AfD bei Corona-Sondersitzung: „Politklamauk“ reicht nicht mehr
Der Sächsische Landtag hat heute mit breiter Mehrheit umfangreiche Mittel für Corona-Hilfsmaßnahmen freigegeben. Auf die Stimmen der AfD kam es dabei nicht an, nützliche Vorschläge hatte die Fraktion nicht dabei. Der Vorsitzende Jörg Urban beschwerte sich dafür einmal mehr über eine angebliche „Ausgrenzung“.
Es war eine ungewöhnliche Sitzung, zu der sich die Abgeordneten des Landtages heute in Dresden versammelt haben, ein Sonderplenum abseits des üblichen Turnus. Die Aufgabe war es, ein milliardenschweres Corona-Hilfspaket zu schnüren. Um das Infektionsrisiko zu begrenzen, saßen die Abgeordneten nicht im eigenen Plenarsaal, sondern mit Mundschutz an Einzeltischen im Kongresszentrum nebenan. Die Debattendauer hatten die Fraktionen im Vorfeld freiwillig eingekürzt, alle Tagesordnungspunkte wurden in einem großen Block verhandelt.
AfD-Stimmen waren nicht nötig
Insgesamt 118 Landtagsmitglieder beteiligten sich daran. Nur Doreen Schwietzer von der AfD ist nicht nach Dresden gekommen, sie beklagt einen Trauerfall in der Familie. Einberufen wurde das Plenum in voller Stärke, damit die Abgeordneten eine „außergewöhnliche Notsituation“ feststellen konnten. Das ist eine Voraussetzung, um erstmals von dem Neuverschuldungsverbot in der Landesverfassung abweichen zu können. Sie enthält seit gut sechs Jahren eine sogenannte Schuldenbremse, die vor allem als eine Reaktion auf die Finanzkrise geschaffen worden ist.
Zur Bewältigung der Pandemiekrise und ihrer Folgen sind nun Ausgaben erforderlich, die im bisher ausgeglichenen Haushalsplan nie eingepreist waren und zu deren Deckung es nicht genügend Rücklagen gibt. Zugleich ist die Wirtschaftsleistung eingebrochen, sodass es zu erheblichen Steuerausfällen kommen wird. Knapp sieben Milliarden Euro, so die aktuelle Schätzung, werden Corona und die erforderlichen Hilfsmaßnahmen den Freistaat unter dem Strich kosten. Finanziert werden soll das durch einen Nachtragshaushalt sowie ein Sonderbudget – der „Corona-Bewältigungsfonds“, für den Kredite bis zu einer Höhe von sechs Milliarden Euro aufgenommen werden können. Daraus werden Schutzschirme für verschiedene Sektoren gespannt.
Dafür mussten eigene Gesetze in einem Eilverfahren geschaffen werden, auch deshalb, weil noch unsicher ist, wann und in welcher Form der Landtag in nächster Zukunft tagen kann. Für die Lockerung der Schuldenbremse, so will es die Verfassung, müssen außerdem zwei Drittel aller Abgeordneten zustimmen. Die Koalition brauchte umgerechnet 80 Stimmen und folglich Unterstützung aus der Opposition. Die AfD hatte vorab mitgeteilt, dass sie die Staatsregierung „unterstützen“ wird. Tatsächlich war die Kenia-Koalition aber zu keiner Zeit auf AfD-Stimmen angewiesen, sie hatte sich vorher die Zustimmung der LINKEN gesichert.
Hilfe für vermeintliche „Leistungsträger“
Am Ende, nach einer fast vierstündigen Debatte, stimmten die Abgeordneten einer Lockerung der Schuldenbremse einstimmig zu, für die Einrichtung des Nachtragshaushalts und die Schaffung des Sonderfonds gab es breite, fraktionsübergreifende Zustimmung. Detail am Rand: Über Ausgaben aus dem Corona-Budget soll künftig der Haushaltsausschuss des Landtages mitentscheiden. Vorsitzender des Ausschusses ist mit Holger Hentschel ein AfD-Abgeordneter. Das bedeutet viel Verantwortung für ein Landtagsmitglied, das bislang mit parlamentarischer Arbeit kaum aufgefallen ist.
Beinahe wäre heute auch die restliche AfD-Fraktion nicht aufgefallen. Laut offizieller Tagesordnung hätte es sogar die erste Landtagssitzung werden können, bei der keine ihrer Initiativen aufgerufen wird. Mit eigenen Vorschlägen zur Bewältigung der Pandemiekrise war die AfD bereits in der vergangenen Sitzung umfassend abgeblitzt. Doch zum heute beschlossenen Nachtragshaushalt legte die Fraktion kurzfristig einen Entschließungsantrag vor, der den übrigen Abgeordneten heute Morgen zugegangen ist und in dem mehr oder weniger neue Forderungen eingeführt wurden.
