NAZIFREUND UND FOLTERER. DAS ERSTE ETA-ATTENTAT: MELITÓN MANZANAS.

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Nazifreund und Folterer

Melitón Manzanas González (9. Juni 1909 / 2. August 1968) war spanischer Polizist während der Diktatur Francisco Francos, ein Kollaborateur der Gestapo während des Zweiten Weltkriegs und Leiter der franquistischen Polizei “Politisch-Soziale Brigade“ von Gipuzkoa. In dieser Funktion folterte er zahlreiche Regimegegner und wurde zum Feindbild Nummer eins in der Bevölkerung. Er wurde von Euskadi Ta Askatasuna (ETA) getötet, der erste geplante tödliche Anschlag der baskischen Untergrund-Organisation war.

 

Melitón Manzanas studierte Forensik in der Hauptstadt Donostia - San Sebastián. Nach dem Militärputsch der faschistischen Generäle am 18. Juli 1936 wurde er von den republikanisch-baskischen Behörden wegen seiner Sympathien für die aufständischen Truppen inhaftiert. Er blieb bis September 1936, als die Rebellen die Stadt einnahmen, in der Festung von Guadalupe in Hondarribia (span: Fuenterrabía) eingesperrt. Danach trat er in Donostia in das 3. Artillerie-Regiment ein und nahm von 1938 bis zum Ende des Spanienkrieges mit den sogenannten "Grünen Pfeilen" (Flechas Verdes) am Krieg teil.

Manzanas trat 1941 in das Allgemeine Polizeikorps ein und wurde Inspektor in Irun. Von dort wechselte er zur “Politisch-Sozialen Brigade“ von Gipuzkoa, Francos politischer Polizei, deren Leiter er schließlich wurde. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er aktiv mit der deutschen Gestapo zusammen, während der Nazi-Besatzung von Frankreich half er bei der Verhaftung von Jüdinnen und Juden, die über die Grenze nach Südfrankreich zu fliehen versuchten.

Im Juli 1964 wurde er mit dem Polizei-Verdienstkreuz mit roter Plakette ausgezeichnet, seine Akte enthielt rund fünfzig Belobigungen für seine polizeilichen Tätigkeiten. Viele der politischen Gefangenen verschiedener Ideologien, die ihm in die Hände fielen, waren sich einig, dass er ein äußerst brutaler Folterer war. Diese schmutzige Polizeiarbeit machte ihn in den Augen der Opposition zum Hauptvertreter der Repression der Franco-Diktatur in Gipuzkoa und im Baskenland.

Opferliste

Eine vollständige Liste seiner Opfer gibt es nicht, aber es ist bekannt, dass die folgenden Personen von ihm gefoltert wurden: María Mercedes Ancheta, Joxe Mari Quesada, Marcelo Usabiaga, José Miguel Calvo Zapata, José Ignacio Huertas Miguel, Víctor Lecumberri, Roberto Cámara, Jesús María Cordero Garmendia, Jerónimo Gallina, Pedro Barroso Segovia, Javier Lapeira Martínez, Regino González Moro, Jorge González Suárez, Francisco Parra, Gaspar Álvarez Lucio, Manuel Mico Bartomeu, Nicolás Txopitea Paradizabal, Esteban Huerga Guerrero, Victoria Castan del Val, Mario Onaindia Natxiondo, Jone Dorrondoso, Ramón Rubial, Timoteo Plaza, Amanci Conde, Juan Agirre, Auspicio Ruiz, María Villar, Carmen Villar, Luis Martín Santos, José Luis López de Lacalle, Xabier Apaolaza, Ildefonso Pontxo Agirre, José Ramón Recalde, Julen Madariaga, Rafa Albizu, María Jesús Muñoz, Félix Arrieta und Juan José Sainz. Eine illustre Liste von ETA-Gründern, Sozialdemokrat*innen, Kommunisten und Republikaner*innen.

