Der baskische Anarchismus (1870-1980)

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110 Jahre Geschichte 1870-1980: "Von der Ersten Internationale bis Askatasuna. Neue Geschichte des baskischen Anarchismus (1870-1980)" lautet der Titel des aktuellen Buchs von Juantxo Estebaranz, Historiker aus Bilbao. Darin beschreibt er die Details der libertären Bewegung, Jahrzehnt für Jahrzehnt: vom Beginn der Ersten Internationale (IAA, 1864 in London gegründet) bis zur anarchistischen Neugründung nach Franco, von der Industrialisierung in Bizkaia, über Attentate zur Jahrhundertwende, Spanienkrieg und Repression bis heute.

Der baskische Anarchismus wird oft auf die Geschehnisse und die Beteiligung von CNT-Bataillonen während des Spanienkriegs von 1936 bis 1939 reduziert. Doch die anarchistischen Aktivitäten begannen viele Jahre früher und haben mehr als ein Jahrhundert Geschichte. Ein Blick auf die Jahre 1870 bis 1980. Interview mit Juantxo Estebaranz

Frage: Wie sah der Kontext der baskischen Arbeiterklasse aus, als Ende des 19. Jahrhunderts die ersten anarchistischen Ideen im Baskenland auftauchten?

Juantxo Estébaranz: Im Jahr 1870 ist die Arbeiterklasse ein historisches Objekt, das sich noch im Aufbau befindet. Es gab verschiedene Segmente, die später die Arbeiterklasse bilden sollten. Nach der Gründung der Internationale folgte die Organisierung von Arbeiterinnen und Arbeitern. Nicht nur in Bilbo, das sich als industriell geprägt darstellte, sondern in allen vier Hauptstädten des Südbaskenlandes gleichzeitig. Die Arbeiter organisierten sich nach Berufsgruppen.

Ende des 19. Jahrhunderts fand eines der wichtigsten Ereignisse der bourbonischen Restauration statt: die Ermordung des spanischen Ministerpräsidenten Cánovas del Castillo 1897 durch den italienischen Anarchisten Michele Angiolillo. Welche Rolle spielte der baskische Anarchismus bei dieser Aktion?

JE: Über Michele Angiolillo wurde gesagt, er sei eine Art internationaler "Killer", der zufällig ins Baskenland gekommen sei, während in Wirklichkeit ein Komplott hinter dem Tod von Cánovas del Castillo stand, dem Ideologen der Restauration. Es handelte sich um ein Attentat, das sich im Kurhotel in Arrasate-Mondragon (Gipuzkoa) ereignete, in einem repressiven Umfeld, das in den 1880er Jahren begann und den spanischen Regionalverband der IAA betraf. Nach seiner Auflösung erschien die Propaganda der Tat, mit individuellen Angriffen auf symbolische Figuren der politischen und besitzenden Klasse.

Cánovas del Castillo hatte bereits einige Jahre zuvor ein weiteres Attentat in Madrid erlebt, bei dem ein anarchistischer Arbeiter starb. Obwohl es keine Aufzeichnungen über direkte oder indirekte Repressionen im Zusammenhang mit diesem Anschlag gibt, sicher ist, dass der konspirative Kern dieser Aktion mit Anarchisten in Bilbao zusammenhing.

Für welchen Zeitpunkt können wir sagen, dass der Anarcho-Syndikalismus im Baskenland seine beste Zeit erlebte?

JE: Die unmittelbare Illegalisierung der CNT nach ihrer Gründung im Jahr 1910 aufgrund ihrer Beteiligung am Generalstreik, der unter anderem in Solidarität mit dem Bilbo-Hafenstreik ausgerufen wurde, führte dazu, dass die Gewerkschaft lange brauchte, um Fuß zu fassen, gleichzeitig führte es zu einer Stärkung des Aktivismus.

In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts begann die Idee des Anarcho-Syndikalismus selbst Fuß zu fassen, in den 1920er Jahren wurde die CNT stärker und war in den vier Gebieten des Südbaskenlandes präsent.

