Gegen Legida: „Lieber militante Experimente als rassistische Katastrophen“

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Leipzig am 21. Januar: Legida-Teilnehmer äußern ihre Ängste und Sorgen.

Tausende Menschen haben sich Mittwochabend am zweiten Legida-Aufmarsch in der Leipziger Innenstadt beteiligt. Bekanntlich gelang es nicht, die rassistische Versammlung zu verhindern.

Für leipzig.antifa.de sprach Enrico Auerbach mit Timo vom Antifa-Komitee Leipzig (AKL). Die Gruppe hatte Anfang Dezember eine umfangreiche Analyse zu der rechten Bewegung vorgelegt, die jetzt in Leipzig weiter auftrumpfen will.

 

Wie hast du den zweiten Legida-Aufmarsch Mittwoch erlebt?
Erlebt habe ich vor allem, dass diesmal Protest durch eine Übermacht an Polizei erstickt oder ganz verhindert worden ist. Der Polizeieinsatz ging darauf aus, Legida auf Teufel komm raus durchzuschleusen. Legida ist ein rassistisch aufgeputschter Gewalthaufen mit uniformiertem Geleitschutz. Man hat denen, wie es so schön heißt, Rosen auf den Weg gestreut, und man hat das hochgerüstet getan.

 

Nun gut, das Ergebnis ist übel. Aber die Polizei hat ihre Rolle nun einmal darin, das Versammlungsrecht zu wahren, ganz gleich, wer es in Anspruch nehmen will.
Die Neutralität der Staatsgewalt ist selbst eine Ideologie des Staates. Man muss sich ja nur anschauen, welche banalen versammlungsrechtlichen Standards zugunsten von Legida zurückgestellt wurden. Da konnten etliche Leute, wie schon beim ersten Mal, vollvermummt laufen, Glasflaschen mitnehmen, Protektorenhandschuhe tragen, Steine aus dem Gleisbett aufsammeln, und so weiter. Der Ordnerschlüssel spielte keine Rolle und auch nicht, dass Ordner sich an Übergriffen beteiligt haben.

Offenbar gibt es in Sachsen einen gehörigen Vertrauensvorschuss für die extreme Rechte, solange die sich nicht NPD nennen. Und Legida ist ohne Zweifel eine Veranstaltung der extremen Rechten. Eine antifaschistische oder linksradikale Demonstration in der Größenordnung wäre sofort aufgerieben oder schon im Vorfeld verboten worden.

 

Das ist Spekulation.
Quatsch, in Sachsen ist das eine Tatsache. Laufen durfte am Mittwoch doch wohl einzig und allein Legida. Alle Gegenveranstaltungen, die demonstrieren wollten, auch die allerbürgerlichsten, wurden dagegen in Kundgebungen umgewandelt. Und an den meisten davon konnte man nicht einmal teilnehmen, weil die Zugangswege hermetisch abgeriegelt waren.

 

Du beklagst also eine Ungleichbehandlung? Das klingt nach einer günstigen Ausrede, warum beispielsweise Blockaden nicht gelungen sind.
Nein, ich halte zunächst nur fest, welche Konditionen an diesem Mittwoch objektiv herrschten, und die wird es vielleicht bald wieder geben. Das führt in der Tat dazu, dass Handlungsspielräume für sämtliche Sorten des Protests eingeschränkt werden. Daraus folgt nicht, dass ich ausgerechnet bei den Bullen um eine bevorzugte Behandlung werben möchte, das wäre absurd.

Klar wird an dem Punkt vielmehr, dass die Handlungsspielräume, die Protest benötigt, erkämpft sind und jetzt wieder erkämpft werden müssen. Sie sind eben keine Selbstverständlichkeit. Dieser Lerneffekt, so furchtbar er ist, wird sich jetzt auch bei den nicht-ganz-so-linken Legida-GegnerInnen einstellen.

