Die unendlich mahlenden Mühlen der Justiz…
Seit der unglaublichen richterlichen Entscheidung vom 19. Oktober 2022 in Philadelphia, Mumia Abu-Jamals Berufungsaussichten, mit neuem Beweismaterial endlich ein faires Verfahren zu bekommen, wieder einzuschränken, blickt eine staunende kritische Öffentlichkeit auf seine Chancen bei einer erneuten richterlichen Anhörung am 16. Dezember. Jedoch werden die unendlich behäbig mahlenden Mühlen der Justiz bereits am 9. Dezember seit 41 (!) Jahren seine Gefangenschaft weiterhin besiegelt haben: dann ist mal wieder ein Jahrestag seiner Inhaftierung. Also werden in dieser Woche beginnend am 7.12. in Paris, dann auch in Mexiko, Berlin und Philadelphia seine internationalen Unterstützer*innen wieder einmal das Recht auf der Straße suchen müssen und Demonstrationen organisieren, um Mumia endlich Gerechtigkeit und Freiheit zu verschaffen.
Und hierum dreht sich derzeit das juristische Hick-Hack um Mumias Berufungsantrag (PCRA-Antrag):
Die Argumente von Richterin Clemons in ihrer Absichtserklärung zur Ablehnung des PCRA-Antrags, die Gegenargumente der Verteidigung, und die abschließende Stellungnahme der Staatsanwaltschaft
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Worum es ging:
Die Verteidigung hatte drei Punkte in ihrem PCRA-Antrag:
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Batson: Staatsanwalt Joe McGill hat bei der Jury-Auswahl Notizen gemacht, in denen er die Namen von Juroren mit B und W für Black and White versehen hat. Das lässt darauf schließen, dass die Geschworenenauswahl nicht „race-neutral“ war.
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In den Akten fand sich ein Schreiben Chobert´s von einem Monat nach dem Prozess, in dem er fragt, wo das Geld bleibt, das man ihm schulde. Die Verteidigung argumentiert, das deute auf Bestechung für eine Falschaussage gegen Mumia hin.
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Ebenfalls in den Akten fanden sich sieben Briefe der Justizbehörden von Philadelphia und Massachusetts über die Verfolgung Cynthia Whites, die während des Prozesses gegen Mumia in Massachusetts eine 18-monatige Haftstrafe absaß, wegen Prostitution. Dabei wurde immer wieder auf das Interesse Joe McGills am Fortgang der Sache verwiesen; CW sei Zeugin in einem wichtigen Strafprozess gewesen. Die drei Anklagen gegen sie wurden schließlich in einer einzigen Gerichtssitzung niedergeschlagen, obwohl sie selbst nicht einmal dort erschienen war. Für die Verteidigung ein weiterer Beweis für Vergünstigungen für eine Falschaussage gegen Mumia.
