Vom Hakenkreuz zum Flügel

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Der AfD-Bundesvorstand hat eine folgenlose „Missbilligung“ gegen Björn Höcke ausgesprochen. Aus dem Streit um den verfassungsfeindlichen Flügel geht er damit unbeschadet hervor. Sein Gefolgsmann Andreas Kalbitz soll dagegen Fragen zu seiner Vergangenheit in der Neonaziszene beantworten – es geht um ein braunes Zeltlager und einen Ausflug mit Hakenkreuz-Fahne. Doch auch er hat nicht viel zu befürchten.

Im Bild: Ein Lager der neonazistischen „Heimattreuen deutschen Jugend“ 2007 in Eschede. Am linken Rand, von hinten zu sehen, läuft der heutige AfD-Politiker Andreas Kalbitz. Foto: Otto Belina.


Erneut hat sich der Bundesvorstand der AfD mit dem verfassungsfeindlichen Flügel und dessen Anführern Björn Höcke und Andreas Kalbitz befasst. Zu der gestrigen Sitzung des Leitungsgremiums, die als Telefonkonferenz stattfand, war Höcke zugeschaltet. Er sollte eine kontroverse Äußerung erklären, die Anfang März in einer Rede gefallen war. Der thüringische Partei- und Fraktionsvorsitzende hatte im sachsen-anhaltischen Schnellroda vor seinen Anhänger*innen gefordert, dass innerparteiliche Kontrahent*innen „allmählich auch mal ausgeschwitzt werden“ sollen.

Höcke hat sich bloß „in Rage geredet“

Für Aufsehen haben die Worte vor allem gesorgt, weil sie zu einem Zeitpunkt bekannt geworden sind, der für die AfD denkbar ungünstig war: kurz nach der Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), den Flügel vollumfänglich zu beobachten. Der Bundesvorstand hat kurz darauf beschlossen, dass sich der Flügel auflösen muss, vor allem aus der Sorge heraus, dass sich der Nachrichtendienst sonst bald der Gesamtpartei annehmen wird. Teil des Beschlusses war, dass Höcke zum Rapport erscheinen und erklären muss, was er mit „ausschwitzen“ meint. Denn die Wendung konnte verstanden werden als eine offene Drohung – und als ein perfides Sprachspiel, das an das nationalsozialistische Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau erinnert.

Die zweite Auslegung hat Höcke bereits öffentlich zurückgewiesen. Er habe sich schlicht „in Rage geredet“, soll er nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur gestern den Vorstandsmitgliedern gesagt haben. Die fassten daraufhin den Beschluss, „dass Herrn Björn Höcke eine Missbilligung wegen seiner am 06.03.2020 auf der ‚Flügel‘-Veranstaltung in Schnellroda getätigten Äußerung ausgesprochen wird“. Zehn der Vorstandsmitglieder stimmten dafür, zwei dagegen, zudem gab es eine Enthaltung für die Formulierung, die nur eine schwache symbolische Bedeutung hat. Es war nicht einmal vorgesehen, sie öffentlich zu machen.

Es handelt sich auch nicht um eine Ordnungsmaßnahme, so dass Höcke keine weiteren Folgen befürchten muss. Der Bundesvorstand hatte sich schon vorher festgelegt, dass im Zuge der Flügel-Auflösung „niemand seine Parteimitgliedschaft oder sein Parteiamt“ verlieren wird. Solche Forderungen standen durchaus im Raum. Erhoben hat sie unter anderem Uwe Junge, der ehemalige Vorsitzende der rheinland-pfälzischen AfD, der die dortige Landtagsfraktion leitet. Er hatte sich in einem Brief an den Vorstand für eine „harte Ordnungsmaßnahme“ gegen Höcke ausgesprochen und verlangt, dass Andreas Kalbitz ausgeschlossen wird. Dieser ist selbst Mitglied im Bundesvorstand.

Wie war das mit der Hakenkreuzfahne?

Das Gremium beschloss gestern überraschend auch, dass Kalbitz eine Auflistung aller politischen Organisationen vorlegen soll, „in denen er Mitglied war oder zu denen er in Kontakt stand“. Insbesondere soll er seine „Haltung und Beziehung“ zur neonazistischen Heimattreuen deutschen Jugend (HDJ), zur geschichtsrevisionistischen Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO) und zum Witikobund erläutern, der nach eigenen Angaben eine „sudetendeutschen Gemeinschaft nationaler Gesinnung“ ist und als Sammelbewegung von Altnazis entstanden war.

