Kritik an der gemeinsamen Erklärung „Der 7. Oktober und seine Folgen“ von acht Gruppen (Kritische Kommunist:innen)

Kritik an der gemeinsamen Erklärung „Der 7. Oktober und seine Folgen“ von acht Gruppen (Kritische Kommunist:innen)

Liebe Mitglieder der acht Gruppen,

Zunächst eine kurze Vorbemerkung:

Wir haben Euer Positionspapier intensiv und mehrfach studiert, ausführlich diskutiert und finden viele Positionen völlig richtig, einige richtig, aber nicht ausreichend, aber es gibt auch große und prinzipielle Probleme. Am Ende Eures Papiers bittet Ihr ja um Diskussionsbeiträge. Wir hoffen dann auch auf eine Diskussion und eine Entgegnung/Antwort von Euch.

Wir senden unseren Diskussionsbeitrag und eure Erklärung auch an eine nicht geringe Zahl anderer antifaschistischer Gruppen, die sich klar gegen die faschistische Hamas und gegen die antijüdische Propaganda im Zusammenhang mit Israel positioniert haben, denn auch dort werden die von Euch aufgeworfenen Fragen diskutiert.

Wir hoffen sehr, wirklich sehr auf eine Diskussion mit euch, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass Gruppen zur Diskussion aufrufen, aber dann nicht diskutieren, auf Einschätzungen einfach nicht eingehen. Das ist aus unserer Sicht ein ernstes Problem, auch bei den Gruppen, denen wir in der Einschätzung des 7. Oktober und seiner Folgen wirklich nahestehen.

Hier unsere Einschätzung, erstens zu den Positionen, die wir voll oder im Kern unterstützen, zweitens zu einigen Kritikpunkten an Euren Positionen, über die wir uns vielleicht doch bald einigen könnten, und drittens unsere Gegenposition zu einigen prinzipiellen Fragen in Eurem Papier.

1. Es ist richtig und aus unserer Sicht besonders wichtig, dass Ihr euch gleich zu Beginn gegen die „Instrumentalisierung“, wie ihr schreibt, durch den deutschen Staat wendet, gegen eine angebliche Solidarität mit Israel und gegen eine angebliche Solidarität mit den jüdischen Gemeinden in Deutschland. Diese Pseudosolidarität aus durchsichtigen Motiven muss auch aus unserer Sicht bekämpft werden, nicht nur wegen ihrer Inkonsequenz, sondern auch weil sie als Vorwand dient, um rassistische, deutschnationale Hetze zu forcieren und eine mörderische Abschiebepraxis zu legitimieren. Es ist in der Tat eine sehr wichtige Aufgabe, diese Manöver zu durchkreuzen. (Zu Eurem Punkt 1, 1. Absatz) 90% eurer Ausführungen unter Punkt 8 teilen wir. Was die absurderweise als „pro-palästinensisch“ bezeichneten Demonstrationen nach dem 7. Oktober betrifft, auf die ihr anspielt, so handelte es sich nach unserer Einschätzung eindeutig um faschistisch geführte Pro-Hamas-Demonstrationen. Das ist aber auch eine Frage der konkreten Analyse der einzelnen Demonstrationen.

Wir unterstützen insbesondere auch Eure Position, dass man nicht „mit den Nationalist:in­nen in ein Horn stoßen“ soll, die „...,den Islam‘ zum Feind erklären.“ (In Eurem Punkt 6)

2. Wir finden eure Einschätzung der Hamas, ihrer Mordaktionen am 7. Oktober zusammen mit anderen Gruppen und Eure Einschätzung der Hamas-Diktatur im „Gaza-Streifen“ vor dem 7. Oktober sehr klar und richtig. (In euren Punkten 2 und 3)

3. Wir unterstützen voll und ganz Eure Feststellung, dass es typisch für die Gruppen ist, die die Hamas direkt oder indirekt unterstützen, dass sie zum klerikalfaschistischen Regime im Iran schweigen, einem Regime, das nicht nur im eigenen Land Massenmorde verübt, sondern auch die Hamas direkt und massiv materiell unterstützt. Typisch ist auch die fehlende Kritik an den reaktionären arabischen Staaten.

Wir möchten an dieser Stelle hinzufügen, dass es auch auffällig ist, dass die antijüdische Hetzkampagne von Erdogan für diese Gruppen kein Thema ist. Dies ist umso unerträglicher, als diese Erdogan-Kampagne auch hier in Deutschland bei hiesigen Erdogan-Anhängern großen Einfluss hat. Dies gilt umso mehr, als es auch in Deutschland eine Unterstützungsorganisation für das Erdogan-Regime in Form der MHP (Graue Wölfe) mit geschätzten 60.000 Mitgliedern gibt. Sie bedrohen nicht nur die Menschen, die die kurdische nationale Befreiungsbewegung unterstützen. Sie bedrohen alle, die sich für den Sturz der Diktatur im Iran einsetzen, eben auch die Genossinnen und Genossen, die hier in Deutschland solidarisch dafür kämpfen.

Die von Erdogan verhetzten Personen und die „Grauen Wölfe“ in Deutschland bedrohen auch massiv die Mitglieder der jüdischen Gemeinden hier in Deutschland, alle hier in Deutschland lebenden jüdischen Menschen, die diese Leute als Zielscheibe sehen. Deren ohnehin bestehende massive Bedrohung durch deutsche Nazis wird dadurch noch verstärkt – siehe Halle. (zu eurem Punkt 3, 4. Absatz)

4. Es ist in der Tat eine wichtige Aufgabe, die unerträglichen deutschen Vergleiche zu widerlegen, die immer wieder auftauchen: sei es der Verweis auf „Dresden“ oder das angebliche Unrecht gegenüber der deutschen Bevölkerung, die 1945 u.a. Polen, die Slowakei und Rumänien verlassen musste.

Unsere Position dazu ist folgende:

Woher kommt die Stärke der israelfeindlichen Strömung in Deutschland? Wie hängt sie mit dem deutschen Geschichtsrevisionismus zusammen? Das soll hier nur kurz angedeutet wer­den. Ist es Zufall oder hat es nicht Me­thode, wenn in der Presse plötzlich das Stichwort Dresden fällt?

Es ist in jeder Hinsicht absurd, die historische Dimension der Bombar­dierung Dresdens durch die Streit­kräfte der alliierten Anti-Hitler-Koa­lition im Zweiten Weltkrieg, die his­torische Dimension des Kampfes ge­gen den Nazifaschismus in irgendei­ner Weise mit der aktuellen Situation in Gaza in Verbindung zu bringen. Aber warum passiert es trotzdem?

