Racial Profiling abschaffen! - Am besten organisiert

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Am 14.06.2018 zieht die Berliner Kampagne „Ban! Racial Profiling“ Fazit zu ihrer Arbeit im letzten Jahr. re:volt-Redakteure Tim Reiche und Felix Broz zu einem wichtigen Ansatz kollektiver Praxis im organisierten Kampf gegen rassistische Polizeikontrollen.

Vor ziemlich genau einem Jahr, im Juni 2017, gründet sich in Berlin die Kampagne „Ban! Racial Profiling“. Sie ist laut Eigenaussage ein Zusammenschluss von Bürger*innenrechtsorganisationen, Beratungsstellen und antirassistischen Initiativen. Alle verfolgen das Ziel, die Praxis von verdachtsunabhängigen Polizeikontrollen, welche oftmals aufgrund rassistischer Stereotype durchgeführt werden, mit Betroffenen und Nicht-Betroffenen anzugreifen und auf diese Weise zu einer Abschaffung beizutragen. Diese vage erscheinende Hoffnung ist nicht ganz unbegründet. So hat der rot-rot-grüne Berliner Senat in seiner Regierungserklärung 2016 festgehalten, die Rechtsgrundlage des „Racial Profiling“ überprüfen zu wollen. Nachdem sowohl die Polizei als auch der Berliner Senat unter SPD und CDU jahrelang die Existenz solcher rassistischen Praxen dementierte, sollen sie nun auf einmal abgeschafft werden. Passiert ist jedoch bisher nichts. Deshalb ist die Kampagne auch ein Versuch, das Thema mit eigenen Forderungen auf die politische Agenda zu setzen. Um die Notwendigkeit von Veränderungen auch juristisch zu unterstreichen und mögliche Wege aufzuzeigen, erfolgte die Erstellung eines Rechtsgutachtens. Gleichzeitig organisiert „Ban! Racial Profiling“ eine kollektive Gegenbewegung, um der herrschenden „cop culture“, also der herrschenden polizeilichen Praxis, aktiv etwas entgegen zu setzen, ohne auf „die Politik“ warten zu müssen. Auch in Hamburg, Freiburg, Frankfurt/Main oder  Bremen existieren Initiativen mit unterschiedlichen praktischen Ansätzen, zum Beispiel „Cop Watch“.

 

Kern der Arbeit ist neben der gegenseitigen Vernetzung eine breit aufgestellte Informations- und Solidaritätskampagne. So waren die Themen und Materialien auf zahlreichen Kundgebungen, Veranstaltungen, Kiez- und Hoffesten in der Stadt präsent. Videobeiträgen oder Statements in den sozialen Medien machten die Erfahrungen von Betroffenen sichtbar. Gleichzeitig konnten interessierte Menschen im Rahmen einer Unterschriftenaktion auf Postkarten zumindest ein symbolisches Zeichen setzen. Darüber hinaus gab es Plakataktionen in einigen Berliner Kiezen, um an den betroffenen Orten über die fatale Polizeipraxis aufzuklären. Auf diese Weise stieg auch die Aufmerksamkeit für bereits bestehende Beratungsangebote für Betroffene. So verzahnten sich unterschiedliche Ebenen der politischen Arbeit. Die Artikulierung parlamentarischer Forderungen basierend auf juristischer Expertise ging Hand in Hand mit einer Straßenkampagne, die Betroffene und Nicht-Betroffene informieren und solidarisch vernetzen konnte. Obwohl ein Aktivist während der Pressekonferenz darauf hinweist, dass die Arbeit noch breiter in die Kieze hätte gestreut werden können, ist der bisherige Verlauf der Kampagne beachtlich.

 

In diesem Sinne eröffnet „Ban! Racial Profiling“ eine bedenkenswerte Perspektive zu den Möglichkeiten nachhaltiger politischen Kampagnenarbeit. Denn wie oft ist die aktuellste Kampagne genauso schnell wieder vergessen, wie sie aufkam, da schon das nächste „hot topic“ die Aufmerksamkeit beansprucht. Zentral ist in diesem Zusammenhang sicherlich das in Auftrag gegebene Rechtsgutachten, welches im Juli veröffentlicht wird, mit dem die Kampagne gewissermaßen den Weg für zukünftige kollektive Arbeit geebnet hat. Statt nur Forderungen an die herrschende Stadtpolitik zu richten, zeigt sie konkrete Schritte zu deren Umsetzung auf.

