Prozessbericht zum 3. Verhandlungstag im Völkermordprozess gegen IS-Mitglied in Frankfurt

Regionen: 

In Frankfurt findet mit dem Prozess gegen Taha A.-J. das weltweit erste Strafverfahren gegen einen Täter des IS im Zusammenhang mit dem Genozid an den Eziden statt. Erstmals wird explizit der Straftatbestand des Genozids mit verhandelt.

Am Dienstag fand vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main der dritte Prozesstag gegen Taha A.-J. wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen gegen Personen, Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft, dem Mord an einem fünfjährigen ezidischen Mädchen sowie die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129b statt. Der Siebenundzwanzigjährige muss sich vor dem Oberlandesgericht verantworten, weil er als IS-Mitglied das fünf Jahre alte Kind und dessen Mutter als Sklavinnen gekauft und so schwer misshandelt haben soll, dass das Mädchen bei einer Strafaktion in der Sonne angekettet verdurstete.

Gegenstand des Verhandlungstages waren die Abhörprotokolle von Jennifer W., der Ex-Frau des Angeklagten. Jennifer W. steht seit Mitte des vergangen Jahres ebenfalls vor Gericht. Vor dem Münchener Oberlandesgericht ist sie wegen Mitgliedschaft im „Islamischen Staat“, Verstoß gegen das Kriegswaffengesetz und wegen des Mordes an einem fünfjährigen ezidischen Mädchen angeklagt. Die aus dem niedersächsischen Lohne stammende Neunundzwanzigjährige befand sich im Juni 2018 mit einem verdeckten Ermittler in einem verwanzten Auto. Die Tondateien aus dem Auto wurden transkribiert und sowohl am zweiten als auch am letzten Verhandlungstag des Prozesses in Frankfurt von einer Richterin und einem Richter vorgetragen. Daraus ergeben sich u.a. belastende Vorwürfe gegen ihren Ex-Mann wegen des Mordes an dem fünfjährigen ezidischen Mädchen, der laut Jennifer W. das Mädchen verdursten lassen habe. „Unsere kleine Kriegsgefangene“ soll sie das Kind genannt haben.

Bereits zwanzig Minuten nach Beginn wurde die Verhandlung kurzzeitig durch einen der zwei Anwälte von Taha A.-J. unterbrochen, da sich mehrere Personen Notizen des Gesagten machten, dies wurde sowohl durch den Anwalt der Verteidigung als auch durch den vorsitzenden Richter beanstandet und für den weiteren Verlauf der Verhandlung untersagt.

Als Begründung wurde angegeben, dass es allein Pressevertretern, von denen keine anwesend waren, gestattet sei, Mitschriften anzufertigen und man eine Beeinflussung von Zeugen vermeiden wolle. Was die angefertigten Notizen mit der zu befürchtenden Beeinflussung von Zeugen zu tun hat, blieb im Dunkeln.

In den restlichen zwei Stunden des dritten Verhandlungstages wurden die transkribierten Protokolle vorgetragen, in denen es neben den Anschuldigungen gegen Taha A.-J. insbesondere um das Innenleben und die Gedankenwelt der Anhänger des „Islamischen Staates“ ging. Die abgehörten und dokumentierten Gespräche zeichnen das Bild eines Systems, in dem drakonische Strafen, Gräueltaten und Morde zum Alltag gehören.

Von den detaillierten Schilderungen über das verhängte Strafmaß etwa bei nicht vollständiger Verschleierung finden sich ebenso Aussagen über Ängste vor dem Zusammenbruch des Kalifats, dem Haushalten mit zugeteilten Geld als auch zur Unterstützung weiblicher IS-Gefangener, zu deren Zweck eine eigene Kampagne mit dem Namen „Free our Sisters“ gegründet wurde. Jennifer W. sammelte für die Kampagne Geld und organisierte Kleidung.

Neben den Gesprächen über die gute Lebensmittelversorgung und das „leckere Eis“ in der ehemaligen „IS-Hauptstadt“ Raqqa war auch die Einreise zum IS Thema der abgehörten Unterhaltung. So gab Jennifer W. an, von Istanbul über Dîlok (türk. Gaziantep) in das „Kalifat“ geschleust worden zu sein, wo sie später als bewaffnete Sittenwächterin tätig war. Die lockeren Grenzübergänge hebt W. ebenso hervor wie ihre Angst, dass von den nach Europa zurückgekehrten Dschihadisten keiner mehr zurückkommen werde. Die Resignation sei hoch. Weiter wird sich über die Fortführung des Krieges unterhalten. W. kommt zu dem Schluss, dass es an neuen Kämpfern mangele.

Taha A.-J. lauschte derweil den Übersetzungen seiner beiden Dolmetscher zum Großteil regungslos. Hin und wieder wurden die vorgelesen unfreiwilligen Aussagen seiner Ex-Frau mit einem leichten Grinsen quittiert. Einer seiner beiden Anwälte beantragte kurz vor der Beendigung des Gerichtstages, dass die vorgetragenen Protokolle nicht verwertet werden sollen. Der Vorsitzende Richter ließ den Antrag aufnehmen und schloss die Verhandlung.

Die Justizbeamten, die sich vor dem Beginn der Verhandlung über die Sicherheitsvorkehrungen in den RAF-Prozessen unterhielten, forderten daraufhin alle Zuschauer*innen dazu auf, den Saal zu verlassen. Der Prozess wird am Donnerstag mit der weiteren Verlesung der Abhörprotokolle fortgesetzt.

Erstveröffentlicht bei ANF am 07.05.

Antifaschistische Koordination 36 | Mai 2020

 

Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen