Siemens von innen

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Ein kleiner Bericht von der Jahreshauptversammlung der Siemens AG am Mittwoch, 5. Februar, in der Münchner Olympiahalle.

Nachdem ich nun schon seit ner Weile ein paar Siemens-Aktien habe, wollte ich auch endlich mal so ne Hauptversammlung von innen sehen und habe mir eine Eintrittskarte bestellt. Schon auf dem Weg von der U-Bahn zur Olympiahalle wird klar, dass diesmal was geboten ist. Auf der Fußgängerbrücke über den Petuelring liegt, als ich kurz vor dem offiziellen Versammlungsbeginn um zehn dort ankomme, ca. ein Dutzend Leute von Extinction Rebellion (XR) herum, sie lassen aber freundlicherweise einen Durchgang. Rund um die Halle ist es sehr unübersichtlich, Fridays for Future (FFF) und irgendwelche Umweltgruppen protestieren, ich schätze spontan zwei bis drei Kundgebungen mit je 200 Leuten, aber mit den ganzen (teilweise interessierten) AktionärInnen zwischendrin kann ich echt nicht sagen, wieviele es waren. Irgendwo war angeblich noch ein Stand von den kritischen AktionärInnen, die hab ich nicht gefunden, aber offensichtlich waren sie da, die haben nämlich ein paar Eintrittskarten an AktivistInnen weitergegeben, die so in die Halle kommen konnten.

Das große Thema draußen war die Adani-Kohlemine in Australien, wo Siemens die Signaltechnik für eine Kohlebahn liefert, und auch drinnen führte daran kein Weg vorbei. Siemens-Vorstand Joe Kaeser ging in seiner Eröffnungsrede darauf ein, man habe das am Anfang falsch eingeschätzt und jetzt habe man halt einen Vertrag, den man einhalten müsse. Trotzdem kann er sich's nicht verkneifen, FFF und insbesondere deren Deutschland-Sprecherin Luisa Neubauer zu dissen. Der hatte er ja öffentlich einen Posten im Aufsichtsrat angeboten und die hatte abgelehnt (mit der nachvollziehbaren Begründung, dass sie sich mit so nem Konzern ja gar nicht auskennt, er solle den Posten lieber Fachleuten geben). Das deutete er in seiner Rede nun so, dass sie sich vor der Verantwortung drücke und damit auch das moralische Recht verwirkt hätte, ihn zu kritisieren.

Zumindest von den oberen Rängen der Olympiahalle war zu diesem Zeitpunkt noch gut zu hören, dass draußen Parolen gerufen wurden und irgendwas hat gerumpelt. Erst gegen halb zwölf hatte ich den Eindruck, dass es vor der Halle ruhiger wird. Drinnen blieb's hitzig. Das lag nicht nur an den vereinzelten Leuten, die drunten in der Arena für ein bisschen Unordnung sorgten. Einer sprang im Känguru-Kostüm zwischen den Sitzreihen herum und ich konnte ihn erst gar nicht einordnen, weil auf seiner Jacke hinten "Security" stand, aber auf den Ärmeln XR-Zeichen prangten. Eine Handvoll XR-Leute bildete eine kleine Menschenkette, deren T-Shirts zusammen den Spruch "Act Now!" ergaben (die Menschenkette war dank Sekundenkleber auch ziemlich dauerhaft, etwas zusammengeschoben stand sie bis zum Schluss der Versammlung, ehe sich der Kleber dank Schweiß langsam auflöste). Es liefen zwar ein paar einzelne Cops im Gebäude rum, ansonsten war's ab der flughafenmäßigen Einlasskontrolle ziemlich entspannt und die Securitys waren auch nicht auf Eskalation aus.

Nach Kaesers Rede begann die Generaldebatte und fast jeder einzelne Beitrag befasste sich auch mit dem Thema Adani. Sogar die VertreterInnen der verschiedenen Aktienfonds und Aktionärsvereine machten Kaeser deswegen Vorwürfe. Praktisch alle sahen einen Reputationsschaden, aber auch das Umweltthema an sich war vielen wichtig -- es gebe eine Nachfrage nach grünen, nachhaltigen Anlagen und wenn Siemens da auf diese Weise Minuspunkte sammelt, fliegt die Aktie halt aus dem Portfolio. Die Vertreter der verschiedenen Belegschaftsaktionärsgruppen waren ebenfalls gegen das Kohleprojekt. Die Entlastung wollten die meisten von denen Kaeser und dem Vorstand wegen dieses (vom finanziellen Umfang eigentlich sehr kleinen) Auftrags nicht gleich verweigern, aber auch von diesen ganzen "Offiziellen" war ein bedeutender Teil sehr wohl der Meinung, dass man so einen Vertrag auch kündigen und im Zweifelsfall lieber die Vertragsstrafe in Kauf nehmen sollte. Das forderte auch sehr engagiert ein junger Siemens-Ingenieur, der genau in der Abteilung arbeitet, die das Adani-Projekt machen soll -- der hat da einen sehr schönen Arbeitsplatz in der Zugsignaltechnik, aber solche Gewissensbisse, dass er dann wohl seinerseits kündigen wird, wenn der Adani-Auftrag kommt.

