Ein Hippiedorf irgendwo im Nirgendwo wird aufgemischt – eine Reflektion zu den Squatting Days in Freiburg
Ja, in Freiburg ist es wieder ruhig. Statt Ausnahmezustand parken Vonovia Autos wieder ganz ungeniert an alter Stelle und das Gefühl von polizeilicher Besatzung der Stadt ist längst auf ein 'normales' Niveau zurückgekehrt. Während in den Parks die Einsatzhundertschaft Jagd auf Menschen in Racial Profiling Kontrollen macht, gehen die Freiburger Bürger*innen fröhlich in der City bummeln. Kaum waren die Krawalltouris wieder abgereist, kehrte die Freiburger Szene in ihr beschauliches Plenieren zurück. Nur einige wenige kämpfen weiterhin mit der Uneinschätzbarkeit des Staatsapparates. Und dann brannte da doch wieder ein Vonovia Auto einige Wochen später und es scheint, es wurde sich zu früh gefreut über die Ruhe im Green City Paradies.
Mit diesem Text wollen wir unsere Überlegungen im Nachhinein der Squatting Days im Oktober 2019 in Freiburg, insbesondere zu den Aktionsformen und -taktiken, Presse und DIY Prinzip teilen. Damit wollen wir zu einer gemeinsamen Reflektion der Aktionstage und der begleitenden Aktionen beitragen. Unsere Perspektive ist dabei natürlich beschränkt auf das, was wir mitbekommen haben und wir würden uns sehr über Einschätzungen, Erfahrungen, Analysen und Gedanken von Anderen freuen. Danke für die Auswertung aus Sicht der Antirepressionsgruppe (https://barrikade.info/article/3158), die einen Anfang zur Auswertung der Aktionstage gemacht haben. Sorry für den Roman, wir wollten möglichst viele Themen beleuchten und haben wirklich versucht uns kurz zu fassen. Nun ja, das hat mäßig geklappt, geben wir zu.
Unsere Überlegungen haben wir in neun Themen sortiert:
1. Ein kurzer Rückblick
2. Zusammendenken, zusammen handeln - Solidarität trotz Repression
3. Brennende Nächte, ein stilles Lächeln am Tage
4. Mit Militanz Ziel erreicht?
5. Strategien für Besetzen-Aktionstage
6. Divers und konsequent?
7. DIY to it‘s edge
8. Überwachung und Repression trotzen
9. Presse
Dann folgt ein kleiner Ausblick, welche Perspektiven wir sehen, wohin es weitergehen könnte. Es bleibt spannend!
1. Ein kurzer Rückblick
Der Aufruf zu 12 Tagen Squatting Days Ende Oktober 2019 hatte einen expliziten Fokus auf dezentrale, selbstorganisierte Kleingruppenaktionen, sowie größere Besetzungen. Mit einer Bandbreite an Vorträgen, Workshops, Konzerten und DIY-Mitmach & Helfkonzept gab es neben Aktionen immer etwas zu tun. In etwa parallel dazu fand im Autonomen Zentrum der Stadt, der KTS, eine Kulturwoche mit einer großen Zahl von gut besuchten politischen Veranstaltungen, Konzerten und Partys statt. Außerdem gab es in dem Zeitraum weitere politische Veranstaltungen, wie Solidaritätsdemos mit Rojava und der großen Nachttanzdemo „Freiheit verteidigen – Gegen Rechtsruck und Repression“ des NoPolgBW Bündnis gegen die erneute Verschärfung der Polizeigesetze in Baden-Württemberg.
Bereits vor den Aktionstagen gab es mehrere Aktionen, die sich direkt auf die Squatting Days bezogen haben, sozusagen eine dezentrale Auftaktkampagne. Dabei wurden mehrmals Vonovia Autos unbrauchbar gemacht - Vonovia ist der größte Akteur auf dem deutschen Immobilienmarkt - und bei einer Hausbesetzung während der Tu-Mal-Wat Tage in Berlin, der VilLA54, wurde zu den Squatting Days mobilisiert. Daneben gab es viele weitere Aktionen, wie Banner an ehemals besetzten Häusern und Graffiti.
Während der Aktionstage selbst wurden vier Häuser besetzt: die ehemalige Polizeiwache in der Fehrenbachallee (bereits im Mai 2019 schon einmal besetzt gewesen), gleich zweimal der Gilgenmattenweg im Weingartner Wohngebiet, und die sehr zentral gelegene Villa-ähnliche Kronenstraße, bei der durch die Nachttanzdemo, über 1000 Menschen das Squat eröffneten. Neben diesen Besetzungen wurden offene Aktionsformate genutzt, wie eine öffentlich angekündigte feministische Rallye mit niedrigem Aktionslevel. Zudem gab es zahlreiche Farbanschläge, wie gegen die Freiburger Stadtbau, die ein ganzes Quartier abreißen und aufwerten will (das sogenannte Metzgergrün) und gegen andere Akteur*innen der Verdrängung, wie Michael Stock, der die Klarastraßen-Besetzung räumen ließ und weiterhin seine Mieter*innen absolut unwürdig tyrannisiert. Auch militantere Aktionsformen gab es in bisher (auf die letzten Jahre bezogen) unbekanntem Ausmaß - es brannten über 10 PKW, ein Auto der Deutschen Bank wurde demoliert und zwei Hebebühnen der Verleihfirma ButschMeier, die am Tag zuvor eine Hebebühne dem SEK zur Räumung der Kronenstraße zur Verfügung gestellt hatte, wurden in Brand gesetzt. Der Sachschaden der Kleingruppenaktionen dürfte sich im sechsstelligen Bereich befinden. Darüber hinaus gab es viele kleine und wichtige Zeichen der Solidarität, wie ein gut organisierter GeSa-Support, der auf die Freilassung der Gefangenen vor den Polizeistationen wartete und natürlich eine tolle Infrastruktur die das Zusammenkommen und kämpfen so vieler Menschen überhaupt erst ermöglichte, darunter ein Infotelefon, EA-Telefon, Anti-Rep Gruppe, Anti-Knast Struktur, KüFA, Schlafplatzorga und und und.
2. Zusammendenken, zusammen handeln - Solidarität trotz Repression
Häuserkampf ist kein geschichtsträchtiges Politfeld der 80er, nein, Gentrifizierung, Mietenexplosion und Verdrängung sind reale Entwicklungen, die Menschen konkret unterdrücken und ihrer Lebensgrundlage strukturell, staatlich erlaubt und gefördert berauben. Dieser Themenkomplex bietet viel Potenzial keine reine Szenepolitik zu machen, sondern mit den Menschen um uns herum gemeinsam zu kämpfen. In Teilen scheint dies in Freiburg immer wieder bei Besetzungen zu gelingen, wenn Nachbar*innen Kaffee oder Suppe vorbeibringen, an Veranstaltungen teilnehmen oder vor der herannahenden Polizei warnen. Trotzdem zeigten die Squatting Days leider auch, wie einfach es für die Polizei ist, dagegen zu intervenieren. Je schneller und martialischer die Polizei auftritt, desto mehr werden solidarische Nachbar*innen ferngehalten, wird praktische Zusammenarbeit behindert.
In Berlin ist es längst Standard, dass die Polizei sofort nach Bekanntwerden der Besetzung mit Hamburger Gittern anrückt und alles dicht macht. So wird ein Verbreitern der Besetzung erfolgreich eingedämmt. Solidarität wird zur Rolle des Zuschauens degradiert. Diese Strategie wurde während der Squatting Days auch in Freiburg eingesetzt. So wurde die Fehrenbachallee beispielsweise von Anfang an von martialisch auftretender Bereitschaftspolizei bewacht und das Erscheinen der militärisch uniformierten vermummten SEKler (Sondereinsatzkommando, eigentlich schwer bewaffnete ‚Anti-Terror-Einheit‘) war sicherlich auch nicht einladend. Hoffnungsvoll stimmt da jedoch der große Erfolg bei der Kronenstraßen-Besetzung, bei der die Polizei mit massivem Aufgebot versuchte die Besetzung und die Nachttanzdemo zu trennen und so Unterstützung und In-einander-übergehen zu verhindern. Dies scheiterte grandios und die Polizei musste sich nach viel Schlagstock-Prügeln und Geschubse geschlagen zurückziehen. Damit zeigt sich, dass wir nicht machtlos gegen diese Isolationsstrategie sind. Und das ist nur eine von vielen Gegenstrategien, die sich uns bieten, Solidarität nicht zu einer Farce werden zu lassen und eigenmächtig handlungsfähig zu bleiben.
