Facebook Deutschlandzentrale in Hamburg "gehackt"
Ugly Facebook - FUNDAMENTAL DISLIKE
Wir haben das „Portal“ von Facebook Deutschland „gehackt“
Als größere Gruppe selbst gewählter Freund*innen haben wir gestern am frühen Samstagabend mit reichlich Steinen und Farbe in der Hamburger Innenstadt (Caffamacherreihe 7) die Glasfront der Deutschlandzentrale von Facebook „zerhackt“. Mit Rauch haben wir die Cops der nur 70 Meter entfernten Polizeiwache im Nebel gelassen.
Mark Zuckerberg ist letzte Woche mit Anfang 30 in Elternzeit gegangen – schön für ihn. Seine weiblichen Mitarbeiter drängt der Facebook-Chef hingegen, den Zeitpunkt der Mutterschaft per social freezing auf weit nach 40 zu verschieben, um die Arbeitskraft junger Frauen „ohne Karriereknick“ länger ausbeuten zu können. Verpackt als Hilfe zur Selbstbestimmung der Frau erhöhen Facebook und Apple als erste Arbeitgeber mit der „Kostenübernahme“ zum Einfrieren der Eizellen den Druck auf ihre Mitarbeiterinnen zur Selbstoptimierung als Arbeitskraft. Sie sollen „im leistungsfähigen Alter“ nicht mehr wegen Familienplanung „ausfallen“. Aber das nur am Rande.
Es gehört in unseren Kreisen zum guten Ton, Facebook „eigentlich doof“ zu finden. Mit Äußerungen wie „still not loving facebook, but ...“ tragen viele von uns ihre „kritische“ Gesinnung dem IT-Giganten gegenüber konsequenzlos vor sich her. Alle wissen, dass Facebook keinerlei Privatsphäre respektiert. Es reicht, die Nutzungsbedingungen zu studieren: Facebook speichert unseren Aufenthaltsort (GPS- und netzwerkbasiert), liest Textnachrichten und Anrufprotokolle sowie Netzwerk-Verbindungen, nimmt Videos, Fotos und Ton auf, liest und verändert selbständig Kontaktdaten sowie Kalendereinträge ohne die Nutzer*in zu informieren, liest die Einstellungen anderer Dienste auf dem Smartphone, greift auf andere aktive Apps zu und lädt ohne Benachrichtigung Dateien runter, ...
Facebook analysiert unsere Vorlieben und Interessen und stellt daraus einen individuell auf uns abgestimmten Nachrichtenstrom zusammen. Informationstechnisch bewegen sich viele mittlerweile komplett in so gefilterten Facebook-Blasen, deren Dynamik Facebook bestimmt. Klassische, nicht personalisierte, redaktionell bearbeitete und zusammengestellte Nachrichten verlieren immer weiter an Bedeutung. Facebook lässt immer mehr Journalist*innen direkt für seine Plattform Nachrichten verfassen. Facebook bestimmt dann, wer sie in welcher Form erhalten wird.
Du darfst dich bei uns sozial vernetzen, aber was du zu sehen bekommst, wer und welche Mitteilung bei dir auftaucht und wer deine wirklichen Freunde sind, das entscheiden wir. Wer das Internet kontrolliert, kontrolliert nicht nur das Wissen der Menschheit sondern beeinflusst damit auch deren Ansichten, Vorlieben und Gewohnheiten – alles hochgradig individualisiert.
Viel zu abstrakt
Alle wissen, dass Facebooks Manipulationen von Kommunikation komplett übergriffig sind. Einer staatlichen Behörde würden wir niemals widerstandslos eine solche Lenkungsmacht einräumen. Aber niemand kümmert sich darum, weil dies in der Regel erst „zukünftig“ einen negativen, persönlich „spürbaren“ Effekt haben wird. Wenn der manipulative Eingriff in unser Leben verlockend „smart“ genug ist, will niemand ernsthaft an der massiven Einschränkung unserer Selbstbestimmung Anstoß nehmen. Die Entwicklung des Internet geht deutlich schneller voran, als sich das Bewusstsein der Menschheit für die Konsequenzen der Digitalisierung herausbildet. Schon lange wird die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung maßgeblich mitbestimmt durch das, was die Alpha-Männer von Amazon, Apple, Facebook, Google und anderen aus dem Tal der Technokratie glauben, uns zumuten zu können: „Die Unternehmenspolitik ist es bis genau an die Grenze zu gehen, wo es den Leuten unheimlich wird, aber nicht darüber hinaus.“, so Google-Manager Eric Schmidt.
