8. Mai: Befreiungsfeier in Demmin
Bis zu 1000 Menschen protestierten am 8. Mai im vorpommerschen Demmin gegen einen Neonaziaufmarsch. Gleichzeitig feierten sie den Tag der Befreiung. Organisiert hatten die Aktionen das Bündnis "Demmin Nazifrei" und ein landesweites antifaschistisches Aktionsbündnis. Während die Teilnehmerndenahl des rechten „Trauermarschs“ erneut stagnierte, waren etwa 900 Polizist*innen im Einsatz. Immer wieder kam es dabei zu Grundrechtsbrüchen durch die Polizei. Das Verhalten der Polizei in Demmin war neuerliches Symptom einer autoritären Entwicklung im Bundesland, die ihren vorläufigen Höhepunkt im neuen Sicherheits- und Ordnungsgesetz finden wird.
Von Klassik bis Russian Hardbass, ein wilder Musikmix hallte am Mittwochabend durch die Straßen und über die Plätze der Peenestadt Demmin in Mecklenburg-Vorpommern. Der Sound kam aus den Boxen und Verstärkern der rund 1000 Antifaschist*innen verschiedener Spektren, die den 8. Mai in der Kleinstadt feierlich begangen. Dazu wurden Reden gehalten, Sekt gereicht und kiloweise Konfetti verteilt. Eine Tanzdemonstration mit rund 600 Menschen quer durch die Stadt leitete die Feierei ein. Deren Hintergrund war zum einen der Tag der Befreiung vom Faschismus und zum anderen der Protest gegen einen alljährlichen Neonaziaufmarsch an diesem Tag. Entlang der Route des sogenannten „Trauermarschs“ verteilten sich zahlreiche Gegenkundgebungen, die Teil des Partykonzeptes waren.
Nach Party war den Neonazis nicht zu Mute. Zunächst wurden sie durch ein Gruppe Musiker*innen blockiert. Anschließend marschierten sie wieder einmal mit aufgesetzter Trauermiene wortlos durch die Stadt. Dabei wurden sie permanent von Konfettischauern und Musik genervt, sodass der von ihnen beabsichtigte Trauercharakter nicht aufkam. Am Hafen hielten sie Reden und versenkten einen Kranz im Fluss. Anschließend zogen sie zurück zum Auftaktort und verschwanden zügig. Trotz der Beteiligung des NPD-Bundesvorsitzenden Frank Franz kamen die Neonazis nicht über 200 Teilnehmende hinaus. Maßgeblich getragen wurde die Veranstaltung erneut vom NPD- und Kameradschaftsspektrum aus Vorpommern. (Bilder der Neonazis)
Neonazis im Konfettiregen (Bild Pixelarchiv)
Der Partyschreck lässt die Maske fallen
Ebenfalls nicht in Feierlaune war wieder einmal die Polizei. Mit mittlerweile fast 900 Polizist*innen „sicherte“ sie die Veranstaltungen ab. Das hieß im Grunde, dass sie wie in den Vorjahren die Route beinahe komplett eingitterte, angemeldete Gegenveranstaltungen unter Generalverdacht stellte, das Versammlungsgesetz nach belieben einschränkte, Journalist*innen gängelte und Antifaschist*innen angriff.
Trotz des antifaschistischen Konzeptes, das sich auf Protest in Hör- und Sichtweite beschränkte und direkte Aktionen, wie etwa Blockaden bewusst unterließ, agierte die Staatsmacht aggressiv. Obwohl sie sich aufgrund des Konzeptes eigentlich einen entspannten Tag hätte machen können, suchte sie streckenweise bewusst die Eskalation.
Erneut waren zahlreiche Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten eingesetzt, die für ihr brutales Vorgehen bekannt sind. Trotz der in Mecklenburg-Vorpommern geltenden Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen, verdeckten unzählige Landesbeamte die Kennzeichnung mit Schlagstöcken, Helmen oder ähnlichem. Die Herausgabe der Dienstnummern wurde im Allgemeinen belächelt und unterlassen. Darüber hinaus kamen an neuralgischen Punkten Polizeieinheiten aus Bundesländern zum Einsatz, die der Kennzeichnungspflicht nicht unterlagen. Im Falle einer Eskalation wären die staatlichen Schläger*innen so vor Strafverfolgung noch sicherer gewesen, als sie es ohnehin schon sind.
Des Weiteren versuchte die Polizei in diesem Jahr die Protestkundgabe in Hör- und Sichtweite in Teilen zu behindern. So riegelte sie eine Kundgebung zusätzlich zu Gittern und Kette auch noch mit einer Reihe aneinander geparkter Polizeifahrzeugen ab, sodass die Veranstaltung gänzlich abgeschirmt war. Bereits am 1. Mai hatte die Polizei in Wismar unter Einsatz von Gewalt versucht wahrnehmbaren antifaschistischen Protest zu verhindern.
