Berlin: Zwei Jahre (fast) ohne Polizei-Werbeplakate
2022 ist zu Ende, und damit verstrich das zweite Jahr in Folge, in dem die Polizei Berlin auf Plakatwerbung mit City-Light-Postern verzichtet. Bundespolizei, Zoll, JVA-Vollzugsschläger*innen: Sie allen machten Nachwuchswerbung im Stadtbild. Nur die Landespolizei Berlin nicht. „Die vielen Adbustings in der Stadt scheinen nicht ohne Wirkung zu bleiben!“ freut sich Benjamin Pendro, Sprecher*in der Kommunikationsguerilla-Gruppe „110% subversiv“. Mit veränderten Werbeplakaten hatten Bürger*innenrechtler*innen immer wieder auf Gewalt, Rassismus und Sexismus in der Polizei aufmerksam gemacht. Deswegen habe die Polizei erfolglos versucht, dem Verändern und Bekleben von Werbepostern mit Hausdurchsuchungen, DNA-Analysen und Meldungen ans Terrorabwehrzentrum Herr zu werden. „Die Cops haben eingesehen: Das einzige Mittel gegen Adbusting ist der Verzicht auf Werbeplakate“, freut sich Benjamin Pendro.
110% Berlin?
Die letzte Außenwerbekampagne der Polizei Berlin ist nun schon zwei Jahre her. Damals, im Herbst 2020, warb die Polizei unter dem Motto "110% Berlin" auf viel zu dunklen Postern zum Mitmachen in der Schläger*innentruppe. Die Kampagne wurde bereits in der ersten Woche Opfer vieler Adbusting-Aktionen, die der kritischen den Spiegel vorhielten und sie damit ärgerten.
Aus dem von der Bundeswehr geklauten Polizei-Slogan „Wir schützen auch das Recht, gegen uns zu sein!“ machten Bürger*innenrechtler*innen der Gruppe "100% subversiv" damals: „Wir scheißen auf das Recht, gegen uns zu sein!“ Aus dem Spruch: „Die Waffen der Frau? Dieselben wie die der Männer!“ wurde „Die Waffen der Polizei? Gewalt, Rassismus, Lügen!“ Und „Den Respekt der Straße muss man sich verdienen“ versahen die Adbuster*innen mit den auf Sexismus in der Polizei aufmerksam machenden Spruch „Den Respekt der Straße muss man sich ermackern!“ Benjamin Jendro, Sprecher*in der Gewerkschaft der Polizei (GdP), empörte sich damals: "Kann nicht sein, dass das stärkste Mittel des Rechtsstaats gegen solche Perversion das Kunsturheberrecht ist!"
Adbusting straffrei?
In der Folge gestand der Berliner Innensenat in Antworten auf parlamentarische Anfragen, dass die Cops versuchten, Adbusting als Schwerer Diebstahl, Störpropaganda, Verunglimpfung, Sachbeschädigung und sogar Erschleichen von Leistungen mit Hausdurchsuchungen, DNA-Analysen und dem Terrorabwehrzentrum GETZ zu kriminalisieren. Doch die Versuche waren erfolglos, denn die Staatsanwaltschaft Berlin stellte mehrmals klar, dass das Öffnen von Werbevitrinen und Hineinhängen eigener Poster nicht strafbar ist.
Polizeikongress 2022
Davon machte die hauptstädtische Kommunikationsguerilla-Szene Gebrauch. Anlässlich des Polizeikongresses ist es fast schon Tradition, dass die Polizei sich mit gefälschten Postern rumschlagen muss. 2022 gab es deshalb zum Polizeikongress Nachdrucke der Polizei-Adbustings, über die sich die Cops schon 2020 so geärgert hatten. Diese hingen in S-Bahn-Stationen in ganz Berlin, und die Polizei war tatsächlich den ganzen Tag über mit fast nichts anderem beschäftigt, als die Poster aufzusuchen und einzutüten.
Benjamin Jendro sagte der Morgenpost zu dieser Aktion: "Wir halten nach wie vor nichts von solchen Aktionen, haben aber damit gerechnet, dass auch der diesjährige EPC wieder als Bühne für polizeifeindliches Denken genutzt wird. [...] Es gibt Fälle, in denen Polizisten rechtswidrig Gewalt anwenden oder extremistisches Gedankengut präsentieren." Die Aktion versuchten die Cops als "Verleumdung" zu kriminalisieren, doch wieder ohne Erfolg.
https://de.indymedia.org/node/188697
https://de.indymedia.org/node/189305
https://www.morgenpost.de/berlin/polizeibericht/article235316631/Aktivis...
Adbustings in hochoffizieller Kunstausstellung
Von Juni bis August 2022 hingen die Polizei-Adbustings sogar hochoffiziell in einer Ausstellung im staatlich bezahlten Kunstraum Kreuzberg. Die vom Hauptstadtkulturfonds mit 75.000 Euro unterstützte Ausstellung „Werbepause- The Art of Subvertising“ zeigte Adbustings von Polizei- und Mitlitärwerbung, wegen denen die Berliner Behörden in den Jahren 2018/19 Hausdurchsuchungen und DNA-Analysen durchführen ließ, oder das Terrorabwehrzentrum rief.
https://www.kunstraumkreuzberg.de/programm/werbepause-the-art-of-subvert...
CDU-Generalsekretär Stefan Evers empörte sich gegenüber der Hauptstadtpresse: "Solche linksradikalen Aktionen zur Kunstform zu erklären, finde ich einfach irre." Benjamin Pendro, Sprecher*in der Aktionsgruppe "110% subversiv", merkt an: "Ja, irre geil!"
https://www.tagesspiegel.de/berlin/staatlich-geforderte-adbusting-tipps-...
Die Bundespolizei geht mit dem Problem kreativ um. Gerade wirbt sie am Alex mit netten Cops und dem Spruch "All Cops are beautiful". Wie druckvoll die Adbusting-Aktionen waren, zeigt die auch die Berichterstattung über dieses Poster: "Der Recruiting-Versuch erinnert stark an sogenanntes Adbusting, bei dem neben anderen die Bundeswehr und die Polizei mit gefälschten Plakaten kritisiert wird." schreibt Alexander Rothe in der Morgenpost.
https://www.morgenpost.de/berlin/article237400471/polizei-berlin-bundesp...
Polizei Berlin hat aufgegeben
Bei der Landespolizei Berlin scheint man hingegen angesichts des Interesses aus der Kunstwelt, des juristischen Gegenwindes und der mangelnden eigenen Kriminalisierungs-Erfolge eine andere Entscheidung getroffen zu haben: Die Berliner Cops verzichten nun weitgehend auf Plakatwerbung: "Die einzig richtige Entscheidung" freut sich Benjamin Pendro.
Aber gibt es mangels originaler Polizeiposter jetzt auch keine polizeikritischen Adbustings mehr? Benjamin Pendro findet: "Weit gefehlt! Wenn die Cops selbst keine Poster drucken, ersparen sie uns lediglich die mühsame Arbeit, aus ihren hässlichen Druckerzeugnissen etwas ansehnliches zu machen. Ich bin mir sicher, dass auch 2023 von Plakataktivist*innen komplett selbst gestaltete polizeikritische Poster in den Werbevitrinen Berlins hängen werden."
Adbusting-Spass mit der Polizei: Ein Rückblick 2016-22
https://110prozentberlin.wordpress.com/adbustings-zum-polizeikongress-ein-ruckblick/
Bilderbuch zu Adbusting mit der Bundeswehr
Und noch ein Terminhinweis: Am Dienstag, den 2.7. findet um 20h im Großen Saal in den Mehringhöfen der Book Release des Werkes „Mega Unerhört: Adbusting mit Polizei und Militär“ statt. Die Herausgeber*innen vom Berlin Busters Social Club versprechen: „Das Buch zeichnet mit vielen Hochglanz-Aktionsbildern nach, wie Adbustings ihren Weg vom Terrorabwehrzentrum und den DNA-Laboren der Polizei in vom Hauptstadtkulturfonds bezahlte Ausstellungen und Museen nahm.“ Im Buch sind auch Bilder von Aktionen von 110% subversiv zu bewundern.
Mehr Infos zu „Mega Unerhört“: