen „Waggon auf dem Abstellgleis“. Längst hat er mit Gauland gebrochen, nennt ihn einen „enthemmten Populisten“. Für Außenstehende ist es schwer zu verstehen, warum Adam überhaupt noch Mitglied der AfD und Funktionär der DES ist. Aber gerade die Stiftung ist sein wertvollstes politisches Erbstück. Das könnte ihm nun auch noch entrissen werden.
Gegenvorwurf: Zerstörungswut
Denn auf den Gastbeitrag in der Welt reagierte die DES-Vorsitzende Erika Steinbach postwendend mit einem giftigen Brief, den sie bei Facebook veröffentlicht hat. „Nachdem Sie sich bereits mehrfach auf indiskutable Weise über die AfD hergemacht haben, lassen Sie sich jetzt öffentlich über unsere Stiftung aus und leben Ihre Zerstörungswut an uns aus“, beschwert sich die 76-Jährige. Sie vermutet, dass dem Ehrenvorsitzenden das Wohl der Stiftung nicht am Herzen liege. Und mehr noch: Adam habe zu deren Arbeit bislang „überhaupt nichts beigetragen. Wenn wir auf Ihr Engagement bauen müßten, stünden wir längst vor dem Aus.“ Steinbach nennt Adam „eine außerordentliche Enttäuschung. Auch menschlich.“ Das war ein Tiefschlag, aber nicht der erste.
Als vor zwei Jahren der bislang einzige Band der DES-Schriftenreihe erschienen ist – Herausgeberin waren die Stiftungsvorsitzende Steinbach und der Kuratoriumsvorsitzende Max Otte –, war Adam nicht beteiligt. In dem jüngst erstmals aufgelegten Stiftungs-Magazin Faktum zum Leitthema „Meinungsfreiheit“ kommt er ebenfalls nicht vor. Das ist gewissermaßen folgerichtig, ist es Adam zufolge doch gerade um die Meinungsfreiheit in der AfD nicht gut bestellt. Diese Kritik trägt er schon seit einer Weile vor. In einem Interview mit dem neurechten Kultur-Blog Anbruch stellte er sich im vergangenen Jahr als einen Dissidenten dar, als letzten Aufrechten, der zu den Gründungsideen der AfD noch steht, einer Partei, mit der er „in manchen Fragen über Kreuz“ liege und die der Meinungsfreiheit „enge Grenzen“ ziehe. Das damals wenig beachtete Interview liegt inzwischen auch auf Papier vor, kürzlich erschien Anbruch erstmals als Heftausgabe. Das Impressum führt zu einer Adresse in Leipzig-Lindenau, wo der Herausgeber Tano Gerke wohnt. Er hatte in der Vergangenheit auch für die Blaue Narzisse von Felix Menzel geschrieben, der heute Pressereferent der AfD-Landtagsfraktion ist. Und er hat zumindest eine IfS-Veranstaltung besucht.
Das Anbruch-Projekt hat Gerke 2017, als Student der Geschichts- und Religionswissenschaft in Münster, gemeinsam mit Oliver Niehaus gegründet und es anfänglich einer „identitären Zukunft“ gewidmet. Zeitweise gehörte der Blog ganz offiziell zum Medienverbund der verfassungsfeindlichen Identitären Bewegung, dem „Arbeitskreis Nautilus“ aus Graz, wohin zeitweise auch das Impressum verwies. Inzwischen wurden all diese Spuren beseitigt, es erscheinen vor allem noch schöngeistige Besinnungsaufsätze. Randnotiz: Als Gerke das Interview mit Konrad Adam führte, war ein zweiter Autor dabei, der sich „Jonas Mahraun“ nennt, in Wirklichkeit Jonas Maron heißt und bei dem es sich um den Sohn von Monika Maron handelt. Die DDR-Schriftstellerin arbeitete einst mit der Stasi zusammen, lebte später von ihrem Image als Oppositionelle und ist längst nach rechts gewendet. Man zitiert sie in letzter Zeit häufig, in der AfD, in der DES und auch beim IfS.
