Von Tätern und Opfern in linken Räumen

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Sexuelle Gewalt im Café Gegendruck und die Frage "Wer ist Opfer / Wer ist Täter in linken Räumen?"

Als Frau in einem linksautonomen Café sich nicht um die eigene Sicherheit sorgen müssen, ich dachte dies sei selbstverständlich. Schließlich sind es ja „die Guten“: die Männer, die „aware“ über Privilegien und Diskriminierung sind und ihre kritische Männlichkeit stets geupdatet halten. Fakt ist, ich war nicht sicher, ich wurde angegriffen und sexuell genötigt. Im Café Gegendruck in Heidelberg.

 

Ich besuche das Café Gegendruck seit einigen Jahren regelmäßig. So auch an jenem Oktobertag vor ca. drei bis vier Monaten.

Es war schon etwas später am Abend, die wenigen BesucherInnen des Cafes waren bereits gegangen. Ich war noch nicht bereit zu gehen, hatte erst eine zweite Flasche Wein geöffnet und ER schenkte uns wieder ein. Wir waren die einzigen Verbliebenen und unterhielten uns über die Klimaproteste (er war sehr aktiv beim Klimakampf und bei Besetzungen) und gesellschaftspolitische Dinge. Obwohl wir politisch unterschiedlichen Linksströmungen angehörten und sehr konträre Meinungen hatten, war es unterhaltsam. Außerdem war ich einfach zu müde zum gehen und dachte ich warte mal ab, bis die Müdigkeit einigermaßen vergeht. Ich weiß nicht wie es kippte, aber plötzlich war die Stimmung anders.

Von Gesellschaftspolitik kamen wir über Identitätspolitik zum Thema Sexualität. Er gestand mir sein großes Interesse an BDSM und fragte mich über meine Vorlieben. Ich fand es etwas unangenehm plötzlich über mein Intimleben zu reden und versuchte etwas allgemeiner zu bleiben. An den weiteren Gesprächsverlauf erinnerte ich mich nicht mehr im Detail, aber er machte Anspielungen auf Prostitution und dass SM nun mal ein üblicher Service sei, und ich es doch wissen müsse. An jenem Abend hatte ich noch gehofft, dass die Anmerkungen Zufall seien, aber mittlerweile glaube ich das nicht mehr. Ich vermute, er wusste über meinen Hintergrund Bescheid – hatte mich viele Jahre prostituiert – und folgerte wohl, dass ich damit nicht nur erfahren in allen sexuellen Bereichen, sondern auch bereit sei, meine Erfahrungen mit oberflächlich bekannten Menschen zu teilen.

Ich war am Überlegen zu gehen, um dieser unangenehmen Situation zu entkommen. Bloß hatte ich bereits einiges gekifft und der Wein tat sein Übriges, ich dachte, wenn ich jetzt aufstehe, wird mir schummrig und daher blieb ich erstmal sitzen versuchte mich zu sammeln. Da das Gespräch – bzw. zu diesem Zeitpunkt war es wohl mehr ein Monolog seinerseits – immer aufdringlicher wurde und nun auch noch rassistische Kommentare fielen „Frauen aus deinem Kulturkreis wären doch ideale Subs“, stand ich auf, wollte auf die Toilette und nach Hause. Ich taumelte etwas, er hielt mich, und dann geschah es. Er begrabschte meinen Hintern. Ich war völlig verwirrt und versuchte die Hand wegzuschlagen. Daraufhin lachte er – wie wenn es ein Spiel wäre – begrabschte mich weiter und biss mir in den Nacken. Ich fragte ob der denn spinnt, versuchte ihn wegzustoßen, aber er zog fest an meinen Haaren, packte mit seiner anderen Hand meine Hand und führte sie in seine Hose. Es kam mir völlig surreal vor, als ich ungewollt sein Glied anfasste. Ich zog meine Hand raus, versuchte zu flüchten, er hielt meine Arme so fest, dass ich blaue Flecken davontrug. Schließlich gelang es mir – ich weiß nicht mal mehr wie – zur Tür zu rennen und aus dem Café raus. Draußen rannte ich nicht mehr, es waren genug Fußgänger unterwegs und ich fühlte mich gleich viel sicherer. Ich ging den ganzen Weg am Neckar entlang zu mir nach Hause, ich habe fast die gesamte restliche Nacht dafür gebraucht. Beim Gehen konnte ich mich einigermaßen beruhigen. Ich überlegte, an wen ich mich wenden und wem ich davon erzählen wollte aber verschob die Entscheidung auf den nächsten Morgen.