In der offiziellen Geschichtsschreibung heißt es, dass die ETA-Führung beschloss, ihn innerhalb der sogenannten "Operation Sagarra" (Apfel auf Baskisch) zu ermorden. Dabei handelte es sich um das erste geplante Attentat der 1959 gegen die faschistische Diktatur gegründete Organisation. Das Attentat wurde in der Presse folgendermaßen beschrieben: Am 2. August 1968 warteten drei ETA-Mitglieder vor Manzanas Haus in Irun, einer Villa namens Villa Arana, auf ihn. Als er eintraf, wurde auf ihn geschossen, er wurde bis zu sieben Kugeln getroffen. Seine Frau und seine Tochter waren Zeuginnen der Tat. Für das Begräbnis wurde von den franquistischen Behörden in Irun eine große Zeremonie organisiert, an der zahlreiche Behörden, die Provinzführung der falangistischen Bewegung (Movimiento) und faschistische Sympathisanten teilnahmen.

Ausnahmezustand

Das Regime reagierte auf Manzanas Ermordung mit der Verhängung des Ausnahmezustands in Gipuzkoa für drei Monate, der später um weitere drei Monate verlängert wurde und sich mit dem am 24. Januar 1969 im ganzen spanischen Staat verhängten Ausnahmezustand überschnitt. In dieser Zeit wurden die Artikel 14, 15 und 18 der franquistischen Gesetze ausgesetzt, in denen die Aufenthaltsfreiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung und die Dauer eines Polizei-Gewahrsams geregelt waren. In der Folge nahm die diktatoriale Repression im Baskenland erheblich zu.

Gegenüber dem belgischen Fernsehen bekannte sich ETA öffentlich zu dem tödlichen Anschlag gegen Manzanas. Das damalige ETA-Mitglied Xabier Izko de la Iglesia wurde 1970 während des Burgos-Prozesses (2) des Mordes an dem Nazi und Folterer beschuldigt, der bestritt hartnäckig, Manzanas getötet zu haben.

Kontroverse über posthume Anerkennung

Im Januar 2001 verlieh die Regierung von Ministerpräsident José María Aznar dem Folterer, Nazikumpanen und ETA-Opfer Melitón Manzanas posthum den Königlichen Orden für zivile Anerkennung der Opfer des Terrorismus, in Anwendung des “Gesetzes 32/1999 vom 8. Oktober zur Unterstützung der Opfer des Terrorismus“. Dieses Gesetz, das im spanischen Parlament einstimmig angenommen worden war, sieht in seinem vierten Artikel vor, dass diese Anerkennung ausnahmslos allen Opfern des Terrorismus auf deren eigenen Antrag oder auf Antrag ihrer Nachkommen gewährt wird.

Die Entscheidung löste Proteste der Oppositions und der Gesellschaft aus, darunter Amnesty International, die Friedensinitiative Gesto por la Paz de Euskal Herria, das Madrider Friedensforum, die Gewerkschaften Comisiones Obreras (CCOO) und Unión General de Trabajadores (UGT) sowie Izquierda Unida von der Kommunistischen Partei. Sie argumentierten, dass die "gerechte Anerkennung" der Opfer des Terrorismus nicht "um jeden Preis" erfolgen könne und dass der Orden bedeute, "einen bekannten Folterer und Putschisten, der zum Terror und zur Unterdrückung in den dunkelsten Jahren des spanischen Lebens im letzten Jahrhundert beigetragen hat, mit Ehren auszuzeichnen". Das Parlament von Navarra verabschiedete ebenfalls eine Resolution gegen die Auszeichnung.

Nach der Verleihung dieser Medaille jedoch reformierte das spanische Parlament im Jahr 2002, auf Initiative der Baskischen Nationalistischen Partei (PNV) und gegen den alleinigen Widerstand der postfranquistischen Volkspartei (PP), das Gesetz zur Solidarität mit den Opfern des Terrorismus. Der vierte Artikel wurde dahingehend geändert, dass "sie auf keinen Fall an Personen verliehen werden darf, die in ihrer persönlichen oder beruflichen Laufbahn ein Verhalten an den Tag gelegt haben, das den in der Verfassung und in diesem Gesetz vertretenen Werten und den in internationalen Verträgen anerkannten Menschenrechten widerspricht".

Im März 2003 wies die Verwaltungskammer des Obersten Gerichtshofs eine erste Klage der PNV gegen die Anerkennung von Melitón Manzanas ab. Im Jahr 2008 wurde eine weitere Beschwerde der katalanischen Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte abgewiesen. In beiden Fällen lehnte der Gerichtshof die rückwirkende Anwendung des erneuerten Gesetzes ab und führte Argumente an, die sich auf den "Versöhnungsgedanken" beziehen, der dem spanischen Übergangsprozess zugrunde liegt.