3. Brennende Nächte, ein stilles Lächeln am Tage
Während der Aktionstage verschwanden nach und nach die Vonovia Autos aus dem städtischen Sichtfeld. Und das nicht nur durch den Abschleppdienst für verbrannte und beschädigte Fahrzeuge, sondern auch von sich aus blieben die Straßen leer von Vonovia, Implenia (Knäste bauender Konzern) und ThyssenKrupp-Fahrzeugen (Rüstungskonzern). War da die Angst, am Ende der Sqatting Days gar keine fahrtüchtigen Autos mehr zu haben, so hoch? Und wie bitter ist es dann, wenn der Schreck wieder vorbei zu sein scheint und dann doch wieder einige Wochen später ein Auto an nächtliche Flammen zu verlieren?
Dem Bürgermeister Horn, der sonst gern mal zufällig bei Besetzungen vorbeiläuft, schien es diesmal ganz die Sprache verschlagen zu haben. Auch sonstige linke Größen der Stadtpolitik hielten sich bei der scheinbaren Unvorhersehbarkeit, wohin die Tage aus dem Ruder laufen könnten, auffällig zurück mit Äußerungen und klarem Positionsbeziehen. Lieber abwarten schien die Devise, so schlimm ist das mit den Mieten ja doch noch nicht.
Die Freiburger Polizei wirkte sichtlich gestresst und frustriert. Der anhaltende Kontrollverlust sobald die Dunkelheit einsetzte (und nicht nur da!) trotz blauen und Zivi-Streifen überall, sowie null zu vermeldende Ermittlungserfolge schienen an ihnen zu zehren. Und dazu kamen dann sogar Mainstreampresseberichte über die Lokalpresse hinaus und eine Freiburger Szene, die deutlich und unverhohlen den Mittelfinger gegen den Bullenstaat richtete.
Statt sich darauf zu beschränken auf brutale, repressive Räumungen mit Soli-Aktionen zu reagieren, wurde es geschafft, in die Offensive zu treten, die diesmal den Staat in die Reaktionsrolle zwang.
4. Mit Militanz Ziel erreicht?
Getroffen hat es viele verschiedene Ziele, sodass Namen und Tätigkeiten von diversen Scheißfirmen im Immobilien-, sowie Knast- und Kriegswirtschaftsbereich in den Umlauf gebracht wurden. Die dahinterstehenden Konzerne wurden jedoch meist nur einmal getroffen. Wir fragen uns daher, wie viel direkter Nutzen durch die Aktionen entstanden ist. Außer bei Vonovia und der Hebebühnenfirma ButschMeier wird das eine Auto weniger dem jeweiligen Großkonzern, dessen Namen die Cops der Presse lieber verschwiegen, nicht groß gejuckt haben. Das führt gerade bei den militanten Aktionen zur Frage, was eigentlich Ziel der jeweiligen Aktion ist und ob dieses erreicht wurde. Das ist jedoch bei den dokumentierten Aktionen und den dazu veröffentlichten Texten gar nicht so einfach zu benennen. Soll die Polizei gestresst werden? Dann war es ein enormer Erfolg. Soll eine Firma geärgert werden? Dann vermutlich auch. Soll einer Firma ernsthafter Schaden zugefügt werden? Dann scheint das höchstens bei Vonovia mit mittlerweile einer handvoll demolierten Autos in der Stadt realistisch. Soll der Ruf der ausgewählten Konzerne in Mitleidenschaft gezogen werden? Oder soll der Freiburger Szene gezeigt werden, dass farbige und feurige Kleingruppenaktionen auch hier funktionieren?
Wenn der Fokus auf einzelnen Akteur*innen liegt, statt eine Reihe verschiedenster Firmen anzugreifen, ist der Schaden bei Einzelnen viel größer und wir können mit unseren auch nicht unbegrenzten Ressourcen als subversiver Haufen einen direkten Effekt erzielen. Bei mehr Fokussierung wird vielleicht nicht nur die Aktionsform von Menschen und Medien registriert, sondern es kommt auch etwas Inhalt an (wieso gerade diese Firma etc. wird sich mehr überlegt). So waren es über 10 brennende Autos, deren Firmennamen fast alle schon wieder vergessen sind. Ein Problem mit dem Fokus auf ein*e Akteur*in ist aber, dass nächtliche Aktionen dann vorhersehbarer werden und Risiken somit höher liegen.