Schließlich erzählte ich es niemandem. So war ich es gewohnt. Ich hatte all die Übergriffe in der Prostitution mit der Methode Verdrängen für mich abgehakt. Bloß klappte es diesmal mit dem Verdrängen nicht mehr so einfach. Schließlich lebte er in meiner Stadt und die Möglichkeit sich überm Weg zu laufen war da, sobald ich das Haus verlasse. Auch die Tatsache, dass ich mich vom Café Gegendruck fernhielt machte es nicht besser. Schließlich hatte ich das Verstecken satt, ich besuchte die Weihnachtsfeier des SDS, die wir im Café austrugen und beschloss dann, dass ich mich nicht aus dem Raum verdrängen lasse. Ich machte mir nochmal bewusst, dass es an dem Abend kein Fehlverhalten meinerseits gab, ich darüber hinaus seit Jahren beim Thema Prostitutionskritik aktiv war und gelernt habe das Unrecht zu benennen und die Gesellschaft aufzuklären. Es hat dann schließlich noch etwas gedauert, bis ich dann vor einigen Tagen auf Twitter über den Vorfall schrieb.

 

Ich möchte im Folgenden auf die Reaktionen und meine Gedanken diesbezüglich eingehen.

 

Ich benannte explizit AIHD / IL als die politische Gruppe, der er angehörte und daher wurde ich sowohl von einer Person des AIHD, als auch der IL angeschrieben. Beide sagten mir Unterstützung zu und boten an, in einem geschützten Rahmen mit einer Person meiner Wahl über das Geschehene zu sprechen und den Täter zu benennen.

Ich lehne dieses Angebot ab. Warum? Ich habe kein Vertrauen, weder in den AIHD, noch in sonstige IL-Strukturen.

Grund dafür ist der Umgang der IL mit dem Thema sexuelle Gewalt in linken Strukturen, die Austragung von politischen Kämpfen auf dem Rücken der Betroffenen von Gewalt, insbesondere durch den IL-Leitfaden, der Rechtsstaatsprinzipien völlig aushebelt und im Namen der Opfersolidarität Politik zugunsten der eigenen Gesinnung macht.

Gemäß dem Leitfaden ist Opfer sexueller Gewalt diejenige Person, die es behauptet von sich zu sein und Täter, der als solcher benannt wird. Dieses Prinzip darf nicht hinterfragt werden, es gilt bedingungslose Solidarität mit der Person, die sich selbst Opfer bezeichnet und für die Person, die Täter bezeichnet wird gilt Ausschluss aus der IL, und damit auch immer mehr aus sämtlichen linken Strukturen. Was nun tatsächlich passiert ist, ob die Person das ihr Vorgeworfene auch getan hat und wie das gewertet werden soll – diesen Prozess gibt es nicht. Stattdessen wird dem „Täter“ freundlicherweise die Möglichkeit gelassen, das ihm Vorgeworfene anzuerkennen und an Maßnahmen zu seiner Resozialisierung zu arbeiten.

Aktuell gibt es den Fall eines jungen Mannes, dem Grenzüberschreitung während des Sex mit seiner Ex-Freundin vor einigen Jahren vorgeworfen wird. Die Ex-Freundin wohnt selbst nicht in Heidelberg, hat sich persönlich nicht an den AIHD gewandt, es waren Gerüchte über sie und ihn, die mit der Zeit so hartnäckig geteilt wurden und schließlich darin mündeten, dass der AIHD den jungen Mann von seinen Veranstaltungen verbannt und sich nun sich auch dafür einsetzen will, ihn komplett aus dem Café Gegendruck zu verbannen. Ohne ihn je zu dem Thema gehört zu haben. Anfragen seinerseits dazu, was denn nun konkret der Inhalt des Vorwurfs ist und wie das Verfahren gegen ihn abläuft trifft auf kollektives Schweigen.

Interessanterweise ist die Person, die mich sexuell belästigte, häufig auf Veranstaltungen der Gruppe derjenigen, die den besagten Mann beschuldigen. Warum gehört diese Person zu den „Guten“ und der beschuldigte Mann zu den „Bösen“? Einfache Antwort: Person A hat zuerst „Täter“ geschrien. So verkürzt diese Darstellung auch ist, es ist schockierend zu sehen, wie manipulierbar große Teile der Linken sind. Statt mit einem Sinn für Gerechtigkeit und Verantwortungsbewusstsein Probleme anzugehen, wird blind Geboten gefolgt, sämtliche selbstverständliche Prinzipien wie Fairness und Transparenz in den Müll geschmissen.

Warum sollte ich also diesen Menschen trauen? Dass gerade diejenigen, die auf Willkür statt auf Dialog setzen, wirklich daran interessiert sind mir zu helfen?

