Das Gedenken ist eine politische Waffe
Seit einigen Jahren trägt eine unbewohnte Sackgasse den Namen der Antifaschistin Mildred Fish Harnack, die als Mitglied der antifaschistischen Widerstandsgruppe Rote Kapelle am 16. Februar 1943 in Plötzensee hingerichtet wurde. 80 Jahre später, am 16. Februar 2023, organisierten die VVN-BdA und die Stadtteilinitiativen „Wem gehört der Laskerkiez?“ und „Wir bleiben alle Friedrichshain“ eine Gedenkveranstaltung an der neuen Straße. Dass dort solche Aktionen eher selten sind, zeigte schon die Polizei, die selbst eine symbolische Ergänzung des Straßenschilds unterbunden hat.
Der unvollständige Name
Denn das Schild zeigt deutlich, dass sich die Institutionen, die über die Benennung der Straße entschieden, kaum näher über die benannte Person informiert haben.
Dort steht „Mildred Harnack, Widerstandskämpferin 1907-1943“. Dass sie als antifaschistische Widerstandskämpferin gegen das Nazi-Regime Widerstand leistete, geht daraus nicht hervor. Zudem hatte sie, eine schon in den 1920er Jahren in feministischen Zusammenhängen in den USA engagierte Frau, ihren Geburtsnamen nicht abgelegt. Daher wurde bei der Gedenkkundgebung von Mildred Fish Harnack gesprochen, so wie sie sich selber genannt hat.
Eine besondere Freude war der Besuch ihrer Urgroßnichte Rebecca Donner bei der Kundgebung. Die Autorin der Biographie „Mildred“ verlas eine Grußadresse, in der sie es begrüßte, dass zum 80ten Todestag ihrer Urgroßtante gedacht wurde. Ein Redebeitrag ging auf die Frauen in der Roten Kapelle ein, die dort im Widerstand eine große Rolle spielten. Weitere Beiträge beschäftigen mit der Rezeption der Roten Kapelle in der Nachkriegszeit in der BRD, wo die Organisation weiterhin als Spionagegruppe für die Sowjetunion behandelt wurde. An dieser Legende haben auch Männer beigetragen, die bereits im NS an der Verfolgung der Roten Kapelle beteiligt waren und dieses Geschäft im Kalten Krieg fortsetzen konnten. Übrigens kam auch die Bezeichnung „Rote Kapelle“ von den Verfolgern, da er sich auch in der Literatur über den antifaschistischen Widerstand durchgesetzt hat, haben wir ihn auch hier übernommen.
Erst in den 1980er Jahren wurde auch in Westberlin an die Genoss*innen der Roten Kapelle von antifaschistischen Initiativen erinnert, in den 1990er Jahren gab es dann auch offizielle Gedenkzeichen, wie Stolpersteine. Im Jahr 2019 wurde ein Stolperstein am letzten Wohnsitz der Harnacks vor ihrer Verhaftung, in der Genthiner Straße, herausgerissen und der Hauseingang mit Naziparolen beschmiert. Ein Täter konnte nie ermittelt werden. Dieser faschistische Angriff macht deutlich, dass das Gedenken an die Genoss*innen der Roten Kappelle auch heute noch ein antifaschistisches Statement und Vermächtnis ist.
NS-PROFITEURE ENTEIGNEN
Das wurde auf der Kundgebung auch durch den Redebeitrag über heutige Milliardär*innen
mit Nazihintergrund deutlich. Zu nennen sind hier die Quants, die Flicks, die von Finck, Krupp, Oetkers, Porsche-Piechs. Der Reichtum, der ihnen auch heute noch Macht und Einfuss gibt und den manche auch heute für die Förderung von rechten Gruppen nutzen, hat seine Grundlage zumindest teilweise im NS, seiner Arisierungs- und Vernichtungspolitik. Die Forderung, sie zu enteignen und ihr Vermögen unter demokratische Kontrolle von Räten zu stellen, bleibt daher aktuell und ist Teil unseres antifaschistischen Vermächtnisses, das sich damit auch vom staatsoffiziellen Gedenken eines wiedergutgemachten Deutschlands abgrenzt, das sogar aus der angeblich so gründlichen Aufarbeitung der NS-Geschichte profitieren will. Gerade die Rezeption der Roten Kapelle aber stellt diese Aufarbeitung in Frage.
ADBUSTING GEGEN DAS NS-REGIME
Wir haben mit der Gedenkkundgebung versucht deutlich zu machen, dass es sich um ein über längere Zeit arbeitendes antifaschistisches Netzwerk handelte, in dem Menschen mit sehr unterschiedlicher politischer Grundlage zusammenarbeiteten, um beispielsweise Verfolgte des NS-Regimes und Juden zu verstecken. Eine weitere bisher wenig bekannte Aktion von Mitgliedern der Roten Kappelle bestand in der Verbreitung von Aufklebern, mit der sie offizielle Plakate verfremdeten, die für die NS-Hetzausstellung der Reichspropagandaleitung der NSDAP, „Das Sowjetparadies“ warben. Auf den von den Antifaschist*innen aufgeklebten Zetteln stand“ Ständige Ausstellung: Das Naziparadies / Krieg, Hunger, Lüge, Gestapo / Wie lang noch?“ Diese Verfremdung von offiziellen Werbeplakaten nennt man heute Adbusting. In der Gegenwart werden häufig staatliche Werbeplakate für Bundeswehr und Polizei durch Adbusting verfremdet, um deren unausgesprochenen ideologischen Hintergrund in den Vordergrund zu rücken.Die Gruppe Berlin Busters Social Club (BBSC) dokumentiert aktuelle Adbusting-Aktionen und ist bei einen historischen Rundblick auf das „Adbusting" gegen das NS-Regime durch Mitglieder der Roten Kapelle gestoßen. Ihr kurzer Beitrag auf der Kundgebung stieß auf großes Interesse.
Am Donnerstag, den 16. März wird der BBSC auf einer Veranstaltung im Stadtteilladen Zielona Gora in der Grünbergerstraße 73 in Berlin-Friedrichshain ausführlicher auf das Adbusting der Roten Kapelle eingehen und auch beschreiben, wie gründlich sich die Genoss*innen darauf vorbereiteten. Die Veranstaltung findet im Rahmen des Politisches Cafés im Zielona Gora statt. Jeden Donnerstag im März wird ab 18 Uhr ein Film zur Roten Kapelle gezeigt. In diesen Filmen wird die unterschiedliche Rezeption der Roten Kapelle in der BRD und der DDR zu verschiedenen Zeiten deutlich. Die Filme beginnen immer um 18 Uhr, die Veranstaltung zum Adbusting am 16.3. beginnt um 20 Uhr. Damit soll die Auseinandersetzung mit dem antifaschistischen Vermächtnis der Roten Kapelle auch jenseits von Gedenktagen fortgesetzt werden.
Wir bleiben alle Friedrichshain
Wem gehört der Laskerkiez?
VVN-BdA Friedrichshain/Kreuzberg