Es gibt eine deutliche Parallele in der Argumentationsmethode:

Die Rechtmäßigkeit der Bombar­dierung Dresdens im Zweiten Welt­krieg wird seit Jahrzehnten und jedes Jahr aufs Neue mit dem Hinweis auf die Zahl der getöteten Zivilisten und Kinder in Frage gestellt, unterlegt mit in der Tat schrecklichen Bildern der Getöteten. Dabei geht es um die heuchlerische Gleichsetzung der Nazi-Kriegsführung mit der Kriegs­führung der Anti-Hitler-Koalition nach dem Motto „die anderen haben ja auch“, um die deutsche Schuld zu relativieren.

Hier arbeiten nicht nur die offene Naziszene, sondern auch die an den klassischen Berliner Parteien plus AFD orientierten Kräfte ebenso mit Bildern von getöteten Kindern, um von der eigentlichen Frage abzulen­ken, wer die Verantwortung für die Bombardierung Dresdens trägt: näm­lich der deutsche Nazifaschismus. Die Bestrebungen, die alliierten Kräfte der Anti-Hitler-Koalition und vor allem die Rote Armee mit der ver­brecherischen nazifaschistischen Ar­mee gleichzusetzen, setzen die Bilder toter Kinder ebenso methodisch und propagandistisch ein, wie dies heute weltweit mit den Bildern aus Gaza geschieht.

All diese Parallelen sind nichts Anderes als Geschichtsfälschung. Es ist uns auch sehr wichtig, dass Ihr darauf hinweist. (Wir würden sogar noch weitergehen und eine solche geschichtsrevisionistische Vergleichspropaganda als verbrecherisch bezeichnen.)

5. Wir teilen die Grundhaltung eures Punktes 4 über die Funktion der Feindschaft gegenüber der jüdischen Bevölkerung. (Wie heute leider üblich, nennt ihr das Ganze „Antisemitismus“, obwohl das die Selbstbezeichnung einer antijüdischen Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts war und unserer Meinung nach eine irreführende Selbstbezeichnung der Feinde der jüdischen Bevölkerung ist. Aber das ist hier nebensächlich. Wir verwenden diesen Begriff nicht mehr).

Auch wenn wir an manchen Stellen sprachlich nicht mithalten können, unterstützen wir voll und ganz die Kritik an der Verschwörungsideologie einer angeblichen „jüdischen Weltherrschaft“. Denn der Kern der antijüdischen Ideologie ist neben Diskriminierung, Unterdrückung und Vertreibung die Vernichtung aller Juden.

Wir teilen Eure Einschätzung, dass Aufklärung zwar notwendig ist, aber Aufklärung allein nicht ausreicht, sondern dass die tiefer liegenden gesellschaftlichen Ursachen, genauer: die Mechanismen einer kapitalistischen Ideologie und Politik, aufgedeckt, bekämpft und zerschlagen werden müssen – wie der Kapitalismus selbst, um es deutlich zu sagen (zu eurem Punkt 4).

6. Auf die in Eurem Punkt Fünf enthaltene Position, soweit wir sie insbesondere unter 5.1. Nicht teilen, kommen wir später zurück. Zunächst aber wollen wir – unabhängig von der Sprache, die doch sehr eine Flucht in die Allgemeinheit soziologischer Begriffe beinhaltet – festhalten, dass wir auch die sogenannte „Postkoloniale Bewegung“ (Bei euch Punkt 5.2) – bei aller berechtigten Kritik dieser Bewegung an der Tradition und Gegenwart realer kolonialer Verhältnisse – keinesfalls unterstützen oder entschuldigen, wenn von deutschnationaler Hetze und rassistischer Hetze Betroffene völlig falsche Ansichten über Israel, – und über die Shoah und über das „Jüdische“ äußern. Dies gilt, es sei nochmals betont, ausdrücklich auch für alle selbst von deutschnationalem Rassismus Betroffenen. Denn: Was falsch ist, ist falsch, es geht in erster Linie darum, was gesagt wird und nicht darum, wer es sagt.

In dieser Grundhaltung sind wir uns sicher einig.

Wir kommen nun zu einer Reihe von Fragen und Kritikpunkten, von denen wir annehmen, dass wir in der Diskussion vielleicht doch noch zu einem gemeinsamen Formulierungsvorschlag kommen können. Genauer können wir das erst beurteilen, wenn und nachdem wir diese Punkte diskutiert haben.

1. Wir denken, es muss klar ausgesprochen werden:  DieVerantwortungder Hamas für die elende Lage der Zivilbevölkerung in Gaza ist entscheidend

Ihr schreibt: „Wir trauern um die Toten und sind solidarisch mit der not leidenden Be­völkerung Gazas“ (Euer Punkt 1, 2. Absatz). Mehr nicht.

Nun, wir meinen zu verstehen, worauf ihr hinauswollt – und es sicherlich keinesfalls falsch, auf die reale Lage in Gaza heute hinzuweisen. Aber es geht um die Benennung der Ursachen und auch um Ton und Stil.

Unsere Position dazu ist: Ja, die Lage der Zivilbevölkerung in Gaza ist elend. Es gibt viele Tote, viele Verletzte und eine äußerst prekäre Versorgungslage. Diese elende Lage ist unbestreitbar, aber die entscheidende Frage ist: Wer ist dafür verantwortlich?

Die Frage der Verantwortung hat zwei Seiten. Erstens ist es unbestreitbar, dass das militärische Eingreifen der israelischen Armee in Gaza als Reaktion der israelischen Armee auf die faschistischen Angriffe der Hamas ausgelöst wurde, die heuchlerisch von der „Befreiung des palästinensischen Volkes“ spricht. Die Hamas hat diese Etappe des Krieges gegen die israelische Bevölkerung und den Staat Israel in dem Bewusstsein begonnen, dass die israelische Armee ein solche Kriegserklärung beantworten wird.

Das ist die erste und grundlegende Antwort auf die Frage, wer für das Elend der Zivilbevölkerung im Gazastreifen verantwortlich ist. Ein zweiter wesentlicher Aspekt kommt hinzu:

Die grundlegende Methode der Hamas-Söldner besteht darin, die eigene Zivilbevölkerung bewusst als Schutzschild für die eigenen bewaffneten Kräfte einzusetzen. Dabei wird der Tod der Zivilbevölkerung bewusst einkalkuliert.

Diese Vorgehensweise hat Isamil Haniyeh, der bis zu seinem Tod Anfang August 2024 (durch einen präzise geplanten Bombenanschlag in Teheran) der politische Anführer der Hamas war, schon am 26.10.2023 im Fernsehen recht offen öffentlich formuliert:

„Ich habe es schon einmal gesagt und ich sage es immer wieder: Das Blut der Frauen, der Kinder und der Alten... Ich sage nicht, dass dieses Blut nach eurer Hilfe ruft. Wir sind diejenigen, die dieses Blut brauchen,…damit es in uns die Entschlossenheit weckt, damit es in uns den Geist der Herausforderung weckt und uns antreibt, vorwärts zu gehen.“ (Mayadeen Network, Libanon, 26.10.2023)

GanzbewusstwerdenRaketenund Waffenlager in Schulen, Moscheen undKrankenhäusernversteckt.Ganz bewusstmischensichHamas-Söldner unter die Zivilbevölkerung auf der Straße,inWohnhäusern,Krankenhäusern usw. Ganz bewusst wurde auch das Tunnelsystemder Hamas vor allemauchunterWohngebietengebaut. DasistdiekonkreteHauptursachedafür,dassessovieleToteunterderZivilbevölkerunggibt.DieVerantwortung dafür liegt eindeutig bei der Hamas.

Wenn das nicht klar benannt wird, bekommt die Dar­stellung eine gefährliche Schieflage, die in die Richtung geht, dann doch, (obwohl ihr das einleitend ablehnt) der israelischen Armee „militärtaktische Ratschläge“ zu geben (bei euch Punkt 1, 2. Absatz). Die Kritik ist also, dass bei euch fehlt: Die elende Lage der Zivilbevölkerung in Gaza, unabhängig davon, ob sie in Teilen die Politik der Hamas unterstützt oder nicht, ist die Folge des bewusst kalkulierten Vorgehens der Hamas-Söldner.

2. „Islamismus“? Die Falle der impliziten Behauptung „Es geht um den Islam“.

Wie gesagt: Wie unterstützen insbesondere auch Eure Position, dass man nicht „mit den Na­tionalistinnen in ein Horn stoßen“ soll, die „..,den Islam‘ zum Feind erklären“ (in Eurem Punkt 6, 3. Absatz). Wir gehen etwas länger auf die Frage ein, weil ihr deutlich gemacht habt, dass ihr in der Stoßrichtung nicht gegen die Religion des Islam vorgehen wollt. Wir gehen auch etwas länger auf diesen Punkt ein, gerade weil wir glauben, dass wir hier nicht so weit auseinanderliegen, wie es den Anschein hat.

Ja, der Islam ist nicht der Feind. Gerade deshalb haben wir ein großes Problem mit dem allgegenwärtigen Begriff „Islamismus“. Wir sind keine Begriffsfetischisten, wenn ein Begriff verwendet wird, der uns falsch erscheint, machen wir nicht gleich „dicht“, sondern hoffen auf eine Reflexion durch Diskussion. Bei den Begriffen „Islamismus“ und „Islamisten“ gibt es ein grundsätzliches Problem mit der Verwendung von Eigennamen von Feinden und ein spezielles Problem mit der Verwendung von religiösen Begriffen und Kategorien.

Grundsätzlich gilt, dass sich reaktionäre, insbesondere konterrevolutionäre politische Bewe­gungen aus Gründen der Eigenwerbung selbst einen Namen geben, der nicht der Wahrheit dient, sondern ihren wirklichen Charakter verschleiern soll und verschleiert, eben ihrer Pro­paganda dient. Der IS nennt sich „Islamischer Staat“, die Hamas bezeichnet sich lügnerisch als „Islamische Widerstandsbewegung“.

Aktuell werden Pro-Hamas Aktionen völlig falsch als „propalästinensische Demonstrationen“ bezeichnet. Gerade in Berichten und Reden von jüdischen Anti-Hamas-Aktivisten über solche Aktionen werden sie daher zu Recht als vorgeblich „propalästinensisch“ bezeichnet. Auch hier gilt: Bitte nicht einfach die Selbstbezeichnungen der Feinde übernehmen, denn damit unterstützt man gewollt oder ungewollt deren Eigenpropaganda.

Das zeigt auch die Geschichte:

Die Nazis nannten sich nicht umsonst „Nationalsozialisten“. Das gehörte zu ihrer Propagandataktik wie das Rot in der Parteifahne. Und wer sie damals bekämpfte, benutzte auch nicht ohne Grund den Begriff „Nazis“ statt „Nationalsozialisten“, eben mit einer klaren Wertung.

Und um es vorwegzunehmen: Bestimmte Organisationen bezeichnen sich bewusst als „kommunistisch“, um ihren Antikommunismus zu verschleiern. Das ist Täuschung mit Begriffen, die auf Massenbeeinflussung berechnet sind. Auch hier gilt: Nicht jede Selbstbezeichnung kritiklos übernehmen, sondern hinterfragen. Das gilt übrigens auch für den Begriff „linke Gruppen“ etc. Wer die Hamas unterstützt, ist einfach nicht „links“, kann nicht „links“ sein.

Selbstbezeichnungen und Selbstzuschreibungen

Durch die ständige Verwendung der Selbstbezeichnung und Selbstzuschreibung – sei es scheinbar sachlich beschreibend oder weil es „alle so machen“ – wird bewusst – oder meist auch unbewusst - kostenlose Werbung für die betrügerischen Organisationen betrieben.

Am offensichtlichsten ist das bei der Selbstbezeichnung von den faschistischen und konterrevolutionären Mördertruppen des Iran, die sich selbst als sogenannte „Revolutionsgarden“ bezeichnen. Nicht nur bürgerliche Medien übernehmen diesen Begriff. Sich als links verstehende Kräfte fallen auf die Tarnung herein, benutzen diesen Begriff und betreiben damit objektiv oft gegen ihre eigene Intention Werbung für diese konterrevolutionären und faschistischen Kräfte.

Dies gilt in vollem Umfang auch für die Verwendung des Begriffs „Islamisten“, der von der Selbstdarstellung und Selbstzuschreibung solcher faschistischer Gruppen ausgeht, die sich eben zur Täuschung der Menschen auf den „Islam“ berufen.

Die Hamas, die Hisbollah, der IS, Erdogan und Co, das Regime im Iran – sie alle propagieren millionenfach, dass es angeblich um die Religion des Islam geht. Das ist neben der angeblichen Unterstützung Palästinas eines ihrer Hauptmanöver. Unter Berufung auf die Religion hetzen sie Millionen von Menschen auf, nutzen den klerikalen Apparat dazu.