Neben der Unberechenbarkeit und somit Resilienz gegen staatliche Gegenschläge, konnten so durch die verschiedenen militanten Aktionsgruppen aber auch Kämpfe thematisch verbunden werden. Es ging um mehr als Wohnpolitik und daher scheint es nur logisch, dass nicht nur Immobilienfirmen angegriffen wurden, sondern eben auch der Bogen geschlagen wurde zu weiteren Kämpfen gegen Rüstungskonzerne, Profiteur*innen des Knastsystems und rassistischer Grenzregime.
Unabhängig von der Strategie haben die vielen militanten Aktionen in ihrer Dichte und Kontinuität währende der Aktionstage und darüber hinaus auf jeden Fall eines klar gestellt: Nur weil hier in den Parks die Hundertschaft patrouilliert, Drohnen umherfliegen, überall Kameras hängen, Aktivbürger die Cops auf uns hetzen und der Staatsschutz fleißig Namen von uns auswendig lernt, bleibt es absolut möglich in den Angriff überzugehen. Unsere Kraft zu entfalten, die auch darin liegt überall überraschend zuschlagen zu können und das mörderische Alltagsgeschäft in dieser kapitalistischen Gesellschaft nicht konsequenzlos zu belassen. Nur weil es möglich ist, muss es aber nicht sinnvoll sein. Daher würden wir uns freuen, wenn diese Hochphase von militanten Aktionen gemeinsam als widerständiges Spektrum diskutiert und reflektiert wird, genau wie Demos eben auch.
5. Strategien für Besetzen-Aktionstage
Zwei Gedanken kamen uns allgemein zur Strategie, zum einen zum Konzept mehrere Großveranstaltungen gleichzeitig stattfinden zu lassen und zum anderen zu Tag X Konzepten:
a) Durch die parallel stattfindenden Veranstaltungen wie die KTS Kulturwoche, etc. waren mehr Menschen in Freiburg, als wenn es nur den Aufruf zu den Squatting Days gegeben hätte. So konnten auch von den anderen Veranstaltungen Menschen für Aktionen mobilisiert werden, Infrastruktur idealerweise gemeinsam getragen werden und ein Angebot geschaffen, dass für sehr viele verschiedene Menschen zugänglich ist. Menschen, die Ruhe nach den Aktionen brauchten, konnten sich eine schöne Veranstaltung im Kulturprogramm suchen. Menschen, die gerade einen Vortrag angehört hatten, konnten gefragt werden, ob sie beim GeSa-Support unterstützen mögen. Insofern ist die Erweiterung unseres Mobilisierungspotenzials durch parallel stattfindende Veranstaltungen auf jeden Fall spannend. Gleichzeitig bleibt die Frage, ob dafür in einer kleinen Szene überhaupt die Kapazitäten sind, so viel gleichzeitig zu organisieren ohne auszubrennen?
b) Immer wieder tauchen Tag X Konzepte als Reaktion auf Räumungen auf. So gab es in Freiburg beispielsweise einen Tag X + 2 Aufruf nach der Doppelräumung der Klara7 und Mozart3 Besetzungen, dem eine Demo und Farbe-Kleingruppenaktionen folgten. Mit der Demo konnte die Räumung im öffentlichen Raum thematisiert werden und die Besetzung mit einem positiveren und kämpferischen Ende als nur der Räumung und GeSA beendet werden und zum anderen zeigten die Kleingruppenaktionen weitere Handlungsfelder auf.
Während der Squatting Days gab es keine organisierten Aufrufe zu Tag X Aktionen und somit auch keine koordinierten Antworten auf die Repression. Eigentlich schade in Anbetracht dessen, dass so viele Menschen in dieser Zeit in Freiburg waren und es eine Menge Wut gegen die Polizei gab, die ein solches Ventil gut hätte gebrauchen können.