Facebooks Übergriffigkeit lässt sich nicht allein mit dem an Bedeutung schwindenden Begriff der Privatsphäre fassen. Der Eingriff in unsere Informations-, Erfahrungs-, Arbeits-, Freizeit- und Gefühlswelt reicht viel weiter. Er wird unser Leben massiv fremdbestimmen und vollständig neu ordnen – ohne dass eine bewusste Abwägung zwischen Bereicherung und Entmündigung stattfindet.
Das ist dir zu abstrakt und zu vage?
Ok - da unsere Vorstellungskraft nicht annähernd so weit reicht, wie die jener Technokrat*innen, die aktiv an einer Welt arbeiten, in der nur noch technologische Lösungen für gesellschaftliche Probleme zulässig sind, verbleiben wir im Hier und Jetzt:
Bei der Anfrage auf Löschung rassistischer Postings: „Friss Scheiße Du syrische Drecksau“ und „Gebt den Sicherheitskräften endlich Schusswaffen und knallt diese Pseudo-Flüchtlinge ab“ gibt sich Facebook als Bewahrer der freien Meinungsäußerung und antwortet: „Wir haben den von Dir wegen Hassbotschaften gemeldeten Beitrag geprüft und festgestellt, dass er nicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards verstößt.“ Dass sich Facebook hierbei nicht wirklich der Neutralität verpflichtet fühlt, sollen im Folgenden vier Beispiele verdeutlichen:
Verfolgung und Behinderung von Fluchthilfe zusammen mit Europol
Im April 2015 hat der Europäische Rat beschlossen, gegen ein „Anlocken“ von Flüchtlingen vorzugehen. Zur Verhinderung einer Kontaktaufnahme von Flüchtenden mit Fluchthelfer*innen hat Europol eine Kooperation mit Facebook und Twitter begonnen. Seit dem 1. August sind bei der „Meldestelle für Internetinhalte“ (IRU) innerhalb von Europol zusätzliche Stellen eingerichtet worden, die die sozialen Medien nach Fluchthilfeaktivitäten durchforsten. Werden die Mitarbeiter*innen fündig, soll zukünftig direkt die Löschung erfolgen. Darüber hinaus soll Europol auch direkten Zugriff auf die Tracking-Daten bei Facebook erhalten ohne diese bei den jeweiligen Mitgliedsländern anfordern zu müssen. Die “Meldestelle“ soll dem „Europäischen Zentrum zur Terrorismusbekämpfung“ (ECTC) untergeordnet werden. Das Vorhaben wurde wohlgemerkt noch vor den Anschlägen in Paris beschlossen! Dafür braucht es keinen Ausnahmezustand. Das ist nun europäischer Normalzustand.
Real-Life-Experimente zur Verhaltensökonomie
Im Juni 2014 kommt raus, dass Facebook über längere Zeit die Seiten von 700.000 Nutzer*innen psychologisch manipulierte – ohne dass die Nutzer*innen davon wussten. Dieser Gruppe wurden vornehmlich positive Posts ihrer Facebook-Freund*innen gezeigt. Negative Posts erhielten ein schwächeres Ranking bzw. wurden ganz unterdrückt. Dann wurde beobachtet wie sich dieser algorithmische Stimmungs-Aufheller auf das Kommunikationsverhalten der so manipulierten Nutzer*innen auswirkte – und oh Wunder: Sie äußerten sich durchgängig positiver in ihren eigenen Postings verglichen mit einer genauso großen Gruppe negativ-manipulierter Nutzer*innen.
Im Guardian äußert sich eine Facebook-Sprecherin zu dem Skandal. Ziel des Experiments sei es gewesen “unsere Dienstleistungen zu verbessern und die Inhalte, welche die Leute auf Facebook sehen, so relevant und ansprechend wie möglich zu gestalten.“ Weiter sagte sie „ein Großteil davon besteht darin zu verstehen, wie die Nutzer auf verschiedene Arten von Inhalten reagieren, je nachdem ob sie eine positive oder negative Tonalität haben; ob es Neuigkeiten von ihren Freunden oder Informationen von Seiten sind, denen sie folgen.“ Facebook mache viele derartiger Verhaltensexperimente und außerdem seien diese Experimente, in die die Nutzer*innen ohne ihr Wissen involviert werden, durch die Nutzungsbedingungen abgedeckt.