 

Wenn wir das Wort „erkämpfen“ weglassen, klingt das nach einer affirmativen Strategie: Bitte, liebe Polizei, lasst uns doch auch ein bisschen Versammlungsfreiheit übrig!
Nein. Frei nach Friedrich Engels: Wenn das Bestehende uns die Mittel gibt, um gegen das Bestehende zu protestieren, dann ist die Anwendung dieser Mittel noch lange keine Anerkennung des Bestehenden. Man kann natürlich anmerken, dass das ein idealistischer Bezug auf bürgerliche Freiheiten ist und wir hier kleinere und größere Übel gegeneinander abwägen. Geschenkt.

In der jetzigen Situation, in der es nicht so aussieht, als würden wir etwas Revolutionäres anstellen können, sollten wir eben nicht tatenlos zusehen. Nichtstun nützt Legida, Resignation können wir uns gerade nicht leisten.

 

Was genau muss denn getan werden?
Ich hatte auch einen Moment der Resignation, weil sich am Mittwoch klar gezeigt hat, dass in dem Moment, wo Protest auf legalem Weg keine Aussicht hat, Situationen eintreten können, in der sich politischer Widerstand eben außerhalb versammlungsrechtlicher Bahnen bewegen muss, was natürlich ein Risiko ist. Ich bin aber nicht der Ansicht, dass schon alles versucht wurde, was möglich ist. Und wir können das, was bisher versucht wurde, besser machen. Es ist natürlich keine gute Aussicht, das jetzt von Mittwoch zu Mittwoch immer neu abwägen zu müssen.

Man muss aber mitbedenken, dass die jetzige Situation neu ist, daran hätte doch vor einem halben Jahr noch niemand gedacht. Daran gemessen ist das, was von links in Leipzig gelingt, zwar noch nicht zum Erfolg gekommen, aber trotzdem bemerkenswert. Daran kann weiter angeknüpft werden. Ein Patentrezept kennt niemand. In so einer Lage sage ich auch ganz klar: Lieber militante Experimente als rassistische Katastrophen. Wir haben es schließlich auch mit militanten Rechten zu tun.

 

Du sagst das so leicht. Aber die „militanten Experimente“ sorgen gerade für Spaltung im eigenen Lager. Läge es jetzt nicht nahe, nachzudenken über breitere gesellschaftliche Bündnisse gegen Legida und Konsorten?
Gemessen an sächsischen Verhältnissen sind wir schon breit aufgestellt. Und es ist auch klar, welche Grenzen die Bündnispolitik hat und wer sie zieht. Nehmen wir einmal Enrico Stange, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Landtag. Nach einer Spontandemonstration am 15. Januar hat er getan, was immer passiert, wenn man das Geschehen nur aus Pressemitteilungen der Polizei kennt: Er distanziert sich. Und er hat obendrein wörtlich gesagt: ‚Wir unterstützen die Bemühungen des Rechtsstaates, die Urheber dieses Gewaltaktes zur Verantwortung zu ziehen.’ Er zitiert damit insgeheim keinen Geringeren als den CDU-Innenminister Ulbig.

Klar: Ein Bündnis mit solchen Leuten streben wir nicht an, sondern werden es aktiv verhindern. Mit Stange und Konsorten holt man sich Denunzianten in die eigenen Reihen. Früher galt das mal nicht als links, sondern als counter insurgency.

 

Da machst du es dir aber etwas einfach: An jüngeren Aktionen in Leipzig hat es durchaus auch innerlinke Kritik gegeben. Ist die etwa unberechtigt?
Gegen innerlinke Kritik ist nichts zu sagen, Fehler müssen benannt werden, und es gibt wirklich viele Fehler. Man braucht sie nicht zu verteidigen. Aber was wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, ist kein Ansatz zur Kritik, sondern zur aktiven und öffentlichen Entsolidarisierung. Dass Leute aus linken Bewegungen das mittragen, ist einfach nur dämlich, sogar gefährlich und muss Konsequenzen haben. Diese Leute haben offensichtlich auch keinen Begriff von Militanz und auch nicht von Gewalt. Militanzdebatten gingen doch in der Vergangenheit immer von der Frage aus, wie man Gewalt begrenzt und nicht, wie man sie eskaliert.