Trotzdem haben sich Kleingruppen dezentral zu Tag X Aktionen entschlossen. So folgten auf die spektakuläre Räumung der Kronenstraße ein demoliertes Auto der Deutschen Bank und der Brand der zwei oben erwähnten Hebebühnen. Das hob Tag X Aktionen in Freiburg in diesen Tagen auf ein neues Niveau. Aktionen gingen vom symbolischen Widerstand, wie Farbmarkierungen geräumter Häuser, zum praktischen Angriff auf die Akteur*innen der Räumung über. Es kann sehr empowernd sein, auf Angriffe des Staates offensiv zu reagieren. Die Aktionen sprachen für sich und waren eine Ansage an die, die die Polizei bei ihrem brutalen Vorgehen unterstützen – das kriegt ihr zurück!
Die Aktionsform ist aber auch sehr unzugänglich, benötigt Vorwissen, Ortskenntnisse und so weiter. Daher wäre es schön gewesen, eine öffentlich beworbene Tag X Kampagne während den Tagen gehabt zu haben, die allen anderen auch einen Raum gegeben hätte, um auf die Repression zu antworten. So hätten sich verschiedene Aktionsformen gemeinsam entwickeln können und die Antwort auf Räumungen wäre sicherlich breiter ausgefallen. Vielleicht eine Idee fürs nächste Mal?
6.Divers und konsequent?
Es wurde nicht nur kollektiv besetzt, sondern viele verschiedene Aktionsformate ausprobiert, bei denen es schwer fällt, den Überblick zu behalten. Und nein, das heißt nicht nur Besetzungen und brennende Autos. Es gab viel dazwischen, viele weitere Formen, die Menschen gewählt haben, um laut und aktiv zu werden. Beispielsweise Farbbombenwürfe, Demos, Flyern bei Nachbar*innen der neuen und ehemaligen Besetzungen und nicht zu vergessen ein über 12 Tage funktionierendes KüFA-System. All dies geschah zumindest auf Plattformen wie indymedia unter dem Deckmantel der Squatting Days, erschien also irgendwie zusammenhängend. Außerhalb des aufgrund dieser Texte entstandenen Szenegetuschels war von den Kleingruppenaktionen jedoch nichts zu merken, sodass gerade die Kluft zwischen brennenden Autos und Besetzungen mit eigenen Pressemitteilungen immer wieder deutlich wurde. Mehr Bezugnahme aufeinander wäre politisch produktiver, aber wird aus Angst vor einer Verstärkung von Repression verhindert. Ist das gut so oder ein sich aktiv selber schwächen?
Wie können Aktionsformen, die das Repressionsrisiko gegenüber der WG-Gruppe, die offiziell zu den Tagen aufgerufen hatte, erhöhen und wo in Klein-Freiburg schon einige Namen bei vergangenen Besetzungen in die Polizeidatenbanken eingeflossen sind, trotzdem als Teil der Aktions- und Vernetzungstage und nicht als Auswuchs derer behandelt werden?
Es scheint so, als wäre zwar zum selber Aktionen machen aufgerufen worden, sich aber nicht mit den Konsequenzen davon vorher ausreichend beschäftigt worden sein. Dass bei explizit internationaler Mobilisierung auch direkte, höherschwellige Aktionsformate genutzt werden, hätte vorhergesehen werden müssen. Dann reagieren zu können, also zu wissen, wie damit umzugehen ist - d.h. wie die verschiedenen Aktionsformen vor der Presse zu vertreten sind, als auch wie in der Szene und intern damit umzugehen - hätte in der stressigen Zeit währenddessen einiges an Nerven entspannen können.
7. DIY to it‘s edge
Das Konzept zu dezentralen Aktionen während der Aktionstage aufzurufen und eine Struktur dafür aufzubauen, die diese ermöglicht, kann uns helfen von elitären Ideen einer Aktionselite, die weiß, wo es langgeht, weg zu kommen und unsere Kämpfe, Perspektiven und Horizonte kollektiv zu erweitern. Sie kann uns aufzeigen, dass wir alle handlungsfähig sind und viel Kraft in unserer Verschiedenheit liegt. Es gab viele empowernde Momente in diese Richtung, trotzdem erscheint es zu viel zu behaupten, das Konzept wäre wirklich erfolgreich aufgegangen.