Diese Stärke kam nicht nur im industriellen Bizkaia zum Tragen, sondern auch in den anderen Territorien, durch die Formel der Einheits-Gewerkschaften. Diese waren nicht mehr (wie früher) nach Berufen gegliedert, sondern nach Orten, was es ermöglichte, starke und entschlossene Kerne zu schaffen, die in mittelgroßen Städten alle wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten bestimmen konnten.

Stärker als in den 1930er Jahren?

JE: Die Macht der CNT wird immer mit der Zeit der Zweiten Republik in Verbindung gebracht, als die Arbeiterbewegung, die in der zweiten Hälfte der 1910er und 20er Jahre wieder auflebte, stärker war, als sie es später sein sollte. Diese Zeit der Arbeiterunruhen veranlasste die Eliten zum ersten faschistischen Putsch und zur Entstehung der Diktatur von Primo de Rivera (1923-1931).

Nach dem Ende der Diktatur kam 1931 die Zweite Republik. Was bedeutete sie für den baskischen Anarchismus?

JE: Die Erwartung, dass die Republik einen Wandel herbeiführen würde, wurde im Baskenland mit den Ereignissen im Viertel Ategorrieta (Donostia / San Sebastian) einige Monate nach dem 14. April 1931 schnell zunichte gemacht. Die republikanischen Behörden hatten die Unterdrückung eines Arbeitermarsches angeordnet, der sich von Trintxerpe in Pasaia nach Donostia aufgemacht hatte, acht Menschen wurden erschossen. Es war eine Enttäuschung, nicht nur für die Anarchisten, sondern für alle Menschen, die Hoffnungen auf Veränderungen hatten und erkannten, dass diese Republik nichts anderes war als eine Fortsetzung der bürgerlichen Ordnung, nur mit anderen Mitteln.

Und was war die Antwort der libertären Bewegung?

JE: Nach der Ausrufung der Republik und den ersten Enttäuschungen wuchs der Wunsch nach einem Aufstand. Die ersten Versuche wurden in einigen Orten Navarras unternommen, wo der libertäre Kommunismus proklamiert, aber schnell wieder unterdrückt wurde. Der erste dieser anarchistischen Aufstände war der vom Dezember 1933, bei dem nicht nur die Ebro-Linie mit Dörfern zwischen der Rioja Alavesa und Navarra rebellierte, sondern auch ähnliche Ereignisse in der Ebro-Region stattfanden. Ähnliche Ereignisse fanden auch in den Städten statt, in denen die CNT seit den 1920er Jahren stark vertreten war. Der folgende revolutionäre Aufstand von 1934 (Schwerpunkt in Asturien) wurde vor allem von Sozialisten angeführt, da die Anarchisten durch ihre Beteiligung an den Ereignissen von 1933 geschwächt waren. (2)

Wie war die Situation der libertären Bewegung nach dem Kriegsende 1939?

JE: Der Krieg begann mit Repression in Araba und Navarra, also in Gebieten, in denen sich eine Aufstandsinitiative wie 1933 hätte entwickeln können, die aber schnell unterbunden wurde. In Donostia waren die Anarchisten der Katalysator für den Widerstand des Volkes gegen die Militärs, nicht nur in der Loiola-Kaserne, sondern auch bei der Verteidigung der Hauptstadt und der Bidasoa-Linie. Nach dem Fall der Gipuzkoa-Front sammelten sich die Anarchisten des Gebiets in Bizkaia, wo sich der revolutionäre Pol konzentrierte, es kam zu Spannungen um die Vorherrschaft mit Nationalisten und Sozialisten.

Obwohl einige Kämpfer an der kantabrischen Küste an die Front gingen und andere auf republikanisches Gebiet vordrangen, endete der Krieg im Baskenland im Juni 1937 und es begann eine Zeit der brutalen Unterdrückung und des nackten Überlebens. Dennoch gelang es der CNT zu Beginn der 1940er Jahre, sich wieder zu organisieren, nicht zuletzt gezwungen durch die soziale Situation eines extremen Elends. Sie tauchte in diesen historischen Zentren heimlich wieder auf und profitierte auch von der schrittweisen Entlassung derjenigen, die nicht umgebracht worden waren. Ziel der CNT war es, den Sturz des Regimes zu erzwingen, mit Hilfe eines Einmarsches der Alliierten nach dem Sieg im Zweiten Weltkrieg. obwohl die Unterstützung der Alliierten für das Franco-Regime dazu führte, dass diese Konzentration der Kräfte in den 1940er Jahren unterdrückt wurde.