Darüber hinaus muss Kalbitz Auskunft geben über einzelne Veranstaltungen, an denen er teilgenommen haben soll. Dazu gehören Neonazitreffen im flämischen Diksmuide ab dem Jahr 1994 sowie eine Reise nach Athen 2007, bei der eine Hakenkreuz- und eine NPD-Fahne gehisst wurden. Das alles ist nicht neu, sondern in den vergangenen Jahren durch Medienrecherchen bekannt geworden. Zuletzt hatte das BfV ein wesentliches Detail ergänzt: Kalbitz soll auf einer Mitgliederliste der HDJ aus dem Jahr 2007 eingetragen sein. Er bestreitet jedoch, Mitglied jener Gruppe gewesen zu sein, die zwei Jahre später bundesweit verboten wurde. Aus diesem Grund hatte der Bundesvorstand Kalbitz bereits aufgefordert, Akteneinsicht beim BfV zu beantragen und notfalls gerichtlich die Herausgabe von Unterlagen zu erzwingen.

Hintergrund: Die HDJ steht auf der offiziellen Unvereinbarkeitsliste der AfD. Sollte Kalbitz ihr angehört haben, könnte der Bundesvorstand seine Parteimitgliedschaft kurzerhand annullieren und ihn rauswerfen, ohne ein langwieriges Ausschlussverfahren mit offenem Ausgang zu durchlaufen. Allerdings sind die Verfassungsschutz-Informationen bislang nur aus zweiter Hand bekannt, aus einem Bericht des Spiegel, auf den allein man sich nicht stützen will. Unabhängig von der Causa Kalbitz ist man in der AfD interessiert, möglichst viel darüber zu erfahren, was die Behörde inzwischen über die Partei weiß. Die drohende Beobachtung will man juristisch torpedieren. Den Versuch begünstigen würde es, hätte man Kalbitz‘ Vorleben selbst „aufgeklärt“.

Vorgehen gegen Kalbitz ist umstritten

Eine Sorge ist, dass künftig weitere Details zu der einschlägigen Vita bekannt werden könnten. Sie würden die aktuellen Bemühungen unterlaufen, sich vom rechten Rand abzugrenzen und damit der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden doch noch zu entgehen. Und sie würden umso mehr schaden, je näher die Bundestagswahl 2021 rückt. Doch das Vorgehen gegen Kalbitz ist im Bundesvorstand umstritten, sieben Mitglieder stimmten dafür, vier dagegen, zwei enthielten sich. Den entscheidenden Antrag hatte Joachim Kuhs eingebracht, Schriftführer des Vorstandes, Europaabgeordneter und Leiter der „Christen in der AfD“. Kuhs hat vor einigen Jahren einen profunden Einblick in das braune Milieu gewonnen, aus dem Kalbitz stammt, denn er war beteiligt an der Gründung der extrem rechten „Patriotischen Plattform“, die inzwischen formal aufgelöst und weitgehend im Flügel aufgegangen ist.

Ein Rauswurf Kalbitz‘ gilt allerdings als wenig wahrscheinlich, schon aufgrund der diffizilen Kräfteverhältnisse. Auch frühere Gelegenheiten, ihn ins rechte Licht zu setzen, blieben ungenutzt. Das gilt etwa für seine Beteiligung an der JLO, obwohl auch sie auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht. Den Versuch, gegen den Flügel einzuschreiten, hatte zuletzt vor allem der Parteivorsitzende Jörg Meuthen vorangetrieben, der aber stark angeschlagen ist seit seinem unpopulären Vorschlag, die Partei zu teilen. Dafür hat ihn erst der Flügel scharf angegriffen, für den es eine günstige Möglichkeit war, sich für das Vorgehen gegen Höckes Strömung zu revanchieren. Und dann hat der Vorstand den eigenen Vorsitzenden öffentlich zurechtgewiesen und damit seine Demontage eingeleitet.

Dazu kommt, dass er Vorstand Kalbitz braucht, um die Fliehkräfte in der Partei unter Kontrolle zu halten. Der Flügel-nahe sächsische Landesverband etwa hat erst kürzlich seine Loyalität zu Kalbitz – und nicht etwa zum Vorsitzenden Meuthen – erneuert. Und für den Vorstand ist Kalbitz derzeit der einzige Garant für die Abwicklung des Flügels. Er hat mehrfach versichert, dass man dem Beschluss folgen werde. Doch in der offiziellen Auflösungserklärung steht das Wort „Auflösung“ in Anführungszeichen, man spricht lieber von einer „Zurücknahme“ oder „Historisierung“ und bleibt im Ungefähren, was das zu bedeuten hat. Die Uhr tickt: In weniger als zwei Wochen soll der Flügel ganz von der Bildfläche verschwunden sein. Doch Name und Logo, Website und Internetprofile sind immer noch da.

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