Kleingruppen wurden empowert eigene Aktionen zu machen, es hätte aber so viel mehr gehen können. Insgesamt bleibt das Problem, dass in einer kleinen Stadt mit begrenzten Ressourcen es mehr Gruppen von außerhalb bräuchte, die bereit sind in Kleingruppen Aktionen zu gehen. Das ist aber schwierig zu realisieren, da die meisten Kleingruppen nicht die Zeit haben, eine Aktion an einem ihnen unbekannten Ort zu machen oder nicht ihre ganzen Kapazitäten während der Aktionstage nur darauf zu verwenden. Auch der emotionale Bezug ist bei dieser Form vermutlich weniger groß, als wenn mensch selber vor Ort wohnt oder persönlich angesprochen wird. Zudem ist es auch vielen nicht möglich andauernd von Stadt zu Stadt, von Aktion zu Aktion zu fahren und auch eher nicht so sinnvoll. Schließlich braucht es auch lokale Vernetzung, Basisarbeit und kontinuierlichere Organisierungsformen. Und da bleibt ein dezentrales DIY-Konzept eben begrenzt.
Es bleibt die Frage, ob es nicht mehr Kombination bräuchte von lokaler Vorbereitung und niederschwelligen Mitmach-Aktionen mit DIY Aufrufen (die das Ausmaß an Aktionen stabil halten und vielleicht sogar noch mehr Menschen empowern selber aktiv zu werden auf ihre Art). Und eine stärkere persönliche Vernetzung vor solchen Aktionstagen, die den Aufruf so viel früher klandestin verbreiten, wäre interessant. Dann könnten Kleingruppen sich auch wirklich gut vorbereiten und nochmal extra motiviert werden, auch wirklich zu kommen.
Auch in Zukunft müssen wir im Blick behalten, dass in einer patriachalen Gesellschaft Aktionen und Arbeit nach außen mehr Status bringen als Hintergrund und Repro-Arbeit. Eine Trennung in die coolen Aktionsleute und den Rest, der die Struktur dafür stellt, darf nicht passieren. Ob wir die Suppenkelle, Akku-Flex oder den Brandsatz schwingen – ganz egal. Alles ist gleich wichtig im Kampf gegen den kapitalistischen Ausverkauf unseres Lebensraums.
8. Presse
Erst gab es regional positive Berichterstattung zu den Tagen, als dann die Staats- und Kapitalismuskritik zu deutlich wurde, musste das Ganze irgendwie negativ dargestellt werden und der Fokus lag nur noch auf den brennenden Autos. So lässt sich das ganze in einem Satz (verkürzt) darstellen. Auf der anderen Seite gab es überregionale bis bundesweite Berichterstattung auch nur durch die Brandstiftungen. Es bleibt die Frage: Lieber weniger, aber positivere Presse oder frei nach dem Motto auch schlechte Presse ist immer noch Presse?!
Wenn wir daran arbeiten positive Presse zu bekommen, kann das hilfreich sein in der Vermittlung unserer Ideen, mehr Menschen erreichen und ein gutes Bild bei diesen hinterlassen. Es schafft aber auch eine Abhängigkeit. Berichterstattung hängt wenig von der Aktionsform und den beteiligten Gruppen ab und viel von den Chefredakteur*innen, Geldgeber*innen des Verlagshauses, dem politischen Klima, Polizeipressemitteilungen und der generellen Ausrichtung des Verlagshauses.
Vermutlich hätte die dpa (größte deutsche Presseagentur) auch ohne die Brände von zumindest der Kronenstraßen-Besetzung berichtet, weil sich die Hausbesetzungen da schon gehäuft haben, es also einen 'Nachrichtenwert' gab. Vermutlich aber nicht in diesem Ausmaß. Und die Frage ist dann auch noch: die dpa schreibt viel, aber kaum etwas davon wird auch überregional von größeren Medien aufgegriffen. Uns muss klar sein, dass eines so bleiben wird. Eine Besetzung, wie die Kronenstraße, ist eine Nachricht und die geht schnell unter, aber brennende Autos sind ein Skandal und darauf basiert heute sehr viel Presseberichterstattung. In der ganzen Stadt haben die Leute über die Autos geredet, Leute aus der Szene wurden darauf von ihren Eltern oder ihrer Nachbar*in angesprochen. Es war für kurze Zeit das Thema. Und es bleibt die traurige Bilanz, dass selbst die Kronenbesetzung viele Szeneleute gar nicht mitbekommen haben. Die Lesen die schlechte Lokalpresse nicht und indymedia wohl auch nicht.