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Clemons’ Absichtserklärung und die Antwort der Verteidigung:
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Batson. Clemons sagte, wie in allem anderen auch in Übereinstimmung mit den Argumenten der Staatsanwaltschaft gegen Mumia, die Verteidigung habe a) nicht klargemacht, was an McGills Notizen während der Juryauswahl neu sei, b) Mumia habe auf seinen Batson-Anspruch verzichtet, weil er ihn nicht bei seinem ursprünglichen Verfahren erhob, c) über seinen Batson-Anspruch sei ja schon vorher verhandelt worden, und d) Mumia habe sich nicht genügend bemüht, diese Notizen schon vorher zu erhalten. Auf all das hat die Verteidigung am 16. November umfassend geantwortet. Hier die Schlüsselpunkte: a), b) und c) erledigen sich, indem die Verteidigung umfassend darlegt, DASS das Material in McGills erst im Januar 2019 gefundenen Notizen neu ist, und WAS daran neu ist. Mumia wollte vor der Juryauswahl mittels eines Fragebogens und dann während des Verfahrens die „race“ der Juroren explizit festhalten lassen. Beides wurde auf Betreiben McGills vom Richter als irrelevant abgelehnt. Wie sich herausstellt, hinderte das McGill aber nicht, sich SEINE EIGENEN Notizen zu dieser Frage zu machen. Die Anklage argumentiert nun, er habe dies getan, um sich gegen jeglichen Rassismusvorwurf abzusichern, der von Mumia möglicherweise erhoben werden könnte. Das ist sehr unglaubwürdig, denn die beste Möglichkeit hierzu wäre ja ein Spiel mit offenen Karten gewesen, wo die ethnische Zugehörigkeit potentieller Juroren wie von Mumia gefordert für beide Seiten verfügbar ganz offiziell festgestellt worden wäre. Viel wahrscheinlicher ist, dass McGill mit dieser Ablehnung einer offiziellen Feststellung seine rassistischen Praktiken bei der unbegründeten Ablehnung von Juroren schützen wollte. Dafür spricht auch, wie von der Verteidigung ausgeführt, dass er während Mumias erster Berufung 1987 eine eidesstattliche Erklärung abgab, der zufolge „nur“ acht der von ihm abgelehnten Juroren Schwarz waren. Tatsächlich waren es mindestens zehn – und unter den beiden zusätzlichen Schwarzen befand sich auch einer dessen Namen McGill in seinen Notizen klar und deutlich mit einem B gekennzeichnet hatte. Die Verteidigung macht ferner darauf aufmerksam, dass in McGills Notizen auch Fragen wie sozialer Status und Beschäftigungsstatus auftauchen (McGill wollte keine Armen und Erwerbslosen in seiner Jury) – dass er aber wiederholt Schwarze abgelehnt hat, obwohl sie sozial bessergestellt waren als Weiße, die von ihm akzeptiert wurden. Ferner weist die Verteidigung auf eine Bemerkung in den Notizen hin, wo McGill schreibt: „Ich habe diesen Schwarzen akzeptiert, während der Angeklagte ihn abgelehnt hat“, was darauf hindeutet, dass McGill eine bewusste Alibistrategie verfolgte: Er akzeptierte einen Schwarzen, der ihm genehm schien (und vielleicht deshalb von Mumia abgelehnt wurde), um hinterher sagen zu können, er habe ja nicht alle abgelehnt. Zu d) weist Mumia umfassend nach, welch umfassende Bemühungen Mumia unternommen hat, um an alle Daten zur Juryauswahl heranzukommen, Bemühungen, die häufig von den Gerichten und immer mit Unterstützung der Staatsanwaltschaft abgeschmettert wurden.
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Chobert: Clemons argumentiert, a) Chobert sei es wahrscheinlich nur um irgendwelche Verdienstausfälle oder Zeugengeld oder Spesen gegangen, b) Chobert sei ein guter Zeuge gewesen, der von Anfang an immer dasselbe gesagt habe, und unglaublicherweise auch c) selbst wenn nachgewiesen werden könne, dass seine Zeugenaussage mit einer Vergünstigung zu tun hat und sonst nicht erfolgt wäre bzw. gar nicht stimmt, hätte das am Ausgang des Verfahrens wahrscheinlich nichts geändert, da es ja so viel anderes Belastungsmaterial gab. Die Verteidigung sagte dazu, dass a) Chobert während seiner Aussage auf Staatskosten im Hotel untergebracht war und von Polizisten zu seiner Arbeit als Taxifahrer gebracht und von dort wieder abgeholt wurde und dass Zeugengeld sehr gering ist und in der Regel sofort ausgezahlt wird, b) dass Choberts Aussagen sich zwischen der Tatnacht und dem Prozess sehr wohl gravierend änderten und er zuerst sagte, der Täter sei 30 bis 35 Schritte gerannt, während er bei Prozess sagte, er habe sich nur drei Meter vom Tatort entfernt; außerdem hätten zwei weitere wichtige Anklagezeugen seine Anwesenheit explizit bestritten, und c) dass der Standard des Gerichts – gibt es genügend weiteres Material, um den Angeklagten zu verurteilen – rechtlich nicht der richtige ist, sondern dass die Bestechung eines entscheidenden Zeugen den Wert des ganzen Verfahrens infrage stellt.