Zurück zur Frage der Instrumentalisierung der
Religion für politische Ziele, sei es das Christentum oder der Islam.

Es sei nur kurz daran erinnert: Die Nutzung der Religion für die politischen Ziele der Herrschenden zeigte sich historisch am deutlichsten an der Nutzung des Christentums. Die mörderischen Kreuzzüge unter der Flagge des Christentums mit ihren Mordaktionen gegen die religiös geprägte jüdische und islamische Bevölkerung sind ein besonders eindrückliches Beispiel. Und schon vergessen: Auch die Nazis segelten unter „christlicher“ Flagge, unter der Flagge der „Deutschen Christen“, unter der Flagge der Verteidigung des „christlichen Abendlandes“ gegen das „Weltjudentum“ und gegen den „asiatischen Bolschewismus“. Das geschah, weil es effektiv war, weil es eine moralische Färbung versprach, weil es funktionierte. Ja, es gibt eine Reihe von antijüdischen Passagen in den „Evangelien“ (aus Werbegründen „Neues Testament“ genannt), ganz zu schweigen von Martin Luther. (Wir kommen gleich zum Koran). Aber die Ideologie und Politik der Nazis aus der „Bibel“ zu erklären, verschleiert die politische Dimension der Nazi-Massenbewegung, die Nazis als „Christianisten“ zu bezeichnen, war und ist abwegig. In Deutschland war übrigens der Anteil des deutschen Nationalismus, der Judenfeindlichkeit, des Rassismus und des Militarismus an der Nazi-Ideologie viel wichtiger.

Die Schüler Goebbels' und seiner geschulten Propagandisten studierten zunächst genau die Propagandatechnik der Nazis, vor allem im arabischen Raum. Sie stellten sich die Frage: Wie sind die Massen vorgeprägt, an welchen Punkten können, ja müssen wir anknüpfen, um unsere Politik durchzusetzen? Und die Antwort lag auf der Hand: An den Islam anknüpfen, die judenfeindlichen Stellen im Koran herausstellen, sich als Verteidiger des Islam gegen eine angeblich geplante Vernichtung des Islam darstellen! Das war die Anpassung der Goebbels-Methoden unter anderen Bedingungen.

Angefangen von der „Muslimbruderschaft“ über den Großmufti von Jerusalem bis hin zu Al Qaida, dem IS als „Islamischem Staat“ und heute vor allem dem Regime im Iran, Hisbollah, Hamas etc. – sie alle arbeiten mit großem Erfolg mit dem „Islam“ als Aushängeschild. Und alle, die ständig von „Islamismus“ und „Islamisten“ reden und schreiben, akzeptieren (mit Einschränkungen) diese Eigenreklame der faschistischen Gruppen.

Die Einschränkung ist das angehängte „ismus“. Von Universitätsmenschen und Poli­tikprofis wird dann erläutert, dass durch den „ismus“ eben nicht der Islam und an ihn glau­bende Personen gemeint seien, sondern nur, „die Islamisten“. Per abstrakter „Definition“ wird also das Problem angeblich aus der Welt geschafft, dass vom Wortstamm her auch psycholo­gisch gesehen keine Unterscheidung vorgenommen wird, wer eigentlich nicht gemeint ist. Der großen Masse der sich als islamgläubig verstehenden Menschen weltweit wird durch den propagierten Kampf gegen den „Islamismus“ doch recht einprägsam vermittelt, dass es sich doch um einen Kampf gegen ihren Glauben und damit um einen Kampf gegen sie handelt.

Der Verweis auf irgendwelche Definitionen und dass es „so“ nicht gemeint sei, hilft wenig, meist gar nicht. In Wirklichkeit wird in die aufgestellte Falle getappt. Genau das wollten diese faschistischen Organisationen, die sich auf den Islam berufen.

Die Verwendung der Begriffe „Islamisten“ und „Islamismus“ ist daher nicht nur wenig hilfreich, sondern unserer Meinung und Einschätzung nach gerade in der weltweiten Dimension äußerst schädlich.

Und die deutsche Dimension? „Nicht der Islam ist der Feind“. Genau. Und in Deutschland kommt noch das speziell zu analysierende Moment hinzu, dass es eine anhaltende rassistisch gefärbte deutschnational geprägte Kampagne von AFD bis Wagenknecht gegen die nichtchristliche Bevölkerung insbesondere aus den arabischen Staaten und der Türkei gibt, die eben angeblich „nicht dazugehören“, raus müssen, in Abschiebehaft genommen und abgeschoben werden sollen - und gleichzeitig von Nazis mit Brandanschlägen und Mordaktionen überzogen werden.

Um es kurz zu machen, es geht um Politik und nicht um Religion.

Das hat jetzt etwas gedauert. Es ist uns ein Anliegen, diesen Punkt zu diskutieren und zu klären, zumal Ihr völlig zu Recht darauf hinweist, dass die faschistischen Gruppen, die sich in Deutschland auf den Islam berufen, auch von der „Antifa“, wo es sie gibt, kaum wirklich angegriffen werden. Das gilt auch für die „Deckung“, die solche Gruppen als Infrastruktur vor allem in den von der Türkei und dem Iran finanzierten, sich religiös definierenden „Dachverbänden“ und einzelnen Moscheen finden, die als Geheimdienstzentralen des Iran und der Türkei genutzt werden. In diesem Punkt sind wir uns wirklich einig.

III.

Es wäre einfach hier erst einmal aufzuhören. Aber das geht nicht. Denn es gibt auch eine aus unserer Sicht antikommunistisch gefärbte pauschale Kritik an Lenin, auf die wir eingehen wollen und müssen.

Was bedeutet es, sich als Kommunist:innen zu bezeichnen?

 

1. Solidarität und Grenzen der Solidarität im Rückblick

Halten wir zunächst fest: Ein Teil der Schwierigkeiten besteht sicher auch darin, dass sich von Generation zu Generation und von Land zu Land die Bedeutung von Begriffen ändert.

Kommunist war früher in weiten Kreisen eine Ehrenbezeichnung und kein Schimpfwort, wie es heute noch in Deutschland der Fall ist, übrigens anders als in Italien und Frankreich, obwohl sich da auch einiges geändert hat.

Viele Gruppen haben unterschiedliche Erfahrungen, arbeiten unterschiedlich lange und das wollen wir berücksichtigen.