Dazu gehören eine Aufhebung der Russlandsanktionen und die Verhinderung sogenannter Corona-Bonds. Die AfD wendet sich außerdem gegen Vermögensabgaben, wie sie in den vergangenen Tagen diskutiert worden sind, und gegen einen Lastenausgleich auf Kosten von Immobilieneigentümer*innen. Diese Forderungen entsprechen dem „Leistungsprinzip“, hieß es zur Begründung. Keine einzige der AfD-Forderungen, die heute aufgemacht wurden, galt dagegen Beschäftigten, deren Arbeitsplätze gefährdet sind, die Erhebliches leisten müssen und die teils großen Infektionsrisiken ausgesetzt sind. Bei der Abstimmung fanden die AfD-Vorstöße keine Zustimmung bei den anderen Fraktionen.
AfD fühlt sich ausgegrenzt
Obgleich sie nichts Überzeugendes beitragen konnte, hatte die AfD bei der Sitzung den mit Abstand größten Redeanteil und schickte insgesamt fünf ihrer Abgeordneten ans Mikrofon. Der Fraktionsvorsitzende Jörg Urban trug zum Auftakt eine Beschwerde vor: Einmal mehr seien die anderen Fraktionen und die Landesregierung im Vorfeld nicht auf die AfD zugegangen. Damit habe man „erneut einem Viertel der sächsischen Wähler vor den Kopf gestoßen“. Das belege die „politische Linkslastigkeit“ des Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU).
Eine Behauptung, die für allgemeine Erheiterung und strengen Widerspruch sorgte. Von einer „infamen Unterstellung“ sprach der CDU-Fraktionsvorsitzende Christian Hartmann, denn die AfD sei bei der Vorbereitung der Sitzung durch das Landtagspräsidium – dort stellt sie sogar einen der Vizepräsidenten – voll eingebunden gewesen. Für Verwunderung sorgte auch Urbans Behauptung, der momentane Lockdown der sächsischen Wirtschaft sei keineswegs eine Folge der Pandemie, sondern der schlechten Regierungspolitik. Der Freistaat habe zu wenig vorgesorgt und zu spät gehandelt.
„Wir hätten Ihnen sagen können, was notwendig ist“, behauptete Urban. In der vergangenen Landtagssitzung vor drei Wochen habe die AfD-Fraktion sogar bereits Maßnahmen „in ähnlicher Weise“ gefordert, wie sie jetzt zu beschließen waren. Doch eine Lockerung der Schuldenbremse war nicht darunter gewesen, auch keine Haushaltsvorschläge. Die jetzt bereitgestellten Mittel würden nicht ausreichen, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern, warnte Urban heute. Doch erst vor einer Woche hatte er öffentlich mit zwei Milliarden Euro eine viel geringere Summe angesetzt.
Corona-Mittel für „Linksextremismus“?
Die AfD-Fraktion werde künftig darauf achten, dass mit den Mitteln aus dem Corona-Fonds in der Zukunft nicht heimlich die „Fortsetzung von Multikulti-Projekten und Klimahysterie gefördert wird“, ein Verdacht, den Urban nicht begründete. Sein Kollege André Barth äußerte später die ähnliche Befürchtung, dass das Geld in die Zivilgesellschaft fließen und für die Unterstützung des Ehrenamtes eingesetzt werden könnte, in Bereiche, „die dem Linksextremismus Vorschub leisten“. Belege wurden nicht vorgebracht.
Neu war an den AfD-Vorträgen nur, dass erstmals in Sachsen ein mögliches Exit-Datum für ein Ende der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen ins Spiel gebracht wurde. Diese seien zwar „grundsätzlich“ nötig, sagte Urban. Doch eine Verlängerung über Ostern hinaus würde „eine Katastrophe“ bedeuten. Sachsen benötige daher „eine klare Strategie, wie und wann die derzeitigen Beschränkungen ein Ende finden“. Doch wie diese Strategie aussehen könnte, führten Urban und Kollegen nicht aus.
Die AfD-Beiträge stießen bei den anderen Fraktionen auf einhellige Ablehnung und klaren Widerspruch. Von „Politklamauk“ war aus den Reihen der CDU die Rede. Der LINKEN-Fraktionschef Rico Gebhardt warf Urban vor, bei ihm seien „ein paar Gehirnwindungen verklebt“. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Franziska Schubert nannte Urbans Auftritt „würdelos“. Dass er das wichtige Thema zum Anlass für eine Generalabrechnung mit der Landespolitik nehme, zeuge von einer „kaltblütigen Herzlosigkeit“.