[B] Antifaschistische Prozessbeobachtung 23.Mai
Bei der Verhandlung gegen einen Teilnehmenden der antifaschistischen Proteste gegen den AfD-Landesparteitag 2021 gab es am 23. Mai 2023 erneut einen Freispruch. Wieder waren es von der Verteidigung eingereichte Videoaufnahmen der Festnahme des Betroffenen, mit denen die Lügen der Cops entlarvt werden konnten. Wieder einmal hat die Staatsanwaltschaft gezeigt, dass umfassende Ermittlungen im Vorfeld nicht erwünscht sind. Stattdessen wird eben den teilweise wortgleichen Aussagen der Cops geglaubt, die mit ihren leeren Phrasen nur den polizeilichen Verurteilungswillen beweisen. Vor Gericht machten sich die Schläger der 11. Einsatzhundertschaft aber teilweise so lächerlich, dass selbst die Richterin sie auslachen musste. Doch darüber hinaus zeigte der Prozess an mehreren Stellen, dass die Zerschlagung des Antifa-Protests gegen die AfD am 6. Juni 2021 allein vom Eskalationswillen der eingesetzten Cops getrieben war.
Friedlicher Antifa-Protest
Dem Bündnis „Kein Raum der AfD“ sind insgesamt acht Fälle von Repression im Zusammenhang mit den Vorkommnissen im Juni 2021 bekannt. Bis auf ein Verfahren sind alle beendet. Verurteilungen gab es bisher keine. Stattdessen kam es zu zwei Freisprüchen und fünf Einstellungen. Selbst das noch laufende Verfahren wollte die Staatsanwaltschaft schon einstellen. Somit konnten die Gerichte keinerlei strafbare Handlungen auf Seiten der Teilnehmenden der Anti-AfD-Proteste feststellen. Selbst mit dem stärksten Verurteilungswillen der Staatsanwaltschaft lassen sich keine verwertbaren Beleidigungen gegen Tom Schreiber und keine Gewalt- oder Widerstandshandlungen finden. Es wird klar, dass der polizeiliche Angriff auf die friedliche Versammlung keine objektiven Grundlagen hatte. Stattdessen wurden minimale Verdachtsmomente und die persönliche Kränkung eines eitlen Politikers genutzt, um mit massiver Gewalt gegen Antifaschist*innen vorzugehen. Selbst die Richterin am 23. Mai schlussfolgerte, dass es ohne die Anwesenheit von Schreiber friedlich geblieben wäre. Zudem stellte sie die Frage, warum er überhaupt bei der Hundertschaft in diesem Einsatz hospitierte. Letztendlich hat Tom Schreiber, der immerhin auf dem Papier noch ein SPD-Politiker ist, dafür gesorgt, dass ein Antifa-Protest brutal niedergeknüppelt wurde.
Lust an Gewalt bei den Cops
Am 23. Mai haben zudem die Aussagen von allen vier Cops bestätigt, dass diese bewusst auf Eskalation gesetzt haben. Alle wurden von der Richterin gefragt, ob es nötig war, die Verdächtigen auf dem friedlichen Protest derart gewalttätig anzugehen. Sie machte klar, dass es aus ihrer Sicht deutlich mildere Mittel gegeben hätte, um strafverfolgende Maßnahmen durchzusetzen. Alle vier Cops waren sich jedoch einig, dass die Teilnehmenden nur überfallartig und mit Gewalt festgenommen werden konnten. Der polizeiliche Einsatz setzte eben nicht auf Deeskalation. Stattdessen wurden Menschen aufgrund einer polizeilichen Lust an Gewalt bzw. aufgrund ihrer politischen Ansichten als Antifaschist*innen gegen jede Verhältnismäßigkeit niedergeknüppelt. Ein Cops gab sinngemäß an, dass es nicht bringen würde, „mit denen zu reden“. Diese schematische Aufteilung der Welt nach „Freund*innen“ und „Feind*innen“ ist Ausdruck einer um sich greifenden Cop Culture: Die „guten Polizist*innen“ müssen mit allen Mitteln gegen die „bösen Straftäter*innen“ vorgehen. Das Bild für ein solches Verständnis von Polizeiarbeit ist die „thin blue line“. Die dünne blaue Linie ist die Polizei, welche die Gesellschaft vor Chaos schützt. Bei den Protesten gegen den AfD-Landesparteitag 2021 haben sich die menschenverachtenden Auswirkungen von solchen Denkmustern gezeigt. Doch anstatt gegen diese Vorstellungen vorzugehen, werden sie beispielsweise durch Polizeigewerkschaften und rechte Innenpolitiker*innen, wie Tom Schreiber, weiter bestärkt.
Die Lüge vom „Widerstand“
Ohne objektive Grundlagen wurde somit ein antifaschistischer Protest mit äußerster Gewalt niedergeprügelt, weil Deeskalation gegen Linke nicht in den Denkmustern der Cops von der 11. Hundertschaft vorkommt. Um das aber zu verschleiern, kommt es im Nachhinein zu ausgedachten Anzeigen. Besonders beliebt ist hierbei der Vorwurf vom „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ nach § 113 StGB. Auch am 23. Mai ging es darum. Mit seinen uneindeutigen Formulierungen gibt der Paragraph den Cops alle Möglichkeiten an die Hand, um allein mit subjektiven Eindrücken Menschen zu Bewährungsstrafe verurteilen zu lassen. Die Cops müssen nur bestimmte Schlagworte, wie „aktive Gegenbewegung“, nutzen und möglichst oft wiederholen, damit Staatsanwaltschaften Anklagen schreiben. Am 23. Mai sollte schon ein bloßes Stehen am Rand einer Festnahme als Widerstandshandlung eingestuft werden. Davon blieb am Ende nichts übrig. Dennoch werden sich die Cops weder für ihre Schläge gegen den Kopf des Betroffenen noch für die offensichtlichen Lügen vor Gericht zu verantworten haben.
Es ist bezeichnend, dass selbst einer konservativ-katholischen Richterin, die in der Vergangenheit nicht durch ihre polizeikritische Haltung aufgefallen ist, klar wird, dass am 6. Juni 2021 massive und ungerechtfertigte Polizeiübergriffe auf eine friedliche Antifa-Kundgebung stattgefunden haben. Trotz des Freispruchs zeigt das Verfahren strukturelle Probleme in Polizei und Justiz – schon allein weil viele andere, die ähnlich gelagert sind, mit Verurteilungen enden. Das Problem ist eine „Cop Culture“, die auf Gewalt aufbaut und durch Lügen legitimiert werden kann, weil diese nicht breit hinterfragt werden. Es braucht keine deeskalativen Cops oder besser geschulte Richter*innen. Solange rechte Schlägerbanden ein Gewaltmonopol ausüben können, wird sich nichts ändern. Das Polizei- und Justizsystem kann nicht reformiert werden, sondern gehört in seiner jetzigen Form abgeschafft.