Kurz zu uns: Dass wir gegen die antijüdische Ideologie, gegen die bestehende politische Feindschaft gegen die jüdische Bevölkerung in Wort und Tat kämpfen, ist aus unseren Stellungnahmen sicher leicht zu entnehmen. Dabei haben wir uns seit vielen Jahren auch mit dem Kampf gegen antijüdische Strömungen, mit ihren Erfolgen und Fehlern, mit der demokratischen und humanistischen Bewegung vor 1848 und dann mit dem Kampf der proletarischen Bewegung, mit ihren Erfolgen und Fehlern beschäftigt. Dies erschien uns auch aus selbstkritischen Gründen notwendig, denn wir waren und sind (bei aller Solidarität mit der zunächst sozialdemokratischen, dann kommunistischen Bewegung und Organisationen) nicht blind dafür, dass es in dem so wichtigen gemeinsamen solidarischen Kampf der revolutionären Kräfte in Deutschland mit der jüdischen Bevölkerung von Marx, Engels und dann Bebel bis zu den Konzentrationslagern und Vernichtungszentren auch schwere Denkfehler und falsche Handlungen gegeben hat.

Selbstkritik sollte unseres Erachtens wie jede kommunistische Kritik einerseits „schonungslos“ an der Sache orientiert sein, andererseits aber in die Tiefe gehen, nicht an der Oberfläche bleiben, sich mit den Ursachen und Umständen von Fehlentwicklungen auseinandersetzen und klare Gegenpositionen entwickeln. Auf der anderen Seite waren es, wie gesagt, spätestens ab 1933, dann in den KZs und mörderischen Vernichtungszentren in Polen, in einem Kampf auf Leben und Tod, auch Fehler der kämpfenden Menschen. Wir fühlen uns solidarisch mit allen, die gekämpft haben, um dem Nazifaschismus das Genick zu brechen, und verteidigen diesen Kampf gegen antikommunistische Angriffe. Es war ein Kampf, der mit vielen Millionen ermordeten antinazistischen, aber auch kommunistischen Genoss*innen vor allem in Osteuropa, in der Sowjetunion, aber auch in Frankreich, Belgien, Italien und anderen Ländern, auch in Deutschland, wenn auch in wesentlich geringerer Zahl, dokumentiert ist.

Das ist euch möglicherweise zu pathetisch oder zu emotional. Aber wir wollten es trotzdem voranschicken.

Dabei gibt es eine Grenze der Solidarität, weil sich aus unserer Sicht in verschiedenen Zeitabschnitten in verschiedenen Ländern trotz aller Fehler aus ehemals wirklich kämpferischen kommunistischen Bewegungen und Parteien aus unterschiedlichen Gründen wirklich konterrevolutionäre Bewegungen und Organisationen entwickelt haben, die trotz aller Tarnung mit kommunistischen Phrasen im Kern dann nichts, aber auch gar nichts mehr (außer Worthülsen) mit der früheren revolutionären kommunistischen Tradition, nichts mehr mit der Theorie des wissenschaftlichen Kommunismus zu tun haben.

Dies zeigte sich, um beim Thema zu bleiben, deutlich an der Haltung der Sowjetunion zur Zeit Breschnews, die ab 1967 unter dem Vorwand des Kampfes gegen den „Zionismus“ die richtige Linie der Sowjetunion von 1948 zur Gründung Israels und ihre Unterstützung des Kampfes der jüdischen Bevölkerung Israels gegen die Aggression der sieben arabischen Staaten gegen den gerade gegründeten jüdischen Staat mit Füßen trat. Hier durfte es keinen Funken von Solidarität mehr geben, zumal die Sowjetunion mit dem Einmarsch in die Tschechoslowakei (1968) bewiesen hatte, dass sie sich in eine imperialistische Großmacht verwandelt hatte, die in Konkurrenz zu den westlichen Großmächten stand.

2. Fragen der Bedeutung des Antikommunismus heute

Eine Wurzel unserer unterschiedlichen Positionen liegt wahrscheinlich in der Einschätzung (genauer: unserer Einschätzung, eure Einschätzung ist uns noch nicht ganz klar) der Praxis der kommunistischen Kräfte und Organisationen vor, während und unmittelbar nach der Nazizeit. Hier ist aus unserer Sicht das Lernen einschließlich der Kritik im solidarischen Rahmen wesentlich. Oft geht es auch um zahllose historische Fragen, die kompliziert sind, wo antikommunistische „linke“ Bücher aus dem Wissenschaftsbetrieb mit primitiven, kritiklosen Verherrlichungen und Verfälschungen konkurrieren, wo reaktionäre „Zeitzeugen“ auch dies und jenes lügenhaft berichten, wo wesentliche Dokumente vielleicht gar nicht existieren usw. Es ist sicher notwendig, sich da durchzukämpfen. Es ist sicher notwendig, sich damit auseinander zu setzen. Aber in der Regel sind solche Auseinandersetzungen nach unserer Erfahrung nicht der Schlüssel, um zu einer gemeinsamen inhaltlichen Position zu kommen. Hier ist es schon sehr hilfreich, wenn grundsätzlich der Kampf gegen den Antikommunismus in Geschichte und Gegenwart als notwendige Aufgabe angesehen und angegangen wird.

3. Leninismus

Hier besteht offensichtlich eine grundsätzliche Differenz, wie aus der Überschrift und dem Inhalt des Abschnitts 5.2 „Der autoritäre (Neo-)Leninismus“ deutlich wird.

Vielleicht können wir damit beginnen: Ja, es gibt Gruppen, die sich auf Lenin, auf Stalin oder auch auf Mao-Tse-Tung berufen und sich als „Kommunisten“ bezeichnen, mit all den unerträglichen, fürchterlichen Fehlern, die ihr beschrieben habt. Dazu gehören auch Gruppen, die sich selbst als „antiimperialistisch“ bezeichnen. Dazu gehören sicherlich die MLPD, die Kommunistische Organisation und eine Reihe anderer Organisationen und Gruppen.

Aber das hat nun wirklich nichts, um den ersten Kritikpunkt aufzugreifen, mit Lenins „Imperialismusbegriff“ (5.1, Punkt 1) zu tun. Ihr schreibt ja auch teilweise vorsichtig „geht einher“ (5.1, Punkt 1), so dass eben nicht klar wird, was Lenin ist und was eine Verfälschung der Positionen Lenins durch bestimmte Gruppen beinhaltet, die wir oben genannt haben.