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Cynthia White: Clemons argumentiert ähnlich wie bei Chobert: a) Prostitution sei ja in Pennsylvania, also auch in Philadelphia ohnehin nicht ernsthaft verfolgt worden, b) White sei eine gute Zeugin ohne Eigeninteresse gewesen, und c), selbst wenn sie bestochen wurde, hätte das an dem Rest des Beweismaterials gegen Mumia nichts geändert. Auch das wird von der Verteidigung dekonstruiert: a) die simultane Einstellung von gleich drei Verfahren Anfang 1983 war sehr merkwürdig, zumal White nicht einmal vor Gericht erschienen war, b) Whites Aussagen waren extrem inkonsistent und rochen, so wie sie sich immer mehr dem Bild von Mumia als kaltblütigem Mörder (und den Aussagen der anderen „Zeugen“ annäherten, förmlich nach Manipulation, und c) wie bei Chobert: Wenn die Anklagebehörde derart manipuliert, liegt der Schluss nahe, dass etwas oberfaul ist, egal, was mit dem Rest des Beweismaterial ist
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Die Stellungnahmen von Krasners Anklagebehörde, von Ende November 2022
Diese Geschichte ist schnell erzählt. Die Staatsanwaltschaft in Philadelphia und die Richterin liegen auf einer Linie, und Krasners Behörde ist in ihrem letzten Schrieb von dieser Linie keinen Millimeter abgewichen.
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Worum es hierbei juristisch geht:
- Batson-Klage (hier geht es um die Jury-Auswahl in Mumias Verfahren:Batson v. Kentucky, 476 U.S. 79 (1986), war ein Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten, in dem entschieden wurde, dass ein Staatsanwalt in einem Strafverfahren eine peremptorische Ablehnung - also den Ausschluss von Geschworenen ohne Angabe eines triftigen Grundes - nicht dazu verwenden darf, Geschworene allein aufgrund ihrer Rasse auszuschließen. Der Gerichtshof entschied, dass diese Praxis gegen die Equal Protection Clause des vierzehnten Verfassungszusatzes verstößt. Der Fall führte zu dem Begriff Batson-Challenge, einem Einspruch gegen einen peremptorischen (Der lateinische Begriff Peremptorisch bedeutet übersetzt aufhebend, die Sache erledigend.) Ausschluss, der auf dem durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in diesem Fall festgelegten Standard basiert. In der nachfolgenden Rechtsprechung wurde Batson auf Zivilprozesse (Edmonson v. Leesville Concrete Company) und auf Fälle ausgedehnt, in denen Geschworene aufgrund ihres Geschlechts ausgeschlossen werden (J.E.B. v. Alabama ex rel. T.B.). Der Grundsatz war zuvor von mehreren einzelstaatlichen Gerichten aufgestellt worden, darunter 1978 vom Obersten Gerichtshof von Kalifornien, 1979 vom Obersten Gerichtshof von Massachusetts und 1984 vom Obersten Gerichtshof von Florida.
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Brady gegen Maryland, 373 U.S. 83 (hier geht es um die viele Jahre lang unterdrückten Beweise für die Manipulation der Hauptbelastungszeugen gegen Mumia: Das war ein wegweisender Fall des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten, in dem festgestellt wurde, dass die Staatsanwaltschaft alle Beweise, die den Angeklagten entlasten könnten, der Verteidigung übergeben muss.
Ergänzungen
Demo in Berlin
Fr. 9. Dezember 2022 - Demonstration, Alexanderplatz, Bln - 18:00 Uhr
We Want Freedom: FREE MUMIA - FREE THEM ALL!
Aufruf in dt & Akustischer Aufruf
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enfrancaise
Flyer als Kopiervorlage
A3-Plakat-Kopiervorlage
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(Workers World) All Out For Mumia Abu-Jamal Dec. 9 (December 5, 2022)