Im Widerstandsmuseum Amsterdam: Auf der Jagd nach alter Kommunikationsguerilla
Anlässlich eines Treffens von Subvertisers International in Amsterdam Anfang März 2023 waren wir auch im dortige Widerstandsmuseum. Das Widerstandsmuseum dokumemtiert den Widerstand der niederländischen Bevölkerung gegen die deutsche Besatzung 1940-1945. Wir haben dort alte Kommunikationsguerilla gesucht und gefunden. Denn das Museum zeigt Beispiele für Adbustings und andere subversive Protest-Techniken.
Wo suchen?
Wo findet man alte Kommunikationsguerilla? In den Archiven der Ordnungshüter*innen der jeweiligen Zeit. Denn die Schergen sind fast die einzigen, die diese flüchtigen Aktionsformen zwecks anschließender Hinrichtung oder Strafverfolgung der Verantwortlichen dokumentieren. Unter den sehr wenigen Orten, wo diese Archive der Öffentlichkeit zugänglich werden, befinden sich die Widerstandsmuseen. In dieser Konstellation legitimieren die subversiven Aktionen auf einmal den heutigen Staat und damit gibt es ausnahmsweise finanzielle Mittel für Dokumentation und Forschung für diese Themen.
Verzetmuseum
Das Niederländische Widerstandsmuseum in Amsterdam ist ein historisches Museum zur Dokumentation des Widerstandes der Niederländer gegen die deutsche Besetzung während des Zweiten Weltkrieges. Es befindet sich in einem ehemaligem jüdischen Theater. Das Museum wurde 1984 gegründet, seit Dezember 2022 hat es eine neue Ausstellung.
„Verlasst Amsterdam!“
Gleich am Eingang begegnet uns der Nachdruck eines Adbusting aus Breda vom 26.2.1941. Der Nachdruck zeigt eine Proklamation der Besatzungsmacht, die mit zwei Störern beklebt wurde. Auf den Störern steht übersetzt: „Verlasst Amsterdam!“ und „Die Niederlande sind frei!“
Das orangene V
Für die Story um das zweite Adbusting müssen wir ein bisschen weiter ausholen. Auch in den Niederlanden verbreitete sich das „V“ als Zeichen für den alliierten Widerstand rasend schnell. Zudem verwendete der niederländische Widerstand ein „V“ in der Farbe Orange. Ursprünglich die Farbe der Königsfamilie ,ist orange heute wie damals die Nationalfarbe der Niederlande.
rebranding
Die deutsche Besatzungsmacht versuchte, das orange „V“ zu re-branden. In massiven Propaganda-Kampagnen versuchten die deutschen Behörden, dem Buchstaben die Bedeutung „Victoria! Deutschland siegt an allen Fronten!“ zu geben. Nicht unbedingt klug, denn die Flugblätter und Poster der Besatzungsmacht zierte nun die Farbe der Königsfamilie. Und mit wenigen Scherenschnitten und etwas Klebstoff lief sich aus zwei „V“s ein „W“ wie Wilhelmina machen.
Buntstift-Adbustings
Doch der niederländische Widerstand legte noch einen drauf und kaperte die Motive. Auf diesen von Besatzungsmacht produzierten Flyern sieht man ursprünglich eine Karikatur, die einen „Bolschewiken“ verunglimpfend zeigen soll. In den Leib der Figur bohrt sich ein orangenes „V“. Doch aus dieser anti-russische Karikatur machte der Widerstand ein Adbusting. Mit ein paar Bleistiftstrichen wurde aus dem Haarschopf des „Bolschewiken“ eine Pickelhaube und den Kopf der Figur ziert nun eine Scheitelfrisur und ein kleiner Oberlippenbart.
Subversive Zeitungsanzeigen
Subtiler ist dieser Weg, gefährliches in Tageszeitungen einzuschleusen. Nachdem es zu Demonstrationen anlässlich des Geburtstages der Königin gekommen war, verbot die Besatzungsmacht jeden Bezug zu den Oraniern und auch die öffentliche Nennung ihrer Namen. Die Hebamme Nelia Epker (1901-1977) überredet 1941 ein Ehepaar, ihr Neugeborenes nach den Mitgliedern der königlichen Familie zu benennen und eine Geburtsanzeige zu schalten. Und so fand sich in der Zeitung Haagsche Courant am 29. Januar 1941 die winzige Nachricht, das eine Irene Beatrix Juliania Wilhelmina Nihot geboren sei. Überraschenderweise fiel die sehr kleine Zeitungsanzeige damals tausenden von Menschen auf und sie schickten patriotische Grußkarten, Geschenke und Geld. Sie fiel auch der Besatzungsmacht auf: Die Deutschen entführten sie ins KZ Ravensbrück.
Hitlers Head
Quatsch mit Denkmälern gab es selbstverständlich damals auch schon. 1945 nach der Befreiung fotografierte jemand diese überlebensgroße Hitler-Kopf-Büste. Sie ist arg lädiert und mit einem Schild versehen. Auf dem Schild steht: „Found the Head of Hitler“. Alte Bilder im Netz zeigen, dass das Museum in der alten Ausstellung neben der Fotografie auch die lädierte, originale in der Werkstatt von Hitlers Lieblings-Bildhauer Arno Breker gefertigte Büste ausstellte.
Fazit?
Kommunikationsguerilla ist nicht erst von den Situationist*innen erfunden wurden. Bereits früher waren die Menschen kreativ und ließen sich viel einfallen, um ihren Protest auszudrücken. Gerade die gesellschaftlichen Bedingungen autoritärer Regime und Diktaturen bringen diese Fantasie regelmäßig zum Sprühen. Und die harte Repression zeigt, dass gerade auf Gewalt basierende Herrschaftssysteme hier allergisch reagieren. Das heimliche Wissen um die fehlende Legitimation dürfte der Grund sein. Vielleicht erklärt das auch, warum heute in demokratischen Staaten ausgerechnet Polizei und Militär in der Konfrontation mit kreativem Protest zu Überreaktionen neigen.
Mehr Infos:
Mehr alte Adbustings:
https://de.indymedia.org/node/52266
Studie zu der Zeitungsanzeige und Nelia Epker:
https://studenttheses.uu.nl/handle/20.500.12932/16912
Das Museum hat einen krassen digitalen Katalog. Bei viel Langeweile findet man da bestimmt noch mehr:
https://collectie.verzetsmuseum.org/ais6/results
Das Verzetmuseum:
https://www.verzetsmuseum.org/
Plantage Kerklaan 61,
1018 AD Amsterdam
Der Eintritt kostet 14 Euro.