Berlin: Bundespolizei jagt Plakatkünstler*innen weil man in Polizeiwachen gültige Fahrscheine braucht

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Die Bundespolizeiinspektion Berlin-Hauptbahnhof verfolgt Plakatkünstler*innen, die mit selbstgedruckten Postern auf Rassismus in der Polizei aufmerksam machen. Die Beamten verhafteten zwei Personen trotz gegenteiligen Beschlüssen der Staatsantwaltschaft und des Bundesverfassungsgerichts. Laut Verfahrensakte im vollen Bewusstsein darüber, dass das Aufhängen eigener Poster in Werbevitrinen von S-Bahnhöfen nicht strafbar ist. „Von wegen Gesetzeshüter*innen: Das ist eindeutig Verfolgung Unschuldiger!“, sagt Sam A. Hax, Sprecher*in der Gruppe „Gegen deutschnationale Polizeigewalt (GdP)“. „Davon, dass die Polizei so eifrig gegen Rassist*innen und Nazis in den eigenen Reihen vorgehen würde, kann man nur träumen.“

Protest zur Innenminister*innenkonferenz

Zur Innenminister*innenkonferenz im Juni 2023 entwarfen Plakatkünstler*innen für die Polizei eine ironische Plakatkampagne. Sie kaperten unerlaubt über 100 Werbevitrinen im Berliner Nahverkehr dank handelsüblicher Rohrsteckschlüssel aus dem Baumarkt. Als Beamte der Bundespolizeiinspektion Hauptbahnhof am Bahnhof Westhafen in einer Werbevitrine eines der Poster sahen, traf sie fast der Schlag. Das Plakat zeigt eine lächelnde junge Polizeibeamt*in und daneben den Slogan „Rassismus? Schieben wir ab!“

Großalarm

Die Beamt*innen entdeckten außerdem Plakate mit der Abbildung eines SEKs in voller Kampfmontur beim Türen aufsprengen. Der Slogan dazu lautet: „Abschiebung ins Kriegsgebiet: Machen wir gerne. 110% Gewalt.“ In klein darunter: „Abschiebungen, Rassismus und Gewalt sind Dein Ding? Jetzt bewerben!“ Die Antwort der Polizist*innen: „Großalarm!“

110% Rassismus

Die Streifen der Inspektion schwärmten sofort aus, um „polizeifeindliche“ Adbuster*innen“zu jagen. Die Beamt*innen finden noch weitere Plakate. Eines zeigt das Bild eines Aktenschredders mit dem Slogan: „Unsere Aufarbeitung von Rassismus. 110% nicht.“ Ein viertes Motiv zeigt eine*n Polizist*in, schwer beladen mit Dönern zu den Wagen der Kolleg*innen stapfend. Der Text dazu lautet: „Rassismus? Wir mögen doch manche Ausländer! 110% Weißbrot.“ In kleineren Buchstaben folgt unter dem Bild: „Abschiebungen, Rassismus und Gewalt sind Dein Ding? Jetzt bewerben!“

Nur 15 Sekunden

Die Cops klemmten sie sich laut Akte auch hinter die Aufzeichnungen ihrer Videokameras. Auf den Überwachungskameras seien zwei Personen zu sehen, die Plakate in Werbevitrinen austauschen, schreibt ein Polizeimeister. Entsetzt stellt er fest, dass die Plakatkünstler*innen für das Anbringen ihrer Poster lediglich 15 Sekunden bräuchten.

Staatsanwaltschaft: „Nicht strafbar!“

Entrüstet schreibt der Polizeimeister weiter, dass es sich bei der Adbusting-Aktion aufgrund der Kritik an der Polizei um „politisch motivierte Kriminalität“ handeln müsse. Deshalb habe er für weitere Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen, DNA-Analysen, Hubschraubereinsatz oder Meldungen ans Terrorabwehrzentrum den Dauerdienst des LKA 5 (Staatsschutz) kontaktiert. Hier stieß er jedoch zu seinem Entsetzen auf Desinteresse: Der Staatsschutz erteilte eine Absage, da man im geschilderten Fall keine strafbaren Handlungen erkennen könne.

Beschlüsse von Staatsanwaltschaft und Verfassungsgericht

Kein Wunder: „Das LKA 5 hat das alles in den letzten Jahren durchgemacht, und musste erleben, wie Medien, Öffentlichkeit, Abgeordnete und die Staatsanwaltschaft ihnen dumme Fragen zur Verfolgung von Adbuster*innen stellten.“ sagt Sam A. Hax. Das LKA 5 habe in den letzten Jahren die Kriminalisierung von Adbusting mittels Diebstahl, Schwerem Diebstahl, Sachbeschädigung, Erschleichen von Leistungen, Verstoß gegen das Kunsturheber*innengesetz, Verstoß gegen das Landespressegesetz, Störpropaganda gegen die Bundeswehr, Üble Nachrede, Beleidigung und Verleumdung ausprobiert: „Deshalb hat die Staatsanwaltschaft Berlin längst klargestellt: Es ist legal, eigene Plakate in Werbevitrinen zu hängen, wenn nichts beschädigt oder geklaut wird.“ Im Dezember entschied sogar das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dass Hausdurchsuchungen wegen Adbustings illegal sind.

Festnahmen

Während der Fahndung nahmen die Cops laut Akte leider zwei Personen fest.  Diese wurden bis in die frühen Morgenstunden in der Wache im Hauptbahnhof durchsucht, vernommen und eingesperrt. „Spätestens nachdem die Beamt*innen vom LKA über die Straffreiheit von Adbusting belehrt worden sind, hätten sie die Aktivist*innen freilassen müssen“ erläutert Sam A. Hax. „Aber wer die Polizei kritisiert, für den gelten die Grundprinzipien des Rechtsstaats offenbar nicht.“

Ohne gültigen Fahrschein in der Wache?

Einziges in der Ermittlungsakte festgehaltenes Ergebnis: Einer der Beschuldigten habe bei der Durchsuchung in der Wache einen gültigen, aber nicht abgestempelten Fahrschein dabie gehabt und wurde wegen Erschleichung von Leistungen angezeigt. Sam A. Hax: „Das wird spannend, wenn die Cops im Gericht erklären müssen, wie sie zu der Rechtsauffassung kommen, dass man in einer Polizeiwache neuerdings einen gültigen Fahrschein besitzen muss.“

Rechtsfreier Raum Hauptbahnhof

„Statt so eifrig vor dem Gesetz unschuldige Polizeikritiker*innen zu verfolgen, könnte man bei der Polizei die überschüssige Energie ja mal dafür nutzen, über die Kritik nachzudenken und mit rassistischen Maßnahmen wie Racial Profiling aufzuhören“, findet Sam A. Hax. Erst vor kurzem bewies die Berliner Polizei, dass nicht einmal der Kultursenator vor rassistischen Kontrollen sicher ist. „Hoffentlich reicht der öffentliche Druck, damit auch die Bundespolizeiinspektion Hauptbahnhof in Zukunft die Beschlüsse von Staatsanwaltschaft und Bundesverfassungsgericht respektiert!“

 

Mehr Infos:

Ist Adbusting strafbar?
https://deutschepozilei.wordpress.com/imk-in-berlin-gefalschte-polizeiplakate-kritisieren-rassismus/rechtliches/

Das Bundesverfassungsgericht und Adbusting:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/12/rk20231205_2bvr174920.html

taz zur Poster-Aktion:
https://taz.de/Adbusting-Aktion-gegen-die-Polizei/!5935209/

 

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