„Kapitale Dummheit“
Ganz anders ist es mit Adam, der immer mehr zur Randfigur geraten ist. Im Sommer vergangenen Jahres gab er einen schmalen, kaum beachteten Sammelband mit dem Titel „Die AfD und die Klimafrage“ heraus. Das Buch sollte eigentlich bei der Stiftung erscheinen, durfte es aber nicht. Die Gründe erläutert Adam im Vorwort: In der Partei und der DES habe man sich auf die Positionen des „Europäischen Instituts für Klima und Energie“ (EIKE) festgelegt, einer gut vernetzten Lobbyorganisation, die den menschengemachten Klimawandel leugnet. „So steht es um die Meinungsfreiheit in der AfD“, schreibt Adam, der ökologische Fragen etwas ernster nimmt.
Und er ging noch weiter. Die „Parteiführer“, wie er sie nennt, ließen sich vor einen Karren spannen, der den Interessen der AfD gar nicht entspricht. Man verschreibe sich in der Klimafrage Positionen, die „nicht zukunftsfähig“ seien, „ein Akt von kapitaler Dummheit.“ Ähnliches gelte für die Haltung der AfD zur Renten- und zur Verkehrspolitik. Chancen auf eine Besserung sah er schon damals kaum, denn nirgends sonst würden Konflikte „mit so viel Bosheit, verbissener Wut und rücksichtsloser Härte ausgefochten“ wie in der AfD.
Für seinen Sammelband konnte Adam nur einen einzigen bekannten Autor gewinnen: Tino Chrupalla, der damals noch ein einfacher sächsischer Bundestagsabgeordneter war – bevor er einige Monate später selbst zum „Parteiführer“ aufstieg, in eine Position, von der Adam rund ein halbes Jahrzehnt vorher verdrängt worden war. Chrupalla gelang das mit Hilfe des Flügels, auf den Adam schimpft. Und wie es jetzt scheint, steht ihm kaum jemand bei. Niemand von Rang nahm ihn gegen Erika Steinbachs Brandbrief in Schutz.
Starker sächsischer Einfluss
Die Fronten könnten sich jetzt, in der Haltung zum IfS und beim Umgang mit Lehnert, verändern. Immerhin hat Adam seit einem halben Jahrzehnt vor dem „Rechtsruck“ in den eigenen Reihen gewarnt, vor einer Entwicklung, mit der die Stiftung nun zurechtkommen muss. Mit Roland Hartwig sitzt im DES-Kuratorium ein Bundestagsabgeordneter, der für das Problem sensibilisiert ist: Er leitet die Verfassungsschutz-Arbeitsgemeinschaft, die den AfD-Vorstand dabei berät, eine Beobachtung der Gesamtpartei abzuwenden. Doch so leicht scheint das nicht zu gehen. Zu der Frage „Wer schützt uns vor dem Verfassungsschutz?“ referierte Hartwig im vergangenen Jahr ausgerechnet in Schnellroda – bei der Sommerakademie des IfS. Der Verein hätte wohl auch ohne Lehnert noch einigen Einfluss in der Stiftung.
Hinzu kommt in den Stiftungsgremien das starke Gewicht der sächsischen AfD, die bald schon traditionell auf jegliche Maßnahmen verzichtet, sich nach rechtsaußen abzugrenzen. Beisitzer im DES-Vorstand sind die Landtagsabgeordneten Sebastian Wippel und Joachim Keiler. Wippel, der neulich die Flügel-freundliche Dresdner Erklärung unterzeichnete, war vor einigen Jahren bereits bei der Gründung der „Patriotischen Plattform“ anwesend. Dort hielt wenig später Keiler einen Vortrag. Ihr gemeinsamer Landtagskollege Thomas Prantl ist sogenannter Regionalrat der Stiftung.
In deren Kuratorium sitzt unter anderem Hansjörg Huber, ein Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule Zittau/Görlitz. Er war zeitweise Berater der AfD-Landtagsfraktion und fand später eine Anstellung bei dem sächsischen Bundestagsabgeordneten Detlev Spangenberg. Dazu gesellen sich Stefan Kofner, der als Professor für Immobilien- und Bauwirtschaft an der gleichen Hochschule lehrt, ferner Michael Wüst, Professor an der Fakultät für Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule Mittweida, sowie Boris Hollas, ein Informatikprofessor an der HTW Dresden. Sie alle müssen die eigene Gesinnung gegen ihre akademische Reputation abwägen. Vor diesem Problem stehen der Leipziger Maler Axel Krause und die ehemalige DDR-Dissidentin Angelika Barbe nicht, sie bereichern das Kuratorium auf ihre Weise. Barbe, früher Mitarbeiterin der Landeszentrale für politische Bildung, ist zuletzt als Corona-Leugnerin aufgefallen.