 

Der dringlichste von ihnen ist sicherlich die Abschaffung von Paragraph 21 des „Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes“ des Landes Berlin (kurz: ASOG). Der Paragraph ermöglicht der Polizei an bestimmten Orten, die als besonders „kriminalitätsbelastet“ eingestuft werden, verdachtsunabhängige Personenkontrollen durchzuführen. Warum eine entsprechende Einschätzung erfolgt, muss die Berliner Polizei weder begründen noch muss sie die entsprechenden Orte bekanntgeben. Diese Orte müssen nicht mal konkret, also klar umgrenzt, benannt werden. Der Willkür ist somit Tür und Tor geöffnet. Dementsprechend bekommen von Kontrollen Betroffene als Begründung der Maßnahmen schon mal zu hören: „Dein ganzer Stadtteil ist ein Kriminalitätsschwerpunkt.“ Nach welchen Kriterien die sogenannten „kriminalitätsbelastete Orten“ (kbO) von der Polizei ausgewählt werden, bleibt indes schleierhaft. Nachdem Polizei, lokale Medien und Springer-Presse über Monate hinweg gezielt Ängste vor Gewalttaten im öffentlichen Raum schüren und somit den von rechts dominierten ordungs- und sicherheitspolitischen Diskurs von AfD & Co befeuern, mussten sie Anfang Juni mitteilen, dass zwei Orte, der Leopoldplatz in Berlin-Wedding sowie der „Kleine Tiergarten“ in Berlin-Moabit die medial als besonders „kriminalitätsbelastet“ dargestellt wurden, aufgrund stark zurückgehender Straftaten von der Liste der „kbO“ gestrichen wurden.Die Erklärung von bestimmten Stadträumen zu „kriminalitätsbelasteten Orten“ hat dabei weitreichende Auswirkungen auf die Nutzenden. Vor allem rassistische Kontrollen werden auf diese Weise verstärkt. Einerseits werden bestimmte Delikte aufgrund rassistischer Stereotype eher nicht-weißen Gruppen zugeschrieben (Drogenhandel) und andererseits weist der §21 auch explizit Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht als kontrollrelevant aus. An die unmittelbaren Kontrollen kann sich je nach Situation noch ein ganzer Rattenschwanz weiterer Maßnahmen, wie Durchsuchungen, Festhalten oder der Abtransport auf die nächste „Dienstelle“, folgen – das alles wohlgemerkt ohne beweisbaren Verdacht. Vor diesem Hintergrund weist auch das Rechtsgutachten der Kampagne auf zahlreiche juristische Ungereimtheiten in Zusammenhang in dieser Polizeipraxis hin.

 

So stellt die Berliner Rechtsanwältin Maren Burkhardt als eine der Gutachter*innen die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit von §21 in Frage. Die entsprechende Kontrollen seien nicht nur „geringfügige Eingriffe“ in die persönliche Freiheit, wie es in der gängigen Rechtssprechung oft betont wird. Stattdessen beträfen sie aufgrund der hohen Streuweite viele Menschen und könnten wegen der zentralen Lage vieler kbO nur schwer umgangen werden. Außerdem erfolgten entsprechende massenhafte Einschränkungen auf der Grundlage eines verwaltungsinternen und gleichzeitig in Berlin höchst intransparenten Verfahrens, das auf dem Rechtsweg nur schwer angreifbar sei. Gleichzeitig bestünde noch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, da die Verfolgung des vordergründigen Ziels im Sinne einer „Abwehr und Verfolgung von Straftaten“ aufgrund fehlenden Datenmaterials nicht belegbar sei. Vor diesem Hintergrund erscheint es wahrscheinlich, das mit der Polizeipraxis an kbOs weitere Ziele, wie bspw. die stadtplanerische Aufwertung von „Problemkiezen“ sowie die Verdrängung bestimmter Bevölkerungsgruppen, verfolgt werden. Ergänzend stellt der zweite Gutachter Cengiz Barskanmaz (Rechtswissenschaftlicher am Max-Planck-Institut) fest, dass §21 durchaus den grundrechtlichen Schutzbereich des Diskriminierungsverbots aufgrund der zugeschriebenen „Rasse“ (Art.3 GG) berührt. Weiterhin nähme der Paragraph bestehende Schwerpunkte der europäischen Rechtsprechung in Bezug auf rassistische Diskriminierung nur unzureichend auf. Insgesamt kommen beide zu dem Urteil, das es zahlreiche Anhaltspunkte einer Unvereinbarkeit des §21 ASOG mit bestehenden Rechtsnormen gibt, weshalb er abgeschafft werden müsse.