Wie weit die gezielte Beeinflussung von Unzufriedenheit bei Facebook jenseits von „Experimenten“ zur Verhaltensbeeinflussung geht, zeigt sich nur zwei Monate später:
Informationelle Aufstandsunterdrückung
Am 9. August 2014 wurde in Ferguson der 18-jährige Michael Brown bei einer Polizeikontrolle erschossen. Eine Polizeistreife hielt ihn an, weil er es wagte, auf der Straße statt auf dem Bürgersteig zu laufen. Während der Diskussion löste sich ein Schuss aus dem Streifenwagen. Brown floh und wurde dabei von einem Polizisten von hinten erschossen. Michael Brown war unbewaffnet und er war schwarz.
Bereits am nächsten Tag versammelten sich die schwarzen Bürger*innen der Stadt zur Mahnwache, der sich 150 Polizisten in gepanzerter Montur entgegen stellten. Die Stimmung heizte sich auf, die Lage geriet außer Kontrolle, es kam zu Straßenschlachten und Plünderungen. Am 11. und 12. August setzte die Polizei Panzerfahrzeuge, Blendgranaten, Rauchbomben, Tränengas sowie Gummigeschosse gegen die aufgebrachte Menge ein. Die Bilder von der martialischen Aufstandsbekämpfung gingen weltweit durch die Medien und natürlich auch durch die sozialen Medien. Aber nicht durch alle sozialen Netzwerke gleichermaßen.
Zeynep Tufekci, Dozentin an der Uni in North Carolina, untersucht die politische Macht durch algorithmische Nachrichtenfilterung. In einem Beitrag auf dem Bloggingportal Medium konstatiert sie, dass in ihrem Facebook-Stream Ferguson kaum auftauchte, während es auf Twitter beinahe kein anderes Thema gab. Das lag aber nicht daran, dass die Leute auf Facebook nichts dazu schrieben.
Der Edgerank-Algorithmus, der laut Facebook die Neuigkeiten nach personalisierter Relevanz aufbereitet, schien das Thema einfach herausgefiltert zu haben.
Gezielte Manipulation in Kooperation mit der NSA
Im April 2015 erfuhren wir aus dem Fundus der Snowden-Dokumente, dass Facebook im Auftrag der US-Regierung regierungskritische Veranstaltungs-Infos und Direktnachrichten zwischen Facebook-Nutzer*innen manipuliert, um Demonstrationen zu verhindern. Nach dem Aufflammen der Occupy Wall Street Proteste im Herbst 2011 weiteten Facebook und NSA ihre gemeinsame „Operation SPORA“ zur Manipulation solcher Nachrichten aus.
Aus den Dokumenten geht hervor, dass SPORA Mitteilungen zu Demonstrationen und Flashmobs nicht einfach nur verschluckt oder verspätet sendet, sondern Orte und Zeiten dieser Verabredungen manipuliert. Das betrifft sowohl Facebook-“Veranstaltungen“ als auch Direktnachrichten. Messenger-Apps und Webseiten zeigen zur Zerstreuung dann unterschiedliche Daten an.
Die Entwicklung der Manipulationssoftware läuft als NSA-Kooperation mit einem kleinen Team bei Facebook. Angewendet wird die Software von allen Geheimdiensten der „Five Eyes“-Allianz auch auf weitere Plattformen, darunter WhatsApp und Google Hangout. Ein Beispiel, das zeigt, wie irrelevant eine Unterscheidung von privat-ökonomischen Erfassungs- und Lenkungsabsichten der Digitalelite gegenüber der rein repressiven Intervention durch Geheimdienste und Behörden ist.
Facebook und die Bewegungslinke
Was, wenn Facebook in Augenblicken aufquellender sozialrevolutionärer Dynamik seine Dienste in noch viel stärkerem Maße gegen uns wendet bzw. selektiv ganz verweigert? Wollen wir uns erst dann eigene, unabhängige Techniken der Wissensverbreitung und Kommunikation aneignen?