In den Medien

Auch in der vierteiligen Fernsehserie “La línea invisible“ (Die unsichtbare Linie) aus dem Jahr 2020 unter der Regie von Mariano Barroso tritt Melitón Manzanas in Erscheinung. Die Geschichte handelt von der Entscheidung von ETA, tödliche Attentate durchzuführen. Im Mittelpunkt des Plots steht Txabi Etxebarrieta, ein junger ETA-Aktivist und Stratege, sowie eine hypothetische Diskussion unter ETA-Aktivisten, ob dieser Schritt gemacht werden solle oder nicht. Etxebarrieta kam mit einem Genossen am 7. Juni 1968 bei Tolosa in eine Polizeikontrolle, bei einem Schusswechsel starb ein Zivilgardist. Am selben tag wurde Etxebarrieta gestellt und erschossen. Wie sich erst vor Kurzem über die Einsicht des lange geheim gehaltenen Obduktionsberichts herausstellte, wurde er regelrecht exekutiert. Weil zwischen Extebarrietas Tod und dem Manzanas-Attentat nur wenige Wochen liegen (genau 56 Tage) wird gemutmaßt, dass das Attentat keine strategische Entscheidung von Seiten von ETA war, sondern eine simple Racheaktion. In der besagten Filmserie kommt Manzanas jedenfalls gut weg, als fürsorgender Familienvater und guter Polizist – eine Geschichtsrevision mehr.

Weißwaschen

Wer das zweifelhafte Vergnügen hat, ins Kommissariat der Nationalpolizei in Bilbao zu kommen, findet in der Eingangshalle eine Würdigung für Melitón Manzanas. Dort werden Personalausweise ausgestellt und verlängert, Migrant*innen müssen sich dort um Aufenthalts-Genehmigungen bemühen und dafür bei Regen und Schnee auf der Straße Schlange stehen. Manzanas steht auf einer in Marmor gemeißelten Liste der Opfer dieses Polizeikorps, das in seiner Geschichte Tausende von Personen (vor allem Bask*innen) gefoltert hat. In perfekter Übereinstimmung mit der beruflichen Praxis von Manzanas.

Immer mehr Stimmen in der spanischen Gesellschaft (in der baskischen ohnehin schon länger) gelangen zur Feststellung, dass der sogenannte “demokratische Übergang“ nach Francos Tod 1975 gar keiner war; dass die alten Machtstrukturen lediglich einen neuen Anstrich erfuhren; dass der Franquismus nie aufgearbeitet wurde und weiter in Funktion ist. Der Tod von Manzanas 1968 wurde (wie wenige Jahre später der Tod des designierten Franco-Nachfolgers Carrero Blanco ebenfalls durch ETA) in vielen Kreisen der spanischen und vor allem der baskischen Gesellschaft gefeiert. Nicht offen, weil die Diktatur zwar angeschlagen, aber noch zu tödlichen Schlägen in der Lage war. Von dieser “heimlichen Freude“ wollen heute die wenigsten noch etwas wissen. Von jener Freude über den Aktivismus der Untergrund-Organisation, die überaus populär war, weil sie die brutale franquistische Diktatur in Frage stellte.

Solange Folterer wie Manzanas staatliche Ehren erfahren, und die Folteropfer von Guardia Civil und Nationalpolizei staatlich ignoriert werden, ist es politisch und moralisch richtig, die Übergangsphase von 1975 bis zum Verfassungsbeschluss (und alles was danach kam) als “Regime von 1978“ zu bezeichnen, als Fortsetzung der Diktatur mit neuen Hemden und Krawatten.

ANMERKUNGEN:

(1) Melitón Manzanas, Wikipedia (LINK)

https://es.wikipedia.org/wiki/Melit%C3%B3n_Manzanas

(2) “Der Burgos-Prozess – Franco auf der Anklagebank“, Baskultur.Info, 2020-12-05 (LINK)

https://www.baskultur.info/aktuell/kalender/633-burgos-prozess

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