Von Leuten, die das nicht verstehen oder die das absichtlich verwechseln wollen, braucht man sich nicht erklären lassen, was gute und was schlechte Politik ist. Von Initiativen wie „Für das Politische“ muss sich niemand sagen lassen, wie eine emanzipatorische Praxis aussähe. Es ist doch vielmehr so, dass eine Stärke linker Bewegungen gerade darin besteht, dass sie verschiedenen Ansätzen nachgehen kann, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Wem etwas nicht passt, der wählt eben einen anderen Ansatz, anstatt andere zu ächten. Das meinte ich vorhin mit dem Wort „Experimente“. Grundlage dafür ist immer die konkrete Solidarität – mit Bedrohten und Betroffenen, mit GenossInnen und Positionen, von denen aus Kritik an den Zuständen sich formulieren und umsetzen lässt.

 

Das ist doch banal. Was hat das mit dem Engagement gegen Legida zu tun?
Ich drehe einfach mal um, was Leute wie dieser Stange, was die Initiative „Für das Politische“ oder neulich erst Pfarrer Wolff erzählt haben: Nicht, wer sich in den Mitteln irrt, sondern wer diese Solidarität preisgibt, hilft den Falschen. Ein Aufruf zur Mäßigung ist spätestens nach dem, was sich am Mittwoch abgespielt hat, gefährlicher Unfug. Wir brauchen gerade jetzt eine Aktionseinheit auf solidarischer Grundlage.

Und man kann sich ja noch so sehr mäßigen: Der Innenminister wird uns kein Dialogangebot machen, die Landeszentrale für politische Bildung wird uns keinen Raum für eine Pressekonferenz sponsern. Professor Patzelt und die Bekloppten vom ‚Verfassungsschutz’ werden nicht sämtlichen Blättern der Republik erzählen, dass wir im Grunde unseres Herzens Waisenknaben mit ganz verständlichen Anliegen seien.

 

Du wirst polemisch, das sagt doch so niemand.
Aber hallo! Am Dienstag erst hat der LfV-Präsident Meyer-Plath im Rathaus gesprochen und vor einer deutlichen Zunahme so genannter ‚Linksextremisten’ speziell in Leipzig gewarnt. Keine Ahnung, wie gut der Mann zählen kann. Aber in dem Lagebild, auf das er etwas besser hätte aufpassen sollen, steht wörtlich: „In Leipzig werden der linksextremistischen Szene zwischen 200 und 250 Personen zugerechnet.“. Für die Jahre 2013 und 2012 wird dieselbe Zahl ausgewiesen. Das ist keine dramatische Zunahme, wie nachher behauptet wurde. Sondern das ist gar keine Zunahme.

Zugleich sagt Meyer-Plath, dass für die Beobachtung von Pegida und Legida kein Anlass bestehe. Auch das kann uns im Prinzip egal sein. Aber die mediale Message lautet hier: Okay, Legida ist vielleicht ein bisschen radikaler als das Dresdner Original, aber das ist alles legitim. Es bleibt also hängen: Rassismus darf man, aber Widerstand gegen Rassismus kommt dem Untergang des ‚Abendlandes’ schon ziemlich nahe.

 

Das kommt eben raus, wenn man auf dem rechten Auge blind und auf dem linken Auge doof ist. Und für Patzelt gilt: sehr präsent, steht aber mit seiner Meinung im wissenschaftlichen Umfeld ziemlich alleine da. Muss man den so ernstnehmen?
Der einflussreichste Lobbyist der Bewegung heißt derzeit nun mal nicht Bachmann oder Rösler, sondern Patzelt. Und der ist kein Drogenhändler oder Zuhälter, wie die ersten beiden, sondern Politikwissenschaftler. Man nimmt ihn dadurch schon mal ernster, und das muss man auch deswegen tun, weil er eine enorme mediale Reichweite erlangt. Ich behaupte, er erschließt Pegida und den Ablegern ein Meinungsvorfeld, das sich sonst nicht ansprechen ließe.