Gehen wir die Punkte durch.

a)    Geht es Lenin mit seinem Imperialismusbegriff um eine „Willkürherrschaft der Monopole“? Nein, Lenin beschreibt sehr deutlich, dass es gesellschaftliche, ökonomische und politische Zwänge sind, die die Akteure des monopolistischen Großkapitals mit der herrschenden Klasse insgesamt in heftige Kämpfe bis hin zu imperialistischen Kriegen treiben. Die weitere Diskussion sollte sich dann am Text von Lenin orientieren und nicht an den Aussagen irgendwelcher Gruppen, die sich auf Lenin berufen.

b)    Gab es zur Zeit Lenins schon Positionen, die den Begriff „Finanzkapital“ (bei Lenin eindeutig nicht nur die Banken, sondern die Verschmelzung des Industriekapitals mit dem Bankkapital!!) so interpretierten, als ginge es jetzt vor allem um die „Zirkulation“ und nicht vor allem um die Produktion, wo der Mehrwert durch die Ausbeutung des Proletariats geschaffen wird? Ja, das hat es gegeben. Ein SPD-Mitglied und späterer „Vaterlandsverteidiger“ namens Hilferding hat ein Buch „Das Finanzkapital“ geschrieben, das Lenin aufgrund der zusammengetragenen Fakten zwar auswertet, aber ausdrücklich kritisiert, weil Hilferding (ähnlich wie heute Attac etc.) sich ganz auf die Zirkulation konzentriert. Die Nazis haben daraus das „raffende“ (jüdische) und das „schaffende“ („arisch-deutsche“) Kapital konstruiert. Ja, es gibt Gruppen, die diese Kritik Lenins an Hilferding unterschlagen und fälschlicherweise unter Berufung auf Lenin die Zirkulation zur Hauptsache machen, antijüdischen Behauptungen vom „jüdischen Weltkapital“ den Weg ebnen oder sogar selbst Ähnliches propagieren. Ja, solche Anti-Leninisten, die sich auf Lenin berufen, haben es geschafft, dass heute wirklich viele unter „Finanzkapital“ nur die Banken verstehen. Das ist in der Tat zu berücksichtigen.

c)    Zur Wandlung des Begriffs „parasitär“ zum antijüdischen Kampfbegriff: Ein zweiter sozialdemokratisch-reaktionärer Wissenschaftler hatte vor Hilferding ein Buch über den „Imperialismus“ veröffentlicht. Er hieß John A. Hobson. Auch Lenin hat die Fülle der darin enthaltenen Fakten ausgewertet. Hobson war ein bekennender antijüdischer Hetzer, der die englische Regierung als „im Griff der Juden“ bezeichnete, in seinem Buch die Weltherrschaft einer „bestimmten Rasse“ behauptete usw. Das hat Lenin natürlich nicht übernommen. Hier liegt eine Wurzel des antijüdischen Denkens in der Wissenschaft, der Mann heißt Hobson und nicht Lenin. Lenin war zeitlebens ein Vorkämpfer gegen alle Formen antijüdischer Hetze und Politik.

Gleichzeitig beschrieb dieser Hobson übrigens einerseits die verbrecherische Kolonialpolitik und andererseits den unendlichen Reichtum, der aus der Ausbeutung der kolonial unterdrückten Bevölkerung in den Kolonien gewonnen wurde. Das hat Lenin analysiert. Und es ist wahr. Die herrschende Klasse besteht auch heute noch aus den Akteuren der großen internationalen Konzerne, aus Milliardären und aus Spitzenfunktionären des Staatsapparats. Über deren Existenz werden in China, Indien, den USA und auch in Deutschland hier und da Rankingtabellen veröffentlicht, nach dem Motto „Das ist schlimm, aber da kann man nichts machen“. Das Leben dieser Menschen und ihrer Familien auf Kosten der Ausgebeuteten und Unterdrückten wurde früher, auch unabhängig von Lenin, als „parasitär“ bezeichnet. Die Ausbeuter nannte man „Blutsauger“ usw. Spätestens seit dem Nazifaschismus wurden solche Begriffe millionenfach in einen antijüdischen Kontext gestellt. Gerade auch „parasitär“ wurde zu einem Codewort der antijüdischen Hetze und zu einem ideologischen Begriff zur Rechtfertigung der Verfolgung, Beraubung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Das ist nun wirklich nicht Lenins Schuld. Trotzdem ist klar: der Begriff ist heute auf keinen Fall zu verwenden.

Und so könnten wir jetzt weiter vorgehen.

Ja es gibt eine antimarxistische „Neigung zur Personalisierung“, ja es gibt eine „Fetischisierung“ des „werktätigen Volkes“, des „deutschen Arbeiters“ usw., ja es gibt eine vereinfachte Darstellung als gäbe es nur noch den Gegensatz zwischen dem unterdrückenden Norden und dem un­terdrückten Süden. Ja es gibt mehr als genug einen „unkritisch positiven Bezug zur Nation“. Aber noch einmal: Weil es Gruppen gibt, die sich „leninistisch“ nennen, geht ihr ihnen auf den Leim und behauptet, all diese Positionen seien die Positionen Lenins? Wir sind nicht einverstanden. Und auch Lenin oder Stalin haben nichts damit zu tun, dass Grup­pen die sich auf diese Personen beziehen, Palästina „als das unterdrückte Volk schlechthin“ betrachten. Wir bleiben dabei: Es ist falsch, aus Positionen irgendwelcher pseudolinker Gruppen, die sich auf Lenin berufen, den Kurzschluss zu ziehen, „Lenin“ sei an allem reaktionären Unsinn solcher Gruppen schuld. Ihr wollt auch Fragen, schreibt ihr am Ende. Jetzt fragen wir euch: Welche Belege habt ihr für eure Kritik an Lenin?

4. „Nationale Frage“ und „Sozialismus in einem Land“

In Bezug auf die „nationale Frage“ findet sich bei euch wiederum eine unklare indirekte Polemik gegen Lenin und Stalin. Diese richtet sich der Sache nach gegen die Verfälscher Lenins und Stalins, die ihr aber Stalin unterschiebt, wenn ihr behauptet, dass deren

„Auffassung fußt wiederum im unkritisch positiven Bezug zur Nation, den Stalin und viele realsozialistische Projekte nach ihm mit der Vorstellung von ‚Sozialismus in einem Land‘ propagierten.“ (Euer Papier, Punkt 5.1, Punkt 2 und 3)

Für eine Diskussion können wir nur einige Punkte kurz anreißen. „Unkritisch“ ist immer schlecht, aber kritisch kann auch der Deckmantel für antikommunistische Positionen sein. Das muss konkret untersucht werden. Wir  stellen daher unsere Position in Thesenform dar und fragen euch, ob ihr dem zustimmen könnt.