Bei eigener emanzipatorischer Pressearbeit ist die Frage, was unser Ziel damit ist. Ab wann ist diese Arbeit für uns erfolgreich, an wen richtet sie sich? Wenn unser Anliegen ist, unbezahlbare Mieten anzuprangern, solidarisch mit von Gentrifizierung Betroffenen zu handeln, das verheerende Ausmaß von Leerstand und Verdrängung in Freiburg und auf größerer Ebene direkt aufzuzeigen, dann lasst uns das machen, statt uns in Pressemitteilungen zu verlieren, wo das Zitat sowieso nur übernommen wird, wenn es gerade ins sensationslustige (Tages-)Konzept der jeweiligen Redaktion passt.
Auch eine Frage ist, ob mit militanter Aktion dieser Form überhaupt derzeit in Deutschland Sympathie in der Presse möglich ist. Wenn wir davon nicht ausgehen, wäre es sinnvoll Aktionen danach auszurichten. Wenn diese Presseaufmerksamkeit bekommen sollen, sind sie von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Bis zu klammheimlicher Freude gegen Vonovia ist es noch ein weiter Weg. Also warum nicht die Aktionen stärker auf einen direkten Charakter fokussieren und andere Adressat*innen als die Presse anvisieren. Da wäre die Aktion gegen den Hebebühnenverleih ein Beispiel, bei dem dies gelungen scheint. Die Presseberichterstattung war wie zu erwarten eher schlecht und polemisch inhaltslos, aber da dies auch nicht das Ziel gewesen zu sein scheint, konnte direkt gegen einen Akteur bei der Räumung vorgegangen, Konsequenzen aufgezeigt und der Polizei eine sicher höchst peinliche Situation beschert werden.
Freiburg - ein Hippiedorf irgendwo im Nirgendwo? Die linke Medienlandschaft scheint dieser Meinung zu sein, wie null Artikel in der taz, ak, nd etc. zeigen. Doch nicht nur in Berlin gibt es Häuserkampf und enorm hohe Mietpreise. Das ist arrogante Großstadtattitüde, schon traurig. Die Squatting Days können auch als Versuch gesehen werden, den Häuserkampf vernetzter, bundesweit, vielleicht sogar international zu sehen und als größeres Problem zu analysieren, darüber zu berichten und dagegen in Aktion zu treten.
Zuletzt sollten wir uns auch die Frage stellen, wie wir die Diversität an Aktionsformen in einen Rahmen bringen können. Statt unsere eigene Meinung, von wie die Tage gelaufen sind und welche Taktiken sinnvoll sind, von den Kommentaren der reaktionären BZ (Lokalzeitung) abhängig zu machen, lasst uns eine eigene kritische Meinung fassen, von wie Widerstand und Protest aussehen kann und soll!
9. Überwachung und Repression trotzen
Wenn wir statt einer zentralen Orgagruppe, die alle Aktionen plant und koordiniert, unabhängig und dezentral in Kleingruppen agieren, bietet das weniger Angriffsfläche für den Staat. Ein paar Leute festnehmen, hält uns dann nicht auf. Das hat sich auch ganz konkret während der Aktionstage gezeigt. Während die Polizei immer wieder dutzende Leute kesselte, in Gewahrsam nahm und gegen Ende dann gleich noch mit Stadtverboten belegte, fanden an anderen Stellen in der Stadt unbeirrt weiter Aktionen statt. Ein Grund zu Feiern!
Uns erscheint es sehr wertvoll, dass trotz absurder Polizeipräsenz stetig weitere Aktion stattfanden und Leute sich nicht klein kriegen lassen haben von der scheinbaren Polizei-Übermacht (im Kopf). Statt zu resignieren wurde mit gut überlegter Strategie an anderen Orten unerwartet zugeschlagen und so Risiken minimiert und ein Gefühl kollektiver Stärke aufgebaut. Denn fast zwei Wochen Besetzungen, Veranstaltungen, Farbangriffe und militante Anschläge zu wuppen ist keine Kleinigkeit und zeigt was für eine Kraft in der bunten Mischung aus lokalen Gruppen und angereisten wunderbaren Chaot*innen aus ganz Deutschland und Europa liegt. Das wird aber vermutlich auch den Behörden aufgefallen sein und es bleibt abzuwarten, was deren Antwort sein wird. Bislang ist es noch recht ruhig geblieben und es laufen derzeit die Prozesse zu den ersten Besetzungen der letzten Jahre an. Bis wir also sichtbare Reaktionen auf die Squatting Days bekommen kann es noch eine Weile, auch Jahre dauern. Lasst uns dabei aber nicht vergessen, dass das nicht heißt, dass die Polizei tatenlos ist. Wir müssen mit Überwachung, Bespitzelung oder das Suchen von Sündenböcken (siehe z.B. die 2 vom Landgericht in Tübingen) rechnen und uns darauf vorbereiten. Also verschlüsselt eure Geräte, räumt auf und so weiter – ihr wisst schon.
