Solibrief an Isa & Nero

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Hallo Isa, hallo Nero,

wir schreiben euch diesen Brief, um euch zu zeigen: wir haben euch nicht vergessen. Wir haben nicht vergessen, dass ihr stellvertretend für all jene einsitzt, die sich mit den herrschenden Verhältnissen nicht zufrieden geben, all jene, die nicht in ihr Konzept einer Stadt der Reichen passen, all jene, die sich von ihren Widerlichkeiten nicht einschüchtern lassen, die tagtäglich dagegen Widerstand leisten – ihr sitzt stellvertretend für uns alle. In einer Anstalt, die nur dafür geschaffen wurde, um euch zu brechen, zu isolieren und abzurichten.

Ihr sitzt im Knast, weil ihr Teil eines Bruchs seid. Teil eines Bruchs mit der herrschenden Logik, mit den bestehenden Verhältnissen. Ihr sitzt im Knast, weil ihr euch den Zuständen, wie sie sind, nicht unterordnet, weil ihr die Schweinereien der Elendsverwalter_innen nicht unwidersprochen passieren lasst. Ihr sitzt im Knast, weil ihr für eure Überzeugungen einsteht. Weil sie verhindern wollen, dass mehr Menschen eurem Beispiel folgen: nicht mehr schweigen, nicht mehr stillhalten, sondern sich einsetzen und aktiv für das kämpfen, woran man glaubt. Sie versuchen jeden Samen, der eine andere Gesellschaft in sich trägt, im Keim zu ersticken, scheuen dabei keine Mittel und stellen euch als Monster dar. Deshalb sitzt ihr im Knast.

Dass ihr im Knast sitzt, macht uns traurig und wütend. Traurig, weil zwei Menschen aus ihrem Leben gerissen und eingesperrt wurden, an einem Ort, wie es ihn menschenfeindlicher kaum gibt. Wütend über die Verhältnisse, die eine Institution wie das Gefängnis überhaupt benötigen. Euer Kampf für Freiheit macht uns gleichzeitig Hoffnung auf eine andere, eine bessere Welt. Eine Welt, in der nicht sozialer Status, Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht über das Schicksal von Menschen entscheiden. Ein Leben, in dem Menschen dort leben können, wo sie wollen, unabhängig von sozialem Status, Einkommen und Eigentum. Ein Leben, in dem Menschen hingehen können, wohin sie wollen, unabhängig von Geburtsort, Hautfarbe oder anderen Zuschreibungen. Ein Leben, in dem jede_r jede_n lieben kann, unabhängig von Geschlecht und sexueller Vorliebe. Ein Leben, in dem sich alle Menschen frei bewegen und so entfalten können, wie es ihnen beliebt. Eine Gesellschaft, in der die Freiheit der Einzelnen, die Voraussetzung für die Freiheit aller ist.

Die Rigaer94 ist ein Ort, der beispielhaft für eine selbstverwaltete, selbstbestimmte und solidarische Welt steht. Genau das macht den Herrschenden Angst. Sie haben Angst, ihre Macht zu verlieren, sie haben Angst vor einer Welt, in der sie nicht mehr aufgrund ihres Vermögens, ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe oder ihrer Herkunft über anderen stehen, sondern eine_r unter vielen sind. Die Rigaer94 ist ihnen ein Dorn im Auge, denn sie steht beispielhaft für die, die sich mit dieser Welt nicht abfinden wollen, die sich nicht beugen wollen angesichts der Widerlichkeiten, die dieses System bedeutet.

Ihr sitzt im Knast, weil ihr Teil dieses Kampfes seid. Dieses Schicksal teilt ihr mit Millionen von Menschen weltweit. Menschen, die sich genommen haben, was ihnen sowieso zusteht. Menschen, die sich nicht den Regeln der Herrschenden fügen. Menschen, die sich trotz aller Konsequenzen für das eingesetzt haben, was ihnen wichtig ist. Diese Menschen erfüllen unser Herz mit Hoffnung, dass eine bessere Welt doch noch möglich ist. Wegen euch, wegen all diesen Menschen, kämpfen wir tagtäglich für eine Gesellschaft, die die Institution Gefängnis nicht mehr nötig hat.

Wir schicken euch viel Kraft, Liebe, Mut und Durchhaltevermögen. Ihr seid nicht allein.
Grüße an all die vielen Namenlosen, die bewusst, unbewusst oder unter Zwang den aufgezwängten Regeln dieser Gesellschaft eine Absage erteilt haben.
Freiheit für alle Gefangenen!

radikale linke | berlin im Juli 2018

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