Thesen zur Nationalen Frage gegen die Positionen der acht Gruppen

Wir verstehen sehr wohl, dass der Nationalismus heute in den meisten Ländern der Welt eine sehr üble Rolle spielt, um die Massen aufzuhetzen, das „Teile und Herrsche“ durchzusetzen und die Klassengegensätze in einem Land zu verschleiern. Der Kampf gegen diesen reaktionären Nationalismus muss in jedem Land geführt werden, wo es ihn gibt - gerade auch in Deutschland. Dazu gehört aber auch:

1. Innerhalb Deutschlands: Die brutale Einheit der deutschen Nation 1871 (Krieg gegen Österreich, Dänemark und Frankreich), die unter Führung Bismarcks geschaffen wurde, hat deutlich gemacht, dass die Bildung einer deutschen Nation längst abgeschlossen war, dass es vielmehr innerhalb Deutschlands nationale Minderheiten gab, die polnische, die dänische und in Elsass-Lothringen die französische Minderheit, die das Recht hatten, gegen die Unterdrückung ihrer Sprache und für ihre nationalen Rechte zu kämpfen – bis hin zur Loslösung vom „Deutschen Reich“! Wäre dieser Kampf abgelehnt worden, so wäre dies nur ein Reflex des damaligen preußisch-deutschen Chauvinismus, des deutschen Nationalismus gewesen, der unter dem Deckmantel des Internationalismus das Recht auf Nationalität und nationale Kultur dieser und anderer Minderheiten im Deutschen Reich (sorbische Bevölkerung, jüdische Bevölkerung sowie Sinti und Roma) abgelehnt hätte.

2. Der Kampf gegen den deutschen Kolonialismus seitens der in jeder Hinsicht kolonial unterdrückten Bevölkerung Afrikas war richtig und gerecht. Es war auch ihr gutes Recht, nicht nur den bewaffneten Kampf zu führen, sondern in diesem Kampf auch über einen eigenen Staat nachzudenken und einen solchen anzustreben. Wenn das als reaktionärer Nationalismus diffamiert wird, dann ist das sehr deutlich zu kritisieren. Denn wir sind der Meinung, dass es ein Selbstbestimmungsrecht für die von Kolonialismus und Imperialismus unterdrückten Völker gibt.

3. Zum Nazifaschismus: Nachdem die deutsche Nazi-Armee eine Reihe von Ländern überfallen und besetzt hatte, wie Polen, Belgien, Frankreich, Jugoslawien, Griechenland usw., dort gemordet und geraubt, die jüdische Bevölkerung deportiert hatte, war es klar und richtig, dass in diesen besetzten Ländern auch die Frage der nationalen Unterdrückung ein wesentliches Thema war, um den Kampf gegen den deutschen Imperialismus, den deutschen Nazifaschismus zu führen. Wer z.B. den Kampf der griechischen Befreiungsbewegung als reaktionär-nationalistisch diffamiert, der versteht eben nicht, dass ein ganzes Land, eben eine Nation, die griechische Nation, unterdrückt wurde. Deshalb war der Kampf um die Befreiung Griechenlands ein nationaler Befreiungskampf, in dem sich zeigen musste, welche politische Kraft stärker ist: die proletarische oder die bürgerliche. Es wäre für uns unverständlich, wenn jemand den nationalen Befreiungskrieg in Griechenland damals nicht als nationalen Befreiungskrieg anerkennen würde.

4. Wir wollen zumindest kurz noch einige Fragen und Probleme bei nationalen Befreiungskämpfen eingehen, wie sie sich in den letzten mehr als 100 Jahren und insbesondere in den letzten Jahrzehnten gezeigt haben.

Was nationale Befreiungskämpfe angeht, war zweifellos das wichtigste Ereignis der nationale Befreiungskampf in China nach dem Überfall durch den japanischen Imperialismus 1937. Dieser nationale Befreiungskampf verfolgte eindeutig demokratische Ziele und wurde von starken kommunistischen Kräften angeführt. 1949 wurde gegen die Aggression des USA-Imperialismus der Sieg erkämpft und China vom Imperialismus befreit.

Wir wollen hier nicht die ganze Liste der berechtigten nationalen Bewegungen gegen die imperialistischen Großmächte und Kolonialisten nach 1945 aufzählen. Kongo, Algerien, Vietnam, Korea etc. Die Bevölkerung dieser Gebiete hatte Recht, sich gegen den Imperialismus/Kolonialismus zu wehren und für einen eigenen Staat zu kämpfen. Was passiert, wenn dieses Ziel erreicht ist, wie dann mit allen Mitteln versucht wird, eine Art neokolonialistische Abhängigkeit zu erreichen, emanzipatorische Elemente zurückzudrängen, ist eine Frage des Kräfteverhältnisses, eben ein weiterer Kampf, der in diesen Ländern noch zu führen ist. Es ist wahr, dass diese Versuche in den letzten Jahrzehnten weitgehend erfolgreich waren und dort neokoloniale Strukturen durchgesetzt wurden. Das spricht aber nicht gegen die Legitimität all dieser Kämpfe, sondern wiederspiegelt vor allem die generelle Entwicklung und Situation in den letzten Jahrzehnten, in denen es eben keine starken revolutionären, kommunistischen Kräfte mehr gab, die fähig gewesen wären, dem etwas entgegenzusetzen.

5. Es muss jedoch noch auf ein großes Problem hingewiesen werden, das in jedem nationalen Befreiungskampf von Anfang an besteht. Der immer brutaler werdende Kampf zwischen den imperialistischen Großmächten führt auch dazu, dass legitime Kämpfe gegen einen imperialistischen Konkurrenten ausgenutzt werden, um diesen zu schwächen. Gleichzeitig besteht bei schwachen nationalen Befreiungsbewegungen das Problem, dass sie sich möglicherweise aus taktischen Gründen an eine imperialistische Großmacht wenden, um von dieser Hilfe zu erhalten im Kampf gegen andere imperialistische Großmächte.

Wir wollen nicht zu abstrakt werden. Gerade der deutsche Imperialismus hat während des Nazifaschismus die berechtigte nationale Befreiungsbewegung z.B. in Indien gegen den englischen Konkurrenten, gegen den englischen Imperialismus massiv mit Geld und Waffen unterstützt. Und natürlich gab es innerhalb der indischen nationalen Befreiungsbewegung einen Kampf, ob man dieses Bündnisangebot des Nazifaschismus annehmen oder ablehnen sollte. Dasselbe Problem gab es in der irischen nationalen Befreiungsbewegung, die die Loslösung vom englischen, vom britischen Imperialismus anstrebte. Und wir brauchen euch nicht zu sagen, dass der deutsche Nazifaschismus auch die palästinensische Bevölkerung mit Ideologie und Waffen im Kampf gegen den englischen Imperialismus unterstützte und dass sich dieser Kampf auch gegen die eingewanderte jüdische Bevölkerung und die einheimische jüdische Bevölkerung richtete.