Wie geht‘s weiter?
Die Repressionswelle ist bereits jetzt in vollem Gange. So werden aktuell die Prozesse der Hausbesetzer*innen aus den letzten Jahren verhandelt. Damit bleibt der Wohnraumkampf ein Thema in Freiburg, aber die Verschnaufpause für die Aktivist*innen wie immer nur eine kleine. Es gibt einen Spendenaufruf und eine Anti-Rep Gruppe für Besetzer*innen, an die ihr euch wenden könnt, wenn auch ihr Briefe, Vorladungen etc. bekommt. Infos findet ihr dazu auf diewg.noblogs.org!
Nach den Squatting Days setzte die lokale Recht auf Stadt Gruppe den Druck auf Vonovia fort und mittlerweile gibt es ein Bündnis aus Mieter*innen, das sich gegen Vonovia organisiert.
Von der WG hat man seit den Tagen im Oktober eine Weile wenig gehört, doch Leerstand und Gentrifizierung nehmen weiter zu, und so wird hoffentlich auch das Besetzen. Aber Verschnaufpausen sind schließlich auch wichtig. Lasst euch nicht unterkriegen von Paranoia!
Macht mal eine Pause um langfristig aktiv zu bleiben. Bildet Banden, passt aufeinander auf.
Der anstehende Housing Action Day, dessen Aufruf auch verschiedene Freiburger Gruppen unterschrieben haben, lässt hoffen, dass es auch lokal weitergeht – in welchen Formen auch immer.
Das systematische Aufwerten in Freiburg könnte anhand der anstehenden Zerstörung von zum Beispiel dem Metzgergrün von den lokalen Gruppen angegangen werden.
Im Herbst 2019 ist bundesweit und auch in der Schweiz viel passiert zum Thema Besetzen. Es wird weitergehen mit vielen Aktionen, Besetzungen, Kampagnen zu Wohnraum und Verdrängung. Da ist die Tendenz zu mehr, vernetzter, mit mehr Schwung. Wichtig bleibt dabei, aber nicht alles was irgendwie mit Wohnraum zu tun hat, gleich cool finden. Sondern solidarisch kritisch betrachten, analysieren und uns streiten. Ein gutes Beispiel sehen wir dafür in der Kritik an der Deutsche Wohnen Enteignen Kampagne in der Interim Nr. 807.
Es wird aber auch eine Zunahme an Räumungsversuchen in diesem Jahr geben. Überall sind Projekte bedroht. Ob die G19 in Freiburg, die Schlossgasse und Elsi in Basel oder all die Projekte in Berlin, wie Liebig34, Potse, Drugstore, Köpi, Meute, etc. und auch international sieht es an vielen Orten ähnlich aus (Exarchia in Athen, Rozbrat in Polen).
Wir würden uns dabei freuen, wenn wir es schaffen in der Offensive zu bleiben, trotz der massiven Angriffe von staatlicher und reaktionärer (z.B. AfD) Seite und statt den Räumungen hinterher zu rennen, eher perspektivisch sie so auf Trab zu halten, dass sie gar nicht mehr auf die Idee kommen, bereits bestehende Projekte anzugehen. Die Squatting Days haben neue Räume eröffnet, bundesweite und internationale Vernetzung gestärkt, Militanz in Freiburg zum Thema gemacht und viele Stärken, aber auch Schwächen der Konzepte und Strukturen gezeigt. Lasst uns daran anknüpfen, daraus lernen und weiter machen! Wir freuen uns über Antworten, weitere Reflektionen und Kritik!
P.S. Wir würden uns freuen, wenn wer das ganze auf Englisch übersetzen könnte, da die Squatting Days eine internationale Mobi hatten und wir den Text gerne zugänglicher machen würden, es aber im Moment kapazitätsbedingt nicht schaffen.