Kaeser antwortete nach dem ersten Fragenblock, in dem hauptsächlich diese "Offiziellen" sprachen, er könne sich nicht um jeden Miniauftrag kümmern, aber es werde ein Gremium mit mehr Kompetenz zur Kontrolle eingerichtet. Das Problem sei ja sowieso nicht der 18-Millionen-Auftrag für Adani, sondern die 20 Milliarden Umsatz, die Siemens jährlich mit der ganzen fossilen Industrie macht, da stehe ein gewaltiger Konzernumbau bevor (2030 ist Siemens klimaneutral, war ja die Ansage). In der weiteren Aussprache kamen noch einige Projekte zur Sprache, die an der Ernsthaftigkeit dieses Umbaus zweifeln lassen, z. B. zwei neue Blöcke für ein Kohlekraftwerk bei Jakarta in Indonesien.

Es meldeten sich sehr viele Menschen zu Wort, nicht nur die eingeschleusten FFF-Jugendlichen. Der Versammlungsleiter schloss die Redeliste um 12:15 und kürzte die Redezeit von 10 zunächst auf 5 und dann auf 3 Minuten, trotzdem ging allein die Debatte bis nach fünf, weil sich über 60 Leute meldeten. Neben Adani, wozu sich auch drei Leute aus Australien, u. a. Indigene, zu Wort meldeten, sprach auch ein Vertreter der uigurischen Gemeinde über Siemens' Beteiligung an Überwachungsprojekten in China und eine Vertreterin der Sahrauis über einen Windpark, den Marokko völkerrechtswidrig in der besetzten Westsahara errichten lässt. Es gibt ein Embargo, aber das scheint für Siemens nicht so wichtig zu sein wie auf der Krim.

Das führte übrigens auch zu einer der wenigen Stresssituationen mit der Security, denn die letztgenannte Rednerin trug ein traditionelles Gewand mit Kopftuch und irgendein alter Sack im Publikum nahm das zum Anlass, sie aufzufordern, die "Gardine" vom Kopf zu nehmen. Daraufhin wurde er von seinen NachbarInnen (hauptsächlich einer FFF-Gruppe) aufgefordert, den Saal zu verlassen, schließlich gab's noch eine kleine Rempelei mit einem Fotografen, als die Secus die Seiten trennten. Soweit ich gesehen hab, war am Schluss der Faschoopa weg, den hartnäckigsten Protestierer (der auch vom Rednerpult aus gefordert hatte, den islamophoben Herrn rauszuschmeißen) hielten sie eine Weile am Rand fest und diskutierten mit ihm, aber der kehrte am Schluss zurück auf seinen Platz. Den wildesten Auftritt am Rednerpult lieferte ein Vertreter von FFF Frankfurt, der kurz vor fünf die Versammlung mit "Guten Morgen" begrüßte und dann erst mal ein bisschen ins Stocken kam, ehe er Antworten auf die Klimakrise forderte. Es war nicht der erste, den der Versammlungsleiter bat, nur zu den Themen der Tagesordnung zu sprechen, aber der einzige, dem er dann tatsächlich das Wort entzog, und zwar in dem Moment, als er das Wort "Kapitalismuskritik" aussprach. Der junge Mann weigerte sich anschließend, das Rednerpult zu verlassen, und ließ sich von Securities raustragen (offenbar ohne weiteren Stress, später saß er wieder bei seinen Leuten).

Trotz dieser eindeutigen Stimmung im Saal waren die Abstimmungen am Schluss "natürlich" reine Formsache, die meisten Vorschläge der Verwaltung gingen mit rund 95%-Mehrheit durch und selbst die umstrittensten Figuren in Vorstand und Aufsichtsrat wurden mit maximal 8% Gegenstimmen entlastet. Die Leute aus der XR-Menschenkette bedauerten zum Schluss noch, dass sie von dem reichhaltigen Catering nix abbekommen haben, aber kulinarisch war das eh keine Erleuchtung, auch wenn der Kaffee angeblich Fairtrade war.

Bestimmt gibt's dazu noch jede Menge Ergänzungen und Korrekturen, könnt Ihr ja gerne hier in der Kommentarspalte reinschreiben.

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Ergänzungen

Big contract for Guantanamo may keep controversial prison open for decades - Siemens work at Cuban island site extends through 2043

 

Siemens hat einen lukrativen Auftrag für ein Energieprojekt auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo auf Kuba bekommen. Für die geplanten Arbeiten fließen dem Konzern knapp 829 Millionen US-Dollar zu, wie das US-Verteidigungsministerium mitteilte. Dabei gehe es um Energieeffizienz. Der Marinestützpunkt ist vor allem bekannt, weil dort das umstrittene Gefangenenlager angesiedelt ist, das die USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 errichtet hatte, um mutmaßliche Terroristen festzuhalten. Die Marinebasis ist aber noch größer und wesentlich älter.

(Juli 2019)