Einer weiteren Protestkundgebung wurden Lichtinstallationen verboten. Erkundigungen über Dienstnummern wurden mit Häme begegnet. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, behauptete einer der verantwortlichen Polizisten, liege im Ermessen der Polizei. Zudem griffen Polizist*innen die Kundgebung nach Einbruch der Dunkelheit unter fadenscheinigen Begründungen an und nahmen Menschen in Gewahrsam.
Eine antifaschistische Kundgebung am Markt durchsetzte die Polizei mit Greiftrupps, die permanent und anlasslos filmten.
Journalist*innen, die sich am Rande des rechten Marsches aufhielten, um der Bildberichterstattung nachzugehen, erschwerten Polizist*innen im Zusammenspiel mit den Ordnern der Neonazis die Arbeit. Immer wieder versperrten sie den Fotograf*innen bewusst die Sicht, verwiesen sie der Aufmarschstrecke oder bedrohten sie. Das Grundrecht auf Pressefreiheit interessierte die Beamt*innen wenig.
Auch in diesem Jahr twitterte die Polizei wieder aus dem Einsatzgeschehen. Dabei versuchten die Twitter-Polizistinnen gezielt Kritik am Verhalten der Polizei durch Behauptungen und Inszenierungen zu delegitimieren. Ungeniert übernahm die Polizei den Begriff „Trauermarsch“ für den rechten Aufzug. Dabei handelt es sich eindeutig um einen geschichtsrevisionistischen und NS-verherrlichenden Marsch, der den Begriff der Trauer lediglich zur Verunglimpfung der Befreier*innen und zur Bildung eines rechten Opfermythos missbraucht. Soweit her ist es mit der angeblichen Neutralität der Polizei.
Das "Socialmedia-Team" der Polizei Mecklenburgische Seenplatte. (Quelle: Twitter Polizei MSE)
Der Tag zum nachverfolgen (Twitter).
Rechtsruck in Behörden und Gesetzesform
Es ist unwahrscheinlich, dass der Polizeiführung das antifaschistische Konzept, dass bereits im letzten Jahr angewandt wurde und für das auch die diesjährige Mobilisierung deutlich warb, entgangen ist. Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass all die oben angeführten Maßnahmen und Verhaltensweisen der Polizei vor Ort bewusst und geplant waren. Damit macht sich die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern mehr und mehr zum willigen Erfüllungsgehilfen der verschiedenen rechten Strömungen im Land. Dieses Verhalten ist Symptom eines deutlich wahrnehmbaren Rucks hin zu rechten und autoritären Ideen im Bundesland. Bereits am 1. Mai in Wismar zeigte sich wieder einmal der staatliche Verfolgungswille gegen Antifaschist*innen, vor dem das örtliche Bürgerbündnis „Wismar für alle!“ (Videosequenz 00:00 - 00:15 sek.) bereits im Vorfeld kapitulierte.
Ein weiterer Angriff machte in den vergangenen Tagen bundesweit Schlagzeilen. Die Polizei knüpfte ihre Zustimmung zur Genehmigung des Fusion-Festivals an eine Polizeiwache und eine Bestreifung auf dem Veranstaltungsgelände. Tatsächlich droht damit ein repressiver Eingriff in das Festival, dass den Charakter nachhaltig zerstören würde und das Festival an sich in Frage stellt. Gegen dieses Vorhaben wehren sich die Organisator*innen des Festivals.
All diese Vorgänge sind bedenkliche Vorzeichen des geplanten neuen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes, dass in Mecklenburg-Vorpommern wahrscheinlich kurz vor der Sommerpause beschlossen werden soll. Inhaltlich orientiert sich das haarsträubende Gesetz an denen Bayerns oder NRWs. Die Initiative „SOGenannte Sicherheit“ versucht Widerstand gegen diesen autoritären Akt zu organisieren.
Wie in der gesamten Bundesrepublik schreitet auch in Mecklenburg-Vorpommern die autoritäre Formierung der Gesellschaft voran. Die bürgerlichen Parteien, die die Regierungen bilden und die bürgerlichen Freiheiten garantieren sollen, schleifen diese zunehmend. Sie ebenen den Weg in Autoritarismus und Faschismus. In Mecklenburg-Vorpommern ist es unter anderem Innenminister Lorenz Caffier (CDU), der für diese Entwicklung mitverantwortlich ist. Das bringt Antifaschist*innen und Linke in eine immer schwerere Lage. Die Verteidigung bürgerlicher Errungenschaften gegen die Barbarei ist ein wichtiges Anliegen des Antifaschismus. Angesichts der Gefahren und Ungerechtigkeiten, die in der bürgerlichen Gesellschaft angelegt sind, muss eine antifaschistische Linke aber darüber hinaus für die befreite Gesellschaft jenseits von Kapitalismus und Bürgerlichkeit kämpfen. In Mecklenburg-Vorpommern wird ihr damit die Arbeit kaum ausgehen.