Es ist schon erstaunlich genug, dass auch der autonomen Bewegung die Bequemlichkeit einer Kommunikationsplattform und die gefühlte informationelle Mainstream-Zugehörigkeit wichtiger erscheint als ihre Autonomie, aber dass wir aktiv via Facebook der Repression zuarbeiten, das geht uns dann hoffentlich doch zu weit! Oder nehmen wir die über Facebook vermittelte Behörden-Kooperation und Unterwanderung linker Widerstandsbewegungen hin, während wir als Anna und Artur weiterhin lautstark jede „direkte“ Zusammenarbeit mit Verfolgungsbehörden für undenkbar erklären?
Das erscheint uns wenig glaubwürdig und vor allem wenig sinnvoll.
Widerstand digital + analog = real
Es regt sich Widerstand – selbst gegen Facebook! „Zuck off“ wird dem Facebook-Chef Zuckerberg in Indien entgegen gerufen. Dort kämpfen aktuell Aktivist*innen mit viel öffentlicher Unterstützung gegen Facebooks Projekt internet.org, mit dem Facebook auch in entlegeneren Gegenden den Armen ein „kostenfreies“ Netz zur Verfügung stellen will. Stein des Anstoßes: Facebook lässt in diesem „gemeinnützigen Netz für alle“ nur 35 Webseiten sichtbar werden – Facebook an erster Stelle. Der Zugang zum Rest der (Netz-)Welt bleibt versperrt. Mark Zuckerberg reagiert zynisch, pragmatisch, großkotzig auf den Vorwurf der Zensur und Lenkung: „Lieber ein bisschen Internet als gar keines.“
Der Widerstand gegen diese zugespitzte Form der Netz-Nicht-Neutralität ist nicht spurlos geblieben. Vier der von Mark Zuckerberg auserwählten Anbieter, darunter die Times of India haben sich bereits aus dem Facebook-Projekt zurückgezogen, da sie den Vorwurf der Teilhabe an „wirtschaftlichem Rassismus“ und „Landnahme“ (landgrab) nicht auf sich sitzen lassen wollten.
Aber macht ein symbolischer, nicht-digitaler Angriff auf einen Giganten der vermeintlich digitalen Welt wirklich Sinn? Ja, macht er – die Unternehmensführung von Google war empfindlich getroffen, als Gentrifizierungsgegner*innen die Google-Busse stoppten und angriffen: Öffentlich wahrnehmbarer Protest gegen den astronomischen Anstieg der Wohnkosten im Umkreis der Haltestellen dieser Shuttle-Busse, die jeden Morgen Tausende Google-Mitarbeiter*innen aus der Umgebung von San Francisco zum Unternehmenssitz im Silicon Valley bringen. Darauf folgende Demonstrationen zwangen Google sogar ein konkretes Bauvorhaben in San Francisco fallen zu lassen. Auch Googles erste Version der Datenbrille glasses ist maßgeblich an der breiten öffentlichen Wirkung der Kampagne ihrer Gegner*innen gescheitert und wieder vom Markt genommen worden. Aktivist*innen in den USA hatten Datenbrillenträger*innen als glassholes diffamiert und ihnen teils handgreiflich die Brille von der Nase geholt. In vielen angesagten Kneipen und Clubs hatten glassholes daraufhin Hausverbot.
Eine eintägige militante Autobahnblockade in unmittelbarer Flughafennähe der Taxifahrer*innen gegen die Taxi-App Uber in Paris hat den letzten Ausschlag zu deren Verbot in Frankreich gegeben.
Anfang letzten Monats haben Aktivist*innen das Headquarter von Airbnb in San Francisco besetzt, quasi um die Kämpfe für bezahlbaren Wohnraum an den Ort zu tragen, der in wachsendem Ausmaß für Zwangsräumung und Vertreibung mitverantwortlich ist.
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Wir sehen die Notwendigkeit, uns gegen die digitale Kontrolle und den Versuch der Übernahme unseres Lebens aktiv zu wehren aber auch darüber hinaus gegen dieses System und seine Geschäftspartner vorzugehen. Eine Rebellion gegen diese Welt wird nicht durch die Reform des Internets stattfinden.
- Komm raus aus der entmündigenden Enge der Fremdbestimmung
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