Nun bin ich eine Frau, und die Person, die mich belästigte ein Mann, es liegt auf der Hand wer eher Opfer und wer eher Täter in dieser Konstellation sein wird. Was wäre aber der Fall, wenn beide Personen FLINTA wären, oder beide Personen cis Männer? Wem wird geglaubt, und wem werden die Begriffe Opfer und Täter zugeordnet? Der Person, die zuerst behauptet, dass sie Opfer ist? Dann wird wieder ohne die Möglichkeit auf irgendein faires Verfahren die andere Person aus linken Strukturen verbannt und mit der Zeit gesellschaftlich ausgegrenzt?

Eine Frau, die kräftig an der Verbannung des Mannes aus dem AIHD mitgewirkt hat, hatte vor zwei Jahren erst ihren eigenen Ex-Partner des Stalkings beschuldigt, woraufhin dieser seitdem keinen Fuß mehr in irgendeine linke Gruppe Heidelbergs setzen kann. Man kann dies als „konsequenten Opferschutz“ loben oder sich aber fragen, was nun tatsächlich passiert ist (rechtlich lag kein Stalking vor nach Einschätzung eines Anwalts) und ob die Folge, dass der Mann auch privat seitdem gemieden wird und die psychische Belastung, der er ausgesetzt ist, ein akzeptables „in Kauf nehmen“ eines Verfahrens ist, wo wieder nur die Aussagen der Betroffenen vorliegen und keine Zeugenaussagen.

Da die „political correctness“ der linken Gruppen jüngerer Zeit gern „Marginalisierte“ und „Privilegierte“ gegenüberstellen und Schutz insbesondere für erste Gruppe einfordern, ist es umso erstaunlicher, dass im Fall oben die Person, die beschuldigt, eine weiße cis Frau aus gut bürgerlichem Haus ist (und grenzwertigen Ansichten gegenüber Muslimen) und der Mann, der des Stalkings an ihr beschuldigt wurde, ein Arbeitersohn mit Migrationshintergrund und chronischen Erkrankungen ist. Die Vermutung liegt nahe, dass wer näher in den Strukturen ist, wer mehr Freunde innerhalb der linken Gruppen hat, dem wird auch eher geglaubt werden. Letztendlich bestätigt sich der Kreis selbst: weiße Menschen mit meist bürgerlichem Hintergrund spielen sich als Kämpfer für Gerechtigkeit auf und sorgen dafür, dass ihre Gruppe so homogen bleibt wie sie ist.

Rassismus ist bereits seit langem ein Problem in Heidelberg und auch im Café Gegendruck; so leiten weiße Menschen mit Dreadlocks das Café und lehnen jede Kritik an ihrer Frisur ab. Für mich persönlich ist die Diskussion um die Frisur nicht so wichtig, wichtiger ist wie sich Menschen des Cafés zu anderen Formen des Rassismus verhalten: das Exotisieren des Anderen durch bestimmte Vorträge, Kommentare, die ich bezüglich meiner Herkunft schon gehört habe und nicht zuletzt die üble Behandlung von arabischen/muslimischen Mitmenschen: weiße deutsche mit T-Shirts der israelischen Armee tragen um gezielt palästinensische Mitmenschen aus dem Café zu verscheuchen.

 

Nach all diesen Erlebnissen habe ich dem Café immer wieder die Chance gegeben, denn in einem eher konservativen Ort wie Heidelberg ist es schwierig andere Begegnungsorte für Linke für errichten. Für mich ist aber nun die Grenze überschritten, ich ziehe folgende Konsequenzen:

 

Das Café Gegendruck ist durch einen großen Teil seiner Gruppen nicht mehr tragbar. Sämtlichen Menschen mit Migrationshintergrund und insbesondere Muslimen kann ich nicht raten, dieses Café aufzusuchen.

Der willkürlichen Entscheidung der Gruppen, wer Opfer und wer Täter von Geschehnissen ohne Zeugen werde ich mich nicht beugen.

Kommenden Mittwoch, am 08.02., soll im Café Gegendruck auf Antrag der AIHD der Ausschluss des Mannes, der beschuldigt wird, vor Jahren Grenzen beim Sex mit der damaligen Freundin nicht beachtet zu haben, aus dem gesamten Café diskutiert werden. Der Betroffene wird aufgrund der psychischen Belastung nicht dabei sein, die Frau um die es geht, hatte selbst nie etwas mit dem geforderten Ausschluss zu tun. Ich selbst werde dabei sein und meine Meinung äußern, auch auf die Gefahr hin, dass mein Täter dabei ist, soweit es für mich noch einigermaßen psychisch hinnehmbar ist.

Sämtliche Angebote von Mitgliedern der genannten Gruppen mir zu helfen lehne ich aus den oben genannten Zusammenhängen entschieden ab.

 

 

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