6. Wir verstehen eure Skepsis gegenüber nationalen Befreiungsbewegungen in der heutigen Situation. Denn es ist kein Fehler, von der Realität auszugehen, und in der Realität gibt es aktuell gerade in Afrika viele Konflikte, die Stellvertreterkriege zwischen imperialistischen Großmächten sind, die von den Großmächten finanziert werden und die keine fortschrittlichen nationalen Befreiungsbewegungen sind.

Aber vielleicht können wir mit einer aktuellen Ausnahme überzeugen, nämlich dem Befreiungskampf der kurdischen Bevölkerung in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien. Es ist ein nationaler Befreiungskampf, es geht um das Recht, einen eigenen Staat zu gründen, die eigene Sprache zu sprechen und die eigene Kultur zu leben. Wir halten (ohne unkritisch zu werden) die Unterstützung des kurdischen nationalen Befreiungskampfes für notwendig und richtig.

7. Schließlich ein theoretisches Problem. Es ist viel darüber diskutiert worden, wie eine Nation zu definieren ist, dass sie in irgendeiner Weise an ein Wirtschaftsgebiet, ein Territorium, eine Sprache und eine bestimmte Kultur gebunden ist, die sich historisch herausgebildet haben.

Wir wollen jetzt nicht näher in diese Debatte einsteigen, aber wir wollen schon sagen, dass aus unserer Sicht gerade in Afrika durch die Grenzziehungen der imperialistischen Großmächte, genauer gesagt der kolonialistischen Großmächte, historisch eine sehr komplizierte Situation entstanden ist, zu deren vielen, vielen Einzelfällen wir einfach keine Position haben und nur hoffen können, dass mit demokratischen Grundüberzeugungen die Mehrheit der Bevölkerung in den verschiedenen Regionen Afrikas selbst eine akzeptable Lösung findet und sich nicht von imperialistischen Großmächten gegeneinander aufhetzen und in Kriege verwickeln lässt.

Das war kurz unsere Position zur nationalen Frage. Wir sind uns bewusst, dass dies noch sehr viel genauer und ausführlicher diskutiert werden muss.

Sozialismus in einem Land

Ein ganz anderer Fragenkomplex ist, dass ihr jetzt auch das Thema „Sozialismus in einem Land“ aufgreift. (Euer Papier, Punkt 5.1, Punkt 2) Um es kurz zu machen: Das war nicht das Ziel der Revolutionäre in Russland, das war eine Notwendigkeit, die sich aus dem Ausbleiben des Sieges einer sozialistischen Revolution in Deutschland ergab. Die Weltgeschichte wäre anders verlaufen, wenn die proletarische Bewegung in Deutschland den deutschen Imperialisten nicht nur bei der Intervention gegen den neu gegründeten sozialistischen Staat in Russland in den Arm gefallen wäre, sondern wenn sie im November 1918 nicht nur den Kaiser, sondern auch das reaktionäre Militär und die reaktionäre Sozialdemokratie hinweggefegt hätte, um eine sozialistische Revolution in Verbindung mit der sozialistischen Revolution in Russland zu stabilisieren. Mit der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht begann die antikommunistische und konterrevolutionäre Ausrichtung des deutschen Imperialismus bis hin zum Nazifaschismus.So kam es, dass die revolutionären Kräfte in Russland allein blieben, zwar nach langem Bürgerkrieg und Kampf gegen ausländische Intervention ihren eigenen sozialistischen Staat errichteten (mit den demokratischen Rechten aller bisher vom Zaren unterdrückten Nationalitäten und Nationen). Aber dass sie allein blieben, war nicht ihre Schuld. Es war die Schuld der deutschen revolutionären Kräfte, die sich gegen die Konterrevolution nicht durchsetzen konnten. Jetzt zu fordern, die revolutionären Kräfte in Russland sollten die Revolution und den Aufbau des Sozialismus einfach aufgeben, wäre wirklich der größte Unsinn. Diese Kapitulation hätte auch dazu geführt, dass der starke sozialistische Staat den gewaltigen Kampf gegen den Nazifaschismus nicht hätte gewinnen können. Das wollten wir noch einmal als unsere Position klarstellen

Nachbemerkung

Ein Grundproblem eurer Darstellung ist, verständlich durch die Kürze der Erklärung, dass in eurem Papier nicht präzise mit Quellen kritisiert wird, sondern die Kritik in sehr allgemeiner Form vorgetragen wird. Durch die Aneinanderreihung einer Vielzahl von Behauptungen, eher nach dem Schrotflintenprinzip mit breiter Streuung, wird der Kern der richtigen Kritik abgeschwächt, da keine Belege und Beweise vorgelegt werden.

Ein weiteres Problem sind unklare, ja nebulöse Formulierungen. Ein Beispiel: Was soll etwa heißen:

„Dabei lässt sich Antisemitismus nicht als ein Mo­ment von Herrschaft selbst erklären, ganz nach dem Schema einer direkten Unterdrückung.“ (Siehe in Eurem Punkt 4, 2. Absatz)

Geht es wirklich nicht klarer?Wir sind auch etwas erstaunt über die Zusammenfassung eures Selbstverständnisses „als sich als emanzipatorisch verstehende Kommunistinnen“. Ihr schreibt dazu, dass ihr wisst,

„dass die Befreiung der Gesellschaft nur mit der Befreiung des Subjekts einhergeht, das bedeutet aber auch, dass es nicht ,gut‘ oder ,böse‘ gibt, sondern wir Widersprüche und Ambivalenzen in der Welt um uns herum und in uns aushalten müssen.“ (Bei Euch 5.2., Punkt 4)

Welches Subjekt? Das Proletariat? Die Gesellschaft? Und müsste es bei aller Psychologie nicht heißen, dass es darum geht, die Widersprüche der Welt nicht mehr auszuhalten? Denn sie sind nicht auszuhalten. Wie können kommunistische Kräfte das „aushalten“?

In diesem Sinne freuen wir uns auf die Diskussion.

Mit solidarischen Grüßen

Redaktion „Gegen die Strömung“, September 2024

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