Welche Rolle spielte das Nord-Baskenland (Iparralde) nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für die Anarchisten im Süd-Baskenland?

JE: Ende der 1940er Jahre hatte die Aktion im Landesinneren den Charakter der Unterstützung für die Opfer der Repression und nicht so sehr den eines offensiven Arbeiterkampfes. Auf der anderen Seite gibt es eine Gruppe baskischer Anarchisten, die in den französischen Staat gingen. Sie sammeln sich in der Pariser Baskengruppe und der Iparralde-Gruppe. Sie beschließen, sich so nah wie möglich an der Grenze niederzulassen, hauptsächlich in Bidart und Baiona (Bayonne). Sie sind sehr wichtig für die Ausweitung der Bewegung und die Unterstützung von Aktivitäten im Landesinneren.

Wie sahen die Beziehungen dieser Gruppen zur baskischen Exilregierung aus?

JE: 1945 beteiligte sich die CNT zusammen mit anderen baskischen Organisationen im Exil am Baiona-Pakt. Ziel war es, über den Tag nach dem Franquismus nachzudenken, in der Annahme, dass die Alliierten die faschistischen Diktatoren von der iberischen Halbinsel vertreiben würden. Das geschah jedoch nicht. Der Pakt von Baiona spiegelte den Status quo der Kräfte wider, die während des Krieges auf republikanischer Seite zusammengearbeitet hatten, man einigte sich sogar schon auf die Verteilung von Ministerien.

Wurde die Organisation im Inneren des Landes heimlich weitergeführt?

JE: Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre, angesichts eines neuen (von den Franquisten angekurbelten) Industrialisierungs-Schubes im Baskenland, sollte eine neue Arbeiterklasse auftauchen, die sich von derjenigen unterschied, die die Kämpfe in den 1930er Jahren angeführt hatte. Die CNT blieb in der organisatorischen Logik des Baiona-Paktes verankert, was es ihr schwer machte, die Interessen dieser neuen Arbeiterklasse zu verstehen und im Untergrund wieder aufzutauchen.

In welchem Zusammenhang steht der Anarchismus mit dem, was im Buch als "revolutionärer Nationalismus" bezeichnet wird?

JE: Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, die 1950er Jahre, sind das antiimperialistische Jahrzehnt. Die nationale Frage war nicht mehr eine Rassenfrage, sondern komplexer, es entstand der so genannte revolutionäre Nationalismus. Die ersten Gruppen dieser Art tauchten bald im Baskenland auf, unter anderem ETA. Deren Aktivitäten führten schon bald zu eigenen Exilanten Richtung Nordbaskenland, die dort mit den alten Exil-Anarchisten zusammentrafen. Diese Anarchisten der 1930er Jahre teilten einen kulturellen baskischen Bezug und schlugen schnell Brücken zu den neuen aufständischen und revolutionären Sehnsüchten.

Welches Szenario blieb der libertären Bewegung nach dem Tod Francos?

JE: Die Arbeitskämpfe Mitte der 1970er Jahre fiel mit dem physischen Tod Francos zusammen, sie waren die treibende Kraft für den Regimewechsel. Der Anarchismus war durch neuen Gruppen Teil dieses Kontextes. 1976 tauchte die CNT wieder in diesen traditionellen Kernen der Vergangenheit auf. Sie sind miteinander verbunden, obwohl es sich um Gruppen mit einer eigenen Entwicklung handelt.

Die Spannungen im Zusammenhang mit dem neuen revolutionären Nationalismus, der mit Nachdruck auf den Plan trat, waren in diesem Zusammenhang ebenfalls von großer Bedeutung. Damals wurde die CNT Euskadi als universelle CNT neu gegründet, die sich nicht nur auf den Faktor der Arbeit konzentriert, sondern auf die Befreiung aller Aspekte des Individuums. Dies sollte ein Faktor der internen Diskussion sein. Als Ergebnis dieser Debatten entstand in den frühen 1980er Jahren eine libertäre Bewegung, die der heutigen, 40 Jahre später, sehr ähnlich ist. (...).

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