Am Anfang hat Patzelt immer gesagt: Pegida nicht ausgrenzen, das verschafft denen Zulauf. Dann hat er sich präzisiert: Mit Pegida reden, weil so abwegig seien deren Thesen nicht. Mittlerweile geht er noch weiter. In der aktuellen „Jungen Freiheit“ hat er ein ganzseitiges Interview bekommen, das ist der jüngste Höhepunkt. Oder Tiefpunkt, je nach dem. Er sagt jetzt: Pegida ist überhaupt nicht islamfeindlich, geschweige denn rassistisch. Was es gebe, sei die „Ablehnung einer Anpassung heimatlicher Kulturmuster an muslimische Vorstellungen“, also das, was manche unter „Islamisierung“ verstehen. Er stellt das so hin, als sei es eine Tatsache. Und er setzt nach, dass alles andere eine Verzerrung durch Medien sei, die alle furchtbar weit links stünden und Pegida deshalb immer nur verleumden wollen. Fehlt nur noch, dass er von „Lügenpresse“ spricht.

 

Jetzt bleibt es nicht mehr beim Vorwurf „Lügenpresse“, sondern in Leipzig gab es am Mittwoch mehrere Angriffe auf JournalistInnen…
…ja, Moment mal, die gab es doch schon beim ersten Legida-Marsch. Dass das jetzt erst breit thematisiert wird, hat deshalb etwas Verlogenes an sich. Einige Medien, auch die LVZ, nehmen das offenbar erst dann zur Kenntnis, wenn es die eigenen Leute trifft.

Diesmal sah das Vorgehen allerdings orchestriert aus. Gleich nach Beginn des Aufmarsches wurden Kommandos gerufen, und schon stieß die Demospitze in die Reihen der Presse rein. Das hat sich während des Marsches dann noch zugespitzt, unter Mitwirkung von Ordnern und natürlich ohne Einschreiten der Polizei. So zeigt sich aber auch, was von „Je suis Charlie“ von vergangener Woche hängen blieb, nämlich nichts.

 

Überrascht dich die Aggressivität bei Legida?
Im Grunde nicht. Wir hatten vor einer Weile versucht, die Wahl der Feindbilder und die Methoden des Vorgehens bei HoGeSa und Pegida herauszuarbeiten. Das bestätigt sich jetzt im Wesentlichen. Es kommt hinzu, dass Legida dem Habitus vom Mittwoch und der Struktur der TeilnehmerInnen nach vielleicht sogar eher mit HoGeSa zu vergleichen ist. Nach Leipzig sind in der Tat Neonazis und Hools aus allen Ecken der Republik angereist.

Jetzt ist zu vermuten, dass Leipzig auch in den nächsten Wochen ein Reiseziel für die Leute bleiben wird, für die Dresden schon zu ‚soft’ geworden ist. Wir müssen also von einer Radikalisierung ausgehen. Und diejenigen, die das wollen, hatten am Mittwoch dermaßen freie Hand, dass sie die Möglichkeit einer Wiederholung reizt.

 

Du sagtest ja schon: Rosen auf den Weg gestreut. Für eine Entwarnung siehst du also keine Anzeichen?
Es gibt Spaltungsanzeichen, die jetzt vom Original-Pegida ausgehen. Aber wenn wir daraus schon etwas Positives ableiten wollen, müssten wir eine sehr optimistische Interpretation wagen und ins Spekulieren kommen. Das bringt uns in der Auseinandersetzung mit Legida nichts.

Diese Bewegung lebt aktuell davon, eine Kontinuität im eigenen Handeln aufzubauen und dadurch immer mehr Leute mitzureißen. Worum es uns als AntifaschistInnen und AntirassistInnen gehen muss, ist, eine kontinuierlich aktive Gegenbewegung aufzubauen, die den Prozess effektiv stören kann. Sie sollte sich nicht nur auf die Aufmarsch-Mittwoche konzentrieren, sondern auch beachten, wo das besagte Meinungsvorfeld in Erscheinung tritt und wo die Legida-Versteher sich rumtreiben.

Früher hieß es ja mal, Leipzig sei auch eine Stadt der linken „Diskursextremisten“. Ich vermisse gerade diejenigen, die versuchen würden, an den sechs anderen Tagen der Woche zu intervenieren.

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