 

Da Polizeirecht in der BRD „Ländersache“ ist, erscheint die Berliner Kampagne „Ban! Racial Profiling“ auf den ersten Blick sehr spezifisch. Allerdings finden sich entsprechende Regelungen in allen Landespolizeigesetzen, wenn auch in teilweise leicht abgewandelter Form. In diesem Sinne zeigt sie einen Weg, auf dem kollektiv Veränderungen bewirkt werden können. Das Rechtsgutachten bildet dabei zwar den Abschluss der Kampagne, eröffnet jedoch zahlreiche Möglichkeiten, die Arbeit fortzuführen. So können die Ergebnisse einerseits genutzt werden, um von den politischen Entscheidungsträger*innen konkrete Schritte abzufordern. Andererseits liefert das Gutachten wichtiges Argumentationsmaterial für die Aktivist*innen in den Kiezen, um bspw. Betroffenen die Unrechtmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens noch bewusster zu machen. Gleichzeitig trägt es dazu bei, den Druck in konkreten Kontrollsituationen zu erhöhen, indem den eingesetzten Beamt*innen argumentativ die Rechtsgrundlage für ihr Vorgehen streitig gemacht werden kann. Auf diese Weise kann die Solidarität zwischen Betroffenen und Nicht-Betroffenen gestärkt werden. Ohnehin zeigen die zahlreichen Berichte auf der Facebook-Seite von „Ban! Racial Profiling“, dass viele Menschen in Berlin nicht mehr wegsehen. Neben den Schilderungen von unmittelbar Betroffenen finden sich einige Beobachtungen von Passant*innen, die in argumentativ in die Kontrollsituation eingegriffen haben oder die Betroffenen danach unterstützten.

 

Obwohl das Mittel der polizeilichen Kontrollen ohne konkrete Gefahr inzwischen überall in der BRD gängige Praxis ist, liegt seine Einführung noch nicht all zu lange zurück. Es ist Produkt einer historischen Entwicklung und die kann als solches kollektiv zurückgedrängt werden. Die Kampagne „Ban! Racial Profiling“ zeigt einen möglichen Weg der Organisierung von Widerstand gegen die bestehenden Auswüchse der herrschenden „cop culture“ auf. Die Erfahrungen, die dabei gemacht wurden, könnten sich insbesondere im Angesicht umfassender Verschärfungen der Polizeigesetze in vielen Bundesländern und eines notwendigen Kampfes dagegen in Zukunft als ziemlich wertvoll erweisen. Gerade im Zuge der aufkommenden Organisierungsdebatten in der radikalen Linken ist die antirassistische Arbeit gegen die Praxis des „racial profiling“ ein wichtiger Ankerpunkt, solidarische Praxen mit Betroffenen zu entwickeln und sie in stadtteilpolitische Arbeit als festen Bestandteil einzubetten. Die Hinterfragung des sicherheitspolitischen Drucks von Polizei & Co bietet konkrete Möglichkeiten der kollektiven Organisierung in den Stadtteilen. Dies bedeutet, dass sich dabei stadtpolitische Aktivist*innen und bisher noch nicht in politischen Strukturen befindliche Betroffene vernetzen und gemeinsam politisch wirkmächtig werden können.

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